Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Arbeitsunfähigkeit

„Krankengeldfalle“ schnappt in Altfällen zu

| Seit dem Stichtag am 23.7.15 gilt: Wer Krankengeld bezieht, muss spätestens am nächsten Werktag, nachdem die Bescheinigung endet, zum Arzt. Das neue Recht gilt aber nicht rückwirkend, bestätigt das LSG Berlin-Brandenburg (24.7.18, L 1 KR 196/16, Abruf-Nr. 204604 ). Besonders problematisch: Fordert der Arzt auf, erst am nächsten Tag (und damit zu spät) zu kommen, geht dies zulasten des Patienten. |

 

Der Fall des LSG

Das Arbeitsverhältnis des 50-jährigen Klägers war arbeitgeberseits zum 30.11.14 beendet worden. Anderthalb Monate vor dem Ende seiner Beschäftigung erkrankte der Kläger. Es entwickelte sich der nachstehend dargestellte Fall:

 

 

Entscheidungsgründe

Damit der Anspruch auf Krankengeld ununterbrochen fortbesteht, ist es notwendig, dass der Arzt die AU jeweils erneut ärztlich feststellt, bevor sie abläuft (BSG 10.5.12, B 1 KR 19/11). Nachdem der § 46 Abs. 1 SGB V zum 23.7.15 neu geregelt wurde, genügt es, wenn der Versicherte sich spätestens am nächsten Werktag, der auf das Ende der letzten AU-Bescheinigung (letzter Tag der Krankschreibung im Attest) folgt, wieder beim Arzt vorstellt.

 

Vorliegend wurde die Arbeitsunfähigkeit aber noch nach altem Recht verlängert, sodass sich der Kläger spätestens am 5.1.15 beim Arzt hätte vorstellen müssen. Daran ändert auch nicht, dass er seitens der Arztpraxis telefonisch aufgefordert wurde, erst am nächsten Tag zu erscheinen. Fehlberatungen seitens einer Arztpraxis entlasten den Versicherten nicht grundsätzlich und lösen auch keinen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gegen die Krankenkasse aus (BSG 16.12.14, B 1 KR 25/14 R).

 

Die neuere Rechtsprechung des dritten BSG-Senats schränkt die Geltung dieses Grundsatzes zwar ein, aber nicht so, dass es für diesen Fall bedeutsam wäre. Sie begründet eine Einschränkung nur, soweit eine dem Arzt unterlaufene sonstige Fehleinschätzung mit der bereits als Ausnahmefall anerkannten Situation vergleichbar ist, dass der untersuchende Arzt weitere Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit nicht erkennt. Dafür muss der Kläger aber auch vom Arzt gesehen bzw. untersucht werden. Genau dies war im vorliegenden Fall nicht möglich, da der Kläger weder seinen behandelnden, noch einen anderen Arzt am 5.1.15 aufgesucht hatte, um sich weiter krankschreiben zu lassen. Demnach endete die Versicherung des Klägers wegen eines Anspruchs auf Krankengeld auch an diesem Tag.

 

Relevanz für die Praxis

Das BSG hat Ausnahmen festgestellt, in denen der Anspruch auf Krankengeld fortbesteht, auch wenn die ärztlichen Bescheinigungen zeitlich nicht lückenlos aneinander anschließen (11.5.17, B 3 KR 22/15 R). Der Versicherte erfüllt seine Pflicht insoweit, wenn er alles ihm mögliche hierfür tut: Er muss den Arzt aufsuchen und seine Beschwerden schildern. Ist der Arzt dann verantwortlich, dass der Versicherte nicht krankgeschrieben wird, darf das nicht nachteilig für den Versicherten sein. Er muss aber alles in seiner Macht Stehende getan haben, um seine Ansprüche zu wahren, wurde hieran aber durch Fehler der Krankenkasse gehindert. Das BSG bejaht dies bei

 

Checkliste / In diesen Fällen ist der Versicherte schuldlos

  • versäumten Fristen aufgrund Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit des Versicherten,
  • verspätet zugegangenen AU-Bescheinigungen (Organisationsmängel bei Krankenkasse),
  • von der Kasse rechtsfehlerhaft bewerteter Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit, nachdem der letzte Arbeitsplatz aufgegeben wurde oder
  • Irrtümliche Ablehnung einer AU-Bescheinigung wegen falscher ärztlicher Beurteilung i
 

Problematisch ist, dass das Gericht den Versicherten für die unterbrochene „Kette“ der AU-Zeiten verantwortlich sieht, auch wenn der Arzt selbst den Versicherten auffordert, erst am nächsten Tag zu kommen. Auch wenn die Krankengeldfalle „entschärft“ wurde: Erst am letztmöglichen Tag beim Arzt zu erscheinen, um sich weiter krankschreiben zu lassen, ist risikoreich.

 

PRAXISTIPP | Eine attestierte Arbeitsunfähigkeit sollte daher keinesfalls bis zum letzten Tag (= erster Werktag nach AU-Ende) ausgeschöpft werden. Die Arztpraxis sollte schon 2 bis 3 Tage zuvor aufgesucht werden.

 

Weiterführende Hinweise

  • Wichtige Änderungen für Krankengeldbezieher, SR 15, 119
  • Auch Reha-Ärzte können Arbeitsunfähigkeit feststellen, SR 18, 20
Quelle: Ausgabe 10 / 2018 | Seite 168 | ID 45484254