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· Fachbeitrag · Nachfolgeplanung

Erbschaftsteuer optimieren durch postmortale Nutzung von Freibeträgen

von Dr. Thomas Stein, Rechtsanwalt/Steuerberater, Ulm

| Die effektive Nutzung der persönlichen Freibeträge gemäß § 16 ErbStG gehört zu den Grundüberlegungen in der Nachfolgeplanung. So werden frühzeitige Übertragungen von Vermögenswerten auf die nächste Generation zur effektiven Nutzung der Erneuerung des persönlichen Freibetrags im Zehnjahresturnus angestrengt. Gleiches gilt für Vermögensübertragungen auf möglichst viele Abkömmlinge unter Einschluss der Enkel- und Urenkelebene. Obwohl das Steuersparpotenzial enorm ist, wird der postmortalen Freibetragsnutzung „auf Kosten des Mandanten“ regelmäßig zu wenig Bedeutung geschenkt. |

1. Anknüpfungspunkt der postmortalen Freibetragsgewährung

Anknüpfungspunkt für ein erfolgreiches „Freibetragsmanagement“ ist die konsequente Anwendung von § 14 ErbStG, der bekanntlich die Zusammenrechnung von Vermögensvorteilen anordnet, die innerhalb von zehn Jahren von derselben Person beim Erwerber anfallen. Für die Berechnung der Zehnjahresfrist kommt es darauf an, wann der jeweilige Erwerb bewirkt worden ist. Für die Fristberechnung ist dabei § 108 Abs. 1 AO i. V. m. §§ 187 Abs. 2, 188 Abs. 2 Alt. 2 BGB heranzuziehen. Es gilt das an §§ 9 ErbStG ausgerichtete Stichtagsprinzip (Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 14 Rn. 9).

 

MERKE | Der Grunddogmatik des § 14 ErbStG wohnt zugleich inne, dass jeder Erwerb seinen Charakter als eigenständiger Erwerb beibehält. Es erfolgt lediglich eine Verklammerung der einzelnen Erwerbe durch die Zusammenrechnung über § 14 ErbStG. Gegenteiliges gilt nur ausnahmsweise, wenn zwei Schenkungen etwa aufgrund des Zusammenhangs zueinander nicht mehr als eigenständig zu beurteilen sind. Der BFH (28.3.07, II R 25/05, BStBl II 07, 461) folgt dem und wendet die Eigenständigkeit eines jeweiligen Erwerbs konsequent im Rahmen des § 14 ErbStG an.

 

Der Erwerb eines Gegenstands im Vermächtniswege stellt dabei einen eigenständigen Erwerb dar. Daraus folgt auch, dass ein Vorausvermächtnisnehmer e‒ also der Vermächtnisnehmer, der zugleich Erbe ist ‒ mit dem Erbfall einen Erwerb „Vermächtnis“ und einen weiteren Erwerb „Erbschaft“ tätigt. Deren Steuerentstehungszeitpunkt fällt allerdings gemäß § 9 ErbStG auf den gleichen Zeitpunkt, den Todestag (FG Münster 7.3.17, 3 K 361/15, EFG 17, 1191, r.kr.; Meincke/Hannes/Holtz, ErbStG, § 14, Rn. 17).

 

Beachten Sie | In bestimmten Sonderfällen weicht der Steuerentstehungszeitpunkt gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ErbStG auch bei Erwerben von Todes wegen vom Todestag des Erblassers ab, etwa bei aufschiebend bedingten Vermächtnissen. In diesen Ausnahmefällen (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a bis j ErbStG) erfolgt der Erwerb nicht am Todestag des Erblassers, und die Steuer fällt damit auch zu einem anderen Zeitpunkt an.

 

Entschieden wurde dies vom BFH für nach dem Tod fällig gewordene und entstandene Versicherungsansprüche, deren Entstehen dem Grunde und der Höhe nach im Todeszeitpunkt noch nicht feststand; dies gilt etwa bei der Brandschutzversicherungsentschädigung für das Wohnhaus, in dem der Erblasser während des Brandes verstarb (BFH 2.3.06, II R 57/04, DStRE 06, 1012). In diesem Fall erfolgt der Erwerb durch Erbschaft im Zeitpunkt des Todes, der Erwerb des Versicherungsanspruchs ist aber erst bei Fälligkeit der Versicherungsleistung anzunehmen.

 

Konsequent weiter übertragen wird diese Überlegung auf aufschiebend bedingte, vermächtnisweise Erwerbe (Stein, ZEV 11, 572; Jülicher in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG, § 14 Rn. 9). Dies ist systemimmanent. Schließlich entsteht auch im Falle eines aufschiebend bedingten Vermächtnisses die Steuer erst mit dem Bedingungseintritt ‒ denn erst dann findet der Erwerb des Vermächtnisnehmers statt.

 

  • Beispiel

Der unheilbar kranke V hat seiner Tochter am 1.6.12 (vor acht Jahren) einen Geldbetrag von 400.000 EUR zugewandt. Die Ehefrau ist testamentarisch als Alleinerbin eingesetzt. Er überlegt im März 2020,

  • a) der Tochter unmittelbar 400.000 EUR ohne weitere Bedingungen durch Vermächtnis zuzuwenden oder
  • b) der Tochter ein Vermächtnis von 400.000 EUR unter einer aufschiebenden Bedingung (etwa dass die Mutter in diesem Zeitpunkt noch lebt) zu gewähren, das einen Tag nach Ablauf der 10-Jahresfrist des § 14 ErbStG fällig sein soll (zum 2.6.22).

 

Der Vater verstirbt im April 2020.

 

Lösung:

In Variante a) wird aufgrund der Zusammenrechnung der beiden Erwerbe gem. § 14 ErbStG ein steuerpflichtiger Erwerb i. H. v. 400.000 EUR im Todeszeitpunkt getätigt, der bei der Tochter eine Erbschaftsteuer von 60.000 EUR auslöst. Der persönliche Freibetrag in Höhe von 400.000 EUR wurde bereits durch die Schenkung vom 1.6.12 „verbraucht“.

 

In Variante b) fällt auf den Todestag keine Erbschaftsteuer für die Tochter an, da insoweit kein Erwerb stattfindet. Aufgrund der aufschiebenden Bedingung erfolgt der spätere vermächtnisweise Erwerb gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ErbStG erst mit Bedingungseintritt, mithin zum 2.6.22. Zu diesem Zeitpunkt findet aber keine Zusammenrechnung der Erwerbe vom 1.6.12 und des Erwerbs vom 2.6.22 gemäß § 14 ErbStG mehr statt.

 

Für den Erwerb vom 2.6.22 steht der Tochter ein frischer Freibetrag über 400.000 EUR zur Verfügung, ungeachtet des zuvor eingetretenen Todes des Vaters. Der Erwerb am 2.6.22 bleibt daher erbschaftsteuerfrei. Die Alleinerbin kann mit dem Bedingungseintritt die Belastung auf Antrag von ihrer Erbschaftsteuer gemäß §§ 6 Abs. 2, 5 Abs. 2 BewG abziehen.

 

Die aufschiebende Bedingung des vermächtnisweisen Erwerbs führt daher zu einer Wenigerbelastung mit Erbschaftsteuer von 60.000 EUR.

 

Anders als es der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zunächst suggerieren mag, sollte bei Gestaltungen nicht lediglich auf eine aufschiebende Befristung abgestellt werden. Meincke/Hannes/Holtz (ErbStG, § 9 Rn. 23) führen die fehlende Erwähnung der Befristungen in § 4 BewG an und nehmen betagte Forderungen aus dem Anwendungsbereich von § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ErbStG aus (a. A. Fischer in: Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, § 9 Rn. 82 [einschließlich betagter Forderungen]). Auch der BFH hat im Jahr 03 für lediglich befristete Erwerbe nur eine Abzinsung des Steuerbetrags zugelassen, den Steuerentstehungszeitpunkt und damit den Erwerb allerdings nicht auf den Tag des Eintritts der Befristung verlagert (BFH 27.8.03, II R 58/01, BStBl II 03, 921).

2. Überlegung: Postmortale Freibetragsgestaltungen über formunwirksame Testamente

Eine postmortale Freibetragsnutzung kommt allerdings nicht nur durch aufschiebend bedingte Vermächtnisse oder erst später erworbene Versicherungsansprüche in Betracht. Ein Hinausschieben des Steuerentstehungszeitpunktes gemäß § 9 ErbStG erkennt der BFH auch für den Fall der Erfüllung formunwirksam angeordneter Verschaffungsvermächtnisse an (BFH 28.3.07, II R 25/05, BStBl II 07, 461).

 

Dabei ist zunächst in Erinnerung zu rufen, dass auch formunwirksame Verfügungen von Todes wegen erbschaftsteuerlich beachtlich sind, wenn diese entsprechend der Anordnung des Erblassers umgesetzt werden. Auf deren zivilrechtliche Unwirksamkeit kommt es für erbschaftsteuerliche Behandlung nicht an. Zu denken ist etwa an die tatsächliche Umsetzung maschinengeschriebener Testamente, die nach deutschem Erbrecht unwirksam sind. Halten sich die Parteien an diese unwirksame Verfügung des Erblassers, wird der formunwirksam angeordnete ‒ aber real umgesetzte ‒ Sachverhalt der Besteuerung zugrunde gelegt (BFH 7.10.81, II R 16/80, BStBl II 82, 28; BFH 22.9.10, II R 46/09, ErbBstg 11, 32).

 

MERKE | Der Altfassung des § 14 ErbStG 1925 wird zwar weiterhin rechtsprechungsbeeinflussende Wirkung beigemessen, anderseits soll aber eine gemäß § 41 AO angeordnete Besteuerung des wirtschaftlichen Gehalts erfolgen. Dies gilt selbst bei mündlichen Verfügungen von Todes wegen, wenn der entsprechende Erblasserwille festzustellen ist (FG Nürnberg, 14.1.16, 4 K 747/15). Interessanterweise gilt dies selbst dann, wenn die formunwirksame Anordnung nicht vollständig, sondern nur teilweise umgesetzt wird (BFH 7.10.81, II R 16/80, BStBl II 82, 28).

 

Anerkennen und beachten der Vermächtnisbelastete und der Begünstigte den Willen des Erblassers und führen sie dessen formunwirksam angeordnetes Verschaffungsvermächtnis aus, entsteht die Erbschaftsteuer nicht ‒ auch nicht rückwirkend ‒ mit dem Tod des Erblassers, sondern erst mit der Erfüllung des Vermächtnisses (BFH 28.3.07, II R 25/05, BStBl II 07, 461). Die Art des Vermächtnisses darf hierbei nicht entscheidend sein, sodass neben Verschaffungsvermächtnissen auch bei anderen Vermächtnissen ein vom Todestag abweichender Erwerbstag in Betracht kommt, sofern formunwirksame Verfügungen von Todes wegen umgesetzt werden. Schließlich steht erst ab der tatsächlichen Umsetzung der formunwirksamen Verfügung von Todes wegen fest, welcher wirtschaftliche Gehalt gemäß § 41 AO der Besteuerung zugrunde gelegt werden kann (vgl. BFH 28.3.07, II R 25/05, BStBl II 07, 461).

 

  • Abwandlung zum vorhergehenden Fall

Der unheilbar kranke Vater V ordnete zugunsten seiner Tochter ein maschinengeschriebenes Vermächtnis an, das kein Nottestament (§§ 2249, 2250 BGB) darstellt. Die Ehefrau als Alleinerbin und die Tochter vollziehen das formunwirksam angeordnete Vermächtnis am 2.6.22.

 

Lösung: Entsprechend der Begründung des II. Senats des BFH zum Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer bei formunwirksamen Vermächtnissen erfolgt dieser Erwerb der Tochter auch erst am 2.6.22 (BFH 28.3.07, II R 25/05, BStBl II 07, 461). Eine Zusammenrechnung mit dem Erwerb vom 1.6.12 im Rahmen des § 14 ErbStG wäre somit nicht möglich. Ein weiterer Freibetrag über 400.000 EUR zugunsten der Tochter käme postmortal zur Entstehung.

 

3. Mehrere postmortale Freibeträge (20-Jahreszeitraum)

Dogmatisch kennt die postmortale Freibetragsnutzung keine Begrenzung darauf, dass die am Todestag des Erblassers aktuell noch nicht abgelaufene Zehnjahresperiode ausgenutzt wird. Denkbar ist auch, dass weitere, zukünftige Zeiträume durch Bedingungseintritt gesteuert werden (Stein, ZEV 11, 572). Dies kann zu aufschiebend bedingten Vermächtnissen Anlass geben, die neben der Bedingung auf mehrere Zeitpunkte von zehn Jahren und einem Tag zum Vorerwerb befristet sind (gestaffelte Vermächtnisse). Wichtig bleibt, dass eine (echte) Erwerbsbedingung mit den befristeten Vermächtnissen verknüpft ist, um die Anwendung des § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. a ErbStG sicherzustellen.

 

Beachten Sie | Solche Gestaltungen, die auf mehrfache postmortale Nutzung von Freibeträgen abzielen, dürften verstärkt ins Visier der Finanzverwaltung geraten und kritisch unter dem Aspekt eines Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO) überprüft werden. Bei der zivilrechtlichen Umsetzung sollte man daher nichts dem Zufall überlassen ‒ und bei echten Bedingungen ist der spätere Erwerb ja letztlich auch nicht gesichert.

4. Weitere postmortale Freibetragsnutzungsüberlegungen

Nicht nur die persönlichen Freibeträge erneuern sich nach der Zehnjahresfrist des § 14 ErbStG. Einige sachliche Freibeträge kennen ebenfalls eine „Auffrischung“ außerhalb des Zusammenrechnungszeitraums. Insbesondere die Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG für Hausrat und bewegliche Gegenstände ist hier von Bedeutung. Wenngleich mit geringeren Effekten als die persönlichen Freibeträge ausgestattet, kann auch in diesem Bereich mit den genannten Mitteln eine postmortale Freibetragsoptimierung betrieben werden.

 

GESTALTUNGSTIPP | Generell sollte im Bereich der Zuwendungen von Hausrat und beweglichen Gegenständen der Aspekt mittelbarer Zuwendungen beachtet werden (Stein/Tack, ZEV 13, 180), schließlich ist Omas altes Wohnzimmer nicht immer das Objekt der Begierde. Allerdings wird ein mittelbarer Erwerb von Todes wegen abgelehnt (BFH 3.7.03, II B 90/02, BFH/NV 03, 1583), was auch für die mittelbare Hausratsschenkung gilt.

 

Somit kommt diese Gestaltung allenfalls über eine mittelbare Schenkung unter Lebenden zum Tragen, die zunächst formunwirksam begeben wird, deren Erfüllung allerdings erst nach dem Tod des Erblassers mittels Schenkungsvollzuges gem. § 518 Abs. 2 BGB durch die Erben erfolgt (Fumi in: von Oertzen/Loose, ErbStG, § 9, Rn. 138, 140 [mit Hinweis auf eine mögliche Zinsschenkung bei zeitlichem Abstand zwischen Geldhingabe und Gegenstandserwerb]). Mit der Erfüllung wird die Formunwirksamkeit geheilt. Liegt dieser Heilungszeitpunkt bezogen auf eine vorangegangene Zuwendung von Hausrat außerhalb des Zusammenrechnungszeitraums des § 14 ErbStG, sollte der Freibetrag für die nach dem Tod des Erblassers vollzogene mittelbare Hausratsschenkung nochmals gewährt werden können.

 

Wichtig: Dies gilt aber nur, solange die Schenkung nicht unter einer Überlebensbedingung steht, da andernfalls der Todestag der Steuerentstehungszeitpunkt ist (FG Rheinland-Pfalz, 20.6.96, 4 K 2681/95, ZEV 1996, 276).

 

Zur Beachtlichkeit formunwirksamer Schenkungen ‒ die zugleich als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig sind ‒ und deren Vollzug nach dem Tod des Erblassers sei auf die Rechtsprechung des FG Hessen verwiesen (9.12.08, 1 K 1709/06, DStRE 09, 1316; Rev. zurückgenommen). Eine solche Zuwendung wird zum Zweck der Besteuerung beim Erwerber auch bei zwischenzeitlichem Tod des Schenkers ihren Charakter als Verfügung unter Lebenden behalten. Und die Steuer entsteht beim Erwerber erst bei Erhalt des mittelbar zugewandten Gegenstands (BFH 8.3.17, II R 2/15, BStBl II 17, 751; Fumi in: von Oertzen/Loose, ErbStG, § 9, Rn. 138).

 

FAZIT | Überlegungen zur postmortalen Freibetragsnutzung können in der Gestaltungspraxis durchaus charmant sein. Schon wegen der Höhe der persönlichen Freibeträge ist eine solche Gestaltung allemal erwägenswert. Neben der „Auffrischungr“ der persönlichen Freibeträge sollte man aber auch die Wirkung „wiederauflebender“ sachlicher Freibeträge als Gestaltungsmittel nicht außer Acht lassen.

 

Weiterführende Hinweise

  • Zur Gesamtthematik formunwirksamer Verfügungen in der Besteuerung und weiterführenden Überlegungen bei Verfügungen von Todes wegen siehe Brüggemann, ErbBstg 18, 162 bzw. bei Schenkungen Stein/Rieder, ErbBstg 19, 20
  • Einzelheiten zu Argumentationsansätzen und Abgrenzungen bei formunwirksamen Schenkungen und deren Vollzug finden sich bei Stein/Rieder, ErbBstg 19, 20
  • Zum Aspekt der mittelbaren Zuwendungen von Hausrat und beweglichen Gegenständen siehe Stein/Tack, ZEV 13, 180; Formularmuster bei: Munzig/Stein in: Münchener Vertragshandbuch, BGB II, S. 69)
Quelle: Seite 61 | ID 46361292