· Fachbeitrag · Mindestlohn
Ausschlussfristen mit Mindestentgelt:zu gefährlich und nicht empfehlenswert!
von RA Prof. Dr. Tim Jesgarzewski, FA ArbR, Prof. Dr. Jesgarzewski & Kollegen Rechtsanwälte, Osterholz-Scharmbeck, FOM Hochschule Bremen
| Eine vom ArbG als allgemeine Geschäftsbedingung gestellte arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, die auch den Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 der am 1.8.10 in Kraft getretenen Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche (PflegeArbbV) erfasst, verstößt gegen § 9 S. 3 in Verbindung mit § 13 AEntG. |
Sachverhalt
Der ArbG betreibt einen ambulanten Pflegedienst, bei dem die ArbN als Pflegehilfskraft beschäftigt war. Der Arbeitsvertrag enthielt unter anderem eine zweistufige Verfallklausel. Danach verfallen alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden. Lehnt die Gegenpartei ab oder äußert sich nicht binnen zwei Wochen nach Geltendmachung, verfällt der Anspruch, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach Ablehnung oder Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.
Als die ArbN ausweislich einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung längere Zeit arbeitsunfähig war, hegte der ArbG Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit. Darum leistete er keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Mehr als sechs Monate nach dem Ende der Arbeitsunfähigkeit erhob die ArbN Klage auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der ArbG berief sich auf Verfall. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt (LAG Niedersachsen 17.9.15, 6 Sa 1328/14).
Entscheidungsgründe
Das BAG (24.8.16, 5 AZR 703/15, Abruf-Nr. 188770) bestätigte das Berufungsurteil. Der 5. Senat sah in der Klausel sowohl einen Verstoß gegen § 9 S. 3 AEntG als auch gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB.
Die ArbN habe für den durch die Arbeitsunfähigkeit bedingten Arbeitsausfall nach § 3 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Dieser Anspruch ist nicht innerhalb der arbeitsvertraglich vorgesehenen Ausschlussfristen verfallen, da diese unwirksam seien.
Die nach Inkrafttreten der PflegeArbbV vom ArbG gestellte Klausel verstoße zum einen gegen § 9 S. 3 AEntG. Damit erlösche der Anspruch auf das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbbV nicht, weil die vertragliche Ausschlussfrist versäumt wurde. Soweit der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dem gesetzlichen Mindestentgelt entspreche, sei er überdies unverzichtbar. Für darüber hinausgehende Ansprüche werde die Klausel gleichfalls nicht aufrechterhalten, weil sie gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB verstoße.
Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung ist über den Pflegebereich hinaus von hoher Praxisrelevanz. Zwar wird hier die Inhaltskontrolle vertraglicher Ausschlussklauseln im Anwendungsbereich der PflegeArbbV, die eine spezialgesetzliche Mindestlohnregelung enthält, vorgenommen.
Diese Überlegungen dürften jedoch alle Ausschlussklauseln im Geltungsbereich des allgemeinen Mindestlohns nach § 1 MiLoG betreffen. Das BAG erklärt die gegenständliche zweistufige Ausschlussklausel für insgesamt unwirksam. In der Vertragspraxis werden indes solche Formulierungen seit Längerem verwendet, da nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung das Einhalten einer Mindestfrist von drei Monaten für die außergerichtliche und dann gerichtliche Geltendmachung höchstrichterlich für hinreichend erachtet worden war (BAG 25.5.05, 5 AZR 572/04, Abruf-Nr. 052311).
Seit Inkrafttreten des MiLoG am 1.1.15 ist der Mindestlohn der Gestaltung der Arbeitsvertragsparteien vollständig entzogen. Mit anderen Worten: Der Mindestlohn gilt grundsätzlich absolut und ist unverzichtbar.
- Daher sind nach Auffassung des BAG Verfallklauseln unwirksam, wenn sie auch Ansprüche auf den Mindestlohn umfassen.
- Umfassende Verfallklauseln verstoßen damit gegen § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, da ihr Regelungsgehalt nicht klar und verständlich ist. Die Entscheidung beruht auf der gesetzgeberischen Wertung des MiLoG und der weiteren Mindestlohnregelungen, die den Anspruch auf Mindestlohn für unverzichtbar erklären.
Für die Praxis bedeutet dies, dass Verfallklauseln Ansprüche auf Mindestlohn ausdrücklich ausnehmen müssen. Die gestalterische Schwierigkeit dürfte weniger im Abschluss neuer Arbeitsverträge liegen, als in der Frage der Bewältigung der insoweit unwirksamen Bestandsverträge. Die Musterlösung für bereits bestehende Arbeitsverträge fehlt selbstredend wie in allen anderen Fällen unwirksamer Klauseln. Der ArbG wird sorgsam abwägen müssen, ob die Neufassung bestehender Klauseln oder Verträge zielführend ist oder nicht. Die Frage der Durchsetzbarkeit von Vertragsänderungswünschen dürfte dabei entscheidend sein.
Weiterführende Hinweise
- Zuschläge, Sonderzahlungen beim Mindestlohn: BAG in AA 16, 115
- Gesetzlicher Mindestlohn für Betreuungskraft im privaten Pflegedienst: Arbeitsgericht Hamm in AA 16, 9