· Fachbeitrag · Handels- und Steuerrecht
Alles Wichtige zur befristeten degressiven Abschreibung
von WP StB Lukas Graf, Meißen
| Bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens, die in 2020 und 2021 angeschafft oder hergestellt werden, können nach § 7 Abs. 2 EStG degressiv abgeschrieben werden. Die durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz (BGBl I 20, 1512) eingeführte Abschreibungsmöglichkeit ist insgesamt eine „Steuerspar-Chance“ für Unternehmen, die durch die Coronakrise nicht in die Verlustzone gerutscht sind oder diese absehbar wieder verlassen werden. Der Beitrag zeigt, was handels- und steuerrechtlich zu beachten ist. |
1. Anwendungsvoraussetzungen in der Steuerbilanz
Die degressive Abschreibung kann nur für bewegliche Wirtschaftsgüter genutzt werden. Damit können Steuerpflichtige mit Investitionen in Immobilien oder immaterielle Vermögensgegenstände die Steuervorteile dieser Vorschrift nicht nutzen.
Zudem ist die degressive Abschreibung nur zulässig für Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum vom 1.1.20 bis zum 31.12.21 angeschafft oder hergestellt worden sind. Obwohl das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz erst am 30.6.20 verkündet worden ist, sind auch Anschaffungen oder Herstellungen begünstigt, die in den ersten Monaten des Jahres 2020 vor Ausbruch der Coronakrise getätigt wurden. Da der Gesetzgeber hier pragmatisch vorgegangen ist, bleibt den Steuerpflichtigen damit die Anwendung zweier unterschiedlicher Gesetzesregelungen innerhalb eines Jahres erspart.
Im Gesetz ist der maßgebliche Zeitpunkt der Anschaffung oder Herstellung nicht explizit geregelt. Das Jahr der Anschaffung ist nach § 9a EStDV das Jahr der Lieferung. Geliefert ist ein Wirtschaftsgut, wenn der Steuerpflichtige zumindest die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut in dem Sinne erlangt hat, dass er als dessen wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen ist (BFH 22.9.16, IV R 1/14). Somit sind z. B. geleistete Anzahlungen nicht ausreichend.
MERKE | Die Abschreibung kann zwar schon vor der Inbetriebnahme des Wirtschaftsguts beginnen. Die Erlangung des wirtschaftlichen Eigentums setzt aber jedenfalls dann den Übergang der Gefahr des zufälligen Untergangs voraus, wenn der Verkäufer (Werklieferer) eine technische Anlage zu übereignen hat, die vom Erwerber erst nach erfolgreichem Abschluss eines Probebetriebs abgenommen werden soll (BFH 1.2.12, I R 57/10). |
Bei der Herstellung bestimmt bereits der Wortlaut des § 7 Abs. 2 EStG, dass es auf den Abschluss der Herstellung ankommt („hergestellt worden sind“). Mit dem Abschluss der Herstellung erlangt der Steuerpflichtige also erstmals ein Wirtschaftsgut, das einer Abschreibung zugänglich ist.
Eine faktische Anwendungsvoraussetzung ergibt sich daraus, dass die Höhe der degressiven Abschreibung begrenzt ist: Gewährt wird eine degressive Abschreibung von 25 % (höchstens das 2,5-Fache der linearen Abschreibung). Damit kommt eine degressive Abschreibung nur für Wirtschaftsgüter in Betracht, deren betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer vier Jahre übersteigt.
Beachten Sie | Nach § 7a Abs. 8 EStG besteht als formale Anwendungsvoraussetzung die Pflicht, diese Wirtschaftsgüter in ein besonderes, laufend zu führendes Verzeichnis aufzunehmen. Das Verzeichnis braucht aber nicht geführt zu werden, wenn diese Angaben aus der Buchführung ersichtlich sind.
Wird das Wirtschaftsgut unterjährig angeschafft oder hergestellt, dürfen nur zeitanteilige Abschreibungen vorgenommen werden. Nach § 7 Abs. 2 S. 3 i. V. mit § 7 Abs. 1 S. 4 EStG gilt die Pro-rata-temporis-Methode.
Beachten Sie | Neben der degressiven Abschreibung sind keine Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung zulässig (§ 7 Abs. 2 S. 4 EStG).
PRAXISTIPP | Bei riskanten Großinvestitionen sollte die Nutzung der degressiven Abschreibung in der Steuerbilanz gut überlegt sein, wenn ein erhebliches Risiko einer außerplanmäßigen Wertminderung besteht. Allerdings hat der Steuerpflichtige die Möglichkeit, zur linearen AfA zu wechseln, um dann eine außerplanmäßige Abschreibung vorzunehmen. |
2. Anwendungsvoraussetzungen in der Handelsbilanz
Eine degressive Abschreibung ist in der Handelsbilanz stets zulässig, wenn dadurch der Werteverzehr sachgerecht abgebildet wird. Dies ist in der Praxis aber nur selten der Fall. Das IDW (Zweifelsfragen zu den Auswirkungen der Ausbreitung des Coronavirus auf die Rechnungslegung und deren Prüfung, Teil 3, 5. Update, April 2021) hat sich deshalb in einer Stellungnahme zur degressiven Abschreibung eindeutig dahingehend geäußert, dass die handelsrechtliche Anwendung einer Abschreibung in fallenden Jahresbeträgen für solche Vermögensgegenstände ausscheidet, deren Werteverzehr sich über die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer gleichmäßig vollzieht. Im Regelfall ist davon auszugehen, dass eine handelsbilanzielle Anwendung der geometrisch-degressiven AfA gemäß § 7 Abs. 2 EStG nicht zulässig ist.
Seit der Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit besteht keine Notwendigkeit, dass die degressive Abschreibung bereits in der Handelsbilanz angesetzt wird, um auch steuerlich anerkannt zu werden. Vielmehr kann das Wahlrecht auch erst in der Steuerbilanz ausgeübt werden (vgl. hierzu auch BMF 12.3.10, IV C 6 - S 2133/09/10001).
Der Ansicht des IDW ist uneingeschränkt zuzustimmen. Denn es gibt keinen Grund, wesentliche Verzerrungen der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage in der Handelsbilanz durch steuerlich motivierte Sonderabschreibungen hinzunehmen, wenn dies auch durch eine nachgelagerte Wahlrechtsausübung in der Steuerbilanz erreicht werden kann.
3. Bewertungsstetigkeit in der Handelsbilanz
Der Kaufmann hat nach § 252 Abs. 1 Nr. 6 HGB Bewertungsmethoden stetig anzuwenden. Eine handelsbilanzielle Anwendung der degressiven Abschreibungsmethode ist danach nur zulässig, wenn zwar bislang die lineare Abschreibungsmethode angewandt wurde, der Wechsel zur degressiven Abschreibungsmethode allerdings (im Ausnahmefall) dazu beiträgt, dass die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage besser dargestellt wird.
Vermögensgegenstände, die nach dem 31.12.21 angeschafft oder hergestellt werden, müssen nach der derzeitigen Rechtslage steuerlich wieder linear abgeschrieben werden. Hier wird es dann (so das IDW a. a. O.) nur schwer zu rechtfertigen sein, handelsrechtlich auch wieder linear abzuschreiben. Eine solche Vorgehensweise dürfte regelmäßig als wertungswidersprüchlich einzustufen sein.
MERKE | Änderungen in den Bewertungsmethoden sind nach den allgemeinen Grundsätzen des HGB im Anhang zum Jahresabschluss entsprechend darzustellen. |
4. Verhältnis zur Sofortabschreibung digitaler Wirtschaftsgüter
Die degressive Abschreibung kann grundsätzlich auch auf digitale Wirtschaftsgüter angewandt werden. Für digitale Wirtschaftsgüter hat der Gesetzgeber für Anschaffungen ab 1.1.21 (bisher ohne Zeitbegrenzung) zugelassen, dass eine Nutzungsdauer von nicht mehr als einem Jahr angesetzt werden darf (vgl. auch BMF 26.2.21, IV C 3 - S 2190/21/10002 :013). Damit kann das digitale Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung in voller Höhe abgeschrieben werden. Die Regelung stellt de facto eine Änderung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer nach der allgemeinen AfA-Tabelle dar. Es handelt sich um ein Wahlrecht ‒ eine sachgerechte längere Nutzungsdauer darf ebenfalls gewählt werden.
Beachten Sie | Das steuerliche Wahlrecht zur Sofortabschreibung ist nach Auffassung des IDW handelsrechtlich unzulässig (vgl. IDW mit Schreiben vom 22.3.21 sowie weitere Erläuterungen in BBP 21, 115).
Die digitalen Wirtschaftsgüter enthalten auch bestimmte immaterielle Wirtschaftsgüter (z. B. ERP-Software, Software für Warenwirtschaftssysteme oder sonstige Anwendungssoftware zur Unternehmensverwaltung oder Prozesssteuerung), die einer degressiven Abschreibung nicht zugänglich sind. Großserver (materielle Wirtschaftsgüter) sind indes keine begünstigten digitalen Wirtschaftsgüter, sodass hier bei entsprechend langer betriebsgewöhnlicher Nutzungsdauer eine degressive Abschreibung genutzt werden kann.
Kommt es dem Steuerpflichtigen auf größtmögliche Abschreibungen an, so ist der Sofortabschreibung von digitalen Wirtschaftsgütern sicher der Vorzug zu geben vor einer ggf. ebenfalls zulässigen degressiven Abschreibung. Allerdings sollte bedacht werden, dass durch Sonderabschreibungen geschaffene Verlustvorträge steuerlich wirkungslos bleiben können oder in bestimmten Fällen auch untergehen können. Insbesondere bei Einzelunternehmen oder Personengesellschaften ist zu bedenken, dass sich Gewinnminderungen im unteren Progressionsbereich oder im steuerlichen Grundfreibetrag nicht bzw. nicht optimal steuermindernd auswirken.
GESTALTUNGSTIPP | Zum Ende des Jahres 2021 wird sich für digitale Wirtschaftsgüter eine erhebliche Gestaltungsmöglichkeit eröffnen. Wenn gegen Ende des Jahres 2021 das Jahresergebnis weitgehend absehbar ist, kann über die Sofortabschreibung, bei der es keine Pro-rata-temporis-Regelung gibt, der Gewinn noch erheblich gedrückt werden. Bei einer schwachen Ertragslage kann dagegen linear oder degressiv abgeschrieben werden, um eine Gewinnminderung in den Folgejahren zu generieren. |
5. Verkürzung der Nutzungsdauer für in 2020 angeschaffte digitale Wirtschaftsgüter mit degressiver Abschreibung
Die Vermutung der Nutzungsdauer von nicht mehr als einem Jahr für digitale Wirtschaftsgüter gilt erst ab 1.1.21. Eine rückwirkende Anwendung in früheren Jahren ist unzulässig. Allerdings hat das BMF folgende Möglichkeit zugelassen: Restbuchwerte von entsprechenden Wirtschaftsgütern, die in früheren Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt wurden und bei denen eine andere als die einjährige Nutzungsdauer zugrunde gelegt wurde, können in 2021 vollständig abgeschrieben werden.
Ob das BMF die „Sprengkraft“ dieser Regelung erkannt hat, ist unklar. Denn es könnte daran gedacht werden, das digitale Wirtschaftsgut im Jahr 2020 zunächst degressiv abzuschreiben, um dann im Jahr 2021 mit der Nutzungsdauerverkürzung die Sofortabschreibung des Restbuchwerts zu erzielen.
Sofern die Finanzverwaltung die Nutzungsdauerverkürzung in diesen Fällen nicht akzeptiert, wird der BFH entscheiden müssen. Und hier spricht einiges dafür, dass der BFH eine restriktive Auffassung vertreten wird. So hat der BFH (29.5.18, IX R 33/16) einen Wechsel von der degressiven AfA (§ 7 Abs. 5 EStG) zur AfA nach der tatsächlichen Nutzungsdauer (§ 7 Abs. 4 S. 2 EStG) bei Gebäuden bereits abgelehnt.
Danach ist „der Steuerpflichtige an die einmal getroffene Wahl für die degressive AfA nach § 7 Abs. 5 EStG grundsätzlich gebunden. Der spätere Wechsel zu einer anderen AfA-Methode ist damit grundsätzlich ausgeschlossen […]. Insbesondere ist ein Wechsel von der in Anspruch genommenen degressiven AfA nach § 7 Abs. 5 EStG zu der normalen, linearen Gebäude-AfA nach § 7 Abs. 4 EStG nicht möglich […]. Auf die Frage, ob dies auch einen Wechsel zur AfA nach der tatsächlichen Nutzungsdauer (§ 7 Abs. 4 S. 2 EStG) ausschließt, kam es insoweit nicht an.“ Der BFH schließt sich der herrschenden Auffassung im Schrifttum an, dass ein Wechsel hin zu einer Abschreibung nach der tatsächlichen Nutzungsdauer nicht zugelassen wird. Er führt aus, dass „im Gesetz […] eine Regelung für den Übergang von der degressiven zur linearen AfA bei Gebäuden“ fehlt.
Die Entscheidung betrifft jedoch die degressive Gebäudeabschreibung nach § 7 Abs. 5 EStG, nicht jedoch die degressive Abschreibung nach § 7 Abs. 2 EStG. Die Urteilsgrundsätze können deshalb nicht einfach auf die steuerliche Normalabschreibung übertragen werden. Die steuerliche Normalabschreibung richtet sich stets zunächst nach der tatsächlichen betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer ‒ und nicht auf einen Verteilzeitraum wie bei der Gebäudeabschreibung. Verkürzt sich die Nutzungsdauer, ist der Restbuchwert auf die verbleibende Nutzungsdauer zu verteilen.
Auch ist zu bedenken, dass ‒ anders als bei Gebäuden ‒ bei der degressiven Abschreibung ein Wechsel zur linearen Methode vorgesehen ist, die sich ja gerade wieder an der Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts orientiert. Somit liegen die Verhältnisse außerhalb des Gebäude-Bereichs völlig anders.
Dennoch dürfte die Nutzungsdauerverkürzung voraussichtlich scheitern: Die Nutzungsdauerverkürzung auf ein Jahr ist in einem BMF-Schreiben geregelt ‒ und nicht per Gesetz abgesichert. Soweit die Nutzungsdauerverkürzung deshalb in einem Gerichtsverfahren sachlich begründet werden muss, wird dies regelmäßig nicht möglich sein, da sie rein steuerlich motiviert ist. Es ist kein Steuergesetz in Kraft, das diese Sonderabschreibung regelt. Somit dürfte die Nutzungsdauerverkürzung auf ein Jahr vermutlich nicht einklagbar sein.
PRAXISTIPP | Wer beabsichtigt, ein im Jahr 2020 angeschafftes oder hergestelltes digitales Wirtschaftsgut im Jahr 2021 einer Nutzungsdauerverkürzung zu unterziehen, sollte im Jahr 2020 von einer degressiven Abschreibung absehen und linear abschreiben. Diese Verkürzung ist im BMF-Schreiben eindeutig geregelt und bindet die Finanzverwaltung. Die Nutzungsdauerverkürzung bei vorausgegangener degressiver Abschreibung ist in dem BMF-Schreiben dagegen nicht geregelt und könnte die Finanzverwaltung dazu veranlassen, diese nicht anzuerkennen. M. E. spricht einiges dafür, dass der BFH dies genauso sehen wird. |
6. Ansatz von latenten Steuern
Weichen handels- und steuerrechtliche Bilanzansätze voneinander ab, lösen diese Ansatzunterschiede latente Steuern aus. In der Regel erfolgt in der Steuerbilanz ein Wechsel auf die lineare Verteilung des Restbuchwerts über die Restnutzungsdauer, wenn der degressive Satz unterhalb des linearen Satzes liegt. Soweit dieser Wechsel stets vorgenommen wird, kann die Anwendung der degressiven Abschreibung in der Steuerbilanz im Vergleich zur Handelsbilanz nur zu niedrigeren Wertansätzen führen. Die Folge ist eine passive Steuerlatenz, die in der Handelsbilanz verpflichtend zu berücksichtigen ist, soweit sie nicht durch aktive Latenzen kompensiert wird.
Soweit aktive latente Steuern freiwillig in der Handelsbilanz angesetzt werden, werden die passiven Latenzen insoweit zunächst gegengerechnet, wenn ‒ wie üblich ‒ saldiert bilanziert wird. Soweit diese nicht aktiviert wurden, wird dennoch gegengerechnet, es sind aber ggf. entsprechende Erläuterungen im Anhang zu machen.