Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Geringfügige Beschäftigung/Mindestlohn

Anhebung von Mindestlohn und Geringfügigkeitsgrenze ‒ So gelingt die Umsetzung in der Praxis

von RA Dr. Christian Schlottfeldt, www.arbeitszeitkanzlei.de, Berlin

| Zum 01.10.2022 wird der gesetzliche Mindestlohn auf zwölf Euro pro Stunde erhöht. Zugleich wird die Verdienstgrenze für eine geringfügige Beschäftigung auf 520 Euro pro Monat bzw. 6.240 Euro pro Jahr angehoben. Darüber hinaus werden einige wichtige Rahmenbedingungen der geringfügigen Beschäftigung neu geregelt. Der folgende Beitrag erläutert anhand der Rechtslage die sich für die Praxis ergebenden arbeitsvertraglichen Konsequenzen und bietet Ihnen Lösungsansätze an. |

Wieviel Arbeitszeit ist maximal im Arbeitsvertrag vereinbar?

Mit der Anhebung des Mindestlohns auf zwölf Euro pro Stunde und der Geringfügigkeitsgrenze auf 520 Euro pro Monat ergeben sich neue „Rechenwerte“ für Minijob-Verträge. Der Betrag von 520 Euro entspricht 43,33 „Mindestlohnstunden“, sodass dieser Wert die Obergrenze der Vertragsarbeitszeit in Minijob-Verträgen darstellt. Er ist damit geringfügig höher als die aktuelle bis 30.09.2022 geltende Grenze (43,06 Stunden/Monat) auf Basis der 450-Euro-Grenze und des ab 01.07.2022 geltenden Mindestlohns von 10,45 Euro (450 Euro/Monat : 10,45 Euro/Stunde = 43,06 Stunden/Monat).

 

Bezogen auf eine Wochenarbeitszeit entspricht der neue Wert von 43,33 Stunden/Monat bei durchschnittlich 4,348 Wochen pro Monat einer Arbeitszeit von 9,97 Stunden/Woche. Bei einer Wochenarbeitszeit von exakt zehn Stunden würde die Geringfügigkeitsgrenze also bei ganzjähriger Beschäftigung leicht überschritten. Zwar will der Gesetzgeber mit den neuen Regeln der geringfügigen Beschäftigung eigentlich eine Arbeitszeit von genau zehn Wochenstunden ermöglichen. Die neue Geringfügigkeitsgrenze verfehlt dieses Ziel aber knapp:

 

  • Bei Vereinbarung einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden/Woche würde das innerhalb des jahresbezogenen Entgeltabrechnungszeitraums auf Basis des Kalenderjahrs oder eines individuellen „Abrechnungsjahrs“ ab Beginn der Beschäftigung) auf Basis des Mindestlohns erzielte Entgelt um 21,12 Euro überschritten; es läge keine geringfügige Beschäftigung mehr vor.

 

  • Umgekehrt droht bei Einhaltung der Geringfügigkeitsgrenze von 6.240 Euro pro Jahr und tatsächlicher Leistung von durchschnittlich zehn Stunden Arbeitszeit pro Woche eine Unterschreitung des Mindestlohns. Denn die jährliche Soll-Arbeitszeit beträgt bei zehn Stunden/Woche 521,76 Stunden. Bei einer Lohnzahlung von 6.240 Euro betrüge der Stundenlohn nur 11,96 Euro, was einen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz darstellen würde.

 

Will man aus Gründen der Vereinfachung dennoch eine Wochenarbeitszeit von zehn Stunden/Woche bei einem Monatslohn von 520 Euro vereinbaren und sowohl die Geringfügigkeitsgrenze als auch den Mindestlohn beachten, muss der Arbeitnehmer im Umfang 1,76 Stunden pro Jahr ohne Lohnabzug von der Arbeit freigestellt werden.

 

PRAXISTIPP | Will man aus Gründen der Vereinfachung eine Wochenarbeitszeit von exakt zehn Stunden vereinbaren, dann könnte die Sicherstellung des Mindestlohns relativ einfach so umgesetzt werden, dass dem Zeitkonto des Arbeitnehmers zu Beginn des jahresbezogenen Abrechnungszeitraums (Kalenderjahr oder individuelles „Beschäftigungsjahr“) ein „arbeitsfreies Startguthaben“ von zwei Stunden zugebucht wird. Dann wäre die Einhaltung des Mindestlohns von zwölf Euro pro Stunde sogar für den Fall gesichert, dass von der Möglichkeit der unvorhergesehenen Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze Gebrauch gemacht wird.

 

Da gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 MiloG für geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer genaue Aufzeichnungen über die Dauer der täglichen Arbeitszeit zu führen sind, ist die „Startguthabenbuchung“ im Fall der Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohns auch nachweisbar.

 

Scheidet der Arbeitnehmer innerhalb des Jahres aus, könnte ein evtl. zu hohes „Startguthaben“ im Rahmen der letzten Abrechnung korrigiert werden (Abzug von zwei Euro für jeden nicht genutzten Monat des Abrechnungszeitraums).

Wegen Dynamisierung Vertragsarbeitszeit nicht anzupassen

Zukünftig wird die Minijob-Grenze dynamisch am Mindestlohn ausgerichtet und bei Steigerungen des Mindestlohns jeweils angepasst. Die gesetzlich verankerte Formel lautet:

 

  • Monatliche Geringfügigkeitsgrenze

Mindestlohnbetrag x 130 : 3

 
  • Beispiel

Wird der Mindestlohn auf 12,50 Euro/Stunde angehoben, steigt die monatliche Geringfügigkeitsgrenze automatisch auf 541,67 Euro (12,50 Euro x 130 : 3).

 

In Minijob-Verträgen mit Mindestlohn kann also dauerhaft eine konkrete Wochenarbeitszeit vereinbart werden, und es muss keine Bezugnahme auf die Euro-Grenze (ab 01.10.2022: 520 Euro) erfolgen. Steigt der Mindestlohn, steigt auch die Minijob-Grenze dynamisch.

Arbeitszeitvolumen bei Überschreitung des Mindestlohns

Wird ein höherer Stundenlohn als zwölf Euro gezahlt, vermindert sich die zulässige Monatsarbeitszeit entsprechend, etwa wie folgt:

 

  • Arbeitszeitvolumen je nach Stundenlohn bei Minijobs
Monatsarbeitszeit
Wochenarbeitszeit

12,50 Euro/Stunde

41,6 Stunden/Monat

9,57 Stunden/Woche

13,00 Euro/Stunde

40,0 Stunden/Monat

9,2 Stunden/Woche

14,00 Euro/Stunde

37,14 Stunden/Monat

8,54 Stunden/Woche

15,00 Euro/Stunde

34,67 Stunden/Monat

7,97 Stunden/Woche

 

 

In diesem Fall muss bei Lohnerhöhungen die zulässige Arbeitszeit (wie bisher auch) immer wieder neu kalkuliert werden.

Vorübergehende Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze

Neben der Anpassung von Mindestlohn und (nunmehr dynamischer) Geringfügigkeitsgrenze hat der Gesetzgeber auch die Voraussetzungen der vorübergehenden Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze klarer geregelt. Gemäß den ab Oktober 2022 geltenden Bestimmungen ist ein unvorhersehbares Überschreiten der Geringfügigkeitsgrenze unschädlich, wenn die Geringfügigkeitsgrenze innerhalb des maßgeblichen Abrechnungszeitraums (Zeitjahr oder Kalenderjahr) in maximal zwei Kalendermonaten überschritten wird.

 

Zugleich wird eine Obergrenze für die „Überschreitungsmonate“ festgelegt: Der in diesem Monaten gezahlte Lohn darf maximal das Doppelte der Geringfügigkeitsgrenze betragen. Faktisch wird die jährliche Geringfügigkeitsgrenze damit auf das 14-fache der Monatsgrenze angehoben (ab 01.10.2022: 14 x 520 Euro = 7.280 Euro).

 

Wichtig | Diese Anhebung darf nicht (!) bereits in den Arbeitsvertrag durch eine höhere Monats- oder Wochenarbeitszeit „eingepreist“ werden. Denn es muss sich weiterhin um „unvorhergesehene“ Überschreitungen handeln. Auch regelmäßige Sonderzahlungen („Weihnachtsgeld“ etc.) oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze der regelmäßigen Beschäftigung von 5.240 Euro wären also nicht ohne Weiteres zulässig. Ein Fall der unvorhergesehenen Überschreitung wären aber etwa außerplanmäßige Mehrarbeit oder zusätzliche Arbeitseinsätze zur Vertretung anderer Arbeitnehmer.

 

In Arbeitsstunden entspricht das „Überschreitungsbudget“ auf Basis des Mindestlohns einem zusätzlichen Arbeitszeitvolumen von 86,67 Stunden pro Jahr. Rechnet man dieses Volumen in „klassische“ Acht-Stunden-Arbeitstage um, ergibt sich die Faustformel: „zehn Tage on top der vereinbarten Arbeitszeit sind pro Jahr möglich.“ Aufgrund der zulässigen Führung von Zeitkonten auch für geringfügig Beschäftigte können diese zusätzlichen Arbeitstage auch flexibel innerhalb des Jahres erfolgen.

Abbildung der neuen Geringfügigkeitsgrenzen in Zeitkonten

Die mit dem geringfügig beschäftigten Arbeitnehmer vereinbarte Arbeitszeit kann mittels eines Zeitkontos flexibel innerhalb des Abrechnungszeitraums verteilt werden, wie dies für nicht geringfügig Beschäftigte auch der Fall ist.

 

Freistellung für die Dauer von maximal drei Monaten

Allerdings darf die Arbeitszeit nicht beliebig „verblockt“ werden; so sind durchgehende Freistellungen unter Inanspruchnahme des Zeitkontos nur für die Dauer von bis zu drei Monaten möglich.

 

50-Prozent-Beschränkung bei Plusstunden

Für Beschäftigte mit Mindestlohn ist außerdem zu beachten, dass die Zahl der monatlichen Plusstunden, die im Zeitkonto verbucht werden, begrenzt ist: Pro Kalendermonat darf maximal 50 Prozent der Monatsarbeitszeit im Zeitkonto aufgebaut werden. Bei Ausschöpfung der Geringfügigkeitsgrenze auf Basis des Mindestlohns (= 43,33 Stunden/Monat) entspricht dies also einem Wert von:

 

  • Maximaler Plusstundenaufbau im Zeitkonto

43,33 Stunden/Monat x 50 % = 21,67 Stunden/Monat

 

PRAXISTIPP | Sofern dieser maximale Wert für den Plusstundenaufbau im Zeitkonto aus betrieblicher Sicht nicht ausreicht (weil etwa in der Urlaubszeit von einem geringfügig Beschäftigten mehr Vertretungseinsätze geleistet werden sollen), so empfiehlt es sich, das Zeitkonto rechtzeitig „ins Minus zu fahren“. Denn das Aufholen von Minusstunden unterliegt nicht der 50-Prozent-Beschränkung.

 

Maximales Arbeitszeitvolumen bei unvorhergesehener Überschreitung

Handelt es sich um unvorhergesehene Überschreitungen (z. B. Vertretungseinsätze und/oder kurzfristig anfallende Mehrarbeit), so ergibt sich bei Kombination der 50-Prozent-Grenze mit der Obergrenze unvorhergesehener Überschreitungen der monatlichen Geringfügigkeitsgrenze („doppelte Monatsarbeitszeit“) ein maximales monatliches Arbeitszeitvolumen.

 

  • Maximales Arbeitszeitvolumen bei unvorhergesehener Überschreitung

43,33 Stunden/Monat (maximale monatliche Vertragsarbeitszeit)

+

21,67 Stunden/Monat (maximal 50-%-Plusstunden-Aufbau Zeitkonto)

+

43,33 Stunden/Monat (maximale Überschreitung Geringfügigkeitsgrenze)

=

108,33 Stunden/Monat (maximal zulässige Gesamtarbeitszeit)

 

 

In Acht-Stunden-Arbeitstagen gerechnet bedeutet das: Bei regelmäßig ca. fünf bis sechs Arbeitstagen pro Monat auf Basis der Vertragsarbeitszeit (exakt: durchschnittlich 5,42 Tage (43,33 Stunden : 8 Stunden/Tag) könnte der geringfügig beschäftigte „Mindestlöhner“ in „Spitzenmonaten“ maximal ca. 13 Arbeitstage im Monat arbeiten.

 

Weiterführender Hinweis

  • Einen Arbeitsvertrag, der den Einsatz geringfügig Beschäftigter nach Anhebung von Mindestlohn und Geringfügigkeitsgrenze zum 01.10.2022 regelt, finden Sie ab den Seiten 177 dieser Ausgabe oder unter der Abruf-Nr. 48491943.
Quelle: Seite 173 | ID 48480500