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· Fachbeitrag · Autokauf/Widerruf

Der AGV und das Widerrufsrecht ‒ Klippen beim Hol- und Bringdienst umschiffen

| Nicht nur beim Fernabsatzvertrag gibt es ein Widerrufsrecht. Auch der „außerhalb der Geschäftsräume geschlossene Vertrag“ oder kurz „AGV“ (früher: „Haustürgeschäft“) ist widerruflich. Der häufigste AGV-Fall ist der Hol- und Bringdienst. ASR erläutert, wie Sie die Klippen umschiffen. |

Was ist ein AGV?

§ 312b Abs. 1 Ziff. 1 BGB regelt, was unter einem AGV zu verstehen ist:

 

  • § 312b Abs. 1 Ziff. 1 BGB

Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge

(1) Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge sind Verträge,

  • 1. die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist, …“
 

Für die hier zu klärenden Fragen genügt es, wenn Sie wissen: Geschäftsraum ist das Autohaus nebst Freiflächen. Und was dort geschieht, erfolgt innerhalb der Geschäftsräume. Aber umgekehrt gilt: Was nicht dort geschieht, erfolgt außerhalb der Geschäftsräume.

 

Alles, was im Beitrag auf Seite 9 zum Verbraucherbegriff steht, gilt auch hier. Aber in einem Punkt weicht der AGV vom Fernabsatz ab: Es kommt nicht darauf an, dass es ein für den AGV organisiertes Vertriebssystem gibt. Man muss also keine „Drückerkolonne“ unterhalten. Es genügt jedes einzelne „auswärts“ abgeschlossene Geschäft mit einem Verbraucher.

Die „Nach Hause bestellt“-Ausnahme gilt kaum noch

Aus dem alten Haustürwiderrufsrecht mag sich mancher an die Ausnahme erinnern, dass kein Widerrufsrecht bestand, wenn der Verbraucher den Unternehmer zu sich gebeten hatte. Das ist seit 2014 nicht mehr so. Diese Privilegierung gilt seitdem nur noch selten (§ 312g Abs. 2 Ziff. 11 BGB):

 

  • § 312g Abs. 2 Ziff. 11 BGB

„… Das Widerrufsrecht besteht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, nicht bei folgenden Verträgen: …

  • 11) Verträge, bei denen der Verbraucher den Unternehmer ausdrücklich aufgefordert hat, ihn aufzusuchen, um dringende Reparatur- oder Instandhaltungsarbeiten vorzunehmen; dies gilt nicht hinsichtlich weiterer Dienstleistungen, die der Verbraucher nicht ausdrücklich verlangt hat, oder hinsichtlich solcher Waren, die bei der Instandhaltung oder Reparatur nicht unbedingt als Ersatzteile benötigt werden, die der Unternehmer bei einem solchen Besuch erbringt…“
 

 

Diese Klausel hat sicher ihren Sinn: Beim Wasserrohrbruch und ähnlich dringenden Fällen soll der Handwerker sofort handeln können, ohne um den Bestand des Geschäfts fürchten zu müssen. Ein Pannendiensteinsatz, bei dem ein Fahrzeug an Ort und Stelle flottgemacht wird, fällt sicher auch darunter. Da mag man kaum glauben, dass es beim Abschleppvorgang anders sein soll. Doch der Wortlaut des Paragrafen ist eindeutig. Ein Abschleppvorgang fällt wohl kaum unter „Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten“.

 

Der Umkehrschluss aus dieser Ausnahme bedeutet: In allen anderen Fällen besteht das Widerrufsrecht auch, wenn der Verbraucher den Unternehmer zu sich gebeten hat. Überrumpelung ist kein Gesetzesmotiv mehr (LG Braunschweig, Urteil vom 22.09.2020, Az. 5 O 2947/19, Abruf-Nr. 218188).

Der häufigste Fall: Der Hol- und Bringdienst

Nahezu jede Werkstatt ist bereit, ein Fahrzeug für Reparaturarbeiten abzuholen und nach erledigter Arbeit zurückzubringen. Der Vorteil: Höhere Kundenzufriedenheit und mehr Aufträge. Der Nachteil: Der Verbraucher unterschreibt den Auftrag an seiner Haustür. Das ist ein AGV und damit ein widerruflicher Vertrag. Den Auftrag vorab per Mail einzuholen, hilft nicht. Dann ist es zwar kein AGV, aber es ist ein ‒ genauso widerruflicher ‒ Fernabsatz.

 

Das große Risiko: Gearbeitet wird in den Standardfällen zügig. Die Folge: Die Arbeiten sind fertiggestellt, während die Widerrufsfrist noch läuft. Widerruft der Verbraucher dann, war die Arbeit umsonst (§ 357 Abs. 1 BGB). Aber der Gesetzgeber hat diese Situation entschärft. Der Verbraucher schuldet auch dann Wertersatz, wenn er bestimmte Dinge erklärt: Er muss bestätigen, dass er weiß, dass die Frist noch nicht abgelaufen ist, und dass sein Widerrufsrecht erlischt, wenn die Arbeiten beendet sind, oder er jedenfalls die Arbeiten bezahlen muss, die bis dahin gemacht wurden. Er muss verlangen, dass die Arbeiten dennoch begonnen werden (§ 357 Abs. 8 BGB). Die Situation ist also vergleichbar zum Werkvertrag im Fernabsatz.

 

PRAXISTIPPS |

  • Nutzen Sie für den AGV-Werkvertrag die beiden Formulare auf asr.iww.de → Abruf-Nr. 47135424. Dort sind die gesetzgeberischen Vorgaben umgesetzt. Für die spätere Verwendung müssen Sie Ihre Werkstattdaten wie in den Formularen vorgesehen ergänzen.
  • Für die Belehrung gilt alles, was im Beitrag zum Fernabsatz auf Seite 12 ausgeführt wurde. Insbesondere dürfen Sie sich beim Inhalt nicht kreativ ausleben, sondern müssen sich strikt an die Vorgaben halten.
  • Zudem muss das Widerrufsformular unbedingt in Papierform übergeben werden. Sonst beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen (BGH, Urteil vom 26.11.2020, Az. I ZR 169/19, Abruf-Nr. 219569). Sie müssen die Übergabe auch nachweisen. Der Weg zum Ziel ist also, dem abholenden Mitarbeiter ein Klemmbrett mit den notwendigen und gut sortierten Formularen mitzugeben:
    • Das Auftragsformular zweifach. Eines davon bleibt beim Kunden, das andere wird vom Kunden unterzeichnet wieder mitgebracht.
    • Die Widerrufsbelehrung zweifach. Eine bleibt beim Kunden, die andere nimmt der Mitarbeiter wieder mit, nachdem der Kunde sie unterzeichnet hat.
    • Das Widerrufsformular. Es verbleibt beim Kunden.
 
Quelle: Seite 16 | ID 47157175