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· Fachbeitrag · Arbeitsrecht

Kündigung eines Chefarztes: BAG bestätigt Grundsätze für Nachschieben von Kündigungsgründen

von RA, FA Medizin- und Arbeitsrecht, Benedikt Büchling, Kanzlei am Ärztehaus, Dortmund, kanzlei-am-aerztehaus.de

| Mithilfe einer Kündigungsschutzklage kann ein Chefarzt gerichtlich feststellen lassen, ob eine Kündigung unwirksam ist. Beruft sich der Krankenhausträger vor Gericht auf Kündigungsgründe, die er zunächst nicht vorgebracht hat, liegt ein sog. Nachschieben von Kündigungsgründen vor. Die Grundsätze, nach denen dies zulässig ist, hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil bestätigt: Eine „Kündigung als solche“ ist „rechtzeitig“ erklärt, wenn bei ihrem Zugang der nachgeschobene Kündigungsgrund objektiv schon vorlag, aber dem Kündigungsberechtigten seinerzeit noch nicht bekannt war ( BAG, Beschluss vom 12.01.2021, Az. 2 AZN 724/20 ). |

Fallrelevante rechtliche Rahmenbedingungen

Gemäß § 626 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) darf ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund fristlos kündigen. Nach § 626 Abs. 2 BGB kann er die Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt aussprechen, zu dem er die für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erfährt. Auf Verlangen muss er dem Arbeitnehmer den Kündigungsgrund unverzüglich mitteilen.

 

Arbeitgeber dürfen Kündigungsgründe im Prozess nachschieben, die vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind, aber dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt waren. In Betrieben mit Betriebsrat muss der Arbeitgeber jedoch erst nach § 102 Betriebsverfassungsgesetz den Betriebsrat zu den betreffenden Kündigungsgründen anhören, bevor er diese in den Prozess einbringen und nachschieben kann. Das Nachschieben von Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren, von denen er dem Betriebsrat aber keine Mitteilung gemacht hat, ist dagegen unzulässig. Solche nachgeschobenen Gründe können im Prozess nicht berücksichtigt werden. Gründe, die erst nach Ausspruch der Kündigung entstanden sind, können nur über eine erneute Kündigung eingebracht werden.

 

Macht ein Arbeitgeber die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend (i. d. R. innerhalb von drei Wochen), so tritt gemäß § 7 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) die sog. Wirksamkeitsfiktion ein. D. h., die Kündigung gilt von Anfang an als rechtswirksam.

Sachverhalt

Ein Chefarzt war auf Basis eines ‒ ordentlich unkündbaren ‒ Arbeitsvertrags als Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie beschäftigt. Der Träger kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund. Er begründete die Kündigung mit einer (behaupteten) Tätlichkeit des Chefarztes gegenüber einer Mitarbeiterin. Der Chefarzt erhob Kündigungsschutzklage. Im Laufe des Gerichtsverfahrens schob der Träger nach Anhörung und Zustimmung des Betriebsrats weitere Kündigungsgründe nach (vorsätzliche Falschabrechnung von Behandlungen, Abrechnung von Wahlleistungen, die von einem Vertreter erbracht wurden, ohne Abschluss einer Vertretervereinbarung). Zusätzlich kündigte er das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut außerordentlich fristlos aus wichtigem Grund. Die erneute Kündigung begründete er u. a. mit Vorfällen im Zusammenhang mit der Behandlung eines Patienten. Der Chefarzt habe u. a. damit gedroht, den Patienten zu entlassen, wenn ein Besuch nicht ermöglicht werde. Der Träger habe erst später ‒ d. h. nach Ausspruch der ersten Kündigung ‒ vom Verhalten des Chefarztes erfahren.

 

Wie auch die Vorinstanzen wies das BAG die Klage des Chefarztes ab und erklärte das Nachschieben der weiteren Kündigungsgründe für zulässig.

Entscheidungsgründe

Unerheblich sei, ob ein ursprünglich herangezogener Kündigungsgrund bei Ausspruch der Kündigung bereits verfristet war (d. h. ungerechtfertigt wegen bereits abgelaufener Kündigungsfrist). § 626 Abs. 2 BGB bilde ‒ vorbehaltlich eines völligen „Auswechselns“ der Kündigungsgründe ‒ keine Schranke für das Nachschieben von Kündigungsgründen, die bei Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung bereits objektiv vorlagen, dem Kündigungsberechtigten (Anm. d. Red.: hier: dem Arbeitgeber) aber noch nicht bekannt waren.

 

Die „Kündigung als solche“ sei in diesem Sinn „rechtzeitig“ erklärt, wenn bei ihrem Zugang der nachgeschobene Kündigungsgrund objektiv schon vorlag, aber dem Kündigungsberechtigten seinerzeit noch nicht bekannt war. Es sei ohne Bedeutung, ob zwischen den bei Kündigungsausspruch schon bekannten und den erst nachträglich bekannt gewordenen Kündigungsgründen ein sachlicher oder zeitlicher Zusammenhang bestehe.

 

Der Arbeitgeber dürfe auf den Eintritt der Wirksamkeitsfiktion oder einen gerichtlichen Abfindungsvergleich, aber auch darauf hoffen, es werde sich noch rechtzeitig im Verlauf des Rechtsstreits ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung „offenbaren“, der im Zeitpunkt ihres Zugangs ‒ von ihm noch unerkannt ‒ bereits vorlag.

 

Grenzen ziehe die Rechtsordnung nur dort, wo das Motiv für die Kündigung als solche missbilligt werde, etwa weil sich die Kündigung als sittenwidrig, maßregelnd oder diskriminierend darstelle.

 

FAZIT | Die vorliegende Entscheidung bestätigt, dass das Nachschieben von Kündigungsgründen, die vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind, zulässig ist. Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitgeber zum betreffenden Sachverhalt den Betriebsrat (oder die Mitarbeitervertretung) anhört, bevor die weiteren Gründe in den Prozess eingebracht und nachgeschoben werden. Chefärzte, die von einer außerordentlichen fristlosen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses betroffen sind, sind gut beraten, anwaltlichen Rat einzuholen.

 
Quelle: Seite 14 | ID 47385037