· Fachbeitrag · Arbeitsbereitschaft
Von Teilzeit in Vollzeit aufstocken: Wann ArbG schadenersatzpflichtig werden
| Berücksichtigt ein ArbG den Wunsch eines teilzeitbeschäftigten ArbN nach Verlängerung seiner Arbeitszeit trotz dessen Eignung nicht, geht der Anspruch auf verlängerte Arbeitszeit unter, sobald der ArbG den Arbeitsplatz mit einem anderen ArbN besetzt. Hat der ArbG den Untergang des Anspruchs des ArbN zu vertreten, hat dieser einen Anspruch auf Schadenersatz. Dieser führt jedoch nicht dazu, dass er verpflichtet wird, mit dem ArbN die Verlängerung der Arbeitszeit zu vereinbaren. |
Sachverhalt
Der ArbG beschäftigt die ArbN seit 1989 als Krankenschwester. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) Anwendung. Dort heißt es u. a. in Anlage 5:
„§ 1a Teilzeitbeschäftigung (1) …
Ist mit einem früher vollbeschäftigten Mitarbeiter auf seinen Wunsch eine nicht befristete Teilzeitbeschäftigung vereinbart worden, soll der Mitarbeiter bei späterer Besetzung eines Vollzeitarbeitsplatzes bei gleicher Eignung im Rahmen der dienstlichen bzw. betrieblichen Möglichkeiten bevorzugt berücksichtigt werden.…“
Nach dem Arbeitsvertrag betrug die wöchentliche Regelarbeitszeit der ArbN bis Ende 2006 25 Prozent der wöchentlichen Regelarbeitszeit einer Vollzeitkraft. Von 2007 bis zum 31.5.10 war sie mit 50 Prozent des Beschäftigungsumfangs einer Vollzeitkraft tätig. Danach bis zum 31.12.10 erfolgte eine 75-prozentige Regelarbeitszeit. Von Januar bis September 2011 war sie infolge eines Arbeitsunfalls arbeitsunfähig krank. Im April 2011 wurde bei der ArbN eine Behinderung mit einem Grad von 30 festgestellt. Seit Oktober 2011 wurde sie im Umfang von 50 Prozent der Regelarbeitszeit einer Vollzeitkraft beschäftigt. Im Februar 2015 bekundete die ArbN schriftlich gegenüber dem ArbG unter Hinweis auf § 9 TzBfG ihr Interesse an einer Vollzeitstelle.
Zum 1.4.15 stellte der ArbG fünf examinierte Krankenschwestern in Vollzeit ein, ohne die ArbN vorab über freie Stellen informiert zu haben. Sie ist der Ansicht, sie habe gemäß § 9 TzBfG Anspruch auf eine Vollzeitstelle. Für die Stellen, die der ArbG besetzt habe, sei sie sowohl fachlich als auch persönlich geeignet. Seit März 2012 leiste sie durchgängig Überstunden in teilweise beträchtlichem Umfang. Im Übrigen sei es dem ArbG nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB verwehrt, sich auf die Besetzung der Stellen zu berufen. Schließlich sei der ArbG unter dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes gehalten, einer Erhöhung der wöchentlichen Regelarbeitszeit zuzustimmen. Dies folge nicht zuletzt aus § 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 AGG, da der ArbG sie wegen ihres Alters und ihrer Behinderung diskriminiert habe.
Das Arbeitsgericht gab der Klage statt. Danach teilte der ArbG der ArbN mit, er werde sie in Erfüllung des erstinstanzlichen Urteils >„vorbehaltlich eines höherinstanzlichen Urteils“ mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden beschäftigen. Auf die Berufung des ArbG änderte das LAG das Urteil des Arbeitsgerichts ab und wies die Klage ab.
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nahm die ArbN die Klage zurück, soweit sie mit dem Hauptantrag eine 38,5 Wochenstunden übersteigende Regelarbeitszeit geltend machte. Hinsichtlich des Zeitraums ab dem 1.10.16 erklärten die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Im Übrigen begehrte die ArbN mit der vom LAG Hamm zugelassenen Revision die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
Der 9. Senat kam zum Ergebnis, dass der ArbG nicht verpflichtet ist, das Angebot der ArbN dahingehend anzunehmen, die wöchentliche Regelarbeitszeit auf 38,5 Stunden für den Zeitraum vom 1.3.15 bis zum 30.9.16 zu erhöhen (18.7.17, 9 AZR 259/16, Abruf-Nr. 197259).
Die ArbN könne den Anspruch weder auf § 9 TzBfG noch auf § 1a Abs. 1 Unterabs. 4 der Anlage 5 zu den AVR erfolgreich stützen. Unterstelle man, der ArbG habe ihr Schadenersatz zu leisten, so bestehe dieser nicht in einer den Arbeitsvertrag ändernden Willenserklärung. Zwar habe nach § 9 TzBfG ein ArbG einen teilzeitbeschäftigten ArbN, der ihm den Wunsch nach einer Verlängerung seiner vertraglich vereinbarten Arbeitszeit angezeigt habe, bei der Besetzung eines entsprechenden freien Arbeitsplatzes bei gleicher Eignung bevorzugt zu berücksichtigen. Es sei denn, dringende betriebliche Gründe oder Arbeitszeitwünsche anderer teilzeitbeschäftigter ArbN ständen dem entgegen.
Es fehle allerdings an einem „freien Arbeitsplatz“ im Sinne des § 9 TzBfG. Diese Vorschrift setze „Beschäftigungskapazitäten“ (BAG 2.9.09, 7 AZR 233/08) voraus. Diese seien nur vorhanden, wenn im Betrieb, in dem der ArbN beschäftigt werde, nach dem Willen des ArbG ein freier Arbeitsplatz zu besetzen sei (BAG 8.5.07, 9 AZR 874/06, Abruf-Nr. 071916; BAG 13.11.12, 9 AZR 259/11). Zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem LAG, habe es im Betrieb des ArbG keinen freien Arbeitsplatz gegeben. Besetze der ArbG eine freie Stelle endgültig mit einem anderen ArbN, gehe der Anspruch des teilzeitbeschäftigten ArbN gemäß § 275 Abs. 1 BGB unter, da dem ArbG die Erfüllung der aus § 9 TzBfG folgenden Verpflichtung rechtlich unmöglich sei (BAG 1.6.11, 7 ABR 117/09).
Der Umstand, dass die ArbN regelmäßig Mehrarbeit in erheblichem Umfang leiste, verhelfe der Revision nicht zum Erfolg. § 9 TzBfG knüpfe den Anspruch des ArbN an das Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes. Er habe keinen Anspruch darauf, dass der ArbG einen neuen Arbeitsplatz schaffe, um das Aufstockungsverlangen des ArbN erfüllen zu können. Insbesondere erlege das Gesetz dem ArbG nicht die Pflicht auf, zur Schaffung eines freien Arbeitsplatzes Überstunden abzubauen.
Der ArbG handele nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er sich der ArbN gegenüber darauf berufe, es fehle an einem freien Arbeitsplatz. Der ArbG habe die Rechtsposition der ArbN nicht dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zuwider vereitelt. Verletze der ArbN die ihm obliegende Pflicht, bei Vorliegen der in § 9 TzBfG genannten Voraussetzungen einen teilzeitbeschäftigten ArbN bevorzugt zu berücksichtigen, hafte er dem ArbN gegenüber nach § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 281 Abs. 2, § 283 S. 1 BGB auf Schadenersatz. Daher gehe die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu Recht davon aus, dem ArbG sei es nicht verwehrt, sich auf die bereits erfolgte Besetzung der Stelle auch dann zu berufen, wenn er diese in Kenntnis des Änderungsverlangens des ArbN vorgenommen habe.
Selbst wenn man zugunsten der ArbN unterstelle, der ArbG habe ihr die begehrte Aufstockung des Stundenvolumens aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe verwehrt und sei ihr gegenüber zum Schadenersatz verpflichtet (§ 15 Abs. 1 in Verbindung mit § 7 Abs. 1 AGG), stehe dem Anspruch § 15 Abs. 6 AGG entgegen. Davon sei das LAG zu Recht ausgegangen. Nach § 15 Abs. 6 AGG habe der ArbN bei einem Verstoß des ArbG gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG grundsätzlich keinen Anspruch auf die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses oder auf einen beruflichen Aufstieg. Die Vorschrift schließe über ihren Wortlaut hinaus sämtliche Ansprüche aus, die den Abschluss eines Vertrags zum Gegenstand haben. Unabhängig davon, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 281 Abs. 2, § 283 S. 1 BGB im Verhältnis zwischen den Parteien vorlägen, sei ein Anspruch der ArbN auf Vertragsänderung ausgeschlossen (§ 15 Abs. 6 AGG entsprechend). Die ArbN werde hierdurch nicht schutzlos gestellt, da ihr ein Anspruch auf Schadenersatz in Geld verbleibe.
Relevanz für die Praxis
Der 9. Senat des BAG stellt deutlich klar, dass bei erfolgter Besetzung einer Vollzeitstelle kein Anspruch eines nicht berücksichtigten Teilzeitbeschäftigten auf Begründung eines Vollzeitarbeitsverhältnisses besteht.
Sind hingegen durch die fehlende Berücksichtigung Rechtspositionen nach den § 1, § 7 Abs. 1 AGG verletzt, könnte ein Schadenersatzanspruch nach § 15 Abs. 1 und 2 AGG bestehen. Hier wird ‒ aus Sicht des BAG konsequent ‒ nichts zu dessen Art und Höhe ausgeführt. Insofern wird man als Ersatz des materiellen Schadens wohl den Geldersatz für den Verdienstausfall oder die Verdienstminderung ohne zeitliches Limit zugrunde legen müssen.
Die Beweislast für eine Benachteiligung aus Gründen des § 1 AGG bzw. für entsprechende Vermutungstatsachen gemäß § 22 AGG liegt dabei weiter bei dem ArbN.
Weiterführende Hinweise
- ArbN muss seine Arbeitsbereitschaft nicht im Drei-Minuten-Takt anzeigen: Arbeitsgericht Berlin in AA 17, 185
- Optimale Beratung bei Teilzeit und Befristung: Sonderausgabe „Teilzeit und Befristung“ 2016