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· Fachbeitrag · AGG

Der Einwand des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) bei Klagen nach § 15 AGG

| Stellt ein Bewerber diskriminierungsrechtlich relevante Anforderungen stark heraus, ohne diesbezüglich seine Qualifikationen zu erfüllen, deutet das auf Rechtsmissbrauch hin. |

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten, ob der ArbG dem Bewerber eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot des AGG zahlen muss. Der Bewerber ist Rechtsanwalt. Er bewarb sich bei einem Zusammenschluss von Trägern diakonischer Arbeit auf die ausgeschriebene Stelle für „eine/n Referent/in Arbeitsrecht“. In der Stellenausschreibung wurde unter anderem die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche gefordert und „erste Berufserfahrungen (drei Jahre)“ als „wünschenswert“ bezeichnet. In der Bewerbung schrieb der Bewerber zu seiner Kirchenmitgliedschaft:

 

„Derzeit gehöre ich aus finanziellen Gründen nicht der evangelischen Kirche an, jedoch kann ich mich mit den Glaubensgrundsätzen der evangelischen Kirche identifizieren, da ich lange Mitglied der evangelischen Kirche war.“

 

Die ArbG erteilte dem Bewerber eine Absage und ließ die Stelle zunächst unbesetzt. Der Bewerber machte daraufhin Schadenersatz- und Entschädigungsansprüche geltend, da er mittelbar wegen seines Alters und der fehlenden Kirchenmitgliedschaft diskriminiert worden sei. Zuletzt verfolgte er nur noch den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG weiter. Seine Klage vor dem Arbeitsgericht und dem LAG blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Das BAG (25.10.18, 8 AZR 562/16, Abruf-Nr. 208365) wies die Revision zurück. Der Bewerber habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Sein Entschädigungsverlangen sei dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt.

 

Es könne dahinstehen, ob der ArbG den Bewerber entgegen den Vorgaben des AGG wegen des Alters und/oder der Religion benachteiligt habe. Der Bewerber habe sich nicht beworben, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten. Es sei ihm vielmehr mit der Bewerbung darum gegangen, nur den formalen Status eines Bewerbers im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen. Ausschließliches Ziel sei gewesen, eine Entschädigung geltend zu machen.

 

Auf der einen Seite sei der Bewerber in seinem Bewerbungsschreiben auf vorhandene Qualifikationen und positive Eigenschaften, wenn überhaupt, nur pauschal und schlagwortartig eingegangen. Auf der anderen Seite habe er aber pointiert herausgestellt, dass und warum er die ‒ diskriminierungsrechtlich relevanten ‒ beruflichen Anforderungen der Kirchenmitgliedschaft und einer Berufserfahrung von ‒ aus seiner Sicht maximal drei Jahren ‒ nicht erfülle. Dies lasse nur den Schluss zu, dass es dem Bewerber nicht darum ging, den ArbG davon zu überzeugen, dass er der bestgeeignete Bewerber war. Vielmehr beabsichtigte er, bereits nach einem ersten Lesen des Bewerbungsschreibens durchgreifende Gründe für eine Absage zu geben.

 

Fazit: Der Bewerber wollte mit der zu erwartenden Absage nur die Grundlage dafür schaffen, erfolgreich eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen zu können. Im Fall der Erfolglosigkeit der Bewerbung musste alles darauf hindeuten, dass seine fehlende Kirchenzugehörigkeit sowie sein Alter hierfür zumindest mitursächlich waren.

 

Relevanz für die Praxis

Sowohl ein Entschädigungsverlangen eines erfolglosen Bewerbers nach § 15 Abs. 2 AGG als auch sein Verlangen nach Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG können dem durchgreifenden Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt sein. Es gelten die folgenden Grundsätze:

 

Checkliste / Grundsätze zum Rechtsmissbrauchseinwand

  • Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern diese Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadenersatz geltend zu machen.

 

  • Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den rechtshindernden Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht.

 

  • Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis verlangt das Vorliegen eines objektiven und eines subjektiven Elements.

 

    • Hinsichtlich des objektiven Elements muss sich aus einer Gesamtwürdigung der objektiven Umstände ergeben, dass trotz formaler Einhaltung der in der betreffenden Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde.

 

    • In Bezug auf das subjektive Element muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte (EuGH 28.7.16, C-423/15 [Kratzer], Abruf-Nr. 190517) die Absicht ersichtlich sein, sich einen ungerechtfertigten Vorteil aus der Unionsregelung dadurch zu verschaffen, dass die entsprechenden Voraussetzungen willkürlich geschaffen werden.

 

  • Das Missbrauchsverbot ist irrelevant, wenn das fragliche Verhalten eine andere Erklärung haben kann als nur die Erlangung eines Vorteils. Die Prüfung, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer missbräuchlichen Praxis erfüllt sind, hat gemäß den Beweisregeln des nationalen Rechts zu erfolgen. Diese Regeln dürfen jedoch die Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigen.
 

Weiterführende Hinweise

  • Der 10. Geburtstag des AGG: Bewerber, AGG-Hopper und Kündigungen: Mareck in AA 17, 15
  • Aktuelle Entscheidungen zum Thema Diskriminierung: Wronewitz in AA 19, 69
Quelle: Seite 77 | ID 45871394