Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

· Fachbeitrag · Lebensarbeitszeit

Regelaltersgrenze 65+ erreicht: Wie kann es weitergehen und welche Vorschriften gelten?

von RiArbG Klaus Griese, Hamm

| Die Zahl der ArbN, die bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze von 65 oder mehr Jahren im Arbeitsverhältnis stehen, steigt seit einigen Jahren wieder an. Auch vor den Arbeitsgerichten streiten immer mehr ArbN mit ihren ArbG, weil sie länger arbeiten wollen. Doch welche Möglichkeiten gibt es? Der Beitrag beleuchtet die teilweise undurchsichtigen Regelungen der Altersgrenzen in den Arbeits- und Tarifverträgen sowie in Betriebsvereinbarungen. Er zeigt zwei rechtlich sichere Gestaltungsmöglichkeiten auf, wenn es für den ArbN doch weitergehen soll. |

1. Die Hintergründe im Einzelnen

Aufgrund des demografischen Wandels beklagen ArbG einen Mangel an qualifizierten jüngeren ArbN. Folge ist, dass Arbeitsplätze häufig nicht besetzt werden können. Vorruhestandsmodelle sind „aus der Mode gekommen“ und werden vom Gesetzgeber auch nicht mehr gefördert.

 

Andererseits ist das Rentenniveau in den letzten Jahren durch den Gesetzgeber immer weiter abgesenkt worden (derzeit etwa 49 Prozent). Ob höhere Rentensätze, wie sie von der Gewerkschaft ver.di gefordert werden, überhaupt von den Erwerbstätigen finanziert werden können, erscheint zweifelhaft.

 

Das bedeutet in vielen Fällen selbst bei durchgängiger Arbeitstätigkeit mit durchschnittlichem Arbeitsentgelt bis zur Rente Altersarmut durch Rentenansprüche auf Basis lediglich der Grundsicherung. Wohl noch nie zuvor arbeiten „Rentner“ in so erheblichem Umfang weiter und sei es nur im Rahmen eines geringfügigen Arbeitsverhältnisses. Auch eine zusätzliche Altersversorgung, etwa durch Lebensversicherungen, betriebliche oder private Altersversorgung und/oder Vermögensaufbau wird angesichts der „Negativrenditen“ immer schwieriger.

2. Die arbeitsrechtliche Situation

Immer mehr ArbN streiten mit ihrem ArbG vor den Arbeitsgerichten darüber, ob sie mit Erreichen der Regelaltersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden (müssen) oder nicht. Die Rechtslage ist teilweise noch ungeklärt.

 

a) Keine automatische Beendigung oder Kündigung von Arbeitsverhältnissen mit Erreichen der Regelaltersgrenze.

Der Gesetzgeber hat keine Altersgrenze geschaffen, nach der das Arbeitsverhältnis automatisch zu einem bestimmten Zeitpunkt endet. Vielmehr sieht § 41 S. 1 SGB VI vor, dass das Erreichen des Renteneintrittsalters durch den ArbN im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes kein Grund für eine arbeitgeberseitige Kündigung ist.

 

b) Altersgrenzen durch Arbeits- oder Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung

Die Zulässigkeit einer in Arbeits- sowie Tarifverträgen und BV vereinbarten Altersgrenze mit dem 65. oder einem späteren Lebensjahr wird aus § 41 SGB VI geschlossen und begegnet keinen Bedenken (BAG 13.10.15, 1 AZR 853/13; 5.3.13, 1 AZR 417/12; 18.6.08, 7 AZR 116/07; EuGH 13.9.11, C-447/09 - Vorlage des BAG 17.6.09, 7 AZR 112/08 (A)). Gleiches gilt für eine Altersgrenze in kirchlichen Regelungen (zum Beispiel BAT KF a.F., BAG 12.6.13, 7 AZR 917/11).

 

Will der ArbN sein Arbeitsverhältnis über das Regelrentenalter hinaus dauerhaft fortsetzen, verfolgt er zwar legitime wirtschaftliche und ideelle Anliegen. Jedoch hat er meist ein langes Berufsleben hinter sich, wenn er die Regelaltersgrenze erreicht. Daneben ist er typischerweise selbst von der Altersgrenzenregelung durch seinen ArbG begünstigt worden. Durch das altersbedingte Ausscheiden anderer ArbN haben sich seine Einstellungs- und Aufstiegschancen verbessert.

 

Demgegenüber steht das Bedürfnis des ArbG nach einer sachgerechten und berechenbaren Personal- und Nachwuchsplanung. Dessen Interessen überwiegen, wenn der ArbN durch den Bezug einer Regelaltersrente wirtschaftlich abgesichert ist. An Stelle der Vergütung tritt der dauerhafte Bezug von Leistungen aus der gesetzlichen Altersversorgung. Die Anbindung an eine rentenrechtliche Versorgung bei Ausscheiden durch eine Altersgrenze ist damit Teil des Sachgrunds. Dabei kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Fall der betroffene ArbN ausreichend wirtschaftlich abgesichert ist oder nicht.

3. Altersgrenzen in Arbeits- und Tarifverträgen

Gilt ein Tarifvertrag oder eine kirchliche Arbeitsrechtsregelung für das Arbeitsverhältnis - etwa durch dynamische Inbezugnahme im Arbeitsvertrag  - gilt auch die dort vereinbarte Altersgrenze. Das gilt selbst, wenn der Tarifvertrag noch gar keine Altersgrenze vorsah, als der Arbeitsvertrag abgeschlossen wurde. In Arbeitsverträgen muss die „Befristung“ bzw. „auflösende Bedingungv“ ausdrücklich und schriftlich (§ 14 Abs. 4 TzBfG) vereinbart worden sein. Die Befristung in „Altverträgen“ auf das 65. Lebensjahr dürfte einer AGB-Kontrolle standhalten. In Neuverträgen nach Heraufsetzen des Renteneintrittsalters durch den Gesetzgeber sollte wie folgt formuliert werden:

 

  • Formulierung

„Das Arbeitsverhältnis endet ohne Kündigung mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Altersgrenze für eine Regelaltersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung (derzeit §§ 35, 235 SGB VI) ohne Abschläge erreicht hat und diese auch durch einen ihm zustehenden Anspruch beziehen kann, unabhängig davon, ob ein entsprechender Rentenantrag bereits gestellt wurde.“

 

Es stellt einen Sachgrund im Sinne von § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG dar, wenn das Arbeitsverhältnis auf die Regelaltersgrenze befristet wird.

4. Altersgrenze durch Betriebsvereinbarungen (BV)

Eine auf das Regelrentenalter bezogene Altersgrenze kann durch freiwillige, also nicht erzwingbare BV (§ 88 BetrVG), geregelt werden. Sie ist von der Regelungskompetenz der Betriebsparteien umfasst (BAG GS 7.11.89, GS 3/8, BAG 13.10.15, 1 AZR 853/13 und 5.3.13, 1 AZR 417/12, LAG Hamm 14.1.15, 4 Sa 1176/14). Ob die BV inhaltlich wirksam ist, ist gerichtlich voll überprüfbar.

 

a) Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG

Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer BV sein. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Tarifvertrag eine entsprechende Öffnungsklausel vorsieht. Das bedeutet, dass räumlich, betrieblich, persönlich und fachlich einschlägige Tarifverträge, die eine Altersgrenze vorsehen, BV mit gleichem Regelungsgegenstand „sperren“. Das gilt auch, wenn die Tarifverträge im Betrieb nicht angewandt werden (BAG 25.2.15, 5 AZR 481/13; 13.10.15, 1 AZR 853/13 und 5.3.13,1 AZR 417/12).

 

  • Beispiel

ArbG A ist nicht tarifgebunden und wendet die räumlich und fachlich an sich einschlägigen Tarifverträge nicht an. Der Manteltarifvertrag sieht eine Altersgrenze vor. A vereinbart mit dem Betriebsrat eine BV zur Altersgrenze.

 

Lösung: Die BV ist unwirksam (§ 77 Abs. 3 BetrVG), da die Betriebsparteien nicht befugt sind, Dinge zu regeln, die im Tarifvertrag ohne Öffnungsklausel geregelt sind, selbst wenn der Tarifvertrag im Betrieb und auf die Arbeitsverhältnisse nicht angewandt wird.

 

Wichtig | Arbeitsbedingungen sind tariflich geregelt, wenn sie in einem Tarifvertrag enthalten sind. Tarifüblich nach § 77 Abs. 3 BetrVG ist eine Regelung, wenn der Regelungsgegenstand in der Vergangenheit in einem einschlägigen Tarifvertrag enthalten war und die Tarifvertragsparteien über ihn Verhandlungen führen (BAG 5.3.13, 1 AZR 417/12). Ein Regelungsgegenstand ist nicht tarifüblich nach § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG, wenn es in der Vergangenheit noch keinen einschlägigen Tarifvertrag gab und die Tarifvertragsparteien lediglich beabsichtigen, die Angelegenheit künftig tariflich zu regeln.

 

b) Vereinbarkeit der BV mit höherrangigem Recht (§ 75 Abs. 1 und 2 S. 1 BetrVG)

BV sind keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Sie unterliegen somit keiner Inhaltskontrolle gemäß §§ 307 ff. BGB (vgl. § 310 Abs. 4 BGB). Allerdings führt das BAG faktisch eine Art Inhaltskontrolle von der BV durch, indem es prüft, ob die Grundsätze von Recht und Billigkeit und die Persönlichkeitsrechte der ArbN hinreichend beachtet wurden.

 

Zur Altersgrenzenregelung haben das BAG (13.10.15, 1 AZR 853/13 und 5.3.13, 1 AZR 417/12) und das LAG Hamm (14.1.15, 4 Sa 1176/14) festgestellt,

  • dass BV, nach denen das Arbeitsverhältnis mit der Vollendung des „65. Lebensjahres endet“, nach der Anhebung des Regelrentenalters regelmäßig dahingehend auszulegen sind, dass das Arbeitsverhältnis erst enden soll, wenn das für den Bezug einer Regelaltersrente maßgebliche Lebensalter erreicht wird. Denn nur so wird dem Willen der Betriebsparteien Rechnung getragen. Diese wollen im Zweifel BV treffen, die nicht im Widerspruch zu dem von ihnen nach § 75 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BetrVG zu beachtenden höherrangigen Recht stehen.

 

  • Zudem hat das BAG bestätigt, dass Altersgrenzen durch BV geregelt werden können, sofern sie ein Ausscheiden des ArbN frühestens zu einem Zeitpunkt vorsehen, in dem er Anspruch auf ungekürzte Altersrente hat.

 

  • Das LAG Hamm (14.1.15, 4 Sa 1176/14) hat entschieden, dass die Betriebsparteien bei Abschluss einer BV zur Altersgrenze verpflichtet sind, ggf. eine Übergangsregelung für rentennahe ArbN zu schaffen. Die Einführung von Altersgrenzen durch BV dürfe nicht dazu führen, dass ein Arbeitsverhältnis mit einer kürzeren Frist ende, als dies der Fall sein könnte, wenn die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 622 Abs. 2 BGB beachtet werden. Tun sie dies nicht, kann durch das Arbeitsgericht keine geltungserhaltende Bestimmung getroffen werden.

 

c) Unzulässiger Eingriff in den Arbeitsvertrag?

Ist der Arbeitsvertrag „betriebsvereinbarungsoffen“ dergestalt formuliert, dass im Übrigen die jeweils gültigen BV auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, muss der ArbN auch mit „verschlechternden“ Regelungen durch BV rechnen. Das Günstigkeitsprinzip findet dann keine Anwendung. Fraglich sind aber die Fälle, wo im Arbeitsvertrag

  • kein Bezug genommen wird auf die jeweils gültigen BV und
  • nicht geregelt ist, ob bei Erreichen der Altersgrenze das Arbeitsverhältnis beendet wird.

 

Nach dem LAG Hamm (14.1.15, 4 Sa 1176/14) besteht keine Konkurrenz zwischen Arbeitsvertrag und BV, da die Parteien bei Vertragsschluss weder positiv noch negativ Regelungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffen haben. Daher sei die BV wirksam; das Günstigkeitsprinzip finde wegen fehlender Regelung im Arbeitsvertrag keine Anwendung.

5. Fortsetzung über die Altersgrenze hinaus?

Ist die Altersgrenze wirksam, scheidet der ArbN mit Erreichen des Renteneintrittsalters aus. Besteht die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis durch weitere befristete Arbeitsverträge rechtssicher zu verlängern?

 

a) Keine Befristung gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG

Eine wirksame sachgrundlose Befristung kommt deshalb nicht in Betracht, weil der ArbN bereits zuvor - bis zum Erreichen der Altersgrenze - bei demselben ArbG beschäftigt war.

 

b) Befristung gemäß § 14 Abs. 3 TzBfG?

Selbst wenn der ArbN nach seinem Ausscheiden infolge Erreichens der Altersgrenze ausreichend lange „arbeitslos“ gewesen und im Gesetz genannte Sozialleistungen erhalten hätte, wäre eine solche Vertragsgestaltung wahrscheinlich rechtsmissbräuchlich und somit unwirksam.

 

c) Befristung mit sachlichem Grund gemäß § 14 Abs. 1 TzBfG

Die Vertragsparteien können auch über die Altersgrenze hinaus einen oder mehrere befristete Verträge abschließen, soweit ein sachlicher Grund bei Vertragsschluss bestanden hat. Das BAG (11.2.15, 7 AZR 17/13) meint hierzu:

 

  • Eine bei oder nach Erreichen des Renteneintrittsalters getroffene BV über die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses kann aus Gründen in der Person des ArbN nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG sachlich gerechtfertigt sein, wenn der ArbN Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen kann und die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einer konkreten, im Zeitpunkt der BV der Befristung bestehenden Personalplanung des ArbG dient (z.B. Einarbeitung des Nachfolgers). Die Befristungszeit dürfte in diesen Fällen nicht sehr lang sein.

 

  • Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses kann nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG sachlich gerechtfertigt sein, wenn das Interesse des ArbG, aus sozialen Erwägungen mit dem betreffenden ArbN nur einen befristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, auch angesichts des Interesses des ArbN an einer unbefristeten Beschäftigung schutzwürdig ist. Das ist der Fall, wenn der Arbeitsvertrag nicht ohne den in der Person des ArbN begründeten sozialen Zweck abgeschlossen worden wäre.

 

  • Der Wunsch des ArbN nach einer nur zeitlich begrenzten Beschäftigung kann die Befristung nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG sachlich rechtfertigen. Dies setzt voraus, dass der ArbN bei einem Angebot auf Abschluss eines unbefristeten Vertrags nur ein befristetes Arbeitsverhältnis vereinbart hätte.

 

  • Darüber hinaus kann eine Befristung in diesen Fällen auch zur Vertretung eines nicht am Arbeitsplatz befindlichen ArbN (Krankheit, Urlaub, Elternzeit etc.) erfolgen (§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 TzBfG), wenn der befristet beschäftigte ArbN zur Vertretung eingesetzt wird.

 

d) Befristung gemäß § 41 S. 3 SGB VI möglich

ArbN, die wegen Erreichens der Altersgrenze ausscheiden, können unter diesen Voraussetzungen befristet weiter beschäftigt werden:

 

  • § 41 S. 3 SGB VI verlangt eine vereinbarte Regelaltersgrenze und

 

  • eine bloße Verlängerung des Arbeitsverhältnisses. Das bedeutet:
    • Die Verlängerung muss - schriftlich (§ 14 Abs. 4 TzBfG) - vereinbart werden, während das ursprüngliche Arbeitsverhältnis besteht und
    • dies muss ohne inhaltliche Änderungen erfolgen (gleiche Vergütung, Arbeitszeit etc.).

 

  • Der Gesetzgeber erlaubt auch die mehrfache Verlängerung, ohne konkret Höchstdauer und/oder Höchstzahl der Verlängerungen mitzuteilen. Auch aus europarechtlichen Gründen müssen ArbG vorsichtig sein, um das Entstehen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu vermeiden.
Quelle: Ausgabe 10 / 2016 | Seite 177 | ID 44297516