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· Fachbeitrag · Fristlose Kündigung

Fristlos raus: Desinfektionsmittel weg, Job weg

von Ass. jur. Petra Wronewitz

| Der Diebstahl von einem Liter Desinfektionsmittel und einer Handtuchrolle kann auch bei älteren Arbeitnehmern eine fristlose Kündigung rechtfertigen. |

 

Sachverhalt

Der ArbN arbeitete seit 2004 bei einem Paketzustellunternehmen nachts als Be- und Entlader sowie Wäscher für die Fahrzeuge. Bei der stichprobenartigen morgendlichen Ausfahrtkontrolle im März 2020 fand der Werkschutz im Kofferraum des ArbN eine nicht angebrochene Plastikflasche mit einem Liter Desinfektionsmittel und eine Handtuchrolle. Der Wert des Desinfektionsmittels betrug zum damaligen Zeitpunkt ca. 40 EUR. Es kam damals bei dem Paketzustellunternehmen immer wieder vor, dass Desinfektionsmittel aus den Waschräumen entwendet wurde. Aus diesem Grund wies der ArbG mit Aushängen im Sanitärbereich darauf hin, dass das Mitnehmen von Desinfektionsmitteln eine fristlose Kündigung und Anzeige zur Folge habe.

 

Nachdem der Personalausschuss des Betriebsrats einer fristlosen Kündigung nach einer Zeugenbefragung abschließend zugestimmt hatte, kündigte der ArbG dem ArbN.

 

Gegen diese Kündigung wehrte sich der ArbN und erhob Kündigungsschutzklage. Er behauptete, dass er sich während der Arbeit jede Stunde zu seinem Fahrzeug begeben habe, um die Hände zu desinfizieren und abzutrocknen. Er habe das Mittel für sich und auch seine Kollegen verwenden wollen, zumal dieses in den Waschräumen nicht immer verfügbar gewesen sei. Bei der Ausfahrt habe er an die Sachen im Kofferraum nicht mehr gedacht.

 

Entscheidungsgründe

Das LAG Düsseldorf (14.1.21, 5 Sa 483/20, Abruf-Nr. 220307) wies die Kündigungsschutzklage ab, weil ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung vorlag. Das LAG glaubte dem ArbN nicht, sondern ging davon aus, dass er sich das Desinfektionsmittel zugeeignet hatte, um es selbst zu verbrauchen. Wenn er es während der Schicht habe benutzen wollen, hätte es nahegelegen, das Desinfektionsmittel auf den Materialwagen am Arbeitsplatz zu stellen, zumal in der Nacht nur sechs bis sieben Kollegen arbeiteten.

 

Die Behauptung, dass er das Desinfektionsmittel auch für die Kollegen habe verwenden wollen, konnte das Gericht ebenfalls nicht nachvollziehen. Denn weder habe er ihnen gesagt, wo er das Desinfektionsmittel aufbewahrt habe, noch ihnen den Autoschlüssel gegeben, damit sie es benutzen könnten. Die gefundene Flasche sei auch nicht angebrochen.

 

Obwohl der ArbN schon seit über 15 Jahren für den Zustelldienst tätig gewesen sei, sei eine vorherige Abmahnung nicht erforderlich gewesen. Die Interessenabwägung sei zugunsten des ArbG ausgefallen. Sein Interesse an einer fristlosen Kündigung habe das Interesse des ArbN am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überwogen. Der ArbN habe in einer Zeit der Pandemie, als Desinfektionsmittel Mangelware gewesen seien und in Kenntnis davon, dass auch sein ArbG mit Versorgungsengpässen zu kämpfen habe, eine nicht geringe Menge Desinfektionsmittel entwendet. Damit habe er zugleich in Kauf genommen, dass seine Kollegen leer ausgingen. In Ansehung dieser Umstände habe ihm klar sein müssen, dass er mit der Entwendung von einem Liter Desinfektionsmittel den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährde.

 

Relevanz für die Praxis

Den meisten Lesern fällt angesichts dieser Entscheidung der Fall „Emmely“ ein, den das BAG (10.6.10, 2 AZR 541/09) vor rund elf Jahren beschäftigte und der damals Rechtsgeschichte schrieb. Eine Kassiererin löste angeblich zwei Pfandbons im Wert von 1,30 EUR unberechtigterweise ein. Daraufhin kündigte ihr der ArbG, eine Supermarktkette, fristlos. Vor dem BAG scheiterte der ArbG.

 

Der Vertragsverstoß sei zwar schwerwiegend und berühre den Kernbereich der Arbeitsaufgaben einer Kassiererin, was trotz des geringen Werts der Pfandbons das Vertrauensverhältnis der Parteien objektiv erheblich belaste. Zugunsten der Kassiererin spräche jedoch, dass das Arbeitsverhältnis über drei Jahrzehnte ohne rechtlich relevante Störung verlaufen sei und sie dadurch ein hohes Maß an Vertrauen erworben habe. Eine Abmahnung als milderes Mittel gegenüber einer fristlosen Kündigung sei angemessen und wäre ausreichend gewesen, um einen künftig wieder störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses zu bewirken.

 

Der 2. Senat des BAG betonte damals klar, dass das Gesetz auch im Zusammenhang mit strafbaren Handlungen des ArbN keine absoluten Kündigungsgründe kennt. Es bedarf stets einer umfassenden, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung und Interessenabwägung dahingehend, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Vertrauensstörung ‒ zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ‒ zumutbar ist oder nicht.

 

Genau diese Abwägung nahm das LAG Düsseldorf vor: Es hat die damalige Gesamtsituation in die Interessenabwägung eingebracht. Zu dieser Zeit waren aufgrund der pandemiebedingten Lage Desinfektionsmittel Mangelware. Zudem hatte der ArbG auf die Folgen eines Diebstahls hingewiesen.

 

Dazu kommt, dass der ArbN auch nicht auf ein über Jahrzehnte andauerndes störungsfrei verlaufendes Arbeitsverhältnis zurückblicken kann. Der materielle Wert des Desinfektionsmittels war auch nicht so gering wie im Fall „Emmely“.

 

Weiterführender Hinweis

  • Arbeitnehmer droht mit „er könne ja noch krank werden“: Rechtsprechungsübersicht zur Kündigung in SR 21, 61
Quelle: Ausgabe 05 / 2021 | Seite 80 | ID 47353983