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· Fachbeitrag · Betriebliche Altersvorsorge

Informations- und Aufklärungspflichten des Arbeitgebers zur betrieblichen Altersversorgung

von RA Christian Deutz, FA Arbeitsrecht, Aachen

| § 241 Abs. 2 BGB bestimmt, dass das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten kann. Im Arbeitsrecht statuiert diese Regelung arbeitsvertragliche Nebenpflichten. |

 

Jüngst hatte sich das BAG (18.2.20, 3 AZR 206/18, Abruf-Nr. 214264) mit der Frage zu befassen, ob und inwieweit Arbeitgeber im Bereich der betrieblichen Altersversorgung (konkret beim Abschluss von Entgeltumwandlungsvereinbarungen) Informationspflichten treffen.

Sachverhalt

Die Parteien stritten darüber, ob die Arbeitgeberin dem klagenden Arbeitnehmer zum Schadenersatz verpflichtet war, weil sie ihn beim Abschluss einer Entgeltumwandlungsvereinbarung nicht über eine bevorstehende Gesetzesänderung hinsichtlich der Beitragspflicht zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (§ 229 Abs. 1 S. 3 SGB V) informiert hatte.

 

Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung

Der Kläger war bei der Beklagten von 10/1983 bis 11/2014 beschäftigt. Die Beklagte schloss in 03/2003 mit einem zur Sparkassen-Finanzgruppe gehörenden Unternehmen einen Rahmenvertrag zur betrieblichen Altersversorgung ab. In 04/2003 führte der Betriebsrat der Beklagten eine Betriebsversammlung durch, auf der ein Mitarbeiter der Sparkasse als „Fachberater für betriebliche Altersversorgung“ die Arbeitnehmer der Beklagten auf deren Veranlassung hin über Fragen der Entgeltumwandlung und hiermit im Zusammenhang stehende steuerrechtliche Aspekte informierte.

 

Entgeltumwandlungsvereinbarung

Die Parteien vereinbarten in 09/2003 eine Entgeltumwandlung. Die Beklagte schloss zudem zugunsten des Klägers zum Dezember 2003 einen Rentenversicherungsvertrag mit Kapitalwahlrecht. Am 14.11.03 wurde das „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ mit Wirkung ab dem 1.1.04 verabschiedet.

 

  • § 229 Abs. 1 S. 3 SGB V lautete sodann wie folgt:

Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate.

 

Die Vorgängerregelung enthielt noch nicht den Einschub „oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden“.

 

Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen

Seit Dezember 2014 bezog der Kläger eine Altersrente. Er übernahm zudem die abgeschlossene Rentenversicherung und kündigte diese vorzeitig zum Januar 2015. Daraufhin wurde ihm ein Kapitalbetrag in Höhe von rund 35.000 EUR ausgezahlt. Im März 2016 forderte die Techniker Krankenkasse den bei ihr versicherten Kläger auf, Sozialversicherungsbeiträge auf die erhaltene Kapitalleistung zu zahlen. Die Krankenkasse kündigte zudem eine Beitragspflicht bis Ende Februar 2025 an.

 

Arbeitgeberin zum Schadenersatz verpflichtet?

Der Kläger begehrte in der Folgezeit die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Schadenersatz in Höhe der gezahlten Sozialversicherungsbeiträge sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihm auch künftige Schäden in diesem Zusammenhang zu ersetzen hat. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm Schadenersatz, da sie ihn im Zusammenhang mit dem Abschluss der Entgeltumwandlungsvereinbarung nicht darauf hingewiesen habe, dass ab dem 1.1.04 auch Einmalkapitalleistungen sozialversicherungspflichtig seien. Bei Kenntnis der bevorstehenden Gesetzesänderung hätte der Kläger statt der Entgeltumwandlungsvereinbarung eine vergleichbare private Vorsorge abgeschlossen, mit der er zu diesem Zeitpunkt noch einen besseren Zinsgewinn hätte erzielen können.

 

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das LAG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der von der Beklagten eingelegten Revision erstrebt diese die Wiederherstellung der klageabweisenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Die Revision der Beklagten hatte vor dem 3. Senat des BAG Erfolg.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung des BAG hat der Kläger keinen Anspruch auf Schadenersatz wegen Verletzung von Beratungs-, Hinweis- und Informationspflichten gegen die Beklagte.

 

Zunächst hat das BAG darauf hingewiesen, dass sich entsprechende Verpflichtungen der Beklagten nicht aus dem Gesetz und auch nicht aus dem anwendbaren Tarifvertrag ergaben.

 

Zudem sah das BAG auch keinen Anspruch auf Schadenersatz im Zusammenhang mit der Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht.

 

Nebenpflichten des Arbeitgebers

Nach der Entscheidung des BAG treffen den Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis grundsätzlich keine allgemeinen Beratungspflichten. Er ist in diesem Zusammenhang aufgrund einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht allerdings verpflichtet, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so zu wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Interessen und Belange beider Vertragsparteien nach Treu und Glauben verlangt werden kann. Dies gilt auch für die Vermögensinteressen der Arbeitnehmer.

 

Beachten Sie | Zwar hat grundsätzlich jede Partei für die Wahrnehmung ihrer Interessen selbst zu sorgen und sich Klarheit über die Folgen ihres Handelns zu verschaffen. Aus der Schutz- und Rücksichtnahmepflicht können sich aber Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers ergeben.

Diese Pflichten wiederum beruhen auf den besonderen Umständen des Einzelfalls und sind das Ergebnis einer umfassenden Interessenabwägung.

 

 

Fallkonstellationen: Wann der Arbeitgeber aufklären muss

Das BAG hat in diesem Zusammenhang (allgemein) darauf hingewiesen, dass den Arbeitgeber insbesondere in folgenden Konstellationen Informations- und Hinweispflichten treffen können:

 

  • 1. Nachteilige Vereinbarung: Gesteigerte Informationspflichten können den Arbeitgeber vor allem dann treffen, wenn eine nachteilige Vereinbarung ‒ etwa über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ‒ auf seine Initiative hin und in seinem Interesse getroffen wird. Bietet der Arbeitgeber einen solchen Vertrag an, kann er den Eindruck erwecken, er werde auch die Interessen des Arbeitnehmers wahren und ihn nicht ohne ausreichende Aufklärung erheblichen, atypischen Versorgungsrisiken aussetzen.
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  • 2. Größere „Informationsnähe“: Darüber hinaus kann eine Hinweispflicht auch dann bestehen, wenn eine Maßnahme nicht auf einer Initiative des Arbeitgebers beruht. Die erkennbaren Informationsbedürfnisse des Arbeitnehmers einerseits und die Beratungsmöglichkeiten des Arbeitgebers andererseits sind stets zu beachten. Wie groß das Informationsbedürfnis des Arbeitnehmers ist, hängt vor allem von der Schwierigkeit der Rechtsmaterie sowie dem Ausmaß der drohenden Nachteile und deren Voraussehbarkeit ab. Der Arbeitgeber darf allerdings weder durch das Bestehen, noch durch den Inhalt der arbeitsvertraglichen Informationspflicht überfordert werden. Eine Auskunftspflicht besteht daher nur, wenn der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer über eine größere „Informationsnähe“ verfügt. Dies ist nach dem BAG etwa der Fall, wenn der Arbeitgeber die Information besitzt oder ‒ anders als der Arbeitnehmer, der sie benötigt ‒ ohne Schwierigkeiten beschaffen kann.

 

  • 3. Auskunftserteilung: Erteilt schließlich der Arbeitgeber Auskünfte ‒ ohne dass er im konkreten Fall zur Vermeidung von Rechtsnachteilen für den Arbeitnehmer gehalten ist, von sich aus geeignete Hinweise zu geben ‒ müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein. Dies gilt im besonderen Maße für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung: Die finanziellen Auswirkungen auf die langfristige Lebensplanung des Arbeitnehmers begründen sein ersichtliches Informationsinteresse. So kann der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände im Zeitpunkt der Erteilung der Information erkennen, dass deren Richtigkeit auch für die Zukunft Bedeutung hat. Dann kann sich auch daraus für ihn eine Pflicht ergeben, den Arbeitnehmer auf Änderungen der Sach- und Rechtslage hinzuweisen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn diese zum Nachteil des Arbeitnehmers Auswirkungen auf die Richtigkeit der ursprünglichen Information haben.
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Kein Schadenersatzanspruch des Klägers

Im konkreten Fall scheidet nach Auffassung des BAG ausgehend von den vorgenannten Grundsätzen ein Schadenersatzanspruch des Klägers in jedem Fall aus:

 

Die Entscheidung zur Vornahme einer Entgeltumwandlung obliegt allein dem Arbeitnehmer. Zudem verfügte die Beklagte nicht über eine größere „Informationsnähe“. Insbesondere im Hinblick auf die (geplante) Pflicht, auch auf Einmalkapitalbeträge Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge leisten zu müssen, besteht zwischen den Parteien kein Kompetenz-/Informationsgefälle. Das BAG hat in diesem Zusammenhang auf die jedermann zugänglichen und ohne Weiteres verständlichen Gesetzesmaterialien verwiesen. In diesem Zusammenhang kann nach Auffassung des BAG vom Arbeitnehmer erwartet werden, dass er sich die Kenntnis dieser Rechtsvorschriften selbst verschafft.

 

Nach Auffassung des BAG hat die Beklagte den Kläger aber auch nicht unrichtig unterrichtet. Im Zusammenhang mit der Betriebsversammlung im April 2003 bestand kein Anlass, über eine Beitragspflicht für Kapitalauszahlungen im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung zu informieren. Nach § 229 Abs. 1 S. 3 SGB V a. F. bestand keine Beitragspflicht, wenn Kapitalleistungen ‒ wie im Fall des Klägers ‒ vor Eintritt des Versorgungsfalls vereinbart wurden. Insofern waren die im Rahmen der Betriebsversammlung mitgeteilten Informationen weder fehlerhaft, noch unvollständig. Weder zu diesem Zeitpunkt, noch bei Abschluss der streitgegenständlichen Entgeltumwandlungsvereinbarung bestand nach der seinerzeitigen Rechtslage eine Beitragspflicht für Kapitalleistungen der betrieblichen Altersversorgung. Solche Einmalkapitalleistungen wurden erst zum 1.1.04 beitragspflichtig. Die geplante Gesetzesänderung stand insofern erst nach der Betriebsversammlung im Raum.

 

Nach Ansicht des BAG musste die Beklagte den Kläger auch nicht später auf die Änderung der Rechtslage hinweisen. Für die Beklagte habe keine Notwendigkeit bestanden, vor dem Hintergrund der auf der Betriebsversammlung erteilten Informationen den Kläger über die gesetzliche Entwicklung zu unterrichten. Die Verpflichtung, über eine mögliche Gesetzesänderung nachträglich zu unterrichten, setzt nach Auffassung des BAG voraus, dass sich die Gesetzesänderung bzw. das Gesetzesvorhaben klar auf die Aspekte bezieht, die Gegenstand der ursprünglich erteilten Auskunft waren.

 

Beachten Sie | Insbesondere über Entwicklungen, die ganz spezielle Fallgestaltungen betreffen, muss der Arbeitgeber nur unterrichten, wenn er bereits zuvor über gerade diese Aspekte informiert hat.

 

Es war jedoch unstreitig, dass auf der Betriebsversammlung über die im Zusammenhang mit der Entgeltumwandlung stehenden sozialversicherungsrechtlichen Fragen gar nicht informiert worden war. Das BAG sah daher keine Informationspflichten der Beklagten über geplante Gesetzesänderungen in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren.

 

Im Ergebnis sah der Senat keine Verletzung von Hinweis- und Informationspflichten durch die Beklagte.

Relevanz für die Praxis

Das BAG hat im Rahmen seiner hier besprochenen Entscheidung nicht zuletzt die Eigenverantwortlichkeit der Arbeitnehmer unterstrichen. Es hat insbesondere herausgearbeitet, dass den Arbeitgeber grundsätzlich keine allgemeinen Beratungspflichten treffen. Hinweis- und Informationspflichten können sich nur aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls und einer umfassenden Interessenabwägung in den vom BAG im Einzelnen aufgeführten Fallkonstellationen ergeben.

 

Hinweis- und Informationspflichten des Arbeitgebers

Der Senat hat aber auch betont, dass im Bereich der betrieblichen Altersversorgung Auskünfte, die ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ohne Rechtspflicht erteilt, richtig, eindeutig und vollständig sein müssen.

 

PRAXISTIPP | Besteht eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer bei einer Änderung der Sach- und Rechtslage zu unterrichten, wenn seine zuvor erteilten (richtigen) Auskünfte unrichtig werden? Dies hängt davon ab, ob der Arbeitgeber aufgrund besonderer Umstände erkennen kann, dass die Richtigkeit der Auskunft auch für die Zukunft Bedeutung hat. Im vorliegenden Fall bestand keine Informationspflicht des Arbeitgebers zur Gesetzesänderung, weil er über sozialversicherungsrechtliche Aspekte zuvor gar nicht informiert hatte.

 

Beachten Sie | Die Entscheidung des BAG ist auch deshalb lesenswert, weil hier ein Überblick über seine bisherige Rechtsprechung im Zusammenhang mit Aufklärungs- und Informationspflichten gegeben wird.

Quelle: Ausgabe 10 / 2020 | Seite 168 | ID 46861570