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· Fachbeitrag · Betriebliche Altersversorgung

BAG zu Zulässigkeitsfragen von Klagen, Einwendungen und formalen Aspekten

von RA Christian Deutz, FA Arbeitsrecht, Aachen

| Bei Fragen rund um das Thema „betriebliche Altersversorgung“ stehen in der Regel materiell-rechtliche Aspekte im Vordergrund, wie etwa Fragen der Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde nach und konkreten Ansprüchen der Höhe nach. |

 

In der vorliegenden Entscheidung (22.9.20, 3 AZR 433/19, Abruf-Nr. 218213) hatte sich der für betriebliche Altersversorgung zuständige 3. Senat des BAG neben materiell-rechtlichen Fragestellungen auch mit solchen der Zulässigkeit, mit Einwendungen gegen entsprechende Ansprüche aus der betrieblichen Altersvorsorge und formalen Gesichtspunkten zu beschäftigen.

Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Frage, ob dem Kläger Ansprüche aus einer Versorgungsordnung („VO“) zustehen. Der Kläger war seit Februar 2013 bei der Beklagten beschäftigt, zunächst aufgrund eines für die Dauer von zwei Jahren befristeten Arbeitsvertrags. Bei Abschluss dieses Arbeitsvertrags hatte der Kläger das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet. Die Beklagte gewährt den Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung aufgrund einer entsprechenden VO mit dem Ziel, den Arbeitnehmern zusätzlich zu den Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung einen Schutz gegen die wirtschaftlichen Folgen nach Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess zu bieten.

 

  • Das regelte die Versorgungsordnung
  • 1. Versorgungsberechtigt sind alle Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis mit Ablauf von sechs Monaten nach Arbeitsaufnahme zum Arbeitgeber stehen, sofern sie bei Beginn des Arbeitsverhältnisses noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet haben. Nicht teilnahmeberechtigt sind hingegen Arbeitnehmer, die in einem befristeten Arbeitsverhältnis stehen.
  • 2. Voraussetzungen für den Anspruch auf Leistungen sind die Vollendung des 25. Lebensjahres, ein ununterbrochenes Bestehen des Arbeitsverhältnisses von mindestens fünf Jahren sowie die schriftliche Vereinbarung über die Versorgungszusage. Als „anrechenbare Dienstzeit“ gelten alle Dienstjahre nach Vollendung des 25. Lebensjahres, in dem das Arbeitsverhältnis ununterbrochen bestanden hat.
 

Auf das Arbeitsverhältnis fand ein Manteltarifvertrag mit folgenden Ausschlussfristen Anwendung:

 

  • Ansprüche beider Seiten: 3 Monate nach Fälligkeit
  • Bei Beendigung der Beschäftigung: 1 Monat nach Beschäftigungsende
  • Anspruch erst nach Beschäftigungsende fällig: 1 Monat nach Fälligkeit

 

Seit Januar 2017 bestand zwischen den Parteien ein unbefristetes Arbeitsverhältnis, wobei der Kläger ohne Unterbrechung weiterbeschäftigt wurde. In der Folgezeit vertrat er die Auffassung, dass er zum Kreis der Anspruchsberechtigten nach der VO zähle, weil er zu Beginn des Arbeitsverhältnisses 2013 noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet hatte. In der Revisionsinstanz begehrte der Kläger die Verurteilung der Beklagten, das Angebot des Klägers auf Abschluss einer Versorgungszusage nach der VO anzunehmen (Antrag 1) sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm im Versorgungsfall Versorgungsleistungen nach der VO zu gewähren (Antrag 2).

 

Nach Auffassung der Beklagten gehört der Kläger nicht zum Kreis der Anspruchsberechtigten. Zudem habe der Kläger auf eine Aufnahme in die VO verzichtet; darüber hinaus seien mögliche Ansprüche auch verfallen. Das Arbeitsgericht hatte der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Das LAG hatte die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiterhin ihren Klageabweisungsantrag.

Entscheidungsgründe

Das BAG hielt die zulässige Revision überwiegend für nicht begründet. Das LAG hat die Berufung der Beklagten im Hinblick auf die begehrte Feststellung der Versorgungsberechtigung des Klägers zu Recht zurückgewiesen. Das BAG hielt die Klage aber nur zum Teil für zulässig.

 

Antrag zu 1: Kein Rechtsschutzbedürfnis

Vor allem der Antrag zu 1 ist nach Auffassung des BAG wegen fehlendem Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Hierzu führt das BAG aus, dass besondere Umstände das Verlangen, in eine materiell-rechtliche Prüfung des Anspruchs einzutreten, als nicht schutzwürdig erscheinen lassen können. Dies ist der Fall, wenn andere Rechtsschutzmittel billiger, sicherer, schneller oder wirkungsvoller die angestrebten Rechtsschutzziele des Klägers herbeiführen, oder wenn ein Leistungsantrag objektiv schlechthin sinnlos ist, wenn also ‒  mit anderen Worten ‒ der Kläger unter keinen Umständen mit seinem prozessualen Begehren irgendeinen schutzwürdigen Vorteil erlangen kann oder etwas verlangt, was ihm aus anderen Gründen bereits zusteht.

 

PRAXISTIPP | Ausgehend hiervon hat das BAG hier (ausnahmsweise) das Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag zu 1 verneint. Nach seiner Auffassung war der Antrag objektiv sinnlos, da der Kläger hierdurch keinen weiteren schutzwürdigen Vorteil erlangen konnte: Im Ergebnis verlangte er etwas, was ihm ‒ so er denn unter die VO fällt ‒ schon zusteht. Denn ihm war eine Versorgungszusage von der Beklagten bereits erteilt worden, im Rahmen einer Gesamtzusage mit Abschluss des Arbeitsvertrags.

 

Einer weiteren (schriftlichen) Versorgungsvereinbarung, die der Kläger mit dem Antrag zu 1 verfolgt, bedarf es nicht, um im Versorgungsfall Ansprüche geltend zu machen. Die in der VO genannte „schriftliche Vereinbarung über die Versorgungszusage“ ist nicht konstitutiv für den Versorgungsanspruch, sondern hat allenfalls eine bestätigende, d. h. deklaratorische Wirkung.

 

MERKE | Nach Ansicht des BAG ist bereits die „Zusage einer Versorgungszusage“ als Versorgungszusage im Sinne von § 1 Abs. 1 BetrAVG anzusehen, wenn und soweit das Erstarken einer Anwartschaft zum Vollrecht nur noch vom Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und vom Eintritt des Versorgungsfalls abhängt. Durch die Gesamtzusage hatte der Kläger bereits einen einzelvertraglichen Anspruch auf die zugesagten Leistungen erworben, wenn er die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Da insofern der Kläger bereits eine Versorgungszusage erhalten hatte, verlangte er mit dem Antrag zu 1 etwas, was ihm ‒ bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen ‒ bereits zustand.

 

Antrag zu 2: Feststellungsantrag zur Leistungspflicht zulässig

Als zulässig hat das BAG hingegen den Feststellungsantrag zu 2 erachtet. Dieser Klageantrag ist auf die Feststellung eines zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses im Sinne von § 256 ZPO gerichtet. Nach Auffassung des BAG muss sich eine Feststellungsklage nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken. Sie kann sich auch auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen sowie auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken.

 

Mit dem Antrag zu 2 begehrte der Kläger letztlich die Feststellung der grundsätzlichen Verpflichtung der Beklagten, ihm im Versorgungsfall Versorgungsleistungen nach der VO zu gewähren. Damit begehrt er die Feststellung eines Rechtsverhältnisses, nämlich der Versorgungsverpflichtung der Beklagten. Bereits mit dem Entstehen einer Versorgungsanwartschaft wird ein betriebsrentenrechtliches Rechtsverhältnis begründet.

 

Beachten Sie | Nach dem BAG hat der Kläger hier auch ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung der Leistungspflicht der Beklagten, da diese eine Pflicht zur Erbringung von Versorgungsleistungen an den Kläger in Abrede stellt. Dabei sei unerheblich, dass der Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist. Der Kläger habe vielmehr ein rechtliches Interesse daran, Meinungsstreitigkeiten über den Bestand und die Ausgestaltung der Versorgungsrechte möglichst vor Eintritt des Versorgungsfalls klären zu lassen. So kann er frühzeitig etwa bestehende Versorgungslücken schließen.

 

Zudem hielt das BAG den Feststellungantrag für hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Da Feststellungsanträge nicht vollstreckbar sind, reicht es aus, wenn bei einer dem Antrag entsprechenden Verurteilung klar ist, was zwischen den Parteien gelten soll, mag es auf dieser Grundlage auch weiterer Präzisierungen hinsichtlich konkreter Ansprüche bedürfen.

 

Soweit die Klage als zulässig angesehen wurde, war sie auch begründet und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger im Versorgungsfall Versorgungsleistungen nach der VO zu gewähren. Nach Auffassung des BAG war nach dem Wortlaut der VO nicht eindeutig, ob die Höchstaltersgrenze bei Beginn der Betriebszugehörigkeit oder bei Beginn des unbefristeten Arbeitsverhältnisses überschritten sein darf. Im Wege der Auslegung der Gesamtzusage gelangte das BAG zum Ergebnis, dass sich die Höchstaltersgrenze auf den Beginn der Betriebszugehörigkeit bei unmittelbar aufeinanderfolgenden Arbeitsverhältnissen bezieht. Das BAG hat ergänzend mit der Systematik sowie Sinn und Zweck der VO argumentiert. Es hat letztlich darauf hingewiesen, dass dieses Auslegungsergebnis den allgemeinen betriebsrentenrechtlichen Grundsätzen entspricht.

 

Sonstige Gründe, die dem Versorgungsanspruch des Klägers entgegenstehen könnten, lagen nicht vor. Das BAG ist insbesondere nicht von einem „Verzicht“ des Klägers auf Ansprüche aus der VO ausgegangen. Die Beklagte war der Auffassung, der Kläger sei vor Abschluss des unbefristeten Arbeitsvertrags bei einer „Präsentation der Arbeitsbedingungen“ darauf hingewiesen worden, dass er keinen Anspruch gemäß VO habe, da die Voraussetzung wegen Überschreitens der Höchstaltersgrenze nicht erfüllt sei. Indem der Kläger hiergegen keine Einwände erhoben habe, habe er auf entsprechende Leistungen verzichtet.

 

MERKE | Es sind strenge Anforderungen zu stellen, wenn eine Willenserklärung als Verzicht auf eine Rechtsposition ausgelegt werden soll. Es ist eine eindeutige Willenserklärung erforderlich, da ein Rechtsverzicht niemals zu vermuten ist. Nach Auffassung des BAG wird kein Arbeitnehmer ohne besonderen Grund auf Rechte, die letztlich dem Erhalt seines Lebensstandards im Alter dienen, verzichten wollen. Ein Verzicht muss daher eindeutig und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht werden. Eine solche Willenserklärung lag hier nicht vor.

 

Beachten Sie | Zudem ist das BAG auch nicht von einem Anspruchsverfall durch das Versäumen der tarifvertraglichen Ausschlussfristen ausgegangen. Derartige Bestimmungen sind nach ihrem Zweck eng auszulegen und sollen keine Ansprüche wie Betriebsrentenansprüche beschneiden, die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Eintritt eines Versorgungsfalls entstehen und deren Verletzung sich somit erst auswirkt, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist. Tarifliche Ausschlussfristen finden daher auf Ansprüche zur betrieblichen Altersvorsorge regelmäßig keine Anwendung.

Relevanz für die Praxis

Das BAG hat sich, wie dargestellt, mit einer ganzen Reihe von Fragen beschäftigt, die eine Vielzahl von Klageverfahren zur betrieblichen Altersversorgung betreffen. Schon aus diesem Grund ist die Entscheidung beachtens- und lesenswert.

 

PRAXISTIPP | Jüngst hatte sich das BAG bereits mit der Frage der Zulässigkeit einer ähnlichen Feststellungsklage befasst und stellte zum notwendigen Feststellungsinteresse fest: Es ist unerheblich, dass der Versorgungsfall im Zeitpunkt der letztlichen mündlichen Verhandlung vor dem LAG noch nicht eingetreten war. Die Klägerin konnte beanspruchen, Inhalt und Umfang ihrer Versorgungsrechte alsbald festzustellen, um frühzeitig etwaige Versorgungslücken zu schließen (3.6.20, 3 AZR 480/18, Abruf-Nr. 217210). Die Arbeitsvertragsparteien haben also ein rechtliches Interesse daran, Bestand und Ausgestaltung der Versorgungsrechte vor Eintritt des Versorgungsfalls zu klären. Gerade diesen Aspekt hat das BAG in der hier besprochenen Entscheidung erneut bekräftigt.

 
Quelle: Ausgabe 01 / 2021 | Seite 10 | ID 47043759