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· Fachbeitrag · Altersdiskriminierung

Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung in Pensionsordnung, wenn Rentner neu heiratet

von RA Christian Deutz, FA Arbeitsrecht, Aachen

| Nach dem Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grunds, u. a. wegen des Alters, benachteiligt werden. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind unwirksam (§ 7 Abs. 2 AGG). |

1. Mittelbare und unmittelbare Benachteiligungen

Unzulässig sind nach dem AGG unmittelbare und mittelbare Benachteiligungen wie folgt:

 

MERKE |

  • Eine unmittelbare Benachteiligung (§ 3 Abs. 1 S. 1 AGG) liegt vor, wenn eine Person z. B. wegen des Alters eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in vergleichbarer Lage.
  • Eine mittelbare Benachteiligung (§ 3 Abs. 2 AGG) besteht, wenn scheinbar neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen u. a. wegen des Alters gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können.
  • Ausnahme: Diese Vorgaben sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
 

2. Der Ausgangsfall

Ob und inwiefern eine entsprechende Altersdiskriminierung im Zusammenhang mit dem Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung in einer Versorgungsordnung bei einer Eheschließung nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorlag, hatte das BAG jüngst im Rahmen seines Urteils vom 3.6.20, 3 AZR 226/19, Abruf-Nr. 217507, zu entscheiden.

 

Die Parteien stritten über die Verpflichtung der beklagten Arbeitgeberin auf Gewährung einer möglichen Hinterbliebenenversorgung für die Ehefrau des Klägers. Der im Jahr 1940 geborene Kläger war seit dem Jahr 1965 bei der Beklagten beschäftigt. Arbeitgeberseitig war dem Kläger eine Versorgungszusage erteilt worden.

 

Der Kläger schied zum 31.3.98 aufgrund einer Aufhebungsvereinbarung auf Veranlassung der Beklagten aus dem Arbeitsverhältnis aus. Unmittelbar nach seinem Ausscheiden bezog der Kläger von der Beklagten monatliche Leistungen gemäß der Pensionsordnung.

 

Im Jahr 2001 verstarb die erste Ehefrau des Klägers. Im Sommer 2002 heiratete er seine jetzige Ehefrau.

 

  • Die Pensionsordnung („PO“) sah folgende Regelungen vor:
  • Unter dem Stichwort „Ruhestand“ wurde zum einen geregelt, dass ein Angestellter das normale Ruhestandsalter mit Vollendung des 65. Lebensjahres erreicht. Zum anderen, dass ein Angestellter, der sein 50. Lebensjahr vollendet und mindestens zehn anrechenbare Dienstjahre zurückgelegt hat, nach Maßgabe der entsprechenden Bestimmungen auf eigenen Wunsch in den vorzeitigen Ruhestand treten oder von der Firma in diesen versetzt werden kann.
  • Bei einem vorzeitigen Ruhestand auf Verlangen des Angestellten erhält dieser eine monatliche Pension ab Vollendung seines 60. Lebensjahres (Ziff. 5 a) PO). Wird das Dienstverhältnis auf Veranlassung der Firma beendet, erhält er eine monatliche Pension, die sofort mit seinem Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand beginnt (Ziff. 5 b) PO).
  • Ziff. 10 PO sieht eine Witwenpension vor. Keine Pension erhält nach Ziff. 10 Abs. 5 c) PO die Witwe, wenn die Ehe von einem Angestellten erst nach seiner vorzeitigen Pensionierung geschlossen worden ist.
 

Die Beklagte hatte es außergerichtlich im Jahr 2017 abgelehnt, eine mögliche Hinterbliebenenversorgung für die zweite Ehefrau des Klägers anzuerkennen. Mit der Klage begehrt der Kläger die Feststellung des Bestehens eines Anspruchs auf Hinterbliebenenversorgung für seine zweite Ehefrau im Fall seines Versterbens. Der Kläger hält insbesondere den sich aus Ziff. 10 Abs. 5 c) PO ergebenden Ausschluss der Hinterbliebenenversorgung wegen Altersdiskriminierung für unwirksam.

 

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Der dritte Senat des BAG hielt die Revision des Klägers für unbegründet.

3. Die Entscheidung des BAG

Nach Auffassung des BAG ist die Beklagte nicht verpflichtet, der derzeit mit dem Kläger verheirateten Ehefrau eine Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Die grundsätzlich nach Ziff. 10 PO bestehende Witwenpension ist nach Ansicht des Senats gemäß Ziffer 10 Abs. 5 c) PO i. V. m. den entsprechenden Regelungen zum vorzeitigen Ruhestand bei Beendigung des Dienstverhältnisses auf Veranlassung der Firma (Ziff. 5 b) PO) wirksam ausgeschlossen. Das BAG vermochte im Ergebnis keinen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen des Alters zu erkennen.

 

Das BAG hat entschieden, dass der vorgenannte Ausschluss, wonach kein Anspruch auf Witwenpension besteht, wenn die Ehe von dem Angestellten erst nach seiner vorzeitigen Pensionierung geschlossen worden ist, wirksam ist. Dies gelte jedenfalls, soweit die vorzeitige Pensionierung auf Veranlassung der Beklagten erfolgte. Das BAG ist in diesem Zusammenhang zwar von einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters ausgegangen, die aber wiederum im Sinne von § 10 S. 1 und S. 2 AGG gerechtfertigt ist.

 

So ist nach Auffassung des BAG zunächst von einer unmittelbaren Benachteiligung des Klägers auszugehen. Im vorliegenden Fall lässt sich eine klar bestimmte Altersgruppe bestimmen, da der vorzeitige Ruhestand für Versorgungsberechtigte mit einem Lebensalter zwischen der Vollendung des 50. und 65. Lebensjahres betroffen ist. Eine solche Unterscheidung nach bestimmten Geburtsjahrgängen begründet eine unmittelbare Benachteiligung. Der Ausschluss der Witwenversorgung knüpft seinerseits nach Ziff. 5 PO an diesen konkret bestimmten Altersabschnitt an. Dies führe zu einer unmittelbaren Benachteiligung wegen des Alters.

 

Diese Unterscheidung hat das BAG in der Differenzierung zwischen dem normalen und dem vorzeitigen Ruhestand gesehen. Nach der PO greift der Ausschluss nicht bei einem normalen Ruhestandseintritt. So werden durch die Unterscheidung nach vorzeitigem und normalem Pensionseintritt die beiden beschäftigten Gruppen unmittelbar nach ihrem Alter in Gruppen mit unterschiedlichen Regelungen für die Witwenpension unterteilt.

 

Weiter ist das BAG davon ausgegangen, dass die Benachteiligung des Klägers wegen der vorzeitigen Pensionierung auf Veranlassung der Beklagten gegenüber der normalen Pensionierung im Sinne von § 10 S. 1, 2 AGG gerechtfertigt ist. Die durch Ziff. 10 Abs. 5 c) PO bewirkte Ungleichbehandlung wegen des Alters beruht auf einem legitimen Ziel und ist auch angemessen und erforderlich.

 

MERKE | Als „legitimes Ziel“ im Sinne von § 10 S. 1 AGG bewertet das BAG auch Ziele, die ein Arbeitgeber mit einer betrieblichen Altersversorgung anstrebt. Indem § 10 AGG erlaubt, in Versorgungsordnungen die Leistungspflichten des Versorgungsschuldners zu begrenzen und damit für diesen eine verlässliche und überschaubare Kalkulationsgrundlage zu schaffen, verfolgt die gesetzliche Bestimmung das Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu verbreiten.

 

Ausgehend hiervon erachtet das BAG die Ungleichbehandlung wegen des Alters bei Mitarbeitern, die auf Veranlassung des Arbeitgebers vorzeitig pensioniert werden, als legitimes Ziel. Insbesondere begrenzt der Ausschluss die mit der Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung verbundenen finanziellen Risiken. Es geht insofern um das Interesse des Arbeitgebers an einer überschaubaren und kalkulierbaren Versorgungslast. Das BAG hat darüber hinaus den entsprechenden Anspruchsausschluss auch als erforderlich und damit mildestes Mittel angesehen im Hinblick auf die bewirkte Begrenzung.

 

Schließlich entschied das BAG, dass der Anspruchsausschluss angemessen ist.

 

MERKE | Es ist in diesem Zusammenhang insbesondere angemessen, wenn eine Versorgungsordnung den Ausschluss einer Hinterbliebenenversorgung

  • mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses,
  • dem Eintritt des Versorgungsfalls beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer selbst oder auch
  • mit dem Erreichen der festen Altersgrenze der Versorgungsordnung, also mit einem betriebsrentenrechtlichen Strukturprinzip verknüpft.

 

Der Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang berechtigt, die Lebensgestaltung des Arbeitnehmers für die Zeit nach einer solchen Zäsur bei der Abgrenzung seiner Leistungspflichten unberücksichtigt zu lassen.

 

Nach Ansicht des BAG ist es daher gerechtfertigt, dass bei vorzeitigem Ruhestand Hinterbliebenenversorgung gezahlt wird, soweit die Ehe bei Eintritt in den Ruhestand schon bestand, nicht aber bei späterer Eheschließung.

 

Daneben rechtfertigt sich der Ausschluss für Arbeitnehmer wie dem Kläger, die auf Veranlassung des Arbeitgebers in den Ruhestand eingetreten sind, unter dem Gesichtspunkt der „Kompensation“. So wird der vorzeitige Ruhestand schon ab einem sehr frühen Alter (ab Vollendung des 50. Lebensjahres) erlaubt und unabhängig davon gewährt, ob der Ruheständler eine anderweitige Tätigkeit ausübt. Entscheidend ist nach Ansicht des BAG aber, dass die Versorgungsleistung gegenüber der Versorgung bei normalem Ruhestand ohne versicherungsmathematische Kompensation wesentlich länger gezahlt wird. Zugleich können Frührentner mit dieser Versorgung leichter eine eigene Hinterbliebenenversorgung aufbauen oder Ersparnisse anlegen.

4. Folgen für andere Sachverhalte

Abermals hatte sich das BAG vorliegend mit Fragen der Hinterbliebenenversorgung, konkret im Zusammenhang mit einer möglichen Diskriminierung wegen des Alters, zu befassen. Die Entscheidung belegt eindrucksvoll, dass bereits kleine Nuancen im Sachverhalt weitreichende Folgen für das (rechtliche) Ergebnis haben können.

 

So hat das BAG vorliegend insbesondere die Frage offengelassen, ob der Leistungsausschluss der Hinterbliebenenversorgung auch in anderen Fällen der vorzeitigen Pensionierung ‒ nämlich auf Verlangen des Arbeitnehmers nach Ziff. 10 Abs. 5 c) i. V. m. Ziff. 5 a) PO ‒ wirksam ist. Es hat aber angedeutet, dass dies wegen der in diesen Fällen schon erfolgenden versicherungsmathematischen Abschläge und des späteren Leistungsbezugs nach den Regelungen der PO zweifelhaft sein könnte. Das BAG hat insofern das Augenmerk auf die Differenzierung der beiden Arten der vorzeitigen Pensionierung nach Ziffer 5 a) und b) PO gerichtet.

 

Im Übrigen geht das BAG von einer Teilbarkeit der Regelung in Ziff. 10 Abs. 5  c) PO aus: einerseits in vorzeitige Pensionierung auf eigene und andererseits auf fremde Veranlassung. Denn die Regelung nimmt Bezug auf die teilbaren Regelungen in Ziffer 5 a) und b) PO. Daher kam es im konkreten Fall auf die Frage einer unzulässigen geltungserhaltenden Reduktion nicht an.

 

MERKE | Sehr lesenswert sind auch die weiteren Ausführungen des BAG zur Frage der Teilbarkeit von derartigen Klauseln sowie zu den Folgen des Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz (wie vorliegend § 7 Abs. 1 AGG). Bezogen auf den konkreten Fall geht das BAG davon aus, dass abgrenzbare Teile in AGB einer Versorgungsordnung, bestehend aus altersdiskriminierenden und nicht-diskriminierenden Regelungen, zu keiner Gesamtunwirksamkeit der Klausel nach den Grundsätzen des Verbots der geltungserhaltenden Reduktion führen. Da das Unionsrecht keine Gesamtunwirksamkeit einer solchen Klausel gebietet, kann der nationale Gesetzgeber die Rechtsfolgen autonom bestimmen. Es gelten dann die Grundsätze des AGG, die nur soweit reichen, wie es die Beseitigung der Benachteiligung erfordert.

 
Quelle: Ausgabe 09 / 2020 | Seite 157 | ID 46811486