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· Fachbeitrag · Schwerbehinderung

Ergänzende Befragung des Gutachters muss gut begründet werden

| Der Sachverständige soll das für den Kläger negative Gutachten ergänzend erklären. Pauschal zu argumentieren, dass das Gutachten widersprüchlich ist, reicht dafür nicht aus. Ob der Gutachter sich außerdem mündlich im Termin oder ergänzend schriftlich äußern soll, bestimmt das Gericht (SG Karlsruhe 26.10.18, S 1 SB 96/18, Abruf-Nr. 206082 ). |

 

Sachverhalt

Die Klägerin wollte als schwerbehinderter Mensch anerkannt werden. Sie litt an verschiedenen Gesundheitseinschränkungen, u. a. Schäden der Wirbelsäule mit schweren Folgen (Bandscheibenvorfällen), Spondylarthrosen der Lendenwirbelsäule sowie einem HWS-Syndrom und Tinnitus-Leiden.

 

Das Gericht hörte zunächst einen Allgemeinmediziner als sachverständigen Zeugen an und gab ein orthopädisches Gutachten in Auftrag. Die Ausführungen waren nach Ansicht der Klägerin in sich widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Sie beantragte daher, dass sich der Gutachter in der mündlichen Verhandlung hierzu äußert. Auf Nachfrage des Gerichts, was genau der Gutachter erklären solle, gab die Klägerin lediglich an, dies ergäbe sich aus den unterschiedlichen Einschätzungen des sachverständigen Zeugen und den gutachterlichen Feststellungen. Für die Aufforderung des Gerichts, konkrete Fragen an den Sachverständigen zu formulieren, bestehe keine Rechtsgrundlage. Das Gericht wies die Klage ab.

 

Entscheidungsgründe

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs schließt auch die Anhörung gerichtlicher Sachverständiger ein (BVerfG 2.5.18, 1 BvR 2420/15; BSG 24.7.12, B 2 U 100/12 B). Gemäß § 118 Abs. 1 SGG dürfen Beteiligte Fragen vorlegen, die sie zur Aufklärung der Sache für sachdienlich erachten. Und zwar auch nach einem Gutachten, wenn der Gutachter seine Feststellungen ergänzend erläutern soll. Dafür muss dem Gericht zuvor allerdings mitgeteilt werden, was der Gutachter genauer darlegen bzw. ermitteln soll. Die mündliche Anhörung des Sachverständigen ist zwar das nächstliegende, aber nicht das einzig mögliche Vorgehen. Er kann auch aufgefordert werden, sich schriftlich zu äußern. Welcher Weg eingeschlagen wird, entscheidet dabei das Gericht.

 

Das orthopädische Gutachten war hier allgemein verständlich gefasst und frei von Widersprüchlichkeiten. Was die Klägerin genau näher erklärt haben wollte, teilte sie nicht einmal ansatzweise mit. Insbesondere hat sie weder „Widersprüchlichkeiten“ des Gutachtens „in sich“ noch sonst erläuterungswürdige Punkte genannt, sodass das Gericht die Sachdienlichkeit der an den Sachverständigen zusätzlich gerichteten Fragen nicht beurteilen konnte. Das Gutachten war auch nicht allein deshalb widersprüchlich, weil es von den Einschätzungen des sachverständigen Zeugen abwich. Das Gericht war daher nicht verpflichtet, den Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung zu laden.

 

 

Relevanz für die Praxis

Das Gutachten für den Kläger allgemein anzuzweifeln, ohne dies näher zu begründen, ist keine gute Idee. Das Gericht wird den Gutachter dann nicht ergänzend hören. Dem BSG nach sind zwar keine konkret formulierten Fragen notwendig, jedoch müssen erläuterungsbedürftige Punkte hinreichend konkret bezeichnet werden, z. B. indem auf Lücken oder Widersprüche hingewiesen wird (BSG 17.4.12, B 13 R 355/11 B). Um auf der sicheren Seite zu sein, teilen Sie dem Gericht schnellstmöglich mit, dass Sie Klärungsbedarf bezüglich des Gutachtens sehen (§ 411 Abs. 4 ZPO). Das Gericht darf Fristen setzen, bis wann Einwände gegen das Gutachten vorgebracht werden müssen. Formulieren Sie daher von vorneherein präzise, was der Gutachter ausführlicher darlegen soll, z. B.:

 

  • Arbeitsfähigkeit,
  • Zusammenspiel mehrerer Erkrankungen,
  • Prognosen ...

 

und stellen Sie notwendige Zusammenhänge her:

 

  • Wo ist Gutachten unstimmig?
  • Welche diagnostischen Methoden wurden angewandt?
  • Bleiben Gesundheitsstörungen unerwähnt oder untergewichtet?
  • Warum wird auf andere ärztliche Einschätzungen nicht eingegangen?

 

Beachten Sie | Solche ergänzenden Fragen sind dem Gericht mitzuteilen, und nicht direkt an den Gutachter zu richten (SR 17, 182).

 

Weiterführende Hinweise

  • Wenn der Psychologe allein nicht genügt, SR 18, 79
  • Gutachten nach § 109 SGG: Vorsicht, begrenztes Antragsrecht, SR 18, 74
Quelle: Ausgabe 01 / 2019 | Seite 8 | ID 45643485