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· Fachbeitrag · Kindesunterhalt

Keine gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern bei finanziell leistungsfähigen Großeltern

| Für Senioren, die Großeltern sind, ist eine neuere BGH-Entscheidung im Hinblick auf unterhaltsberechtigte Enkelkinder relevant. Die sog. gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern besteht nämlich nicht, wenn finanziell leistungsfähige Großeltern vorhanden sind. Dies hat der unter anderem für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs nun klargestellt. |

Sachverhalt

Im zugrunde liegenden Fall hatte die Unterhaltsvorschusskasse Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht für den Zeitraum von Juni 2016 bis einschließlich Dezember 2017 verlangt.

 

Antragsgegner ist der Vater der im August 2010 geborenen M., die aus seiner inzwischen geschiedenen Ehe mit der Kindesmutter hervorgegangen ist, sowie eines Sohnes, dem er ebenfalls unterhaltspflichtig ist. Er verfügte über ein Nettoeinkommen von rund 1.400 EUR und zahlte an die Kindesmutter, deren Nettoeinkommen aus einer Teilzeittätigkeit rund 1.000 EUR betrug, monatlichen Unterhalt für M. in Höhe von 100 EUR.

 

Die Eltern des Kindesvaters ‒ die Großeltern von M. ‒ hatten monatliche Nettoeinkünfte von fast 3.500 EUR bzw. gut 2.200 EUR. Die Unterhaltsvorschusskasse leistete für M. einen Unterhaltsvorschuss und nahm den Vater auf Unterhalt in Regress, der auf sie übergegangen war. Der Antragsgegner wandte ein, er hafte angesichts der leistungsfähigen Großeltern nur bis zur Höhe des angemessenen Selbstbehalts und sei deswegen nicht leistungsfähig.

 

Das Amtsgericht hat dem Zahlungsantrag in vollem Umfang entsprochen. Auf die Beschwerde des Vaters hat das OLG diese Entscheidung abgeändert und den Antrag abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Der Bundesgerichtshof hat die gegen die OLG-Entscheidung vom Land eingelegte Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. Der Vater sei nicht über die von ihm erbrachte Unterhaltszahlungen hinaus leistungsfähig im Sinne des § 1603 BGB gewesen.

 

Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder

Verwandte in gerader Linie müssen einander nach § 1601 BGB Unterhalt gewähren, wobei die Unterhaltspflicht der Eltern für ihre Kinder derjenigen der Großeltern für ihre Enkel vorgeht, § 1606 Abs. 2 BGB. Unterhaltspflichtig ist nach § 1603 Abs. 1 BGB jedoch nicht, wer seinen angemessenen Unterhalt gefährden würde.

 

Der angemessene Selbstbehalt eines Elternteils gegenüber seinem Kind betrug seinerzeit 1.300 EUR.

 

Gesteigerte Unterhaltspflicht und Ausnahme

Darüber hinaus trifft Eltern minderjähriger Kinder gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB aber eine gesteigerte Unterhaltspflicht, weshalb ihnen demnach nur der notwendige Selbstbehalt von seinerzeit 1.080 EUR zusteht.

 

MERKE | Diese gesteigerte Verpflichtung tritt nach § 1603 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 BGB jedoch nicht ein, wenn ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist. So führt das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungsfähigen Großeltern dazu, dass die gesteigerte Unterhaltspflicht der Eltern für ihre minderjährigen Kinder entfällt.

 

Was hieraus im vorliegenden Fall für die Unterhaltspflicht des Kindesvaters folgt, hat der BGH in folgenden Leitsätzen zusammengefasst.

 

a) Das Vorhandensein von für den Enkelunterhalt leistungsfähigen Großeltern führt dazu, dass sich die Leistungsfähigkeit der Eltern für den Kindesunterhalt allein nach § 1603 Abs. 1 BGB richtet und damit unter Berücksichtigung des sog. angemessenen Selbstbehalts zu ermitteln ist. Die gesteigerte Unterhaltspflicht des § 1603 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB mit der Reduzierung auf den sog. notwendigen Selbstbehalt greift dann nicht ein.

 

b) Der auf Unterhalt für sein minderjähriges Kind in Anspruch genommene Elternteil trägt die Darlegungs- und Beweislast für seine eigene Leistungsunfähigkeit und damit sowohl dafür, dass bei der begehrten Unterhaltszahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, als auch dafür, dass andere leistungsfähige Verwandte im Sinne des § 1603 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 BGB vorhanden sind.

(Abruf-Nr. 225564)

 

Dass die gesteigerte Unterhaltspflicht unter diesen Umständen entfällt, folgt laut BGH nicht nur aus dem Gesetzeswortlaut, der nicht nach dem Verwandtschaftsgrad differenziert. Es entspreche auch dem Willen des Gesetzgebers. Dieser habe die Regelung in der Vorstellung getroffen, die Erweiterung der Unterhaltspflicht sei wegen der für die Eltern hiermit verbundenen Härte nicht gerechtfertigt, solange andere zur Gewährung des Unterhalts verpflichtete Verwandte ‒ wie etwa Großeltern ‒ vorhanden sind. An diesem gesetzgeberischen Konzept, das sich an der Ausgestaltung des Verwandtenunterhalts als Ausdruck einer generationenübergreifenden Solidarität einfügt, habe sich bis heute nichts geändert.

 

Keine verdeckte Unterhaltsgewährung

Werden Großeltern für den Unterhalt ihrer Enkel herangezogen, ist dies keine verdeckte Unterhaltsgewährung an die Kindeseltern. Denn die Großeltern haften gemäß § 1607 Abs. 1 BGB originär nur auf Unterhalt gegenüber ihren Enkelkindern. Die Kindeseltern müssen ihren eigenen angemessenen Unterhalt selbst sicherstellen. Folglich wird das gesetzliche Rangverhältnis durch dieses Gesetzesverständnis nicht infrage gestellt.

 

Damit traf den Kindesvater keine gesteigerte Unterhaltspflicht, weil jedenfalls der Großvater ohne Weiteres leistungsfähig für den Kindesunterhalt war. Unter Beachtung des angemessenen Selbstbehalts musste der Antragsgegner daher über den bereits gezahlten Betrag hinaus keinen weiteren Kindesunterhalt leisten.

Relevanz für die Praxis

Die gesteigerte Unterhaltspflicht für minderjährige Kinder gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB ist von Bedeutung vor allem für die Frage, ob ein erwerbstätiger Elternteil für den Kindesunterhalt sein oberhalb des sog. notwendigen Selbstbehalts von derzeit 1.160 EUR liegendes Einkommen einzusetzen hat oder nur das Einkommen oberhalb seines sog. angemessenen Selbstbehalts von derzeit 1.400 EUR.

 

Sind andere unterhaltspflichtige und leistungsfähige Verwandte vorhanden, so entfällt die gesteigerte Verpflichtung gemäß § 1603 Abs. 2 S. 3 Hs. 1 BGB. Der Kindesunterhalt des zahlenden Elternteils wird dann lediglich unter Berücksichtigung des sog. angemessenen Selbstbehalts ermittelt.

 

Beachten Sie | Die Ersatzhaftung der Großeltern stellt aber die Ausnahme dar. Zum einen gilt nach dem Gesetz vorrangig die elterliche Unterhaltspflicht. Zum anderen steht Großeltern gegenüber ihren Enkeln ein deutlich höherer angemessener Selbstbehalt zu ‒ derzeit 2.000 EUR zuzüglich der Hälfte des über 2.000 EUR liegenden Einkommens ‒ als den Eltern gegenüber ihren Kindern.

 

PRAXISTIPP | Zu beachten ist, dass der Staat für Unterhaltsvorschusszahlungen keinen Regress (§ 7 Abs. 1 S. 1 UVG) bei Großeltern nehmen kann. Das ist erneut eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung. Dieser Umstand kann trotzdem nicht dafür maßgeblich sein, welchen Umfang die zivilrechtliche Unterhaltspflicht der Eltern hat.

 

Nach dem BGH geben auch Praktikabilitätserwägungen keine Veranlassung zu einer abweichenden Gesetzesauslegung. Bereits die Anzahl der Fälle, in denen intensivere Nachforschungen zu den Einkommensverhältnissen der Großeltern erforderlich sind, dürfte begrenzt sein. Vor allem trägt der auf Unterhalt in Anspruch genommene Elternteil in solchen Fällen eine umfangreiche Darlegungs- und Beweislast: Er muss nicht nur darlegen und beweisen, dass bei Unterhaltszahlung sein angemessener Selbstbehalt nicht gewahrt wäre, sondern auch, dass andere leistungsfähige Verwandte vorhanden sind.

Quelle: Ausgabe 05 / 2022 | Seite 80 | ID 48211595