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· Fachbeitrag · Gehbehinderung

Wer den Nahverkehr nutzen kann, erhält keine Beförderungspauschale

| Eine Beförderungspauschale gibt es nicht, wenn der Antragsteller trotz verschiedener Erkrankungen öffentliche Verkehrsmittel nutzen kann. Dies gilt auch, wenn er sich bei den Fahrten im Nahverkehr besonders umsichtig verhalten muss. Wie Bevollmächtigte pro Beförderungspauschale gegenüber dem Gericht argumentieren können, erklärt dieser Beitrag. |

 

Sachverhalt

Der 70-jährige Kläger verlangte eine monatliche Beförderungspauschale im Rahmen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. Der schwerbehinderte Kläger (GdB 50) war Rentner und bezog neben seiner Erwerbsminderungs- bzw. jetzt Altersrente aufstockende Leistungen der Grundsicherung.

 

Als Gesundheitsstörungen lagen vor:

  • Hirnschädigung mit Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen
  • operiertes Bauchschlagaderaneurysma und Herzleistungsminderung
  • Funktionsstörung der Wirbelsäule und Schultergelenke

 

Der Kläger ist schwerbehindert (§§ 53, 54 SGB XII) und erhielt Leistungen der Haushaltshilfe. Er beantragte nun u. a. die Gewährung eines Mehrbedarfes für Fahrten zu Kino-, Theater- und Veranstaltungsbesuchen und für Fahrten, um Kontakte zu seiner Tochter als letzter lebender Verwandter aufrechterhalten zu können. Seine Klage hierauf scheiterte. Auch seine Berufung zum LSG Hamburg wurde zurückgewiesen (30.3.17, L 4 SO 74/16, Abruf-Nr. 198521).

 

Entscheidungsgründe

Die Voraussetzungen für die begehrte Beförderungspauschale liegen hier nicht vor.

 

 

Das LSG nahm zwar zur Kenntnis, dass der Kläger auch unter einer diagnostizierten Schulterproblematik leidet und sich bei Busfahrten ggf. festhalten und vorsichtig sein muss. Dies reichte allerdings nicht aus.

 

Relevanz für die Praxis

Die Gerichte orientieren sich an den ärztlichen Einschätzungen. Der Mandant sollte frühzeitig Atteste seiner behandelnden Ärzte einholen, sofern diese bestätigt, dass er den Nahverkehr nicht oder nur eingeschränkt nutzen kann.

 

Eine nur lückenhafte Barrierefreiheit, sodass der Betroffene vielleicht Treppen steigen muss, kann u. U. kein stichhaltiger Grund sein. Das LSG ging hier darauf jedenfalls nicht näher ein. Zwar sind im Hamburger Nahverkehr bereits zahlreiche barrierefreie Haltestellen mit Aufzügen vorhanden. Tatsächlich soll der barrierefreie Ausbau aller städtischen Haltestellen erst Mitte der 2020er Jahre abgeschlossen sein, ist also zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhanden (vgl. www.hvv.de/service/mobilitaet-fuer-alle/uebersicht). Ggf. hat der Mandant das Pech, an einer problematischen Haltestelle aussteigen zu müssen. Argumentieren können Bevollmächtigte jedoch wie folgt:

 

  • In Großstädten mit stark in Anspruch genommenem Nahverkehr, der regelmäßig mit vollen Fahrzeugen und damit wenig Sitzgelegenheiten unterwegs ist, ist der Zugang für gesundheitlich stark eingeschränkte Menschen nur schlecht möglich (Fahrstrecke des Mandanten nennen).

 

  • Zu werktäglichen Stoßzeiten gelingt es diesem Personenkreis nur schwer oder gar nicht, einen Sitzplatz zu finden oder gar einen der wenigen Schwerbehindertenplätze zu erreichen (nachfragen: Welche Linien befährt der Mandant? Sind Fahrzeuge barrieregerecht? Auslastung mit Fahrgästen?).

 

  • Häufigkeit von Baustellen an Haltestellen, schlechtes Durchqueren/Erreichen der Haltestelle, häufiger Ausfall von Aufzügen, mangelhafte Pflege (Winterdienst, glatte/ungepflegte Wegstrecken).

 

Insbesondere die in vielen Fahrzeugen vorhandenen Über-Kopf-Haltegriffe und -schlaufen, sind für Personen mit eingeschränkter Motorik ein Problem, da der Arm weit nach oben gehoben werden muss. In stark frequentierten Fahrzeugen erreichen einsteigende Personen häufig nicht die Haltegeländer oder -stangen im Bus, und müssen sich dann oft mittig im Fahrzeug aufhalten, was Sturzgefahren birgt.

 

PRAXISHINWEIS | In diesem Jahr entschied das LSG Berlin-Brandenburg: Können bei einem schwerbeschädigten Menschen mit Herzleistungsschwäche lebensbedrohende Situationen eintreten, während sie den Nahverkehr nutzen, ist es gerechtfertigt, dass ihnen das Merkzeichen „B“ (erforderliche Begleitperson) zuerkannt wird (15.6.17, L 13 SB 111/16).

 

Weiterführende Hinweise

  • Technologien und Eingabehilfen für eingeschränkte Mandanten, SR 14, 3
  • Merkzeichen „B“: Notwendige Begleitperson muss gut begründet werden, SR 15, 196
Quelle: Ausgabe 01 / 2018 | Seite 5 | ID 45039536