· So gelingt der Einstieg in KI-gestützte ESG-Prozesse
KI-Nutzung zwischen Reporting-Revolution und Reputationsrisiko

von Lydia Eckhard, Geschäftsführerin der Deloitte Sustainability & Climate GmbH und Partnerin bei Deloitte, München
| Die erste CSRD-Berichtswelle hat Unternehmen stark gefordert: Die Berichte sind länger und dichter als erwartet, mit vielen IROs und hohem Abstimmungsaufwand über Fachbereiche hinweg. Im DAX zählen Nachhaltigkeitsberichte im Schnitt 157 Seiten ‒ weit mehr als die ursprünglich vermuteten 60 bis 100 Seiten ( www.iww.de/s14560 ). Nun rückt Künstliche Intelligenz (KI) in den Fokus: als Hebel für Automatisierung, bessere Datenqualität und schnellere Prozesse. Der Beitrag zeigt, wo Unternehmen stehen, welche KI-Anwendungen im Reporting wirklich tragen und wie sie sich in Workflows einfügen lassen, sodass Teams schnell lernen, skalieren können und dauerhaft entlastet werden. |
1. Status quo: Hohe Erwartungen, wenig Praxis
Laut IDW nutzen 37 % der deutschen Unternehmen bereits KI ‒ bei großen Firmen sind es sogar 66 % (www.iww.de/s14561). Allerdings erfolgt der Einsatz in Reportingprozessen meist punktuell und selten systematisch. Fehlendes Know-how und rechtliche Unsicherheiten bremsen laut Statistischem Bundesamt die weitergehende Nutzung von KI (www.iww.de/s14562). Die Frage bleibt: Treibt KI die Nachhaltigkeitsberichterstattung voran ‒ oder gefährdet sie Glaubwürdigkeit und Transparenz?
KI bietet große Chancen: Automatische Datenauswertung, Textgenerierung und Risikofrüherkennung könnten Nachhaltigkeitsberichte effizienter und strategischer machen. Die Praxis in den Unternehmen zeigt jedoch ein anderes Bild. Unsere Erfahrung aus der Beratungspraxis zeigt, dass die ersten CSRD-Berichte für 2024 enorme manuelle Arbeit erforderten. Datenquellen sind kaum vernetzt, Systeme unzureichend integriert, Prozesse wenig standardisiert. Besonders im Mittelstand dominiert noch immer Excel: 78 % der Unternehmen steuern ihr ESG-Reporting noch darüber (www.iww.de/s14563) ‒ flexibel, aber fehleranfällig und nicht skalierbar. Nur 24 % der Unternehmen messen ihre Nachhaltigkeitsleistung systematisch. Das zeigt: Die digitale Reife im Reporting steht noch am Anfang, es fehlt eine digitale Infrastruktur.
2. Chancen der KI entlang des CSRD-Reportings
Die CSRD fordert nicht nur ausführliche Inhalte, sondern auch methodische Tiefe. Genau hier spielt KI ihre Stärken aus ‒ wenn die Grundlagen stimmen.
- Schon bei der doppelten Wesentlichkeitsanalyse (DWA) kann KI große Datenmengen analysieren, Trends erkennen und Stakeholder-Perspektiven einbeziehen. Mit Natural Language Processing (NLP) lassen sich Medienberichte, ESG-Ratings und regulatorische Entwicklungen auswerten.
- Auch bei Datenpunkten und Metriken hilft KI: Sie identifiziert Branchentrends, gleicht sie mit den ESRS-Vorgaben ab und erkennt Abweichungen. Zudem kann sie Daten aus verschiedenen Systemen zusammenführen, bereinigen und konsistenter machen. Besonders im Screening von Policies liegen große Chancen für automatisierte Unterstützung.
- Bei der Berichterstellung unterstützen generative KI-Modelle. Sie schlagen Textbausteine vor, erstellen Visualisierungen und generieren erste Entwürfe, vorausgesetzt, Daten und Prozesse sind valide und sauber definiert.
- KI unterstützt nicht nur bei der Berichterstellung, sondern auch in der Kommunikation und Nutzung der Ergebnisse. Sie kann bspw. Rückfragen von Investoren antizipieren und passende Antwortvorschläge liefern. So können Investor-Relations-Teams gezielt vorbereitet werden ‒ auch auf kritische Rückfragen zu ESG-Risiken.
- Darüber hinaus ermöglicht KI eine zielgruppenspezifische Aufbereitung der Berichtsinhalte. Mitarbeitende, Investoren, NGOs oder Behörden erhalten automatisierte Zusammenfassungen, interaktive Dashboards oder visuelle Storytelling-Formate.

Neben den Standardprozessen gibt es auch Aufgaben, die im Nachhaltigkeitsmanagement nur selten etabliert sind ‒ oft aus Zeit- oder Kostengründen. So kann KI insbesondere komplexere Aktivitäten wie die erstmalige Entwicklung von Klimatransitionsplänen oder die detaillierte Analyse von Standortrisiken in Bezug auf Biodiversität vorbereiten.
MERKE | Ohne digitale Reporting-Architektur bleiben diese Potenziale ungenutzt. Wer noch mit Excel und manuellen Prozessen arbeitet, kann im Nachhaltigkeitskontext kaum skalieren. |
3. Praxisbeispiel: KI in der Wesentlichkeitsanalyse
Die möglichen Anwendungsfälle von KI für Nachhaltigkeitsprozesse sind prinzipiell so vielfältig wie die Aktivitäten im Nachhaltigkeitsmanagement selbst. Viele Anwendungen sind bereits ohne große technische Sonderlösungen umsetzbar. So kann bspw. KI die doppelte Wesentlichkeitsanalyse (DWA) deutlich vereinfachen. Sie reduziert Komplexität, erhöht die Konsistenz und verbessert die Informationsbasis.
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MERKE | Diese KI-Unterstützung nutzt etablierte Technologien wie Large Language Models, Web Scraping und Machine Learning. Die beschriebenen Anwendungsfälle lassen sich leicht auf weitere Prozesse im Nachhaltigkeits- management übertragen. |
4. Agenten-Netzwerke: Die Vision für morgen
Während heute meist einzelne KI-Anwendungen punktuell eingesetzt werden ‒ etwa zur Textgenerierung, Übersetzung oder Datenbereinigung ‒ zeichnet sich am Horizont eine deutlich ambitioniertere Entwicklung ab: die Etablierung von KI-Agenten-Netzwerken.
Diese Netzwerke bestehen aus semi-autonomen KI-Agenten, die jeweils für bestimmte Teilprozesse im Nachhaltigkeitsreporting zuständig sind. Ein Agent analysiert bspw. die doppelte Wesentlichkeit, ein anderer strukturiert die Datenpunkte gemäß ESRS, ein dritter bereitet die Inhalte für die Stakeholder auf. Der Clou: Diese Agenten kommunizieren miteinander, tauschen Daten aus und orchestrieren komplexe Aufgaben entlang der gesamten Reportingkette.
Langfristig entsteht so ein System, das ganzheitlich Nachhaltigkeitsprozesse unterstützt ‒ von der strategischen Analyse bis zur kommunikativen Aufbereitung. Menschliche Experten bleiben dabei essenziell: Sie validieren Zwischenergebnisse, spezifizieren Aufgaben und geben finale Inhalte frei. Die KI übernimmt die repetitive, datenintensive Arbeit ‒ die Menschen behalten die Kontrolle und Verantwortung. Diese Vision übertrifft die heutige Praxis, in der KI meist isoliert genutzt wird. Künftig arbeiten vernetzte Agenten als digitale Kollegen und verbessern so die Qualität des Reportings nachhaltig.

5. Der Weg zum Einstieg: Klein anfangen, groß denken
Der Einstieg in ein KI-gestütztes Nachhaltigkeitsreporting muss nicht komplex sein ‒ nur strategisch und schrittweise. Wer am Anfang steht, profitiert von einem klaren, pragmatischen Ansatz, der die Organisation einbindet statt überfordert.
- 1. Einfach anfangen ‒ und lernen: Der wichtigste Schritt ist der erste. Setzen Sie sich aktiv mit KI auseinander, probieren Sie Tools aus und sammeln Sie Erfahrungen. Viele Anwendungen sind leicht zugänglich und erfordern keine tiefen IT-Kenntnisse.
- 2. Klein beginnen: Starten Sie mit einem konkreten Use Case ‒ etwa automatisierter Texterstellung oder KI-gestützter Übersetzung. So wachsen Erfahrung und Vertrauen, ohne große Investitionen oder Systemwechsel.
- 3. Datenlage prüfen: KI braucht saubere Daten. Prüfen Sie, welche ESG-Daten vorliegen, wie sie gepflegt werden und wo Lücken bestehen. Wer noch mit Excel arbeitet, sollte einen Umstieg auf systemgestützte Lösungen prüfen.
- 4. Organisation einbinden: KI ist nicht nur Technik, sondern auch ein Kulturprojekt. Binden Sie Nachhaltigkeit, Controlling und Kommunikation früh ein. Schulungen und Pilotprojekte schaffen Akzeptanz und Verständnis.
- 5. KI-Reife steigern: Erfahrene Unternehmen sollten prüfen, welche Aufgaben KI dauerhaft übernehmen kann und wie Prozesse automatisierbar werden. Ziel ist eine skalierbare, lernende Architektur, in der KI nicht nur punktuell hilft, sondern dauerhaft eingebunden ist.
- 6. Vision mit Augenmaß: Langfristig können spezialisierte KI-Agenten Reportingprozesse ganzheitlich unterstützen. Wichtig ist, klare Etappen zu planen ‒ mit der Organisation als Teil des Weges.
Auch wenn die Vision komplex wirkt ‒ der Einstieg ist einfacher als gedacht. Viele Mitarbeitende nutzen KI bereits im Alltag. Damit daraus ein systematischer Ansatz wird, hilft ein Workshop, der Nachhaltigkeitsexperten und KI-Fachleute zusammenbringt, Anwendungsfelder priorisiert und erste Lösungen entwickelt. Entscheidend ist das Lernen durch Pilotprojekte, die sich schnell skalieren lassen und internes Know-how aufbauen.
FAZIT | KI wird sich im Nachhaltigkeitsreporting von einem Werkzeug zur strategischen Infrastruktur entwickeln. Unternehmen, die heute saubere Datenstrukturen, klare Prozesse und digitale Schnittstellen schaffen, bereiten den Boden dafür. Studien zeigen, dass Organisationen mit KI-Einsatz bereits produktiver, schneller und präziser entscheiden. Wer hingegen zögert, verliert an Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit ‒ vor allem in datenintensiven Bereichen wie ESG, Controlling und Kommunikation. Das wirtschaftliche Potenzial ist enorm: Allein in Deutschland schätzen Experten die zusätzliche Bruttowertschöpfung durch KI auf bis zu 330 Mrd. EUR (www.iww.de/s14565).
Das größte Risiko besteht also nicht in zu viel Automatisierung, sondern im Nichtstun. KI bietet die Chance, Reporting und Steuerung grundlegend zu verbessern ‒ und Nachhaltigkeitsmanagement in eine datengetriebene Zukunft zu führen. Ohne strukturierte Prozesse und verlässliche Daten bleibt KI ein theoretisches Versprechen. Wer aber jetzt beginnt, Daten zu ordnen, erste Anwendungsfälle zu testen und die Organisation einzubinden, legt den Grundstein für zukunftsfähiges Reporting ‒ Schritt für Schritt, mit klarer Vision und planvollem Handeln. |
Zur Autorin | Lydia Eckhard (geb. Neuhuber) ist Geschäftsführerin der Deloitte Sustainability & Climate GmbH und Partnerin bei Deloitte. Sie setzt sich für die nachhaltige Transformation von Unternehmen ein und leitet das Nachhaltigkeitsangebot innerhalb der Consulting-Sparte. Durch ihre Beratungstätigkeit verfügt sie über breite Erfahrungen in der Begleitung von ESG-Projekten bei multinationalen Kunden und im deutschen Mittelstand. Dank ihres Wissens im Accounting und Controlling verknüpft sie die finanzielle mit der nachhaltigen Perspektive und stellt so langfristige Erfolge von Unternehmen sicher.