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  • 08.01.2010

    Finanzgericht Hamburg: Beschluss vom 22.04.1999 – II 23/97

    Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.


    -Vorabentscheidungs-Zuständigkeit des EuGH

    Ist der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag (EGV) a.F. [Art. 234 EGV in der ab 1. Mai 1999 geltenden Fassung des Amsterdamer Vertrags vom 2. Oktober 1997 – n.F. –] zur Auslegung der Vierten Richtlinie des Rates über den Jahresabschluß von Gesellschaften in bestimmter Rechtsform vom 25. Juli 1978 (Bilanzrichtlinie – BiRiLi –, 78/660/EWG, ABl 1978 L 222) nicht nur zuständig bei Zweifeln über die richtlinienkonforme Anwendung des nationalen Handelsbilanzrechts für Kapitalgesellschaften (hier §§ 264 ff des deutschen Handelsgesetzbuchs – HGB –), sondern auch zuständig;


    -soweit Inhalte der BiRiLi bei deren Umsetzung (hier durch das deutsche Bilanzrichtlinien-Gesetz – BiRiLiG –) in das für alle Kaufleute geltende nationale Handelsbilanzrecht übernommen wurden (hier §§ 238 ff HGB), auch wenn für diese das in Präambel und Art. 2 der BiRiLi vorangestellte Gebot des „true and fair view” nicht in den Gesetzestext übernommen wurde (anders als bei Kapitalgesellschaften, § 264 Abs. 2, § 289 Abs. 1 HGB);


    -soweit das nationale Steuerrecht (hier § 5 Abs. 1 Satz 1 des deutschen Einkommensteuergesetzes – EStG – i.V.m. § 8 Abs. 1 des deutschen Körperschaftsteuergesetzes – KStG– und § 7 des deutschen Gewerbesteuergesetzes – GewStG –) für die Gewinnermittlung bilanzieren der Kaufleute von der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ausgeht und

    a) soweit diese in den (durch das BiRiLiG) harmonisierten Vorschriften für alle Kaufleute (§§ 238 ff HGB) geregelt sind oder

    b) soweit die speziellen Bilanzierungsvorschriften für Kapitalgesellschaften (§§ 264 ff HGB) einschlägig sind;


    -soweit das nationale Steuerrecht im anderen Zusammenhang auf handelsbilanzrechtliche Begriffe oder Maßstäbe Bezug nimmt?


    -Bilanzierung von Kreditrisiken


    -Ist bei gewährten Auslandskrediten ein Länderrisiko (Devisen-Transferrisiko) wertberichtigend in der Bilanz zu erfassen, und zwar – ebenso wie auf der Aktivseite durch Abschreibungen auf Auslandsforderungen (Art. 19, 39 Abs. 1 Buchst. b–c BiRiLi, § 253 Abs. 3–4 HGB) – auch auf der Passivseite durch Rückstellungen (Art. 20 Abs. 1 BiRiLi, § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) für unter dem Strich ausgewiesene Eventualverbindlichkeiten aus Avalen oder Garantien für fremde Auslandsforderungen (Art. 14 BiRiLi, § 251 HGB; „risk subparticipation agreement”)?


    -Ist es mit der gebotenen Einzelbewertung der Bilanzposten vereinbar (Art. 31 Abs. 1 Buchst. e BiRiLi, § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB). Risiken statt in reinen Einzelwertberichtigungen bzw. -rückstellungen alternativ durch pauschalierte Wertberichtigungen bzw. -rückstellungen zu berücksichtigen, auch wenn im Einzelfall ein Kreditausfall nicht überwiegend wahrscheinlich ist:

    a) Kann das nicht akute, sondern bloß latente Bonitätsrisiko durch eine pauschale Wertberichtigung erfaßt werden und zwar nicht nur in Form einer Abschreibung bei einer Forderung, sondern auch mittels Rückstellung bei einer (Aval- oder Garantie-)Eventualverbindlichkeit?

    b) Kann ein nicht überwiegend wahrscheinliches Länderrisiko durch eine länderbezogen pauschalierte Wertberichtigung berücksichtigt werden (pauschalierte Einzelwertberichtigung), und zwar nicht nur in Gestalt einer Abschreibung bei einer Forderung, sondern auch mittels Rückstellung bei einer (Aval- oder Garantie-)Eventualverbindlichkeit?


    -Ist es zulässig oder geboten, das Länderrisiko aufgrund eigener Beziehungen, Erfahrungen und Informationen oder mittels Branchenerkenntnissen oder nach Rating-Tabellen oder durch Kombination dieser Methoden oder mit einer anderen Schätzung zu ermitteln?


    -Darf ein Risiko auch dann berücksichtigt werden,

    a) wenn es bereits bei Eingehung des zugrundeliegenden Geschäfts bestand und

    b) wenn es vielfach höher ist als der daraus zu erzielende Gewinn oder Erlös (hier unterjähriger Avalzins).


    -Sind Länderrisiko und Bonitätsrisiko gegebenenfalls nebeneinander bei demselben Kredit mittels Wertberichtigung bzw. Rückstellung zu berücksichtigen, sei es in einem Betrag oder in getrennten Beträgen?


    -Ist eine Kombination der Risikovorsorge auch dann zulässig, wenn das eine Risiko einzeln und das andere Risiko pauschal ermittelt wird?


    -Wird eine doppelte Risikovorsorge sachgerecht dadurch vermieden, daß nach Berücksichtigung des einen Risikos nur noch der rechnerisch um dieses verminderte Kreditbetrag der Bemessung des verbleibenden anderen Risikos zugrunde gelegt wird?


    -Wertaufhellung


    -Müssen über den Wortlaut des Art. 31 Abs. 1 Buchst. c bb BiRiLi (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 HGB) hinaus nicht nur Risikoerhöhungen, sondern auch Risikominderungen wertaufhellend berücksichtigt werden?


    -Stellt eine Kredittilgung zwischen Bilanzstichtag und Tag der Bilanzaufstellung eine (rückwirkend) wertaufhellende und nicht nur eine wertbeeinflussende Tatsache dar, die sich allein im Tilgungsjahr auswirkt?


    -Darf bei der Wertaufhellung von Risiken, die für das betreffende Unternehmen von verhältnismäßig geringer Bedeutung sind, statt auf den Zeitraum bis zur Bilanzunterschrift oder bis zur Feststellung des Jahresabschlusses darauf abgestellt werden, an welchem Tag die Bewertung des betreffenden Bilanzpostens abgeschlossen wird?


    Das Verfahren wird ausgesetzt.

    Tatbestand

    I. Sachstand

    Die Beteiligten streiten über eine Rückstellung für die Risikounterbeteiligung eines Kreditinstituts an einem von einer anderen Bank herausgegebenen Auslandsdarlehen.

    Die in Paris ansässige und inzwischen in Liquidation befindliche Klägerin hatte sich als Bank auf das Auslandsgeschäft spezialisiert, insbesondere auf Kredite in Entwicklungsländer.

    Dasselbe galt für die rechtlich unselbständige Niederlasssung der Klägerin in Hamburg, die hier unter der Kurzbezeichnung -bank als Kreditinstitut tätig war und für diesen Betriebsstättenbereich bilanzierte.

    Bei ihr ist die Rückstellung für die Risikounterbeteiligung an einem von der B-Bankherausgegebenen achtstelligen Kredit streitig. Dieser unterlag der Anzeigepflicht und der Risikokontrolle durch die Bankenaufsicht nach dem deutschen Kreditwesengesetz (KWG).

    1. Auslandskredit

    Die New York Branch der B schloß am 5./7. März 1987 mit der in Chile ansässigen C, einer staatlichen -Gesellschaft Chiles, einen ungesicherten Rahmenkreditvertrag über die revolvierende Vorfinanzierung von -Exporten an Abnehmer in der Bundesrepublik Deutschland – „Revolving Export-Pre-Financing Agreement” – (Betriebsprüfungs-Arbeitsakte – Bp-ArbA – Bd. I Bl. 275 ff; Protokoll 1. April 1998 nachmittags S. 3, Finanzgerichts-Akte – FG-A – Bl. 155).

    Der Vertrag wurde mehrmals verlängert; dabei wurde der Kreditrahmen von anfangs 15 Mio US-$ mit Genehmigung des chilenischen Ministro de Hacienda auf 30 Mio US-$ erhöht (Anlagen Zeugen der B XVI-XVII; Bp-ArbA Bd. I Bl. 291 ff). Der Rahmenvertrag wurde durch aneinander anschließende kurzfristige Kredite ausgefüllt und blieb während der ganzen Zeit des Kreditengagements bis 1994 bestehen (Protokoll 1. April 1998 nachmittags S. 6, FG-A Bl. 158).

    Jährlich hatte die C der B eine Liste der deutschen Abnehmer einzureichen, um deren Bonität überprüfbar zu machen (Rahmenvertrag clause 10. Bp-ArbA Bd. I Bl. 278 ff; Protokoll 1. April 1998 nachmittags S. 2, FG-A Bl. 154).

    Für die Exporte beantragte C bei der B jeweils die Vorfinanzierung unter Angabe von Menge, Kaufpreis und Bestimmungshafen. Daraufhin gewährte B der C über deren bei B in New York geführtes US-$-Konto Einzelkredite i.H.v. 100 % des Verkaufspreises mit einer Laufzeit von längstens 180 Tagen. Zu diesem Zeitpunkt standen weder der Verschiffungszeitpunkt fest, noch lagen Akkreditive vor Bei der späteren Verschiffung der Fracht teilte die C der B die in der vorerwähnten Liste genannten Käufer mit. Entsprechend der unwiderruflichen Anweisung der C zahlten ihre Abnehmer den Kaufpreis auf das vorerwähnte Konto. Die Zahlungen mußten dort nicht als Sicherheit für die erst später fällig werdenden Einzelkredite verbleiben Unter Beachtung chilenischer Bestimmungen wurden die Beträge nach Chile weitergeleitet, wo die chilenische Zentralbank der C bei Kreditfälligkeit die erforderlichen Devisen zur Verfügung zu stellen hatte (vgl. insgesamt obigen Rahmenvertrag; Protokoll 1. April 1998 vormittags S. 7, nachmittags S. 2 ff; FG-A Bl. 147. 154 f; Anlagen Klägerin – K – 13b und K 13e. Anlagen Zeuge Wirtschaftsprüfer L 3 4 8). So wurde der Kreditvertrag auch noch nach dem Streitjahr bis zur Beendigung in 1994 durchgeführt (Protokolle 1. April 1998 nachmittags S. 3 ff und 16. April 1998 S. 9, FG-A Bl. 155 ff, 189).

    2. Kreditunterbeteiligung

    B verteilte das Risiko aus ihrem Großkredit teilweise auf andere Kreditinstitute. Sowohl die Klägerin in Paris als auch ihre Niederlassung in Hamburg beteiligten sich jeweils mit „Participation-Agreement” vom 31. März 1987 erstmals an dem Risiko, das die B bei der Kreditgewährung an C eingegangen war. Dabei handelte es sich nicht um eine Beteiligung in Form eigener Valutahingabe, sondern um eine anteilige Ausfallgarantie (Anlage B I).

    Orientiert an Höhe und Laufzeit der von B an C gewährten Exportfinanzierung wurden die Unterbeteiligungen mehrmals verlängert (Anlagen B II–IX ff). Dabei kam es nie zu Zahlungsverzögerungen der C (Anlagen K 13b, 13e, L 3, 8).

    Mit Telex vom 12. Juni 1989 informierte B die Klägerin darüber, daß C unter Berufung auf ihre Ergebnisse 1988 und auf positive wirtschaftliche Entwicklungen in Chile eine Herabsetzung der Zinsmarge gefordert habe. Danach sei bei einem Folgegeschäft das Avalentgelt von 1 % auf 78 % p.a. zu reduzieren (Anlage B VI; vgl. Protokoll vom 1. April 1998 vormittags S. 6. FG-A Bl. 146).

    Die hier für den Bilanzstichtag 1989 interessierende Unterbeteiligung ergibt sich aus einem Angebot der B vom 31. Juli 1989 an die Klägerin und ihre Niederlassung Hamburg, sich bis zu einer Höhe von je 1,5 Mio US-$, insgesamt 3 Mio US-$, an dem bis zu 30 Mio US-$ vorgesehenen Risiko der B aus dem Kredit an C zu beteiligen –”Risk Subparticipation Agreement”– (Anlagen B X und K 2a = K 5; auszugsweise deutsche Übersetzung, Anlage K 2). Der Avalzins betrug 78 % p.a. auf den unter der Unterbeteiligung ausstehenden Kreditbetrag Das Entgelt war nachträglich zahlbar. wenn kein Kreditausfall zu verzeichnen war Bei letzterem hatten die Klägerin und ihre Niederlassung Hamburg der B auf ihre erste Anforderung hin alle ausstehenden Betrage bis zur Höhe der jeweiligen Unterbeteiligung zur Verfügung stellen.

    „Your subparticipation is subject to the same terms and conditions as outlined in the underlying loan agreement, …, provided however you will participate on a Risk Basis only for a fee of 78 % p.a. on the amount of your subparticipation outstanding under the Facility and payable in arrears unless a default occurs in which case you will, upon our first demand, fund your participation. …

    Upon receipt of any payments under the Risk Subparticipation Agreement, we shall promptly remit to you your share thereof for like value as received by us. …

    Upon request from us you shall provide us to the extent of your subparticipation with the full amount of all amounts required from any drawdown under the Loan Agreement. …”

    Es galt das Recht des Staates New York. – Die Klägerin und ihre Niederlassung Hamburg akzeptierten dieses Angebot am 7. August 1989 (Anlage B X).

    Am 9. August 1989 nahm die C einen Kredit in Höhe von 20 Mio US-$, mit einer Laufzeit von 180 Tagen bis zum 5. Februar 1990 in Anspruch. Die B teilte dies der Niederlassung Hamburg der Klägerin per Telex vom 10. August 1989 mit Laut Bestätigung der B vom 15. August 1989 beliefen sich danach die Risikobeteiligungen der Niederlassung Hamburg und der Klägerin auf je 1 Mio US-$ (Anlagen B XI–XIV).

    Am 30. Oktober 1989 benachrichtigte die B die Niederlassung in Hamburg von einer Inanspruchnahme weiterer 10 Mio US-$ durch die C mit einer Laufzeit von 179 Tagen bis zum 27. April 1990 Die Unterbeteiligungen erhöhten sich danach im Streitjahr 1989 um je 500.000 US-$ auf je 1,5 Mio US-$ (Anlage B XV).

    3. Länderrisiko Chile

    In der durch die Fachzeitschrift „Institutional Investor” halbjährlich im März und September veröffentlichten Länderrisiko-Bewertung („Institutional Investor’s Credit Ratings”) belegte Chile im September 1989 den 51. Rang („Rank”). Die Plazierung eines Landes bestimmt sich nach der Anzahl der ihm zugeordneten Wertungspunkte („Rating”). Chile lag mit 33,6 Punkten unter dem Durchschnitt aller Länder von 39 Punkten („Global average rating”: Anlage K 10).

    Am 10. November 1989 wurde in der Presse mitgeteilt, daß die Kupferpreise nach der zweiten vehementen Talfahrt des Jahres zu einer unsicheren Erholung angesetzt hätten. In diesem Zusammenhang wurde weiter über drohende Streiks bei der staatlichen chilenischen Kupfer-Bergbaugesellschaft berichtet und auf die Bedeutung des Kupferexports für den chilenischen Staat hingewiesen (Blick durch die Wirtschaft S. 6, Anlage K 5b).

    Anhaltspunkte für eine bereits krisenhafte Devisenknappheit mit konkret drohenden Devisentransfer-Restriktionen der chilenischen Zentralbank waren nicht ersichtlich.

    Bis zum März 1990 verbesserte sich Chile bei den Institutional Investor’s Credit Ratings im Halbjahresvergleich um 2,4 und im Jahresvergleich um 5,0 auf 36,1 Wertungspunkte und damit auf den 50. Rang (Anlage K 7).

    4. Kredittilgung nach dem Bilanzstichtag 1989

    C zahlte beide Teilbeträge des in 1989 beanspruchten Kredits fristgemäß an B zurück; zunächst die erste Tranche in Höhe von 20 Mio DM am 5. Februar 1990 (Protokoll 1. April 1998 nachmittags S. 2, FG-A Bl. 154).

    Am 8. Februar 1990 überwies die B der New York Agency der Klägerin für die Unterbeteiligungen der Klägerin und ihrer Niederlassung Hamburg von je 1 Mio US-$ Avalentgelte von je ( 78 % ×  180360 × 1 000 000 =) 4 375 US-$ bzw. zusammen 8 750 US-$ (Anlage K 14 vgl. Anlage B XIII).

    Unterlagen darüber ob oder wann die Niederlassung der Klägerin in Hamburg von der Rückzahlung vom 5. Februar 1990 informiert wurde, konnten sowohl bei der Klägerin als auch bei den Zeugen der B nicht ermittelt werden.

    Die Rückzahlung der zweiten Tranche in Höhe von 10 Mio US-$ durch C bei Fälligkeit am 27. April 1990 teilte B der Klägerin mit Telex vom 1. Mai 1990 mit (Schreiben an Betriebsprüfer vom 27. Oktober 1992, Bp-ArbA Bd. I Bl. 233).

    Für die diesbezüglichen Unterbeteiligungen der Klägerin und ihrer Niederlassung Hamburg von je 500.000 US-$ fiel ein Avalentgelt in Höhe von ( 78 % ×  179360 × 500.000 =) 2.175,35 US-$ bzw. zusammen 4.350 US-$ an (Anlage B XV).

    5. Zeitraum der Bilanzaufstellung

    Die Bilanz 1989 der Niederlassung Hamburg der Klägerin und die Prüfung der einzelnen Bilanzpositionen wurden schon vor dem Stichtag 31. Dezember vorbereitet. Die hier interessierende Unterbeteiligung am Kredit der B für C wurde nach dem Stand vom 30. September 1989 am 7. November 1989 durch den Leiter der Kreditabteilung der Niederlassung in die Vorprüfung gegeben und von der Wirtschaftsprüferseite am 20. November 1989 vorgeprüft, und zwar einschließlich der gemäß § 18 KWG vorgeschriebenen Kreditunterlagen und der Bilanzzahlen von C (Anlagen K 13–13f, L 1–10; vgl. FG-A Bl. 196).

    Der Jahresabschluß der Niederlassung Hamburg der Klägerin auf den 31. Dezember 1989 war gemäß § 26 KWG in den ersten drei Monaten des folgenden Geschäftsjahrs aufzustellen. Parallel lief bereits die Abschlußprüfung, die mit den einzelnen Positionen begann und dabei die Ergebnisse der Vorprüfung einbezog.

    Am 5. Januar 1990 wurde die – in DM umgerechnete – Höhe der Unterbeteiligung zum Bilanzstichtag vom Leiter der Kreditabteilung in die Abschlußprüfung gegeben (Anlagen K 13–13a, L 1–2). Am 12. Januar 1990 wurde die Kreditprüfung der Unterbeteiligung einschließlich des Länderrisikos durch die Wirtschaftsprüferseite abgezeichnet (Anlagen K 13a–13b, L 2–3; Protokoll 1. April 1998 vormittags S. 5, FG-A Bl. 145). Am selben Tag wurden die Summen der gesamten Wertberichtigungen und Rückstellungs-Zuführungen der Niederlassung durch den Geschäftsleiter der Niederlassung und den Leiter des Rechnungswesens unterschrieben (Bp-ArbA Bd. I Bl. 136). [Übersetzungshinweis: Soweit der Senat im vorliegenden Beschluß das deutsche Wort „Wertberichtigung” verwendet, ist dieses als Oberbegriff für Wertberichtigungen (im weiteren Sinne) einschließlich unmittelbarer Abschreibungen zu verstehen. Dagegen kommt es hier nicht auf den anderen Begriff der Wertberichtigung im engeren Sinne an, bei dem es nur um die Form der indirekten Darstellung der Wertminderung eines Aktivpostens geht, nämlich mittels eines besonderen Gegenpostens „Wertberichtigung” auf der Passivseite. Die Darstellungsform (direkt oder indirekt) wirkt sich bei der hier interessierenden Gewinnermittlung im Ergebnis nicht aus.]

    Am 23. März 1990 wurde der Jahresabschluß fristgemäß aufgestellt und unterschrieben (Wirtschaftsprüferbericht-Anlagen I–III; Protokoll vom 1. April 1998 nachmittags S. 2, FG-A Bl. 154). Das Wirtschaftsprüfer-Testat wurde am 30. April 1990 erteilt (Wirtschaftsprüferbericht-Anlage IV).

    Die Bedeutung der Unterbeteiligung – insgesamt rd. 2,55 Mio DM – entsprach gegenüber Bilanzsumme der Niederlassung rd. 6 % und gegenüber ihrem gesamten Kreditrisiko einschließlich der unter dem Strich vermerkten Eventualverbindlichkeiten rd. 3,5 % (vgl. Wirtschaftsprüferbericht Anlage II und S. 47, FG-A Bl. 195 f).

    6. Praktizierte Länderrisiko-Bewertungsmethode

    Ursprünglich hatte die Niederlassung Hamburg der Klägerin für die Länderrisiken aus ihren Krediten in eine Vielzahl von Ländern (insbesondere Entwicklungsländern, Übersicht Wirtschaftsprüferbericht S. 37) eine – länderübergreifend – pauschale Risikovorsorge gebildet. Diese hielt der Prüfungsverband deutscher Banken in seinem Bericht über eine Einlagensicherungsprüfung nach dem Stand vom 28. Februar 1987 gegenüber dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAK) für zu knapp bemessen. Das BAK schloß sich dieser Beurteilung an und verlangte mit Schreiben vom 22. September 1987, das abschriftlich an den Abschlußprüfer und die zuständige Landeszentralbank ging, ab dem Abschluß 1987 eine Risikobewertung für jedes Land einzeln anhand dessen politischer und wirtschaftlicher Situation (Anlage K 8).

    Demgemäß hat die Niederlassung zu den Bilanzstichtagen ab 1987 im Rahmen einer isolierten Betrachtung der Länder mit latent erhöhtem Länderrisiko Vorsorge getroffen und sich dabei eines von ihren Wirtschaftsprüfern für die Zwecke des Kreditinstituts entwickelten Punktesystems bedient. Die Kriterien für die Risiko- und Bonuspunkte sind in sechs Rubriken gegliedert und wurden für 1989 wie folgt bewertet (Anlage K 9; Wirtschaftsprüferbericht S. 42 ff i.V.m. Anlage VI–VII);

    1.UmschuldungPunkte
     a)von Fälligkeiten der letzten fünf Jahre10
     b)von Fälligkeiten älter als fünf Jahre5
     c)mehrfach5
     d)laufende Umschuldungsverhandlungen für Forderungen der letzten fünf Jahre10
     e)laufende Umschuldungsverhandlungen für Forderungen älter als fünf Jahre20
    2.Zahlungsrückstände bei dem Kreditinstitut
     a)Tilgungen bis drei Monate10
     b)Zinsen bis drei Monate10
     c)Tilgungen über drei Monate20
     d)Zinsen über drei Monate20
    3.Index aus Institutional Investor’s Country Credit Ratings (Stand September 1989)
     a)Durchschnittsindex plus 10 Punkte (über 49,0)0
     b)Durchschnittsindex minus 10 Punkte (zwischen 49,0 und 29,0)5
     c)Durchschnittsindex minus 20 Punkte (zwischen 29,0 und 19,0)10
     d)Darunter (zwischen 19,0 und 0)20
     e)Unbekannt (abhängig davon, ob bereits Nr. 1 oder Nr. 2 zutrifft)0 oder 20
    4.Mitgliedsland des Währungsblocks der Communauté Financiére Africaine (CFA)– 10
    5.Bank-Firmengruppe im Land vertreten5
    6.Kenntnisse über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes
     a)nicht vorhanden bzw. negativ5
     b)vorhanden, aber uneinheitlich0
     c)vorhanden, positive Entwicklung– 5


    Die auf diese Weise ermittelte Punktesumme wurde auf die nächsten vollen 10 aufgerundet und als Wertberichtigungssatz in % für die Kredite aus den betreffenden Ländern zugrunde gelegt, danach wurde der Wertberichtigungsbedarf – bzw. Rückstellungsbedarf für Eventualverbindlichkeiten – pro Land und pro Kredit einzeln ermittelt. Dabei wurde ein Bonus von 10 Prozentpunkten angesetzt bei Krediten für laufende handelsübliche Exportgeschäfte bis zu 360 Tagen. – Bei vier Krediten an verschiedene Länder wurde bei der Einzelbeurteilung ein höheres Risiko angesetzt, darunter die Unterbeteiligung an dem Kredit der B gegenüber der staatlichen C in Chile (s. unten; Wirtschaftsprüferbericht S. 45.91 ff).

    7. Kombination der Länderrisiko- und der Bonitätsrisikobewertung

    Aus der Bewertung des Länderrisikos und des Bonitätsrisikos ergab sich die Gesamtbeurteilung der Kredite.

    Einerseits wurden anhand der Länderrisiko-Wertberichtigungssätze die Wertberichtigungs- bzw. Rückstellungsbeträge für die einzelnen Kredite aus den jeweiligen Ländern berechnet (Liste Wirtschaftsprüferbericht S. 72 f, Anlage VI–VII).

    Andererseits wurden auch Bonitäts-Einzelrisiken für bestimmte – überwiegend inländische – Kredite bewertet. – Die Liste dieser Einzelrisiko-Kredite überschneidet sich nicht mit der Liste der Länderrisiko-Kredite (Wirtschaftsprüferbericht S. 73, Anlage VII).

    Auch die einzelwertberichtigten Kredite wurden bei der pauschalen Wertberichtigung für das latente Risiko im Kreditgeschäft erfaßt, und zwar gemäß der damals bereits im Entwurf vorliegenden Stellungnahme 1/1990 des Bankenfachausschusses (BFA) des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IdW) vom 8. Juni 1990 (BFA 1/1990 Tz. 3 Buchst. d Fußnote, IdW-Fachnachrichten – IdW-FN – 1990, 169. Die Wirtschaftsprüfung – WPg – 1990, 321).

    Danach errechnete sich das latente Kreditrisiko aus der durchschnittlichen Ausfallquote des Kreditinstituts in der Vergangenheit auf 0,83 % bezogen auf 1 Jahr Laufzeit. Die durchschnittliche Ausfallquote wurde je nach mittlerer Restlaufzeit der zu bewertenden Kreditarten in pauschale Wertberichtigungs- bzw. Rückstellungssätze umgerechnet. Daraus ergab sich bei Avalen mit durchschnittlich 6 Monaten Restlaufzeit eine pauschale Rückstellung von 0,42 %.

    Bei den bereits um einzelne Länderrisiken und Einzel-Bonitätsrisiken wertberichtigten Krediten wurde die pauschale Bonitäts-Wertberichtigung jedoch nicht mehr auf die vollen, sondern nur auf die um die Einzelwertberichtigungen reduzierten Beträge bezogen, entsprechend wurde auch bei den Rückstellungen für Eventualverbindlichkeiten verfahren. (Die vor Bemessung der Pauschalwertberichtigungen abgezogenen Einzelwertberichtigungen einschließlich der Einzelrückstellungen im Kreditgeschäft belaufen sich auf 4 822 TDM, darunter Bonitätsrisiken 630 TDM und Länderrisiken 4 192 TDM. Von letzteren entfielen 1 054 TDM auf Rückstellungen und die übrigen Beträge auf aktivisch abgesetzte Abschreibungen von Forderungen an Kreditinstitute oder Kunden. Der Betrag von 1 054 TDM entspricht den Einzelwertberichtigungen für Avale und Akkreditive und wurde bei letzteren aus der Bemessung der pauschalen Bonitätsvorsorge von 0,42 % ausgenommen. Siehe insgesamt Wirtschaftsprüferbericht S. 46 f, 73 f, Anlagen VI–VII; Protokoll 1. April 1998 vormittags S. 5 f, FG-A Bl. 145f).

    8. Bilanzierung der Unterbeteiligung

    Die Niederlassung Hamburg der Klägerin wies in der Bilanz 1989 die Risikounterbeteiligungs-Garantie gegenüber B für deren Kredite an C als solche unter dem Bilanzstrich auf der Passivseite als Aval- bzw. Eventualverbindlichkeit – i.S.v. Art. 14 Satz 1 BiRiLi, § 251 HGB, – aus (Wirtschaftsprüferbericht S. 91 f, Anlage II, Anlage VII).

    Zugleich passivierte die Niederlassung für das im Zusammenhang mit der Risikounterbeteiligung stehende Länderrisiko Chile – die hier streitige – Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften – i.S.v. Art. 20 Abs. 1 BiRiLi, § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB.

    Dabei ging die Klägerin von dem vorbeschriebenen Punktesystem aus:

       Punkte
    1.Umschuldungskriteriena10
      b5
      c5
    3.Index nach Länder-Ratingb5
    6.Wirtschaftliche Entwicklunga  5
       30


    Die errechneten 30 Punkte verminderten sich um den Bonus von 10 Punkten für laufende kurzfristige handelsübliche Exportkredite auf 20 Punkte (Wirtschaftsprüferbericht S. 44 f).

    Darüber hinaus kam die Niederlassung der Klägerin im Wege der Einzelbeurteilung trotz der in 1988 von der chilenischen Staatsfirma C erzielten guten Ergebnisse zu einer Erhöhung des Länderrisikos um 5 auf 25 Punkte. Dabei wurden insbesondere die 1989 gesunkenen Kupferpreise und das in der Presse angeführte Streikrisiko in den staatlichen chilenischen Kupferhütten (vgl. oben) berücksichtigt. Diese Einschätzung deckte sich mit der im Prüfungsbericht begründeten Beurteilung der Abschlußprüfer (Anlagen K 5b, 13b, L 3; Wirtschaftsprüferbericht S. 91 f; vgl. FG-A Bl. 75).

    Für die Risikounterbeteiligung von umgerechnet rd. 2,55 Mio DM wurden somit

    25 % bzw. (gerundet) 638.000 DM

    den Rückstellungen zugeführt (Wirtschaftsprüferbericht S. 45, 73, 91 f, Anlagen VI–VII).

    Da ansonsten keine Zweifel an der Bonität der C bestanden, erübrigte sich die Berücksichtigung eines speziellen Bonitätsrisikos neben dem den Staatsbetrieb und seine Devisenverbindlichkeiten erfassenden Länderrisiko und dem pauschal berücksichtigten allgemeinen Kreditrisiko (vgl. Protokoll 16. April 1998 S. 11, FG-A Bl. 191).

    9. Liquidation

    Die Klägerin befindet sich seit dem 14. Juni 1990 in Liquidation. Die Niederlassung Hamburg fiel 1990 in die Verlustzone. Am 30. November 1991 wurden alle Aktiva und Passiva der Niederlassung auf eine von der M bestimmte Gesellschaft übertragen. Diese hatte am 10. Oktober 1991 eine Banklizenz erhalten und führte seit dem 3. Dezember 1991 unter der Firma MB die Geschäfte fort (Bilanz- u. Berichtsakten – Bil-A – Bl. 18). Seit dem 14. Dezember 1994 befindet sich die MB ebenfalls in Liquidation (Gewerbesteuer-Akte – GewSt-A – Bl. 133).

    II. Verwaltungsverfahren

    Der Streit über die Rückstellung hat nur Bedeutung für die Gewerbesteuer, weil bei dieser gemäß § 10a des deutschen Gewerbesteuergesetzes (GewStG) im Unterschied zu § 8 Abs. 1 und 4 des deutschen Körperschaftsteuergesetzes (KStG) i.V.m. § 10d des deutschen Einkommensteuergesetzes (EStG) kein Rücktrag des Verlusts möglich ist, der steuerlich für 1990 anerkannt wurde (vgl. Betriebsprüfungs-Akte – Bp-A – Bl. 13).

    Im ursprünglichen Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheid 1989 vom 14. März 1991 wurde die gebildete Rückstellung unter Nachprüfungsvorbehalt erklärungsgemäß berücksichtigt (GewSt-A Bl. 53 ff, 57 ff).

    Nach einer betreffend die Klägerin für 1989-1992 bei der MB bis 1993 durchgeführten Außenprüfung (Bp-A Bl. 5R) wurde die Rückstellung nicht mehr anerkannt (Bp-A Bl. 5R, 6 f). Eine Passivierung des bilanzunwirksamen Geschäfts komme wie bei einer Bürgschaft nur in Betracht, wenn sich eine Inanspruchnahme wegen zu erwartender Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners ernsthaft abzeichne (Bp-A Bl. 25 f). Die Pauschalrückstellungen für das allgemeine Bonitätsrisiko bei den Eventualverbindlichkeiten und die übrigen Rückstellungen von für Eventualverbindlichkeiten wegen Länderrisiken nach dem Punktesystem wurden dagegen anerkannt (vgl. Wirtschaftsprüferbericht Anlage VII Positionen 19, 23, 40; Bp-ArbA Bd. I Bl. 109 ff).

    Nach dem Ergebnis der Außenprüfung setzte der ursprüngliche Beklagte, das seinerzeit zuständig gewesene Finanzamt (FA) für Körperschaften Hamburg-West (FA Kö-West), mit Bescheid vom 10. November 1993 den Gewerbesteuermeßbetrag und die Gewerbesteuer herauf (GewSt-A Bl. 85 ff).

    Hiergegen wandte sich die Klägerin mit ihrem Einspruch vom 19. (eingegangen 22.) November 1993 (GewSt-A Bl. 106 ff). Diesen wies das FA Kö-West nach weiterem Schriftwechsel mit Einspruchsentscheidung vom 18. Dezember 1996 als unbegründet zurück (GewSt-A Bl. 107 ff, 128 ff, 133 ff, 138 ff, Anlage K 1, FG-A Bl. 34 ff).

    III. Streitstand

    Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer am 15. Januar 1997 beim Finanzgericht (FG) erhobenen Klage im wesentlichen folgendes vor (FG-A Bl. 7 ff, 48 ff, 69 f, 74 f, 77 f, 88, 98, 136 f, 185, 187 f, 191, 194 ff, 214 f):

    Die Risikounterbeteiligung habe von Anfang an dem latenten Länderrisiko Chile unterlegen. Es habe die Gefahr bestanden, daß ihre (der Klägerin) Niederlassung in Anspruch genommen werde, weil die staatliche C – unabhängig von ihrer eigenen Bonität – aufgrund der besonderen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse in Chile eine Bedienung der Devisenkredite nicht habe gewährleisten können. Dieses Länderrisiko müsse in Form einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften berücksichtigt werden.

    Die unterdurchschnittliche Plazierung von Chile im Länder-Rating bedeute zwar nicht, daß ein Forderungsausfall aufgrund des Länderrisikos überwiegend wahrscheinlich sei. Darauf oder auf eine Verschlechterung des Risikos seit dem Vertragsschluß komme es jedoch für die Bildung einer das Länderrisiko betreffende Rückstellung nicht an.

    Da das hier interessierende Risiko mit ca 3,5 % im Verhältnis zum Gesamtrisiko unbedeutend sei, könne für die Wertaufhellung durch die Darlehenstilgung auf den Tag abgestellt werden, an dem die Bewertung des betreffenden Bilanzpostens abgeschlossen worden sei (hier 12. Januar 1990).

    Die Klägerin beantragt (FG-A Bl. 263),

    den Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheid 1989 vom 10. November 1993 dahin zu ändern, daß die Rückstellung von 638.000 DM wegen Länderrisiko Chile – abzüglich 7.429 DM Avalentgelt – berücksichtigt und der Gewerbesteuermeßbetrag und die Gewerbesteuer – unter Anpassung der Gewerbesteuerrückstellung – entsprechend herabgesetzt werden.

    Das während des Klageverfahrens für die Klägerin zuständig gewordene Finanzamt für Großunternehmen als jetziger Beklagter beantragt (FG-A Bl. 263),

    die Klage abzuweisen.

    Es hält an der Einspruchsentscheidung fest und trägt vor (FG-A Bl. 31 ff, 65 f, 71, 93, 128 ff, 159 ff, 183, 186 ff, 190, 227 ff, 244 f):

    Für die Anwendung des nationalen Ertragsteuerrechts komme es nicht auf die Auslegung der BiRiLi durch den EuGH an.

    Für die Rückstellung sei nicht das Handelsrecht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. HGB maßgeblich, sondern die für Verbindlichkeiten geltende Bewertungsvorschrift des § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG (i.d.F. des Streitjahres).

    Das Risiko einer Inanspruchnahme aus einer aufschiebend bedingten Avalverbindlichkeit – wie sie hier vorliege – könne alternativ entweder im Wege einer Einzelrückstellung oder durch eine pauschale Rückstellung berücksichtigt werden Anders als eine Pauschalrückstellung erfordere eine Einzelruckstellung daß mit einer Inanspruchnahme zum Bilanzstichtag ernsthaft zu rechnen sei.

    Zwar könnten Länderrisiken bilanziell berücksichtigt werden, jedoch nicht pauschal, sondern nur im Wege der Einzelwertberichtigung bzw. Einzelrückstellung. Somit scheide die Berücksichtigung eines Länderrisikos aus, wenn es nicht überwiegend wahrscheinlich und nicht durch konkrete Feststellungen über die Situation in dem betreffenden Land belegt sei. Bei überwiegender Wahrscheinlichkeit einer Inanspruchnahme sei dagegen der diesbezügliche Betrag insgesamt zurückzustellen.

    Neben einer Länderwertberichtigung sei eine pauschale Bonitätswertberichtigung unzulässig. Der Kaufmann müsse sich entweder für eine Einzelwürdigung des Länderrisikos oder für die pauschale Bonitätswertberichtigung entscheiden. Der für das latente Bonitätsrisiko pauschal angesetzte Betrag könne auch nicht in die Einzelwertberichtigung einbezogen werden.

    Die Befristung der ersten Kredittranche bis zum 5. Februar 1990 gelte auch für die Garantie und sei mangels vorheriger Inanspruchnahme wertaufhellend zu berücksichtigen.

    IV. Bisheriges gerichtliches verfahren

    Der Berichterstatter hat am 26. August 1997, 5. März 1998, 1. April 1998 sowie 16. April 1998 die Sache mit den Beteiligten erörtert (FG-A Bl. 55 ff, 99 ff, 141 ff, 153 ff und 181 ff) und Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung des Wirtschaftsprüfers (FG-A Bl. 144–147) sowie – im Einverständnis der Beteiligten – durch telefonische Vernehmung der Mitarbeiter der B in New York (FG-A Bl. 156–158). Ferner wurden schriftliche Zeugenerklärung von B (FG-A Bl. 125) und vom Prüfungsverband Deutscher Banken eingeholt (FG-A Bl. 138 f). In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ist der Vorstandsvorsitzende des Bankhauses Hamburg informatorisch gehört worden, der im Auslandskreditgeschäft sachverständig ist (FG-A Bl. 263f).

    Das Gericht nimmt Bezug auf die Sitzungsniederschriften sowie die oben angesprochenen Vorgänge nebst den damit zusammenhängenden Unterlagen aus der Gerichtsakte (FG-A), sowie aus folgenden Steuerakten:

    Betriebsprüfungsakte (Bp-A),

    Betriebsprüfungs-Arbeitsakten (Bp-ArbA) Bd. I und II,

    Wirtschaftsprüferbericht 1989,

    Bilanzakten (Bil-A),

    Gewerbesteuerakten (GewSt-A).

    Entscheidungsgründe

    Die dem EuGH vom FG gemäß Art. 177 a.F. [Art. 234 n.F.] EGV vorgelegten Fragen betreffen drei Streitkomplexe, nämlich erstens die Vorabentscheidungs-Zuständigkeit des EuGH (I.), zweitens die Bilanzierung von Kreditrisiken (II.) und drittens die Wertaufhellung (III.).

    I. Vorabentscheidungs-Zuständigkeit des EuGH

    Gemäß Art. 177 a.F. [Art. 234 n.F.] EGV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung von Handlungen der Organe der Gemeinschaft (Abs. 1 Buchst. b der Vorschrift). Zu den Handlungen der Organe gehört das von ihnen gesetzte Gemeinschaftsrecht einschließlich der EG-Richtlinien gemäß Art. 189 a.F. [Art. 249 n.F.] EGV (vgl. Petzold, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht – NVwZ – 1999, 151).

    Stellt sich eine derartige Auslegungsfrage einem Gericht eines Mitgliedstaates und hält es eine Entscheidung darüber zum Erlaß seines Urteils für erforderlich, so „kann” es nach Abs. 2 des Art. 177a F [Art. 234 n.F.] EGV diese Frage dem EuGH vorlegen.

    Für die Vorlage durch das erstinstanzlich mit der Klage befaßte Gericht – das FG – kommt es nicht auf die Frage an, ob und inwieweit das letztinstanzliche Gericht gemäß Abs. 3 der Vorschrift zur Vorlage an den EuGH „verpflichtet” ist (vgl. den Vorlagebeschluß des I. Senats des Bundesfinanzhofs – BFH – an den Großen Senat des BFH vom 9. September 1998 I R 6/96, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFHE – 187, 215, Bundessteuerblatt – BStBl – II 1999, 129, GrS 1/99, Kommentierte Finanzrechtsprechung, – KFR – F. 3 EStG § 5, 2/99, S. 107, GrS 1/99).

    Das Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des deutschen Grundgesetzes (GG) wird durch die Vorlage seitens des erstinstanzlichen Gerichts nicht berührt, anders als bei einer unterlassenen Vorlage durch das letztinstanzliche Gericht (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts – BVerfG – vom 4. November 1987 2 BvR 876/85, Neue Juristische Wochenschrift – NJW – 1988, 2173; Bespr. Clausnitzer, KFR F. 2 GG Art. 101, 1/88, S. 7).

    Soweit der EuGH auf die Vorlage des erstinstanzlichen Gerichts seine Zuständigkeit bejaht und über eine Vorlagefrage entscheidet, ist das nationale Revisionsgericht daran gebunden (vgl. BVerfG-Beschluß vom 8. April 1987 2 BvR 687/85, Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts – BVerfGE – 75, 223, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung – HFR – 1988, 77; Kempermann, Finanz-Rundschau – FR – 1999, 135). Im Konflikt zwischen nationalem und Gemeinschaftsrecht gilt die Entscheidung des EuGH, solange es sich nicht aus Sicht des BVerfG um einen vertragswidrigen „ausbrechenden Rechtsakt” handelt (vgl. BVerfG-Urteil u. -Beschluß vom 12. Oktober 1993 2 BvR 2134/92 u. 2 BvR 2159/92, NJW 1993, 3047. Europaische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht – EuZW – 1993, 667, 673. Reiche, EuZW 1995, 569 m.w.N.).

    1. EuGH-Zuständigkeit zur Auslegung der BiRiLi zwecks richtlinienkonformer Anwendung der für alle Kaufleute geltenden §§ 238 ff HGB

    Im Rahmen des Art. 177 a.F. [Art. 234 n.F.] EGV ist der EuGH zuständig für die Auslegung der BiRiLi zwecks richtlinienkonformer Anwendung des nationalen Handelsbilanzrechts für Kapitalgesellschaften. Dazu gehören die speziell für Kapitalgesellschaften geltenden §§ 264 ff HGB.

    Fraglich ist, ob oder inwieweit der EuGH ebenso zuständig ist bei Anwendung der nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern gleichermaßen für andere Kaufleute geltenden Rechnungslegungsvorschriften der §§ 238 ff HGB.

    a) Dabei ist zu berücksichtigen, daß der deutsche Gesetzgeber die BiRiLi durch das BiRiLiG im Dritten Buch des HGB in der Weise umgesetzt hat, daß einige Inhalte in die für alle Kaufleute geltenden §§ 238 ff HGB und andere Inhalte in die speziell für Kapitalgesellschaften geltenden §§ 264 ff HGB übernommen wurden:

    Handelsgesetzbuch (HGB)/Drittes Buch. Handelsbücher

    „Erster Abschnitt. Vorschriften für alle Kaufleute (§§ 238–263)

    Erster Unterabschnitt. Buchführung Inventar (§§ 238–241)

    Zweiter Unterabschnitt. Eröffnungsbilanz. Jahresabschluß (§§ 242–256)

    Erster Titel. Allgemeine Vorschriften (§§ 242–245)

    Zweiter Titel. Ansatzvorschriften (§§ 246–251)

    Dritter Titel. Bewertungsvorschriften (§§ 252–256) …

    Zweiter Abschnitt. Ergänzende Vorschriften für Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften …) (§§ 264–335)

    Erster Unterabschnitt. Jahresabschluß der Kapitalgesellschaft und Lagebericht (§§ 264–289)

    Erster Titel. Allgemeine Vorschriften (§§ 264, 265)

    Zweiter Titel. Bilanz (§§ 266–274 [274a])

    Dritter Titel. Gewinn- und Verlustrechnung (§§ 275–278)

    Vierter Titel. Bewertungsvorschriften (§§ 279–283)

    Fünfter Titel. Anhang (§§ 284–288)

    Sechster Titel. Lagebericht (§ 289)

    Die Richtlinie des Rates vom 8. November 1990 zur Erweiterung des Anwendungsbereichs der BiRiLi und der Konzernbilanz-Richtlinie auf Personengesellschaften ohne unbeschränkt haftende natürliche Personen (90/605/EWG, ABl 1990 L 317, 60) ist derzeit in Deutschland noch nicht umgesetzt worden (vgl. inzwischen EuGH-Urteil vom 22. April 1999 Rs. C-272/97 – Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland. Der Betrieb – DB – 1999, 950 f; zum Gesetzgebungsvorhaben DB 1999, 761). Personengesellschaften, deren persönlich haftende Gesellschafter ausschließlich Personengesellschaften sind, bilanzieren bisher nur nach den für alle Kaufleute geltenden Vorschriften der §§ 238 ff HGB.

    b) Spezielle Vorschriften für Unternehmen bestimmter Geschäftszweige wurden erst nach dem Streitjahr 1989 in §§ 340 ff HGB eingefügt, und zwar bei Umsetzung der Richtlinie des Rates über den Jahresabschluß und den konsolidierten Abschluß von Banken und anderen Finanzinstituten vom 8. Dezember 1986 (Bankbilanzrichtlinie – BankBiRiLi –, 86/635/EWG, ABl 1986 Nr. L 372) durch das deutsche Bankbilanzrichtlinie-Gesetz vom 30. November 1990 (BankBiRiLiG) Diese Vorschriften beeinflussen das Ergebnis des Rechtsstreits nicht.

    c) Das in Präambel und Art. 2 der BiRiLi vorangestellte Gebot des „true and fair view” wurde den §§ 238 ff HGB nicht wortgleich vorangestellt; insoweit gelten grundlegend §§ 239 f HGB für die Buchführungs- und §§ 242 f HGB für die Bilanzierungspflicht:

    § 238 Abs. 1 HGB lautet auszugsweise:

    „Jeder Kaufmann ist verpflichtet, Bucher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung ersichtlich zu machen. Die Buchführung muß so beschaffen sein, daß sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Lage des Unternehmens vermitteln kann. …”

    § 239 Abs. 2 HGB lautet:

    „Die Eintragungen in Büchern und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen müssen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden.”

    § 242 Abs. 1 HGB lautet auszugsweise:

    „Der Kaufmann hat zu Beginn seines Handelsgewerbes und für den Schluß eines jeden Geschäftsjahrs einen das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluß (Eröffnungsbilanz, Bilanz) aufzustellen. …”

    § 243 Abs. 1 und 2 HGB lauten:

    „(1) Der Jahresabschluß ist nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung aufzustellen.

    (2) Er muß klar und übersichtlich sein.”

    Auch ohne die wortgleiche Übernahme des Gebots des „true and fair view” sind die Vorschriften für alle Kaufleute dahin zu verstehen, daß die Bilanz nach § 242 Abs. 1 Satz 1 HGB ein zutreffendes Bild der Vermögensverhältnisse und der Schulden gibt (BFH-Urteil vom 22. November 1988 VIII R 62/85, BFHE 155, BStBl II 1989, 359, 362 zu II 2d).

    d) Die speziellen Vorschriften für den Jahresabschluß der Kapitalgesellschaften beginnen mit § 264 HGB und übernehmen das Gebot des „true and fair view” übersetzt in § 264 Abs. 2, § 289 Abs. 1 HGB:

    § 264 Abs. 1 und 2 HGB lauten auszugsweise:

    „(1) Die gesetzlichen Vertreter einer Kapitalgesellschaft haben den Jahresabschluß (§ 242) um einen Anhang zu erweitern, der mit der Gewinn- und Verlustrechnung eine Einheit bildet sowie einen Lagebericht aufzustellen.

    (2) Der Jahresabschluß der Kapitalgesellschaft hat unter Beachtung der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Kapitalgesellschaft zu vermitteln Führen besondere Umstände dazu, daß der Jahresabschluß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Satzes 1 nicht vermittelt, so sind im Anhang zusätzliche Angaben zu machen.”

    § 289 Abs. 1 HGB lautet auszugsweise:

    „Im Lagebericht sind zumindest der Geschäftsverlauf und die Lage der Kapitalgesellschaft so darzustellen, daß ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild vermittelt wird; dabei ist auch auf die Risiken der künftigen Entwicklung einzugehen.”

    e) Zwar wird z.T. die Auffassung vertreten, daß der deutsche Gesetzgeber die Übernahme der ausschließlich für Kapitalgesellschaften geltenden Vorschriften der BiRiLi im Ersten Abschnitt (§§ 238–263) des Dritten Buches des HGB systematisch abgelehnt habe und daß die eigentliche Transformation des Gemeinschaftsrechts im Rahmen des Zweiten Abschnitts (§§ 264 ff.) des Dritten Buches des HGB stattfinden sollte. Gleichwohl wird auch bei dieser gesetzeshistorischen Betrachtung nicht verkannt, daß Regelungsgehalte der BiRiLi, die schon seinerzeit nach allgemeiner Auffassung für alle Kaufleute galten, in den Ersten Abschnitt (§§ 238–263) des Dritten Buchs des HGB übernommen wurden (Darstellung und Nachweise im Vorlagebeschluß des I. Senats des BFH an den Großen Senat vom 9. September 1998 I R 6/96, BFHE 187, 215, BStBl II 1999, 129, GrS 1/99; vgl. inzwischen EuGH-Urteil vom 22. April 1999 Rs. C-272/97 – Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland, DB 1999, 950 f, zu 28–29).

    f) Dementsprechend hat der EuGH bei einer Kapitalgesellschaft seine Zuständigkeit für die Auslegung der BiRiLi im Rahmen der richtlinienkonformen Anwendung einer Vorschrift aus dem Bereich der §§ 238–263 HGB bejaht – nämlich in der nach Art. 31 Abs. 1 Buchst. c aa BiRiLi bzw. § 252 Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbsatz HGB zu beurteilenden Frage der Realisation von Beteiligungserträgen – (EuGH-Urteil vom 27. Juni 1996 Rs. C-234/94 – „Tomberger”, EuGHE 1996 I, 3133, ABl 1996 C 336, 3, u. 1997 C 318, 3-4; Bespr. Groh, Deutsches Steuerrecht – DStR – 1998, 813; Herzig, DB 1996, 1401; Woring, KFR F. 3 EStG § 5, 1/96, S. 233).

    g) Dessen ungeachtet stellt sich die Frage – wie im abgestuften Zusammenhang mit der nachfolgenden Frage deutlich wird – auch für die anderen Kaufleute, die im Umfang der §§ 238 ff HGB mit den Kapitalgesellschaften gleichbehandelt werden.

    h) Für die Bejahung spricht die bisherige Rechtsprechung des EuGH. Danach ist der EuGH im Vorabentscheidungsverfahren für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts zuständig, wenn dieses den fraglichen Sachverhalt nicht unmittelbar regelt, aber der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht rein innerstaatliche Sachverhalte und unter die Richtlinie fallende Sachverhalte gleichbehandelt und seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften deshalb an das Gemeinschaftsrecht angepaßt hat. Bei der Vorlage an den EuGH hat das nationale Gericht die genaue Tragweite der Verweisung des innerstaatlichen Rechts auf das Gemeinschaftsrecht zu bestimmen (EuGH-Urteile vom 17. Juli 1997 Rs. C-28/95 – „Leur-Bloem”, EuGHE 1997 I, 4161, ABl 1997 C 271, 2, HFR 1997, 865, DB 1997, 1851; FR 1997, 685. Internationales Steuerrecht – IStR – 1997, 539; vom selben Tag Rs. C-130/95 „Giloy”, EuGHE 1997 I, 4291, ABl 1997 C 271, 3, HFR 1997, 788; Anm. Dautzenberg, FR 1997, 690; de Weerth, IStR 1997, 543; wfr. DB 1997, 1855).

    i) Auch wenn die für alle Kaufleute geltenden §§ 238 ff HGB nicht wortidentisch unter dem Primat des „true and fair view” stehen und mit den Vorschriften der BiRiLi nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich sind, so werden dennoch Kapitalgesellschaften und andere Kaufleute bei den Übernahmen von Inhalten der BiRiLi in §§ 238 ff HGB gleichbehandelt.

    Das gilt auch für die unten in den Fragenkomplexen zu II-III behandelten Regelungen über Eventualverbindlichkeiten gemäß § 251 HGB/Art. 14 BiRiLi, über Rückstellungen gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB/Art. 20 Abs. 1 BiRiLi und gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB/Art. 42 Satz 1 BiRiLi (im Zusammenhang mit Wertberichtigungen gemäß § 253 Abs. 3–4 HGB/Art. 19, 39 Abs. 1 Buchst. b–c BiRiLi), über die Einzel- und Pauschalbewertung gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 HGB/Art. 31 Abs. 1 Buchst. e und Abs. 2 BiRiLi sowie über das Vorsichts- und Wertaufhellungsgebot gemäß § 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 HGB/Art. 31 Abs. 1 Buchst. c bb BiRiLi.

    j) Davon abgesehen wird das Prinzip von „true and fair view” nach Art. 2 BiRiLi in erster Linie durch eine den Grundsätzen der Richtlinie entsprechende Rechnungslegung verwirklicht (vgl. EuGH-Urteil vom 27. Juni 1996 Rs. C 234/94 – „Tomberger”, EuGHE 1996 I, 3133, ABl 1996 C 336, 3, u. 1997 C 318, 3–4). Nur ausnahmsweise sind zusätzliche Angaben oder gar Abweichungen geboten (vgl. 4–6 der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Hinblick auf bestimmte Artikel der vierten und der siebenten Richtlinie des Rates auf dem Gebiet der Rechnungslegung, 98/C 16/04, ABl 1998 C 16, 5).

    k) Demgemäß dürfte das Prinzip von „true and fair view” in der BiRiLi ähnlich zu verstehen sein wie im Bereich der International Accounting Standards (IAS), gegenüber denen mit der BiRiLi Kompatibilität besteht und eine konforme Anwendung; durch die EG angestrebt oder erwartet wird (vgl. Rd. 3 der vorbezeichneten Mitteilung sowie die Mitteilung der Kommission Harmonisierung auf dem Gebiet der Rechnungslegung: Eine neue Strategie im Hinblick auf die internationale Harmonisierung, KOM (95) 508 vom November 1995; Born, Rechnungslegung International, 2., S. 635 ff, 642, 650 ff; Oestreicher/Sprengel, DB 1999, 593, 594 f; Monti, Wertpapier-Mitteilungen –WM– 1998, 1763 f) bzw. seitens der meisten Mitgliedsländer der EG bereits realisiert ist (vgl. Pellens, Internationale Rechnungslegung, 3. Aufl., S. 489 ff mit Länderübersicht).

    Das International Accounting Standards Committee (IASC) sieht das Prinzip von „true and fair view” oder „fair presentation” im Framework (F) und in den IAS nicht als Generalnorm im Sinne eines overriding principle an, sondern als – quasi automatisches – Ergebnis des methodengerechten Rechnungslegungs-Prozesses; Abweichungen sind nur in sehr seltenen Ausnahmefällen – „extremely rare circumstances” – denkbar (vgl. F 2, F 46, IAS 1.10, 1.13-17 i.d.F. 1997; Achleitner/Kleekämper in Baetge u.a., Rechnungslegung nach IAS, IAS 1 Rd. 122; KPMG, IAS, S. 25; Pellens, Internationale Rechnungslegung, 3., S. 417; Born, Rechnungslegung International, 2. Aufl., S. 50, 52, 74).

    2. EuGH-Zuständigkeit zur Auslegung der BiRiLi zwecks richtlinienkonformer Anwendung der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung im Steuerrecht

    Fraglich ist, ob oder inwieweit der EuGH zur Auslegung der BiRiLi auch zuständig ist zwecks richtlinienkonformer Anwendung handelsrechtlicher Vorschriften im Rahmen ihrer Maßgeblichkeit für das Steuerrecht.

    Bei den gewerblichen und anderen Gewinn-Einkünften knüpfen die Ertragsteuern an den Gewinn an Soweit es sich um bilanzierende Steuerpflichtige (Kaufleute) handelt, gelten grundlegend § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG.

    § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG lautet:

    „Gewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluß des Wirtschaftsjahrs und dem Betriebsvermögen am Schluß des vorangegangenen Wirtschaftsjahrs, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen.”

    § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG lautet:

    „Bei Gewerbetreibenden, die auf Grund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die ohne eine solche Verpflichtung Bücher führen und regelmäßig Abschlüsse machen, ist für den Schluß des Wirtschaftsjahrs das Betriebsvermögen anzusetzen (§ 4 Abs. 1 Satz 1), das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung anzusetzen ist.”

    Soweit für eine Bilanzierungsfrage keine vorrangigen speziellen Regelungen im Steuerrecht existieren (z.B. § 5 Abs. 2 ff, §§ 6 ff EStG), sind gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG die handelsrechtlichen „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung (GoB)” maßgeblich.

    Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Einkommensteuer natürlicher Personen, sondern mittels Verweisungen auch für die Bemessungsgrundlagen der Körperschaftsteuer von Kapitalgesellschaften (§ 8 Abs. 1 KStG) und der – hier streitigen – Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag (§ 7 GewStG).

    § 8 Abs. 1 KStG lautet:

    „Was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, bestimmt sich nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes und dieses Gesetzes.”

    § 7 GewStG lautet auszugsweise:

    „Gewerbeertrag ist der nach den Vorschriften des Einkommensteuergesetzes oder des Körperschaftsteuergesetzes zu ermittelnde Gewinn aus dem Gewerbebetrieb der bei der Ermittlung des Einkommens für den Veranlagungszeitraum zu berücksichtigen ist.”

    Danach gilt im Streitfall über § 7 GewStG und § 8 Abs. 1 KStG die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG mit der Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen GoB.

    Umfang und Inhalt der Maßgeblichkeits-Verweisung ändern sich im Zeitablauf einerseits durch Normierung vorrangiger steuerlicher Vorschriften und andererseits durch die Entwicklung der GoB, die vor der Umsetzung der BiRiLi in das HGB weitenteils nicht oder nur im deutschen Aktiengesetz (AktG) kodifiziert waren und sich wesentlich auch aus Rechtsprechung und Lehre sowie aus Verlautbarungen des IdW ergeben und z.T. auch in Verwaltungsanweisungen zusammengefaßt sind.

    Die Verweisung des § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG erstreckt sich auf die für alle Kaufleute handelsrechtlich verbindlichen GoB, wie sie in § 238 Abs. 1 Satz 1 und § 243 Abs. 1 HGB erwähnt sind (oben wiedergegeben) und wie sie durch das BiRiLiG in §§ 238 ff HGB kodifiziert wurden. Die GoB umfassen neben den formellen Anforderungen auch die Regeln über den materiellen Inhalt des Jahresabschlusses mit den Ansatz- und Bewertungsvorschriften der §§ 246–256 HGB (vgl. zusammenfassend Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 17., § 5 Rd. 30, 36, 68 ff, vgl. inzwischen 18. Aufl. § 5 30, 35, 55, 68 ff).

    Zu letzteren gehören die vorstehend zu 1 a.E. aufgezählten und in den Fragenkomplexen zu II–III behandelten Regelungen aus HGB/BiRiLi. Damit gilt die Verweisung – entgegen der Auffassung des FA – auch für den Ansatz von Rückstellungen und ebenso – soweit § 6 EStG keine speziellere Regelung enthält (dazu s. unten zu 3) – für ihre Bewertung (vgl. BFH, Beschluß des Großen Senats vom 23. Juni 1997 GrS 2/93, BFHE 183, 199, BStBl II 1997, 735, 737: Urteile vom 15. Juli 1998 I R 24/96, BFHE 186, 388, BStBl II 1998, 728, 731, vom 19. März 1998 IV R 1/93, BFHE 185, 443, HFR 1998, 636; vom 27. November 1997 IV R 95/96, BFHE 185, 160, BStBl II 1998, 375, 376; ständige Rechtsprechung).

    Umstritten ist, ob oder inwieweit sich das Maßgeblichkeitsprinzip über die für alle Kaufleute geltenden GoB hinaus auch auf die besonderen handelsrechtlichen Vorschriften für bestimmte Rechtsformen und Geschäftszweige sowie auf das Gebot des „true and fair view” erstreckt (vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, bis 13. Aufl. teils bejahend § 5 Anm. 9d ff, ab 14. Aufl. einschränkend § 5 Rd. 26 ff, 83 jeweils m.w.N.).

    Daran anknüpfend werden in Deutschland unterschiedliche Auffassungen zu der Frage vertreten, ob oder inwieweit § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG konform mit der BiRiLi anzuwenden und insoweit der EuGH zur Vorabentscheidung zuständig ist (vgl. die Nachweise zum Meinungsstand bei Beisse, Deutsche Steuer-Zeitung –