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  • 06.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234623

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 13.07.2022 – 8 K 1466/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Hessisches Finanzgericht 8. Senat

    13.07.2022


    Tenor

    1. Die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 18 Abs. 4 Außensteuergesetz (AStG) für die Feststellungszeiträume 2012 bis 2016 über das zuzurechnende Einkommen der X Familienstiftung im Sinne des § 5 Abs. 1 AStG, jeweils vom 21.03.2019, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 werden aufgehoben.
    2. Das Finanzamt hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
    3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das Finanzamt darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleitung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
    4. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten darüber, ob in den jeweiligen Feststellungszeiträumen den Feststellungsbeteiligten die Einkünfte der X Familienstiftung (X-Stiftung) auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Satz 1 des Außensteuergesetzes der für die Streitjahre geltenden Fassung (AStG) zuzurechnen sind und ob die Regelungen des § 15 Abs.1 Satz 1 AStG und § 15 Abs. 6 AStG mit dem Grundgesetz (GG) und mit Europarecht d.h. den Regelungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ‒ AEUV - (Amtsblatt der Europäischen Union ‒ Abl EU - 2008, Nr. C 115, 47), vereinbar sind. Ursprünglich beklagtes Finanzamt war das Finanzamt 1. Nach § 17 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 des Finanzverwaltungsgesetzes i.V.m. § 17 der Verordnung über die Zuständigkeit der Hessischen Finanzämter ist die Zuständigkeit während des gerichtlich Verfahrens jedoch auf das nunmehr beklagte Finanzamt 2 übergegangen (dazu auch Schreiben des Finanzamt 1 vom 02.06.2022, Bl. 568 f. der Finanzgerichtsakte -FG-Akte-).

    Bei der X-Stiftung handelt es sich um eine Stiftung Schweizerischen Rechts. Nach Art. 10 der aktuellen Stiftungsstatuten liegt der Zweck der Stiftung in der Widmung eines Kapitals im Sinne von Art. 335 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB). Die streitgegenständliche Stiftung geht grundsätzlich auf die Frau A.A. (verstorben) zurück. Frau A.A. war Schweizer Staatsbürgerin und zuletzt in der Schweiz wohnhaft. Sie hatte testamentarisch angeordnet, eine Familienstiftung in der Schweiz, die Y Familienstiftung, zu gründen. Die Stiftung wurde durch die Testamentsvollstrecker gegründet.

    Nach verschiedenen Statutenänderungen mit Entlassung diverser Familienstämme wurde der Kreis der potentiell Begünstigten im Jahre 1967 zunächst auf den Stamm C.C.-A. begrenzt. Mit öffentlicher Urkunde wurde der Name der Stiftung in „X Familienstiftung“ abgeändert. Nach einer zwischenzeitlichen Zuteilung des Vermögens im Jahre 1994 wurde der Kreis der Begünstigten erneut begrenzt und zwar auf den Stamm B.B.-D. Seitdem erfolgte die Widmung des Vermögens nach Art. 10 der Stiftungsstatuten daher zugunsten von:

    1. Frau C.C.-A.
    2. Frau D.D.-C.
    3. Frau B.B.-D. bzw. ihren Nachkommen.

    Artikel 10 der Stiftungsstatuten enthält eine Regelung, wann Begünstigte der Stiftung Zuwendungen erhalten können:

    „Die berechtigten Familienmitglieder können aus den Stiftungsmitteln Beiträge erhalten, und zwar an die Kosten der Ausbildung, eines Fachstudiums, für Studienaufenthalte in fremden Sprachgebieten, für Krankheits-, Unfall- und Kurkosten, für Ausstattung bei Heirat, für die Eröffnung eines Geschäftes, für die Gründung einer eigenen Existenz oder zu ähnlichen Zwecken sowie im Falle einer persönlichen Notlage.“

    Nach Artikel 11 der Stiftungsstatuten entscheidet der Stiftungsrat „nach freiem Ermessen“ über die Verwendung des Stammkapitals und der Erträgnisse. Den Begünstigten stehen keine klagbaren Ansprüche an die Stiftung zu. Der Rechtsweg ist daher ausgeschlossen, solange wie den „Destinatären“ ein Beschluss des Stiftungsrates über eine Zuwendung nicht schriftlich mitgeteilt worden ist.

    Organ der X-Stiftung ist der Stiftungsrat. Er kann aus einem oder mehreren Mitgliedern bestehen und ergänzt sich selbst durch „Zuwahl“. Artikel 12 Abs. 2 der Stiftungsstatuten enthält eine Regelung über die Zusammensetzung des Stiftungsrates:

    „Der Stiftungsrat darf sich nur aus Personen zusammensetzen, die entweder in der Schweiz oder in den Vereinigten Staaten von Amerika oder im Fürstentum Lichtenstein domiziliert sind oder die das Schweizer Bürgerrecht oder das Bürgerrecht des Fürstentums Lichtenstein besitzen.“

    Nach Artikel 12 Abs. 6 der Stiftungsstatuten kann mit Mehrheitsbeschluss der „Destinatäre“ ein Stiftungsrat bestellt werden, wenn die Stiftung aus irgendwelchen Gründen ohne Stiftungsrat wäre. Sofern kein Mehrheitsbeschluss zustande kommt, entscheidet der E, wobei Vorschläge der Begünstigten berücksichtigt werden (zu den weiteren Regelungen betreffend den Stiftungsrat wird auf Art. 12 der Stiftungsstatuten, Bl. 219 f. der FG-Akte, Bezug genommen). In den Artikeln 14 bis 17 der Statuten sind Gründe für die „Zerlegung“ oder Auflösung der Stiftung geregelt. Hinsichtlich der weiteren Regelungen der Stiftungsstatuen insgesamt wird auf die Kopie des Stiftungsstatuts (Bl. 214 ff. der FG-Akte) Bezug genommen.

    Die X-Stiftung wurde seit ihrem Bestehen von der Schweizer Finanzverwaltung als steuerpflichtige Familienstiftung und damit als formgültige Stiftung, d.h. eine Stiftung, die im Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften des Art. 335 ZGB steht, anerkannt.

    Aktuell setzt sich der Stiftungsrat aus folgenden Personen zusammen:

    1. Herr F, Schweiz
    2. Herr G, Schweiz

    Auch in der Vergangenheit hatte keiner der Begünstigten dem Stiftungsrat angehört.

    Nach den Stiftungsstatuten sind in den jeweiligen Feststellungszeiträumen insgesamt folgende Personen, die sowohl die Staatsbürgerschaft der Schweiz als auch der Bundesrepublik Deutschland besitzen, potenziell Begünstigte der X-Stiftung:

    B.B.-D.
    I.B.-D.
    J.D.
    K.D.

    Hinsichtlich der persönlichen Lebenssituation der Begünstigten und der dazu gemachten Beweisangebote wird auf Bl. 174 ff. der FG-Akte Bezug genommen. In den Feststellungszeiträumen und in den Jahren davor haben die Begünstigten keine Stiftungsmittel zugewendet bekommen. Sie haben nunmehr während des Einspruchsverfahrens zur Begleichung der ggf. durch die Anwendung des § 15 Abs. 1 AStG zu entrichtenden Einkommensteuerschulden Darlehensbeträge in entsprechender Höhe erhalten, die laut Vertrag auch bei Erfolglosigkeit der Klageverfahren zurückgezahlt werden müssen (vgl. zum Ganzen auch zum Inhalt der Verträge Bl. 331 ff. der FG-Akte).

    Die oben benannten Feststellungsbeteiligten waren in den Feststellungszeiträumen auch Begünstigte der D.-D.-C. Stiftung mit Sitz in der Schweiz. In Absprache mit dem Hessischen Ministerium der Finanzen werden die Begünstigten dieser Stiftung jedoch als Zufallsdestinatäre behandelt, so dass eine fiktive Zurechnung nach § 15 Abs. 1 AStG dort nicht erfolgte (vgl. zu dieser Stiftung und den Zuwendungen die die oben genannten Personen erhalten haben Bl. 180 ff. der FG-Akte).

    Mit Schreiben vom 14.09.2014 teilten die Begünstigten der X-Stiftung bzw. die Feststellungsbeteiligten durch die damalige Verfahrensbevollmächtigte und jetzige Klägerin den jeweils zuständigen Wohnsitzfinanzämtern (Finanzämter 3 und 1) mit, dass sie bei der Schweizer Familienstiftung als Begünstigte geführt werden. Bereits in diesem Schreiben teilten die Verfahrensbevollmächtigten vorsorglich die seitens der X-Stiftung erzielten Einnahmen mit. Zugleich vertraten sie die Auffassung, dass die Begünstigten lediglich als Zufallsdestinatäre im Sinne des § 15 AStG anzusehen seien.

    Den Sachverhalt teilten die Begünstigten auch dem Hessischen Ministerium der Finanzen mit Schreiben vom 15.10.2014 mit. Wegen des Inhalts der beiden Schreiben im Einzelnen wird auf die Anlagen K 6 und 7 zu dem Schriftsatz der Klägerin vom 30.04.2020 Bl. 244 ff. der FG-Akte, Bezug genommen. In der Folgezeit kam es zu einer Vielzahl von Schriftwechseln zwischen den Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin, dem Finanzamt 1, der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main (OFD) und dem Hessischen Ministerium der Finanzen, der zunächst mit einem Schreiben des Hessischen Ministeriums der Finanzen vom 18.10.2016 seinen Abschluss fand. In diesem Schreiben teilte das Ministerium den Begünstigten mit, dass es von einer Bezugs- sowie Anfallsberechtigung der Begünstigten ausgehe (vgl. zu den Schriftwechseln im Einzelnen Bl. 182 ff. der FG-Akte und die Anlagen 6 bis 16 zu dem Schriftsatz der Klägerin vom 30.04.2020, Bl. 244 ff. der FG-Akte). Im Anschluss daran forderte das Finanzamt 1 mit Schreiben vom 26.01.2017 die Feststellungsbeteiligten auf, entsprechende Feststellungserklärungen im Sinne des § 18 AStG für die Wirtschaftsjahre ab 2010 abzugeben (Bl. 283 f. der FG-Akte).

    In der Folge kam es zu weiteren Schriftwechseln sowohl zwischen der Klägerseite und dem Finanzamt 1 als auch zwischen den verwaltungsintern beteiligten Behörden. Es schlossen sich auch eine Reihe von Besprechungen an, in denen die damalige Verfahrensbevollmächtigte und jetzige Klägerin Kompromissvorschläge unterbreitete, die darauf begründet waren, dass für die Zukunft klarstellend Stiftungsstatuten geändert werden sollten und dass eine drohende Doppelbesteuerung durch Einkommen- und Schenkungssteuer im Falle einer zukünftigen Ausschüttung verhindert werden sollte. Es fanden dann auch weitere Besprechungen zwischen den Vertretern der Feststellungsbeteiligten und der Finanzverwaltung statt (vgl. dazu insgesamt Bl. 185 f. der FG-Akte). Der abschließenden Besprechung am 13.12.2018 war eine interne Besprechung der beteiligten Behörden am 23.10.2018 vorausgegangen (vgl. Bl. 155 und 150 des Akten-Sonderbandes Schriftverkehr). Da kein abschließender Kompromiss erzielt werden konnte, forderte das Finanzamt 1 die Klägerin dann nochmals mit Schreiben vom 13.12.2018 zur Abgabe der Feststellungserklärungen für die Feststellungszeiträume ab dem Jahr 2012 auf (Bl. 157 des Akten-Sonderbandes Schriftverkehr).

    Mit erläuternden Schreiben vom 22.02.2019 reichte die Klägerin für die Begünstigten der X-Stiftung am 25.02.2019 Feststellungserklärungen für die Jahre 2012 bis 2016 unter Beifügung diverser Unterlagen bei dem Finanzamt 1 ein. In den Erklärungen war die Klägerin als Empfangsbevollmächtigte benannt, die Erklärungen waren jedoch nicht unterschrieben. Daraufhin erließ das Finanzamt 1 am 21.03.2019 hinsichtlich der Streitjahre gegenüber der Klägerin als Empfangsbevollmächtigte Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 18 Abs. 4 AStG mit dem Hinweis, dass die Feststellungsbescheide wegen fehlender Unterschriften nach § 162 der Abgabenordnung (AO) geschätzt worden seien und unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen (vgl. dazu im Einzelnen Bl. 14 ff. der FG-Akte). Dagegen legte die Klägerin im Namen und unter Angabe aller Feststellungsbeteiligten Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung, die für die Dauer des Einspruchsverfahrens auch durch Verfügungen vom 21.05.2019 gewährt wurde. Die auf den Feststellungserklärungen fehlenden Unterschriften der Begünstigten wurden während des Einspruchsverfahrens nachgereicht (Bl. 401ff. der FG-Akte). Mit Schreiben vom 20.08.2019 teilte die Klägerin dem Finanzamt 1 mit, dass die X-Stiftung den Begünstigten der Stiftung Darlehen zur Verfügung gestellt hätte bzw. noch zur Verfügung stellen würde, damit die anfallenden Einkommensteuerschulden bezahlt werden könnten. Zudem teilte die damalige Verfahrensbevollmächtigte und jetzige Klägerin in diesem Schreiben mit, dass von ihrer Seite Rechnungen an die X-Stiftung gestellte worden seien (vgl. im Einzelnen Bl. 331 ff. der FG-Akte).

    Das Finanzamt 1 wies die eingelegten Einsprüche in der „Einspruchssache X Familienstiftung, c/o H“ durch Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 als unbegründet zurück, die Entscheidung wurde der Klägerin postalisch bekanntgegeben. Zur Begründung führte das Finanzamt aus, bei den namentlich in der Einspruchsentscheidung aufgeführten Begünstigten handle es sich um Bezugsberechtigte im Sinne des § 15 Abs. 1 AStG, weil die in Art. 10 der Stiftungsstatuten beschriebenen Ereignisse die Prognose zulassen würden, dass die berechtigten Familienmitglieder künftig entsprechende Beiträge aus den Stiftungsmitteln erhalten würden. Nach den Regelungen in den Statuten würde auch eine Anfallsberechtigung der einzelnen Mitglieder angenommen, da die Destinatäre zum einen die Zerlegung oder Übertragung auf andere Familienstämme veranlassen könnten und zum anderen der Stiftungsrat in besonderen Fällen die Auflösung - und damit die Verteilung des Vermögens auf die verbleibenden Begünstigten - der Stiftung bewirken können. Wegen des weiteren Inhalts der Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 wird die auf die als Bl. 4 ff. der FG-Akte abgeheftete Kopie Bezug genommen.

    Dagegen hat die Klägerin mit Schreiben vom 26.09.2019 im Namen der X-Stiftung „erhoben durch die Stiftungsräte und die Z“ Klage erhoben. Zur Begründung bringt sie vor, die Feststellungsbescheide seien rechtswidrig, da unter Berücksichtigung der Auslegungsgrundsätze des Bundesfinanzhofs (BFH) die Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 AStG nicht erfüllt seien, der Zurechnung der Einkünfte der Stiftung im konkreten Fall die Regelung des § 15 Abs. 6 AStG entgegenstehen würde und letztlich eine andere Auslegung der Stiftungsstatuten zu verfassungswidrigen Ergebnissen führen würde.

    In einer Entscheidung vom 03.07.2019, Az.: II 2 R 6/16, habe der 2. Senat des BFH erst kürzlich den großen Ermessensspielraum des Stiftungsrates bei der Auslegung von Statuten einer schweizerischen Familienstiftung betont. Danach habe der Stiftungsrat eine stiftungsinterne Einschätzungsprärogative bei der Frage, ob eine Ausschüttung auf Basis des Satzungszweckes zulässig sei. Die Finanzverwaltung habe daher nicht die Möglichkeit, ihre Einschätzung an die Stelle der in erster Linie hierzu berufenen Stiftungsorgane zu setzen.

    Die Begünstigten seien im vorliegenden Falle weder bezugs- noch anfallsberechtigt im Sinne des § 15 Abs. 2 AStG i.V.m. § 15 Abs. 1 AStG. Die Stiftungsstatuten seien in Übereinstimmung mit Stifterwillen und der schweizerischen Rechtsordnung, die sog. „Unterhalts- und Genussstiftung“ verbiete, dahingehend zu verstehen, dass die Begünstigten nicht ohne weiteres Mittel von der Stiftung beziehen konnten bzw. könnten. Sie seien als Begünstigte lediglich zufällig im Wortsinne berechtigt und würden nur bei ganz bestimmten einzelnen Anlässen zum Leistungsempfang überhaupt als mögliche Empfänger in Betracht kommen. Mithin seien die Begünstigten lediglich als Zufallsdestinatäre anzusehen, bei denen auch nach Ansicht der Finanzverwaltung (unter Hinweis auf BMF-Schreiben vom 14.05.2004 Rz. 15.2.1.) eine Zurechnung ausscheide. Dieses Ergebnis ergebe sich aus einer zutreffenden Auslegung der Stiftungsstatuten nach den oben genannten, vom BFH aufgestellten Grundsätzen und entspreche dem Auslegungsverständnis des Stiftungsrates. Dementsprechend hätten die Begünstigten keinerlei Mittel aus der Stiftung erhalten. Zudem liege auch nach schweizerischem Rechtsverständnis eine Stiftung im Sinne von Art. 335 ZGB vor, die gerade einem jederzeitigen Bezugsrecht der Begünstigten entgegenstehe. Familienstiftungen dürften nach Schweizer Recht keine Zuwendungen „einfach so“, das heißt ohne besondere, in den Statuten genannte und von Art. 335 ZGB gedeckte Voraussetzungen leisten. Sie dürften ihren Destinatären weder den Genuss des Stiftungsvermögens, noch ‒ ohne Vorliegen einer entsprechenden Bedarfssituation ‒ Erträgnisse zur allgemeinen Verbesserung ihres Lebensniveaus gewähren.

    Soweit nach Ansicht des Finanzamts die in den Vorbesprechungen vorgelegten Entwürfe für eine Änderung der Statuten dafürsprechen würden, dass die Begünstigten keine Zufallsdestinatäre seien, sei darauf hinzuweisen, dass diese Entwürfe allein vor dem Hintergrund des Bestrebens einer einvernehmlichen Lösung im Wege des gegenseitigen Nachgebens angefertigt worden seien. Dies sei insb. auch in der Besprechung vom 06.04.2017 deutlich gemacht worden. Auch die von dem Finanzamt angeführte Abgabe der Feststellungserklärungen sei kein Indiz dafür, dass die Klägerseite von einer Bezugsberechtigung der Begünstigten ausgegangen sei. Vielmehr seien die Feststellungserklärungen abgegeben worden, weil von Seiten der Finanzverwaltung Feststellungsbescheide auf geschätzter Basis angekündigt worden seien (vgl. zum Ganzen auch die Seiten 4 ‒ 7 des Schriftsatzes vom 14.07.2021, Bl. 365ff. der FG-Akte).

    Letztlich übersehe das Finanzamt, dass nach der Rechtsprechung des BFH die Auslegungsprärogative beim Stiftungsrat und nicht bei dem Finanzamt liegen würde. Im Rahmen der Auslegungsprärogative habe der Stiftungsrat zudem den engen gesetzlichen Beschränkungen Rechnung zu tragen.

    Soweit das Finanzamt ausführe, dass eine Familienstiftung „der Erhaltung der Familie und ihres Vermögens“ diene, sei dies nicht zutreffend. Das Vermögen einer Stiftung werde mit der Widmung verselbständigt und diene potenziellen Destinatären nur in besonderen Bedarfssituationen. Zuwendungen seien nur in eng umgrenzten Fällen zulässig und Art. 335 ZGB enthalte zudem nur Zwecke, die nach allgemeiner Lebenserfahrung eintreten könnten, nicht aber zwingend eintreten würden. Art. 335 ZGB lasse eben keine Unterhaltsstiftung zu. Nach § 335 Abs. 2 ZGB seien nach der Rechtsprechung des Schweizerischen Bundesgerichts voraussetzungs- und bedingungslose Zuwendungen (z.B. die Verteilung von Rechnungsüberschüssen), etwa ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage der potenziellen Destinatäre zum Bestreiten des allgemeinen Lebensunterhalts unzulässig (wegen der weiteren Ausführung zur Auslegung des Schweizer Rechts wird auf S. 8f. des Schriftsatzes vom 14.07.2021, Bl. 369f. der FG-Akte und die beigefügten Anlagen, Bl. 409 ff. der FG-Akte Bezug genommen).

    Der Begriff der Bezugsberechtigung im Sinne des § 15 Abs. 2 AStG sei in Literatur, Rechtsprechung und Finanzverwaltung umstritten. Unabhängig davon, welcher dieser Rechtsansichten gefolgt werde, sei vorliegend davon auszugehen, dass die Begünstigten auf Klägerseite nicht bezugsberechtigt, sondern als Zufallsdestinatäre anzusehen seien. Dies folge schon daraus, dass die Begünstigten in der Vergangenheit grundsätzlich keine Vorteile erhalten hätten (zu den einzelnen bezeichneten Personen vgl. die S. 24 f. des Schriftsatzes vom 30.04.2020, Bl. 195f. der FG-Akte). Darüber hinaus übersehe die rein auf das Alter der Begünstigten abstellende Argumentation der Beklagten, dass die Begünstigten der X-Stiftung auch Begünstigte einer weiteren Familienstiftung, konkret der D.D.-C. Stiftung seien.

    Soweit der Beklagte eine andere Auffassung daraus ableiten wolle, dass die Begünstigten Einfluss auf die Besetzung des Stiftungsrates und damit unmittelbaren Einfluss auf die Entscheidungen über eine Beitragszuwendung an sich selbst nehmen könnten, könne dem nicht gefolgt werden. Dies ergebe sich schon daraus, dass gerade nicht mit der Zuwendung eines Vermögensvorteils „gerechnet“ werden könnte. Die geschilderten Szenarien zur Besetzung des Stiftungsrates würden auch unberücksichtigt lassen, dass ein Begünstigter die persönlichen Anforderungen (Wohnsitz in der Schweiz, den USA oder im Fürstentum Lichtenstein bzw. Besitz des Bürgerrechts der Schweiz oder des Fürstentums Lichtenstein) erfüllen müsse. So habe zwar der Feststellungsbeteiligte J.D. zu Studienzwecken vorübergehend seinen Wohnsitz in die Schweiz verlagert, er habe aber keinerlei Ambitionen, Mitglied des Stiftungsrats zu werden. Es sprächen keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Begünstigten zukünftig ihren Wohnsitz verlagern würden. Insoweit trage das Finanzamt die Feststellungslast. Soweit nach Art. 12 Abs. 6 der Stiftungsstatuten ein Stiftungsrat mit Mehrheitsbeschluss der Begünstigten bestellt werden könne, sei dies schon deswegen unwahrscheinlich, weil dies nur unter der Voraussetzung „irgendwelche Gründe“ möglich sei. Zudem sei es unwahrscheinlich, dass die verbliebenden Stiftungsratsmitglieder einen Stiftungsrat aus dem Kreis der Begünstigten wählen würden. Letztlich sei selbst bei einer Besetzung des Stiftungsrates durch die Begünstigten zu berücksichtigen, dass Auszahlungen nur nach Art. 10 Abs. 2 der Stiftungsstatuten in Betracht kommen würden.

    Die Argumentation des Finanzamtes lasse auch außer Betracht, dass es nach dem Schweizer Stiftungsrecht ausgeschlossen sei, dass die Wahl naher Verwandter als Stiftungsräte durch die Begünstigten dazu führen könne, dass diese bei der Beratung und Beschlussfassung über Zuwendungen an ihnen nahestehenden Destinatäre entscheiden könnten. Denn in diesen Fällen komme nach Auffassung der Schweizerischen Literatur- und Rechtsprechung die vereinsrechtliche Regelung des Art. 68 ZGB analog zur Anwendung (vgl. dazu im Einzelnen S. 26 f. des Schriftsatzes der Klägerseite vom 30.04.2020, Bl. 197 f. der FG-Akte). Im Übrigen sei der Stiftungsrat am 01.01.2020 teilweise ausgewechselt worden. Die Begünstigten seien insoweit nicht konsultiert worden und hätten von sich aus auch keinerlei Einfluss auf die Besetzung des Stiftungsrates ausgeübt.

    Die Ansicht der Finanzverwaltung stehe im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BFH. So nehme der BFH im Grundsatz an, dass zu einer abstrakten Bezugsberechtigung auch eine tatsächliche Auskehrung hinzukommen müsse (unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 02.02.1994, I R 66/92, BStBl. II 1994, 727). Die vom Finanzamt angestellte Prognoseentscheidung bleibe weiterhin nicht nachvollziehbar. Es sei fraglich, auf welcher Grundlage eine gesicherte Rechtsposition im Sinne der Rechtsprechung des BFH bestehen solle, insbesondere vor dem Hintergrund der außerordentlich zurückhaltenden Zuwendungspraxis im vorliegenden Falle.

    Bei den Begünstigten handle es sich auch nicht um Anfallsberechtigte im Sinne des § 15 Abs. 2 AStG. Der Begriff sei zwar in Rechtsprechung und Literatur umstritten, der BFH habe jedoch in seiner Entscheidung vom 25.04.2001, II R 14/98 (BFH/NV 2001, 1457) gerade nicht darüber entschieden, ob auch tatsächliche Möglichkeiten der Einflussnahme die Voraussetzungen einer Anfallsberechtigung erfüllen könnten. Entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung bedeute die Regelung des Art. 14 der Statuten nicht, dass der Stiftungsrat das Vermögen an die Angehörigen der entsprechenden Stämme auskehren dürfe, sondern betreffe ausschließlich die Zuordnung des Stiftungsvermögens innerhalb der Stiftung. Die Regelung habe lediglich zur Folge, dass die Stiftung nach einer entsprechenden Zerlegung/Zuordnung des Stiftungsvermögens die in den Statuten vorgesehene Beiträge an die Angehörigen der einzelnen Stämme aus dem jeweiligen, dem betreffenden Stamm zugeordneten Teil des Stiftungsvermögens finanzieren müsse. Wie bereits ausgeführt, fehle es auch an einer entsprechenden Einflussmöglichkeit der Begünstigten.

    Soweit das Finanzamt auf Art. 15 der Stiftungsstatuten abstelle, könne dem nicht gefolgt werden, weil allein die Möglichkeit der Auflösung einer Stiftung nicht für die Begründung einer Anfallsberechtigung genüge. Höchst vorsorglich sei darauf hinzuweisen, dass der Stiftungsrat bei der Entscheidung über die Auflösung der Stiftung an die sehr engen Vorgaben des Art. 15 der Statuten gebunden sei. Die Ausführungen des Finanzamts zur Anfallsberechtigung bzw. zur Auflösung der Stiftung nach Art. 15 der Statuten seien bereits deshalb unzutreffend, weil seit der im Jahre 2006 in Kraft getretenen Fassung des Art. 88 Abs. 2 ZGB Familienstiftungen im Grundsatz kein voraussetzungsloses Selbstauflösungsrecht besäßen. Vielmehr sei verfahrensrechtlich dafür stets die Mitwirkung eines Gerichts erforderlich. Soweit das Finanzamt darauf abstelle, dass nicht ausgeschlossen sei, dass Destinatäre „in bestimmten Konstellationen“ die wahlweise vollständige Rückübertragung des Stiftungsvermögens gem. § 10 Abs. 2 der Statuten herbeiführen könnten, sei das Finanzamt offensichtlich seiner Feststellungslast nicht nachgekommen. Es bleibe offen, in welcher genauen Situation die Rückübertragung des Stiftungsvermögens nun verlangt werden könne.

    Eine Zurechnung nach § 15 Abs. 1 AStG scheide auch aufgrund des § 15 Abs. 6 AStG aus. Zwar gelte die Regelung des § 15 Abs. 6 AStG ausweislich seines Wortlautes nicht für Familienstiftungen mit Sitz in der Schweiz. Aus unionsrechtlichen Gründen sei aber die Regelung ggf. im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung auf in der Schweiz ansässige Stiftungen anwendbar, da anderenfalls ein Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit vorliegen würde, die auch in Drittstaatenfällen Anwendung fände. Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 AStG seien erfüllt, denn die Klägerseite habe hinreichend den Nachweis dafür erbracht, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der bezugs- oder anfallsberechtigten Person rechtlich und tatsächlich entzogen sei. Auch die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG seien erfüllt, da in Art. 27 des Doppelbesteuerungsabkommens mit der Schweiz (DBA-Schweiz) eine „große“ Auskunftsklausel enthalten sei. Entgegen der Ansicht des Finanzamts sei darüber hinaus die in § 15 Abs. 6 AStG enthaltene Beweislastumkehr unionsrechtswidrig.

    Die Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV werde durch § 15 AStG insbesondere dadurch beschränkt, dass Stiftern oder Begünstigten das Einkommen einer juristischen Person, d.h. eines Steuersubjekts, unabhängig davon zugerechnet werde, ob sie Bezüge aus der Stiftung erhalten hätten oder nicht. Es sei auch vorranging die Kapitalverkehrsfreiheit betroffen, denn die primäre Zielrichtung des § 15 AStG sei es, den Steuerpflichtigen davon abzuhalten, durch den grenzüberschreitenden Transfer von Kapital Familienstiftungen zu errichten.

    Die durch die Nichtanwendung des § 15 Abs. 6 AStG eintretende Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten sei auch weder durch Art. 64 Abs. 1 AEUV noch durch Art. 65 Abs. 1 a) AEUV gerechtfertigt. Die Voraussetzungen des Art. 64 Abs. 1 AEUV seien nicht gegeben, weil § 15 AStG so signifikant verändert worden sei, dass diese Regelung nicht mehr im Wesenskern mit der am 31.12.1993 bestehenden Bestimmung übereinstimmen würde. Darüber hinaus läge im vorliegenden Falle jedenfalls keine Direktinvestition im Sinne des Art. 64 Abs. 1 AEUV vor (vgl. zu den weiteren Ausführungen der Klägerseite zu Art. 64 Abs. 1 AEUV die Seiten 23 ‒ 27 des Schriftsatzes vom 14.07.2021, Bl. 384 ff. der FG-Akte). Auch durch Art. 65 Abs. 1 a) AEUV sei eine Beeinträchtigung nicht zu rechtfertigen, da nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie der Regelung des Art. 65 Abs. 3 AEUV die durch Art. 65 Abs. 1 ermöglichte unterschiedliche Behandlung nicht eingeschränkt gelte (vgl. zu den diesbezüglichen weiteren Ausführungen die Seiten 27 - 29 des Schriftsatzes vom 14.07.2021, Bl. 388 ff. der FG-Akte).

    Entgegen der Ansicht des Finanzamts falle der konkrete Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV. Der EuGH habe in der Rechtssache „Cromos International/Finanzamt Leverkusen“ entschieden, dass die Niederlassungsfreiheit nicht auf in Drittstaaten gegründete Gesellschaften anwendbar sei (unter Hinweis auf EuGH-Urteil vom 11.09.2014 ‒ C-47/12, ABlEU 2014, Nr. C 409, 2). Folgerichtig würden auch Ansichten der Literatur davon ausgehen, dass jedenfalls dann der alleinige Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit betroffen sei, wenn sich der Sitz einer ausländischen Stiftung in einem Drittland befände. Darüber hinaus dürften sich lediglich Bezugs- und Anfallsberechtigte nach dieser Literaturansicht im Falle einer ausländischen Familienstiftung ohnehin nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen können. Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin dazu, dass Art. 64 AEUV nicht anwendbar sei, wird auf die Seiten 7 ‒ 11 des Schriftsatzes vom 11.03.2022, Bl. 550ff. der FG-Akte Bezug genommen.

    Letztlich sei darauf hinzuweisen, dass dann, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der § 15 Abs. 1 und 2 AStG als erfüllt angesehen würden, die Anwendung dieser Norm zur Vermeidung von verfassungswidrigen Zuständen ausscheiden müsse. Anderenfalls lägen sowohl ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 des GG als auch gegen Art. 6 Abs. 1 GG vor. Vorliegend liege bereits deshalb ein Verstoß gegen das durch Art. 3 Abs. 2 GG vorgegebene Leistungsfähigkeitsprinzip vor, weil die Besteuerung aufgrund der Zurechnungsnorm des § 15 AStG der Höhe nach in einem quantitativen Missverhältnis zu den potenziell zu beziehenden Leistungen stehen würde. Dies ergäbe sich aus einem Vergleich der für die Streitjahre zuzurechnenden Einkünfte mit den fiktiv möglichen Zuwendungen (vgl. dazu die Ausführung der Klägerseite in dem Schriftsatz vom 30.04.2020, S. 34 ff., Bl. 206 ff. der FG-Akte). Weiterhin liege ein Verstoß gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip vor, weil die Besteuerung im konkreten Fall unabhängig davon eintrete, ob die Begünstigten Zahlungen tatsächlich erhalten hätten. Die Annahme, dass Begünstigte Steuern entrichten müssten, ohne in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gestiegen zu sein, werde dadurch verstärkt, dass die Zahlungen der entsprechenden Steuerschulden zu weiteren Belastungen, wie z.B. die Aufnahme von Krediten führen könnten, „weil die Fähigkeit zur Steuerzahlung einfach unterstellt werde“. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Stiftung die zu zahlenden Steuerbeträge der Begünstigten ausschütten könnte. Denn nach der aktuellen Praxis der Finanzverwaltung würden Ausschüttungen einer Familienstiftung doppelt, das heißt mit Schenkungs- und Einkommensteuer besteuert (unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 des Erbschaftsteuergesetzes und § 20 Abs. 1 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes) werden. Der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sowie gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. So könne im vorliegenden Falls insbesondere eine Ungleichbehandlung daraus abgeleitet werden, dass die Begünstigten keinen Einfluss auf die Stiftung ausüben könnten, weil eine solche Möglichkeit der Einflussnahme nicht bestehe. Selbst nach Ansicht des BFH seien in bestimmten Fällen die Erlassregelungen der §§ 163, 222 und 227 AO anzuwenden. Im vorliegenden Falle seien die Voraussetzungen einer Billigkeitsfestsetzung bzw. eines Billigkeitserlasses aufgrund der oben gemachten Ausführungen offensichtlich erfüllt. Dazu bedürfe es für die Gewährung keines Antrages, vielmehr habe die Finanzverwaltung die Möglichkeit von Billigkeitsmaßnahmen zu prüfen, wenn sich dies nach den Umständen des Einzelfalles aufdrängen würden.

    Letztlich liege auch ein Verstoß gegen Art. 6 GG vor, weil die Begünstigten, die eine Mehrzahl von Kindern hätten, schlechter gestellt würden als kinderlose Begünstigte. Denn die aktuelle Besteuerungspraxis der Finanzverwaltung führe dazu, dass in den Familienstämmen mit mehreren Kindern eine höhere Besteuerungsbelastung bestehe, obwohl die Kinder bzw. Eltern keine Zahlungen von der Stiftung erhalten hätten.

    Die Klägerin beantragt sinngemäß,

    die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 18 Abs. 4 AStG für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2016 über das zuzurechnende Einkommen der X-Familienstiftung im Sinne des § 15 Abs. 1 AStG, jeweils vom 31.03.2019, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 aufzuheben,

    hilfsweise

    die Revision zuzulassen.

    Das nunmehr (durch Organisationsakt) zuständig gewordene Finanzamt beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Hinsichtlich der zunächst von dem Finanzamt zur Zulässigkeit der Klage vorgetragenen Bedenken wird auf den Schriftsatz des Finanzamts vom 04.09.2020, Bl. 296 ff. der FA-Akte, Bezug genommen.

    Das Finanzamt ist der Ansicht, dass die Klage jedenfalls unbegründet sei, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 2 AStG erfüllt seien und weil diese Regelungen wie auch die Regelung des § 15 Abs. 6 AStG weder verfassungsrechtlichen noch europarechtlichen Bedenken begegnen würden.

    Bei der X-Stiftung handle es sich um eine Familienstiftung sowohl im Sinne des § 15 Abs. 1 AStG als auch im Sinne des § 15 Abs. 2 AStG. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei die X-Stiftung unter dem Vorbehalt des öffentlichen Rechts nicht der Aufsichtsbehörde unterstellt und sei von der Pflicht befreit, eine Revisionsstelle zu bezeichnen (unter Hinweis auf Art. 87 Abs. 1 ZGB). Nur über Anstände privater Natur entscheide das Gericht (Art. 87 Abs. 2 ZGB). So übe das Gericht nur eine antragsbezogene Aufsicht aus, was bedeute, dass der ordentliche Zivilrichter nicht von Amts wegen, sondern ausschließlich auf Antrag in streitigen Fällen entscheiden würde.

    Aus den Stiftungsstatuten der X-Stiftung ergebe sich, dass die Begünstigten sowohl bezugs- als auch anfallsberechtigt im Sinne des § 15 Abs. 1 AStG seien. Bezugs- oder Anfallsberechtigung würden keinen Rechtsanspruch voraussetzen. Die Grenze der Zurechnung würden Zufallsdestinatäre bilden. Mangels Definition der begrifflichen Schranken sei im Einzelfall auf den Grad der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme durch den Berechtigten abzustellen. Das Finanzamt verstehe daher unter einem Zufallsdestinatär eine Person, bei der die Zuwendung eines Vermögensvorteils oder der Anfall des Vermögens unter Zugrundelegung der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit rein spekulativ sei. Beiträge zur Deckung von Kosten der Ausbildung, eines Fachstudiums, für Studienaufenthalte im Ausland für Ausstattung bei Heirat, für die Eröffnung eines Geschäfts oder für die Gründung einer eigenen Existenz würden die Rechtsfolgen des § 15 Abs. 1 AStG nicht ausschließen. In diesen Fällen sei die Berechtigung anhand der allgemeinen Lebenswirklichkeit oder auf Grund von statistischen Werten nicht bloß spekulativer Natur (auch unter Hinweis auf die in dem BMF-Schreiben vom 14.05.2004, BStBl. I 2004, Sonder-Nr. 1/2004, 3, unter Textziffer 15.2.1 niedergelegten Grundsätze).

    Für die Bezugsberechtigung verlange der BFH eine aus den Statuten abgeleitete „gesicherte Rechtsposition“, die den Betroffenen nicht oder nur bei Eintreten ungewöhnlicher Umstände entzogen werden könne (unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457). Die in Art. 10 des Stiftungsstatuts der X-Stiftung beschriebenen Ereignisse würden die Prognose zulassen, dass die berechtigten Familienmitglieder künftig entsprechende Beiträge aus den Stiftungsmitteln erhalten würden. Dies sei bei den Begünstigten, die noch kein hohes Lebensalter erreicht hätten, hinsichtlich der Ereignisse „Ausbildung“, „Fachstudium“ und Existenzgründung evident. Soweit die Klägerseite bei einigen Personen auf das fortgeschrittene Alter der Begünstigten hinweise, müsse dem entgegengehalten werden, dass auch der BFH in seinem Urteil vom 03.07.2019, II R 6/16 (BStBl. II 2020, 61) bei einem 29jährigen die Gewährung einer „Anschubfinanzierung“ als nicht neben der Sache liegend angesehen habe.

    Die Begünstigten der X-Stiftung seien auch anfallsberechtigt. Dies ergebe sich insb. aus Art. 15 der Stiftungsstatuten, aber auch aus Art. 10 Abs. 2 der Stiftungsstatuten, weil die Begünstigten Beiträge „aus den Stiftungsmitteln“ ‒ also offenbar nicht nur aus den Einkünften, sondern auch aus dem jeweiligen Vermögen ‒ erhalten könnten. Die Annahme einer Bezugs- und Anfallsberechtigung werde überdies durch die bestehende Einflussnahmemöglichkeiten der jeweiligen Begünstigten auf die Besetzung des Stiftungsrates flankiert. So sei insb. hervorzuheben, dass entgegen der Darstellung der Klägerseite nach Art. 12 Abs. 2 des Stiftungstatuts nicht das kumulative Vorliegen von Domizilierung und Bürgerrecht erforderlich sei, sondern die Voraussetzungen seien durch das Wort „oder“ verbunden.

    Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG „entsprechend ihrem Anteil zugerechnet“ sei im vorliegenden Falle keine Differenzierung zwischen den Begünstigten vorzunehmen, da alle Bezugsberechtigten der X-Stiftung auch im gleichen Verhältnis anfallsberechtigte seien. Nach dem Wortlaut des § 15 AStG würden Bezugs- und Anfallsberechtigte für die Zurechnungsbesteuerung gleichwertig nebeneinander und nicht in einem Stufenverhältnis zueinanderstehen. Im Zweifel seien auch alle Familienmitglieder als bezugsberechtigt anzusehen, soweit sie nicht ausdrücklich nach der Satzung von Bezügen ausgeschlossen würden. Der jeweilige Bezugs- und Anfallsberechtigungsanteil des einzelnen Zurechnungssubjekts sei in das Verhältnis zur gesamten Bezugs- und Anfallsberechtigung der Stiftung zu setzen. Dabei sei auf die im jeweiligen Zurechnungszeitpunkt bestehende Quote abzustellen. Es sei das Einkommen zuzurechnen, das der Familienstiftung während des betreffenden Veranlagungszeitraumes zugeflossen sei. Das Finanzamt habe sich daher mit der Klägerin im Einspruchsverfahren darauf verständigt, eine Zurechnung nach Köpfen vorzunehmen. Die Einkünfte seien nach § 15 Abs. 7 AStG ermittelt worden. Diese Einkünfte aus Kapitalvermögen seien bei den Begünstigten in den Feststellungsbescheiden als Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG und § 32 d EStG entsprechend § 15 Abs. 8 Satz 1 und 2 AStG zugerechnet worden. In diesem Fall werde grundsätzlich eine fiktive Leistung von der Stiftung an den Zurechnungsempfänger angenommen, wobei tatsächlich keine Zuwendung erfolge.

    Aus § 18 Abs. 4, der § 18 Abs. 3 AStG für entsprechend anwendbar erkläre, ergebe sich, dass jeder von der ausländischen Familienstiftung Begünstigte, unbeschränkt Steuerpflichtige eine Erklärung zur gesonderten Feststellung abzugeben habe. Dies gelte auch, wenn sich die Steuerpflichtigen auf § 15 Abs. 6 AStG berufen könnten (unter Bezugnahme auf das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 12.11.2020 4 K 832/18).

    § 15 Abs. 6 AStG sei weder unmittelbar noch analog anwendbar. Es bestehe keine planwidrige Regelungslücke, da nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Gesetzgeber es übersehen habe, Drittstaaten in die Vorschrift des § 15 Abs. 6 AStG aufzunehmen (unter Hinweis auf ein Urteil des FG Hamburg vom 17.12.2020 6 K 307/19 und die dort erörterte Entstehungsgeschichte).

    Das Finanzamt ist darüber hinaus der Ansicht, dass sich die X-Stiftung bzw. die Feststellungsbeteiligten nicht auf EU-Recht berufen könnten, weil ausländische Familienstiftungen in den Anwendungsbereich des Art. 49 AEUV und die dort geregelte Niederlassungsfreiheit fallen würden, so dass sich die in einem Drittstaat, der Schweiz, ansässige X-Stiftung darauf nicht berufen könne. Die auch im Verhältnis zu Drittstaaten zu beachtende Regelung der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV sei nicht betroffen. Vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH falle die X-Stiftung unter die Niederlassungsfreiheit, weil es den Begünstigten der Stiftung aufgrund ihrer Verflechtung möglich sei, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Stiftung auszuüben und deren Tätigkeit zu bestimmen.

    Die Stiftung erfülle nach ihrer Stiftungssatzung auch keine karitativen oder sozialen Zwecke (unter Bezugnahme auf die EuGH-Entscheidungen vom 10.04.2014 C-190/12, vom 21.01.2010 C-311/08, und vom 14.09.2017 C-646/15).

    Auch wenn man abweichend davon, der Ansicht sei, dass grundsätzlich der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 Abs. 1 AEUV betroffen sei, so werde der Anwendungsbereich dieser auch im Verhältnis zu Drittstaaten geltenden Vorschrift im vorliegenden Falle durch die sog. Stand-Still-Klausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV ausgeschlossen. Das AStG sei am 09.09.1972 in Kraft getreten, so dass die zeitlichen Voraussetzungen des Art. 64 Abs. 1 AEUV erfüllt seien. Wegen der dahingehenden weiteren Ausführungen des FA wird auf die Seiten 16 ‒ 21 seines Schreibens vom 29.11.2021, Bl. 536 ‒ 539 der FG-Akte, Bezug genommen.

    § 15 AStG sei entgegen der Ansicht der Klägerseite auch nicht verfassungswidrig. So habe der BFH in mehreren Entscheidungen bestätigt, dass diese Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Darüber hinaus könne sich die X-Stiftung als ausländische Person ohnehin nicht auf eine Verletzung der Art. 3 und 6 des GG berufen. Aber auch hinsichtlich der Feststellungsbeteiligten liege kein Verstoß gegen Art. 3 und 6 GG vor. Soweit die Klägerin darauf hinweisen würde, dass eine Gleichbehandlung von wesentlich ungleichem vorliege, weil die Rechtsfolgen des § 15 Abs. 1 AStG unabhängig davon eintreten würden, ob die Stiftung in rechtsmißbräuchlicher Absicht gegründet worden sei, überzeuge dies nicht, weil auch der BFH in seinem Urteil vom 25.04.2001 darauf hingewiesen habe, dass es, für die Anwendung der Vorschrift gerade nicht erforderlich sei, dass die Familienstiftung in mißbräuchlicher Absicht gegründet worden sei. Es liege aber auch keine Verletzung des Art. 3 GG i.V.m dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vor. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass dann, wenn die ausländische Familienstiftung einen steuerlich wirksamen wirtschaftlichen Gewinn erziele, auch die Leistungsfähigkeit der ausländischen Familienstiftung steige und zugleich über den bei wirtschaftlicher Betrachtung eintretenden Wertzuwachs der Beteiligtenstellung an der ausländischen Familienstiftung auch die Leistungsfähigkeit der unbeschränkt steuerpflichtigen Destinatäre ‒ hier der Feststellungsbeteiligten.

    Ziel des § 15 AStG sei es, diesen Zugewinn an Leistungsfähigkeit auch ohne Zuwendung beim unbeschränkt Steuerpflichtigen zu erfassen. § 15 Abs. 8 und 11 AStG würden sicherstellen, dass es nicht zu einer doppelten Belastung des unbeschränkt Steuerpflichtigen komme. Stundungs- und Erlassmöglichkeiten seien im vorliegenden Fall aus Billigkeitsgründen nicht zu gewähren, da die Begünstigten für die Steuerforderung auf das Einkommen oder Vermögen der Stiftung zurückgreifen können. So seien den Begünstigten zur Begleichung der Steuerschulden von der X-Stiftung Darlehen mit dem Hinweis gewährt worden.

    Art. 6 GG sei nicht verletzt, weil die Familienstiftung nicht in den Schutzbereich dieses Grundrechtsartikels falle. Bei einer Familienstiftung handle es sich nicht um eine enge Gemeinschaft und es bestehe auch kein ausreichendes Näheverhältnis damit der Schutzbereich des Art. 6 GG eröffnet sei. Es handle sich um ein künstliches Gebilde und eben keine tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze der Kläger vom 30.04.2020, 14.10.2020, 14.07.2021 und 11.03.2022 sowie auf die Schriftsätze des FA vom 04.09.2020, 19.02.2021 und 29.11.2021 Bezug genommen.

    Dem Gericht haben vier Bände Steuerakten vorgelegen.

    Entscheidungsgründe

    I. Die Klage ist zulässig.

    1.Die Klage ist zulässig, obwohl nach dem Wortlaut der Klageschrift diese als Klage der X-Stiftung erhoben worden ist. Im Wege der rechtsschutzgewährenden Auslegung geht das Gericht davon aus, dass die Klage auf der Grundlage des § 48 Abs. 2 Satz 1 FGO i.V.m. § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO von der Klägerin (der Z) als Empfangsbevollmächtigte für die in den jeweiligen Feststellungsbescheiden bezeichneten Feststellungsbeteiligten erhoben worden ist.

    Nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO können bei Bescheiden über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen dann, wenn ein zur Vertretung berufener Geschäftsführer nicht vorhanden ist, Klagebevollmächtigte im Sinne des § 48 Abs. 2 FGO Klage erheben. Nach § 48 Abs. 2 Satz 1 FGO sind klagebefugt im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. FGO u.a. gemeinsame Empfangsbevollmächtigte im Sinne des § 183 Abs. 1 Satz 1 der AO. Voraussetzung dafür ist jedoch nach § 48 Abs. 2 Satz 3 FGO, dass die Beteiligten spätestens bei Erlass der Einspruchsentscheidung über die Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten belehrt worden sind.

    Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Falle erfüllt, obwohl ursprünglich für die Begünstigten der X-Stiftung hinsichtlich der Streitjahre Feststellungserklärungen abgeben worden sind, in denen zwar die Klägerin als Empfangsbevollmächtigte gem. § 183 Abs. 1 Satz 1 AO benannt worden ist, die aber nicht durch die Feststellungsbeteiligten unterschrieben waren. Die fehlenden Unterschriften sind jedoch während des laufenden Einspruchsverfahrens bei dem beklagten Finanzamt nachgereicht worden; die jeweiligen Unterschriften wurden im Mai des Jahres 2019 geleistet. Im Ergebnis sind die Feststellungsbeteiligten auch durch die Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 über die Klagebefugnis der Empfangsbevollmächtigten belehrt worden, denn in der Einspruchsentscheidung sind die angefochtenen Feststellungsbescheide auf S. 1 und die Feststellungsbeteiligten auf der S. 3 im Einzelnen aufgeführt worden. In der auf S. 2 enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung wird darüber hinaus darauf hingewiesen, dass auch ein gegebenenfalls berufener Empfangsbevollmächtigter zur Klageerhebung befugt ist. Dass bei Bekanntgabe der einzelnen Feststellungsbescheide noch keine wirksame Empfangsbevollmächtigung vorlag und dass die Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 „in der Einspruchssache X Familienstiftung“ vertreten durch die Klägerin ergangen ist, ändert zunächst nichts daran, dass bei Klageerhebung eine wirksame Empfangsbevollmächtigung vorlag.

    2. Das Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf gegen die angegriffenen Feststellungsbescheide ist auch entsprechend den Voraussetzungen des § 44 Abs.1 FGO erfolglos geblieben, weil die am 22.08.2019 ergangene Einspruchsentscheidung auch gegenüber den Feststellungsbeteiligten wirksam ergangen ist, obwohl die angefochtenen Feststellungsbescheide selbst zunächst nicht wirksam bekanntgegeben worden sind und die Einspruchsentscheidung in Sachen „X Familienstiftung“ ergangen und postalisch lediglich der Klägerin übermittelt worden ist. Letztlich ist die fehlerhafte Bekanntgabe der ursprünglichen Feststellungsbescheide spätestens durch die wirksame Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geheilt worden.

    a) Die angefochtenen Feststellungsbescheide für die Feststellungszeiträume 2012 bis 2016 vom 21.03.2019 sind gegenüber den einzelnen in den Feststellungsbescheiden aufgeführten Feststellungsbeteiligten zunächst wohl nicht wirksam bekanntgegeben worden, weil sie nicht im Wege der Einzelbekanntgabe, sondern an die jetzige Klägerin als Empfangsbevollmächtigte i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1 AO bekanntgegeben werden sollten. Bei Ergehen der Bescheide fehlte es jedoch, wie bereits oben ausgeführt, an einer wirksamen Empfangsbevollmächtigung.

    b) Die fehlerhafte Bekanntgabe ist jedoch bereits dadurch geheilt worden, dass die Feststellungsbescheide durch die Klägerin an die betroffenen Feststellungsbeteiligten weitergeleitet worden sind (vgl. zur Heilung von Bekanntgabemängeln durch die tatsächliche Weiterleitung der entsprechenden Bescheide an den richtigen Bekanntgabeadressaten u.a. BFH-Urteile vom 09.06.2005 IX R 25/04, BFH/NV 2006, 225 und 26.06.2008 IV R 89/05, BVFH/NV 2008, 1984, jeweils m.w.N.). Dies folgt zum einen daraus, dass die auf den Feststellungserklärungen fehlenden Unterschriften im Einspruchsverfahren nachgereicht wurden und zum anderen aber auch aus den während des Einspruchsverfahrens zwischen der X-Stiftung und den Feststellungsbeteiligten hinsichtlich der Verfahrenskosten abgeschlossenen Darlehensverträgen. Darüber hinaus war die Klägerin als Verfahrensbevollmächtigte der Feststellungsbeteiligten auch bereits in die umfangreichen Gespräche vor Abgabe der Feststellungserklärungen mit und auf allen Ebenen der Finanzverwaltung eingebunden worden. Vor diesem Hintergrund braucht das Gericht auch nicht darüber zu entscheiden, ob auch für die Fälle der Empfangsbevollmächtigung nach § 183 Abs. 1 AO die Vermutung des § 80 Abs. 2 Satz 1 AO zu berücksichtigen ist, und damit die Bevollmächtigung der Klägerin bei Erlass der Feststellungsbescheide ohnehin zu vermuten gewesen wäre (zu Reichweite dieser Vermutung im Übrigen vgl. BFH-Urteil vom 16.03.2022 VIII R 19/19, juris, m.w.N.) .

    c) Die fehlerhafte Bekanntgabe der Feststellungsbescheide vom 21.03.2019 ist jedoch auch dann, wenn man der unter bb) vertretenen Auffassung nicht folgen wollte, spätestens durch die wirksame Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 22.08.2019 trotz deren aufgezeigter Mängel geheilt worden (vgl. zur Heilung von Bekanntgabemängeln durch ordnungsgemäße Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung BFH-Urteile vom 31.08.1999 VIII R 21/98, BFH/NV 2000, 554 und vom 26.06.2008 IV R 89/05, BVFH/NV 2008, 1984, jeweils m.w.N.). Unter Berücksichtigung der langen Vorgeschichte dieser Einspruchsentscheidung und ihres Inhalts hat das Gericht keine Zweifel daran, dass die zwar in der Einspruchssache „X Familienstiftung“ ergangene Einspruchsentscheidung mit inhaltlicher Wirkung den Feststellungsbeteiligten gegenüber nicht nur wirksam bekanntgegeben wurde, sondern dass damit auch das gegen die ergangenen Feststellungsbescheide im Namen der Feststellungsbeteiligten angestrengte außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren abgeschlossen und, den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 FGO entsprechend, erfolglos geblieben ist. Insbesondere war seitens der Klägerin der Einspruch im Namen aller (namentlich benannten) Feststellungsbeteiligten eingelegt worden. Darüber hinaus wird in der postalisch an die Klägerin bekanntgegebenen Einspruchsentscheidung auf die ergangenen Feststellungsbescheide Bezug genommen und die einzelnen Feststellungsbeteiligten werden namentlich aufgeführt. Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, dass auf der ersten Seite der Einspruchsentscheidung das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren als „Einspruchssache X Familienstiftung“ bezeichnet wird, denn für alle Beteiligten stand aufgrund des Geschehensablaufs außer Frage, dass damit über den im Namen der Feststellungsbeteiligten eingelegten Einspruch entschieden worden ist.

    II. Die Klage ist auch begründet, weil die angegriffenen Feststellungsbescheide rechtswidrig sind und die von der Klägerin vertretenen Feststellungsbeteiligten in ihren Rechten verletzen. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 AStG waren in den Streitjahren zwar erfüllt, die Vorschrift war jedoch aufgrund einer geltungserhaltenden unionsrechtskonformen Auslegung des § 15 Abs. 6 AStG nicht anzuwenden.

    1. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG i.V.m. § 15 Abs. 2 AStG (und in der Folge auch die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 und 4 AStG) für den Erlass der angegriffenen Feststellungsbescheide waren für die Feststellungszeiträume 2012 bis 2016 gegeben, weil die in den Feststellungsbescheiden bezeichneten Feststellungsbeteiligten zwar nicht bezugs-, wohl aber anfallsberechtigt waren.

    a) Bei der X-Stiftung handelt es sich auch grundsätzlich - und unabhängig von den im vorliegenden Falle insbesondere streitigen Fragen der Bezugs- oder Anfallsberechtigung - um eine Familienstiftung im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG i.V.m. § 15 Abs. 2 AStG.

    Nach § 15 Abs. 2 AStG sind Familienstiftungen Stiftungen, bei denen der Stifter, seine Angehörigen und deren Abkömmlinge zu mehr als der Hälfte bezugsberechtigt oder anfallsberechtigt sind.

    aa) Nach den vorliegenden Stiftungsstatuten der X-Stiftung für die Streitjahre und auch nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten, sind die potentiell Begünstigten der X-Stiftung, nachdem die Stifterin und ihre unmittelbaren Angehörigen verstorben sind, deren „Abkömmlinge“ i.S.d. § 15 Abs. 2 AStG soweit sie dem Familienstamm B.B.-D. zuzurechnen sind (zu den verwandtschaftlichen Beziehungen vgl. die Übersicht auf Bl. 225 der FG-Akte). Dies sind die in den angegriffenen Feststellungsbescheiden aufgeführten Feststellungsbeteiligten.

    bb) Die X-Stiftung ist darüber hinaus als „Stiftung“ im Sinne des § 15 Abs. 2 bzw. Abs. 1 AStG zu beurteilen. Die Beurteilung als Stiftung hängt davon ab, ob ein ausländisches Rechtsgebilde nach seiner inneren und äußeren rechtlichen Ausgestaltung mit einer Stiftung deutschen Rechts vergleichbar ist. Nach § 80 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist eine Stiftung eine mit Rechtfähigkeit ausgestattete, nicht verbandsmäßig organisierte Einrichtung, die einen vom Stifter bestimmten Zweck mit Hilfe eines dazu gewidmeten Vermögens dauern fördern soll. Die X-Stiftung entspricht einer deutschen Stiftung. Sie wurde nach schweizerischem Recht mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz auf der Grundlage der Art. 80 ff. und Art. 335 des ZGB gegründet. Die Regelungen im schweizerischen Recht über Stiftungszweck, Stiftungsvermögen und Stiftungsorganisation entsprechen den deutschen Vorschriften. Nach Art. 10 der Stiftungsstatuten liegt der Zweck der Stiftung in der Widmung eines Kapitals im Sinne des Art. 335 ZGB.

    cc) Die Abkömmlinge der Stifterin wären in den Streitjahren auch „zu mehr als der Hälfte“ bezugs- oder anfallsberechtigt i.S.d. § 15 Abs. 2 AStG gewesen, wenn die Kriterien einer Bezugs- oder Anfallsberechtigung gegeben sind (vgl. dazu unten II. 1. b)). Vorausgesetzt, dass alle als Feststellungsbeteiligte betroffenen Abkömmlinge bezugs- oder anfallsberechtigt sind, sind sie es zu über 50%, weil aufgrund der Stiftungsstatuten grundsätzlich keine Bezugs- oder Anfallsberechtigung von Personen in Betracht kommt, die keine Abkömmlinge oder Angehörige des Stifters sind (Art. 10 i.V.m. den übrigen Regelungen der Statuten). Art. 10 letzter Satz der Statuten enthält lediglich eine Ausnahme („ausnahmsweise“) für die Ehegatten von „Nachkommen“ und auch nur für die in Art. 10 bezeichneten „Zuwendungen“. Es kann dahingestellt bleiben, wie dieses Tatbestandsmerkmal zu beurteilen wäre, wenn in den jeweiligen Feststellungszeiträumen lediglich einzelne Begünstigte die Voraussetzungen des Art. 10 der Stiftungsstatuten tatsächlich erfüllt und/oder entsprechende Zuwendungen erhalten hätten und man nur deswegen von einer Bezugsberechtigung dieser jeweiligen Personen ausgehen würde, weil dies in Jahren 2012 bis 2016 nicht der Fall war und weil das Gericht letztlich von einer Anfallsberechtigung aller Abkömmlinge ausgeht (dazu unten II. 1. b) bb) der Entscheidungsgründe).

    b) Bei den in den angefochtenen Feststellungsbescheiden aufgeführten Feststellungsbeteiligten handelt es sich zwar nicht um bezugsberechtigte Abkömmlinge der Stifterin im Sinne des § 15 Abs. 2 AStG bzw. § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG, es waren jedoch die Voraussetzungen der Anfallsberechtigung im Sinne dieser Regelungen gegeben und das Finanzamt hat deren Anteile an den Einkünften der X-Stiftung den Feststellungsbeteiligten auch zutreffend zugerechnet.

    aa) Der Begriff der Bezugsberechtigung im Sinne des § 15 Abs. 1 bzw. Abs. 2 AStG ist im Gesetz nicht definiert. Seine Auslegung ist in Rechtsprechung, Verwaltung und Literatur umstritten. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des BFH an, als dieser in mehreren Entscheidungen sowohl hinsichtlich der Bezugs- als auch hinsichtlich der Anfallsberechtigung ausführt, dass der Begriff der Berechtigung keinen (einklagbaren) Rechtsanspruch voraussetzt. Danach geht der Wortteil „Berechtigung“ inhaltlich weiter als der Begriff Rechtsanspruch, er umfasst auch Rechtspositionen geringerer Qualität (vgl. dazu insb. BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457 m.w.N). Eine allgemein gültige abstrakte Definition dazu, wann eine gesicherte Rechtsposition vorliegt, enthält das zitierte Urteil des BFH nicht. In der Literatur wird u.a. die Ansicht vertreten, dass eine Bezugs- oder Anfallsberechtigung zumindest eine tatsächliche Anwartschaft auf die Zuwendung von Bezügen bzw. von Vermögensvorteilen voraussetzt. Diese Auslegung wird allerdings dahingehend eingeschränkt, dass daraus, dass eine Person einen Rechtsanspruch bzw. eine tatsächliche Anwartschaft auf Zuwendungen hat, noch nicht die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass ihr zwangsläufig alle Einkünfte der Familienstiftung (gegebenenfalls anteilig) zugerechnet werden können. Auch soll die theoretische Möglichkeit, Zuwendungen von der Familienstiftung zu erhalten, für die Annahme einer Bezugsberechtigung nicht ausreichen. Vielmehr sollen Abkömmlinge davon erfasst sein, an die das Einkommen der Stiftung regelmäßig ausgekehrt wird (vgl. nur Wassermeyer in Flick/Wassermeyer Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Rz. 54 und 56 zu § 15 AStG m.w.N.). Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist bezugsberechtigt auch eine Person, bei der nach der Satzung damit gerechnet werden kann, dass sie Vermögensvorteile erhalten wird. Bei sogenannten Zufallsdestinatären soll eine Zurechnung entfallen (vgl. BMF-Schreiben vom 14.05.2004 ‒ IV B 4 ‒ S 1340 ‒ 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1/2004, 3, Tz. 15.2.1.). Nach Auffassung des beklagten Finanzamtes handelt es sich bei Zufallsdestinatären um Personen, bei der die Zuwendung eines Vermögensvorteils oder der Anteil des Vermögens unter Zugrundelegung der allgemeinen Lebenswahrscheinlichkeit rein spekulativ ist. Nach anderer Ansicht besteht bei Zufallsdestinatären keine Bezugsberechtigung, weil sie weder unmittelbar noch mittelbar die Möglichkeit haben, auf die Stiftung oder die Vergabe der Zuwendungen einzuwirken (vgl. dazu u.a. Runge, der Betrieb 1977, 514).

    Nach Ansicht des Senats sind die Begünstigten/Destinatäre der X-Stiftung in den Streitjahren nicht als Bezugsberechtigte im Sinne des § 15 Abs. 1 und 2 AStG zu qualifizieren, weil es sich bei ihnen zwar nicht um reine Zufallsdestinatäre im oben umschriebenen Sinne handelt, sie andererseits aber keine gesicherte Rechtsposition erlangt haben, die ihnen es ermöglichen würde auf die Einkünfte der X-Stiftung zuzugreifen. Im Gegensatz zu dem auf zukünftige Ereignisse gerichteten Tatbestandsmerkmal der Anfallsberechtigung muss eine wie auch immer geartete Bezugsberechtigung hinsichtlich der aktuellen Einkünfte der jeweiligen Familienstiftung bestehen. Es gibt in den Statuten der X-Stiftung jedoch keine Regelung, die den Feststellungsbeteiligten eine gesicherte Rechtsposition im Hinblick auf die durch die X-Stiftung erzielten Einkünfte einräumt. Vielmehr sind Zuwendungen nur auf der Grundlage des Art. 10 der Stiftungsstatuten möglich, auf die jedoch nach Art. 11 der Statuten kein einklagbarer Rechtsanspruch besteht. Darüber, ob die jeweiligen Voraussetzungen erfüllt sind und ob deshalb Zuwendungen gewährt werden, entscheidet der Stiftungsrat nach freiem Ermessen. In den Streitjahren hat auch keine dieser Personen Zuwendungen der X-Stiftung erhalten. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Destinatäre der X-Stiftung auf die Ausschüttung und auf die Verteilung der Einkünfte der X-Stiftung in der Vergangenheit oder in der Gegenwart hätten Einfluss nehmen können oder dass sie dies tatsächlich getan hätten. Das Gegenteil ist der Fall, denn aus den vorliegenden Akten ergibt sich, was auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist, dass keiner der Begünstigten in der Vergangenheit auf der Basis des Art. 10 der Stiftungsstatuten von dem Stiftungsrat bewilligte Zuwendungen erhalten hat.

    bb) Bei den in den angegriffenen Feststellungsbescheiden bezeichneten Begünstigten waren jedoch in den Streitjahren die Voraussetzungen der (in die Zukunft weisenden) Anfallsberechtigung im Sinne des § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AStG erfüllt.

    Die Anfallsberechtigung im Sinne des § 15 Abs. 1 AStG setzt keinen (einklagbaren) Rechtsanspruch voraus. Vielmehr reicht eine gesicherte Rechtsposition in Bezug auf den Anteil des Vermögens zur Bejahung des Tatbestands. Das Bestehen einer Anfallsberechtigung setzt voraus, dass das Vermögen der Stiftung noch nicht verteilt worden ist. Die Anfallsberechtigung bezieht sich ihrer Natur nach auf einen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt. Sie hängt auch nicht davon ab, ob die Berechtigten in der Zeit bis zum Anfall des Vermögens Zuwendungen von der Stiftung erhalten. Die Anfallsberechtigung ist alternative Tatbestandsvoraussetzung im Verhältnis zur Bezugsberechtigung. Daraus folgt, dass das Stiftungsvermögen Anteilsberechtigten zugerechnet werden kann, die nicht auch Bezugsberechtigt sind (vgl. dazu umfassend BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457, mit weiteren Ausführungen zur Entstehungsgeschichte und zum Sinnzusammenhang, in dem § 15 AStG steht, zur allgemeinen rechtlichen Stellung von Destinatären und dazu, dass der Begriff der Anfallsberechtigung auf Grund seiner Entstehungsgeschichte nicht an die §§ 45, 46 und 1942 des BGB anknüpfen wollte; a.A. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld Außensteuerrecht Rz. 60 zu § 15 AStG).

    Nach Auffassung des Gerichts folgt die Anfallsberechtigung der Begünstigten in den Streitjahren bereits aus den Regelungen der Art. 14 ‒ 16 der Stiftungsstatuten der X-Stiftung. Aus dem gesamten Regelungskontext ergibt sich, dass im Falle der Auflösung der Stiftung das Vermögen der Stiftung vorrangig den Abkömmlingen des Stammes B.B.-D., die aufgrund des Art. 10 Stiftungsstatuten begünstigt sind, zufließt. Etwas Anderes würde nur dann gelten, wenn „auf Wunsch der Destinatäre“ der Stiftungsrat das Stiftungsvermögen in Teile zerlegt hätte (Art. 14 der Stiftungsstatuen) oder wenn der Zweck der Stiftung nicht mehr erreicht kann (Art. 15 Abs. 2 der Stiftungsstatuten), was letztlich dann der Fall wäre, wenn der Stamm B.B.-D. ausgestorben wäre. Nur dann könnte das Stiftungsvermögen auch nur einem oder mehreren wohltätigen oder gemeinnützigen Zwecken zugeführt werden. Auch wenn es in den Stiftungsstatuten keine ausdrückliche Regelung des Inhalts gibt, dass das Stiftungsvermögen im Falle einer Auflösung oder (wie auch immer gearteten) Ausschüttung den Begünstigten/Destinatären zusteht, wird dies durch die Anlage und die Organisation der Stiftung ohne weiteres vorausgesetzt. Dies wird nachhaltig durch ein Gutachten bestätigt, das dem Gericht in einem Parallelverfahren betreffend eine Schweitzer Familienstiftung mit nahezu inhaltsgleichen Stiftungsstatuten von der Klägerin vorgelegt wurde. In diesem, von dem schweizerischen Rechtsanwalts S erstellten Gutachten vom 24.11.2021, wird, ohne dass dies näher hinterfragt wird, davon ausgegangen, dass eine Ausschüttung nur an die Destinatäre erfolgen kann. Das Gutachten wurde im Zusammenhang mit einer seitens dieser Schweizer Familienstiftung vorgenommenen und für zulässig erachteten Teilausschüttung des Stiftungsvermögens an die Destinatäre erstellt. Insoweit stellt der Gutachter auf der Seite 5 seines Gutachtens fest, dass „das überschüssige Vermögen…bei einer Familienstiftung ….an den Stifter bzw. dessen Erben“ zurückfällt. Und auf den Seiten 8 und 13 seines Gutachtens empfiehlt er dem Stiftungsrat, für eine Teilausschüttung die Zustimmung der Destinatäre, „welchen diese Teilausschüttung zugute kommt“ einzuholen. Der Inhalt des Gutachtens ist den Beteiligten bekannt und ist der FG-Akte des gerichtlichen Parallelverfahrens 8 K 1419/19 angeheftet. Vor dem Hintergrund, dass sich die Anfallsberechtigung bereits aus den Regelungen der Stiftungsstatuten ergibt, bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob auch eine tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme durch die Destinatäre auf den Stiftungsrat die Voraussetzung einer Anfallsberechtigung erfüllen könnten.

    Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es auch nicht darauf an, ob und wann ein Ereignis eintritt, das zu führt, dass das Vermögen der Stiftung auf die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Destinatäre übergeht bzw. bei diesen „anfällt“. Die gesetzliche Regelung unterscheidet insoweit nicht. Es kommt auch nicht darauf an, ob eine Wahrscheinlichkeit besteht, dass die jeweiligen Destinatäre überhaupt ein entsprechendes Ereignis erleben könnten (vgl. auch dazu BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457). Letztlich ist es auch unerheblich, ob sich Begünstigte sich in einem Alter befinden, in dem sie selbst noch nicht wirksame Rechtsgeschäfte tätigen könnten.

    c) In den angegriffenen Feststellungsbescheiden sind auch die den einzelnen Feststellungsbeteiligten gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG zuzurechnenden Anteile zutreffend festgestellt worden.

    Gerade im Falle einer in die Zukunft weisenden Anfallsberechtigung kann nur darauf abgestellt werden, in welchem Umfang die jeweiligen nach den Stiftungsstatuten Begünstigten im Falle einer Ausschüttung oder einer Auflösung an dem Stiftungsvermögen partizipieren würden. Insoweit kann im vorliegenden Falle, so wie es das Finanzamt dann auch getan hat, nur darauf abgestellt werden, wer im jeweiligen Feststellungszeitraum nach den Vorgaben der Statuten Begünstigter war, denn es gibt keine weiteren Regelungen in den Stiftungsstatuten, die andere Aufteilung nahelegen würden. Darüber hinaus lebte die Stifterin in den Feststellungszeiträumen nicht mehr und es bestand auch nicht die Notwendigkeit zwischen Bezugsberechtigten und Anfallsberechtigten zu unterscheiden, weil die Voraussetzungen einer Bezugsberechtigung nicht erfüllt waren.

    2. Die Anwendung des § 15 Abs. 1 AStG wird im vorliegenden Falle jedoch aufgrund einer geltungserhaltenden unionsrechtskonformen Auslegung des § 15 Abs. 6 AStG ausgeschlossen. Da die X-Stiftung ihren Sitz wie auch ihre Geschäftsleitung in der Schweiz (und nicht in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder einem Vertragsstaat des EWR-Abkommens) hat, würde die Anwendung des § 15 Abs. 1 AStG zwar bei einer lediglich auf den Wortlaut abstellenden Auslegung nicht durch § 15 Abs. 6 AStG ausgeschlossen. Da die Regelung des § 15 Abs. 1 AStG aber mit der, auch im Verhältnis zu Drittstaaten zu beachtenden Kapitalverkehrsfreiheit nicht zu vereinbaren ist, ist die Regelung des § 15 Abs. 6 AStG dahingehend unionsrechtskonform auszulegen, dass sie auch für in Drittstaaten ansässige Familienstiftungen Anwendung findet.

    a) Die Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 AStG verletzt die Feststellungsbeteiligten in ihrer europarechtlichen Grundfreiheit der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften --EG-- (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 2002, Nr. C 325, 1), jetzt Art. 63 des AEUV.

    In Art. 63 Abs. 1 AEUV ist festgelegt, dass im Rahmen der Bestimmung dieses Kapitels alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten sowie zwischen den Mitgliedsstaaten und dritten Ländern verboten sind. Die entsprechende Prüfung, ob EU-Grundfreiheiten verletzt sind, ist auch im Rahmen des Feststellungsverfahrens nach § 18 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 AStG durchzuführen (vgl. auch BFH-Urteile vom 14.11.2018 I R 47/16, BFHE 263, 393, BStBl II 2019, 419 und vom 13.06.2018 I R 94/15, BFHE 262, 79).

    aa) Als unbedingtes primärrechtliches Liberalisierungsgebot ist Art. 63 AEUV unmittelbar anwendbar. Es wird auch nicht durch die vorrangig zu prüfende Niederlassungsfreiheit gem. Art. 49 AEUV verdrängt. Bei der Frage, ob EU-Bürger sich wegen einer Benachteiligung durch eine nationale Regelung auf die Niederlassungsfreiheit und oder die Kapitalverkehrsfreiheit berufen können, ist nach der Rechtsprechung des EuGH auf den Gegenstand der nationalen Regelung abzustellen (vgl. Urteile vom 13. 4. 2000 C-251/98, Baars, Slg 2000, I-2787 und vom 21. 11. 2002 ‒ Rs C-436/00 (X und Y), Slg 2002, I-10829). Danach fallen nationale Vorschriften in den sachlichen Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit, wenn ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (vgl. EuGH-Urteil vom 10.02.2011 C-436/08 und C-437/08, C-436/08, C-437/08 (Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen) m.w.N., Slg 2011, I-305-417). Insoweit prüft auch der BFH bei der Abgrenzung die einschlägige Norm des deutschen Steuerrechts abstrakt und nicht auf den Einzelfall bezogen (BFH-Urteil vom 09.05.2012 X R 3/11, BStBl. II 2012, 585). Da die Zurechnungsbesteuerung des § 15 AStG weder einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen der Stiftung, noch auf deren Tätigkeiten voraussetzt, ist die Vereinbarkeit der Regelung mit Europarecht allein am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit zu messen.

    bb) Die Feststellungsbeteiligten fallen als Bürger der Bundesrepublik Deutschland unter den persönlichen Anwendungsbereich des Art. 63 Abs. 1 AEUV. Auch der räumliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist erfüllt, weil Art. 63 Abs. 1 AEUV den Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten, also auch der Schweiz, erfasst.

    cc) Art. 63 AEUV verbietet ganz allgemein alle (nationalen) Bestimmungen, die den Kapitalverkehr zwischen unterschiedlichen Mitgliedstaaten oder Mitgliedstaat und Drittstaaten beschränken (EuGH-Urteile vom 26.03.2009 C-348/07, EuZW 2009, 139; vom 27.01.2009 C-318/07 (Pesche), EuZW 2010, 461 und vom 22.04.2010 C 510/08 (Mattner), EuZW 2010, 461, jeweils noch zu der Vorgängervorschrift des Art. 56 EG).

    Mangels einer eigenen Definition des Begriffs „Kapitalverkehr“ im EG-Vertrag ist nach der Rechtsprechung des EuGH auf die nicht abschließende Nomenklatur des Anhangs I der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.6.1988 zur Durchführung von Art. 67 EGV des Vertrags (ABl. EU 1988, S. 5); im Folgenden: RL 88/361) abzustellen. Dies gilt trotz dessen, dass die Richtlinie nach Aufhebung der Art. 67 ff EWGV ihre ausdrückliche Rechtsgrundlage verloren hat und nicht mehr anwendbar ist (vgl. dazu auch die Ausführungen auf der offiziellen Seite der Europäischen Union https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=legissum:l25068). Insoweit lässt sich der Kapitalverkehr als jede über die Grenzen eines Mitgliedstaates stattfindende Übertragung von Geld- oder Sachkapital von natürlichen und juristischen Personen verstehen, sowie den Zugang zu allen Finanzverfahren, die auf dem für die Durchführung des Geschäfts in Anspruch genommenen Markt zur Verfügung stehen (vgl. in diesem Sinne EUGH-Urteil vom 28.09.2006 C-282/04 und C-283/04 (Kommission/Niederlande), EU:C:2006:608, EuZW 2006, 722, sowie Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16.05.2017, EU:C:2017:376).

    In Ziffer XI „Kapitalverkehr mit persönlichem Charakter“ sind unter Buchstabe B auch ausdrücklich Stiftungen genannt, so dass die Kapitalverkehrsfreiheit auch diese „Anlageform“ erfasst (vgl. dazu auch EuGH-Urteile vom 27.01.2009 C-318/07 (Pesche), EuZW 2009, 139; vom 22.04.2010 C-510/08 (Mattner), EuZW 2010, 461 und vom 03.09.2014 C- 127/12 (Kommission / Spanien), ABl EU 2014, Nr. C 395, 3). Dabei stellt bereits das Einräumen einer Bezugs- oder Anfallsberechtigung einen Kapitalverkehrsvorgang dar, da diese zu einer grenzüberschreitenden Kapitalbewegung führt, soweit der jeweilige Destinatär im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist. Zwar wird das Einräumen einer Bezugs- oder Anfallsberechtigung in der RL 88/361 nicht ausdrücklich als Kapitalverkehrsvorgang genannt. Allerdings umfasst die Nomenklatur der Richtlinie auch Schenkungen. Ist insoweit bereits der schuldrechtliche Schenkungsvertrag als dem eigentlichen Kapitalverkehrsvorgang vorgelagerter Akt von der Kapitalverkehrsrichtlinie erfasst, dann muss das auch für das vergleichbare Einräumen einer Begünstigtenstellung im Rahmen der Errichtung einer Stiftung gelten. Dafür sprechen auch die im Urteil des EuGH vom 06.06.2000 C- 35/98 (Verkooijen, Slg 2001, I-4071) entwickelten Grundsätze: Der EuGH sieht insoweit nicht den Bezug der Dividende als den maßgeblichen Kapitalverkehrsvorgang an, sondern bereits den (vorgelagerten) Erwerb der Anteile.

    dd) Durch die Regelung des § 15 Abs. 1 AStG wird die in Art. 63 AEUV garantierte Kapitalverkehrsfreiheit eingeschränkt.

    Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH gehören zu den Maßnahmen, die als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verboten sind, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die dort Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (vgl. u.a. Urteile vom 18.12.2007 C-101/05 und vom 10.2.2011 C- 436/08 und C- 437/08 (Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen), Slg 2011, I-305-417). Insoweit liegt die beschränkende Wirkung des § 15 Abs. 1 und 2 AStG darin, dass die Zurechnungsbesteuerung geeignet ist, entweder den Stifter oder die Stiftung selbst davon abzuhalten, unbeschränkt steuerpflichtigen Personen eine Begünstigtenstellung einzuräumen. Denn der durch die Regelungen des § 15 Abs. 1 AStG bewirkte Durchgriff durch die Rechtspersönlichkeit der ausländischen Stiftung führt dazu, dass der Stifter selbst oder die Destinatäre eine Steuerlast betreffend die Einkünfte der Familienstiftung zu tragen haben, ohne sicher über die nötigen liquiden Mittel verfügen zu können. Bei einer inländischen Stiftung findet ein solcher Durchgriff indes nicht statt (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteile vom 08.03.2001 C-397/98 und C-410/98 (Metallgesellschaft), HFR 2001, 628; Urteil vom 23.01.2014 C-164/12 (DMC), EuZW 2014, 273; Urteil vom 12.09.2006 ‒ C-196/04 (Cadbury Schweppes), EuZW 2006, 633-638). Die Zurechnungsbesteuerung stellt daher eine nach Art. 63 Abs. 1 AEUV grundsätzlich verbotene Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar.

    Daran kann auch die Möglichkeit der Anrechnung ausländischer Steuern auf den Einkommensteuerbetrag, der auf das Einkommen der ausländischen Stiftung entfällt, nichts ändern. Wenn die Anrechnung nicht zum Wegfall einer Steuerbelastung beim Destinatär führt, stellt die verbleibende sofort fällige Steuerbelastung einen Nachteil dar, selbst wenn später ein Zufluss von Zuwendungen der Stiftung wegen der früheren Zurechnungsbesteuerung steuerfrei ist (vgl. die Regelung des § 15 Abs. 11 AStG).

    b) Die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit wird entgegen der Ansicht des Finanzamts auch nicht durch die Stillhalteklausel des Art. 64 AEUV eingeschränkt, weil die maßgeblichen Regelungen des § 15 Abs. 1 und 2 AStG nicht Direktinvestitionen im Sinne dieser Stillhalteklausel betreffen.

    Nach Art. 64 Abs. 1 AEUV kann ein Mitgliedstaat in seinen Beziehungen zu dritten Ländern Beschränkungen des Kapitalverkehrs auch dann anwenden, wenn sie gegen den in Art. 63 Abs. 1 AEUV niedergelegten Grundsatz des freien Kapitalverkehrs verstoßen, sofern sie bereits am 31. Dezember 1993 bestanden und es sich um „einzelstaatliche Vorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen“ handelt (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteile vom 12.12.2006 C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), EU:C:2006:774, BFH/NV 2007, Beil. 4, S. 173; vom 24.05.2007 C-157/05, (Holböck), EU:C:2007:297, Slg 2007, I-4051, und vom 24.11.2016 C-464/14 (SECIL), EU:C:2016:896, IStR 2017, 118).

    Der Begriff der Direktinvestition ist unionsrechtlich zu verstehen und in der Nomenklatur Anhang I Nr. 1 bis 4 der RL 88/361/EWG definiert. Danach gelten „Investitionen jeder Art durch natürliche Personen, Handels-, Industrie- oder Finanzunternehmen zur Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter und direkter Beziehungen zwischen denjenigen, die die Mittel bereitstellen, und den Unternehmern oder Unternehmen, für die die Mittel zum Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit bestimmt sind“ als Direktinvestition. Erfasst werden dabei sowohl die Gründung, Übernahme und Beteiligung an Unternehmen, als auch langfristige Darlehen oder Reinvestitionen von Erträgen mit dem Ziel der Schaffung oder Aufrechterhaltung dauerhafter Wirtschaftsbeziehungen. Die durch § 15 Abs. 1 AStG vorausgesetzte Einräumung einer Bezugs- oder Anfallsberechtigung stellt nach diesen Maßstäben keine Direktinvestition dar, da die Destinatäre weder an der Stiftung beteiligt sind, noch irgendwelche Verwaltungs- und/oder Kontrollmöglichkeiten haben (siehe auch oben unter II. 1. b) aa)).

    c) Schließlich lässt sich die Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit durch § 15 Abs. 1 AStG auch nicht durch die auf der Grundlage des Art. 65 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 AEUV entwickelten Rechtsprechung des EuGH rechtfertigen.

    Danach berührt Artikel 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, diejenigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln.

    Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Die Bestimmung kann nicht dahin verstanden werden, dass jede Steuerregelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnort oder nach dem Staat ihrer Kapitalanlage unterscheidet, ohne weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre (vgl. EuGH-Urteil vom 26.02.2019 C-135/17, (X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften]), DStR 2019, 489-498). Die nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a) zulässigen Ungleichbehandlungen dürfen nach Abs. 3 nämlich weder ein Mittel zur Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung darstellen. Ungleichbehandlungen sind daher nur zulässig, wenn sie Situationen betreffen, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder andernfalls, wenn sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind und nicht über das hinausgehen, was zum Erreichen des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zwecks erforderlich ist (EUGH-Urteile vom 26.02.2019 C-135/17, (X [in Drittländern ansässige Zwischengesellschaften], DStR 2019, 489-498; vom 17.10.2013 C-181/12 (Welte), IStR 2013, 954 und vom 30.06.2016 C- 123/15 (Feilen), BStBl. II 2017, 424).

    aa) Im vorliegenden Falle führt die Regelung des § 15 Abs. 1 AStG zu einer zu Ungleichbehandlung von ausländischen Familienstiftungen, obwohl sich die jeweiligen in- und ausländische Stiftungen in objektiv miteinander vergleichbaren Situationen befinden.

    Bei der Prüfung der Vergleichbarkeit einer grenzüberschreitenden Situation mit einer mitgliedstaatsinternen Situation ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH das mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgte Ziel zu berücksichtigen (Urteil vom 26.02.2019 C-181/12 (Welte), IStR 2013, 954). Die Vorschrift des § 15 AStG bezweckt, der Verlagerung von „passiven Einkünften“ unbeschränkt steuerpflichtiger Personen auf ausländische Stiftungen entgegenzuwirken, die in Gebieten errichtet werden, in denen das Besteuerungsniveau niedriger ist, mithin also eine Vermeidung volkswirtschaftlich nicht erwünschter Vermögensverlagerung ins (steuerbegünstigte) Ausland. Unter Berücksichtigung der jeweiligen zivilrechtlichen Regelungen unterscheiden sich jedoch die Situationen, in denen sich Familienstiftungen in der Schweiz oder im Inland befinden, objektiv nur durch ihren jeweiligen Sitz: entweder in einem Mitgliedstaat oder Drittland (dann greift § 15 AStG) oder im Inland (dann findet keine fiktive Zurechnung statt). Dies allein stellt jedoch keinen Grund dar, der die Sachverhalte im Hinblick auf die Besteuerung nicht vergleichbar machen würde, da andernfalls der Sinn des Art. 63 Abs. 1 AEUV, der Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs gerade verbietet, vollständig seines Inhalts entleert wäre.

    bb) Die Beschränkung durch § 15 Abs. 1 AStG ist letztlich auch nicht durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

    Eine Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit kann insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn mit den fraglichen nationalen Maßnahmen Verhaltensweisen verhindert werden sollen, die geeignet sind, das Recht eines Mitgliedstaates auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten zu gefährden (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteile vom 10.02.2011, C- 436/08 und C- 437/08 (Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen), Slg 2011, I-305-417 und vom 10.05.2012 C-338/11 bis C-347/11 (Santander Asset Management SGIIC u. a.), DStR 2012, 1016-1021; sowie vom 10.04.2014 C-190/12 (Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company), IStR 2014, 333-341). Daran anknüpfend hat der EuGH entschieden, dass eine nationale Maßnahme, die den freien Kapitalverkehr beschränkt, durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sein kann, der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung vorzubeugen, wenn sie sich spezifisch gegen rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen richtet, die zu dem Zweck errichtet werden, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für die durch Tätigkeiten im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats erzielten Gewinne geschuldet wird (vgl. Urteile vom 12.09.2006 C-196/04 (Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas), DStR 2006, 1686-1691, vom 13.03.2007 C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), IStR 2007, 249-259, sowie vom 3.10.2013 C-282/12 (Itelcar), IStR 2013, 871-874). Außerdem ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Steueraufsicht zu gewährleisten, ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9.10.2014 C-326/12 (van Caster), IStR 2014, 808-812 und vom 22.11.2018 C-679/17 (Huijbrechts), RIW 2019, 166-168).

    Da eine entsprechende nationale Maßnahme nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn sie speziell darauf abzielt, rein künstlicher Gestaltungen entgegenzuwirken, erfüllt eine Regelung, die generell im Sinne einer unwiderleglichen Vermutung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung ausgestaltet ist, diese Kriterien nicht. Allein ein niedriges Besteuerungsniveau in einem Drittland ist nämlich für sich genommen nicht ausreichend für die Feststellung, dass eine rechtlich zulässige Gestaltung zwangsläufig in allen Fällen „künstlich“ ist. Darüber hinaus kann nach ständiger Rechtsprechung des EuGH der bloße Umstand, dass z.B. eine gebietsansässige Gesellschaft eine Beteiligung an einer anderen, in einem Drittland ansässigen Gesellschaft hält, als solcher keine allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung und Steuerumgehung begründen und damit eine steuerliche Maßnahme rechtfertigen, die den freien Kapitalverkehr beeinträchtigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16.07.1998 C-264/96 (ICI), IStR 1998, 467-470, vom 21.11.2002 C-436/00 (X und Y), IStR 2003, 23-28, sowie vom 11.10.2007 C-451/05 (ELISA), IStR 2007, 894-898). Daher muss eine nationale Regelung, damit sie in angemessenem Verhältnis zum Ziel der Verhinderung von Steuerhinterziehung und Steuerumgehung steht, in jedem Fall den Steuerpflichtigen in die Lage versetzen, Anhaltspunkte für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluss des betreffenden Geschäfts beizubringen (vgl. Urteile vom 13.03.2007 C-524/04 (Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation), IStR 2007, 249-259 und vom 3.10.2013 C-282/12 (Itelcar), IStR 2013, 871-874).

    § 15 AStG ist eine Missbrauchsbekämpfungsvorschrift, die Steuerflucht und Steuervermeidung durch Errichtung von ausländischen (Familien-)Stiftungen und Trusts verhindern möchte (BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457). Die Vorschrift zielt darauf ab, die Verlagerung von Einkünften und Vermögen unter anderem durch die Einschaltung von ausländischen Familienstiftungen zu verhindern. Deshalb rechnet sie den Stiftern sowie den Bezugs- und Anfallsberechtigten die verlagerten Einkünfte entsprechend ihrem Anteil zu. Diesen genannten Personen werden die Einkünfte so zugerechnet, als hätte die Stiftung tatsächlich Bezüge gewährt; die Vorschrift fingiert also eine Ausschüttung der Gesamteinkünfte (Kraft in Kraft, AStG, 2. Aufl. 2019, § 15 AStG, Rn. 40). Da eine Regelung wie § 15 AStG die Auswirkungen einer etwaigen Übertragung von Vermögen oder Einkünften zum Zwecke der Steuervermeidung zu neutralisieren vermag, ist sie grundsätzlich geeignet, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten. Der Grundtatbestand des § 15 Abs. 1 AStG geht als solcher allerdings über das zur Verhinderung von Steuerumgehungen zulässige Maß hinaus, da er nicht nur auf eine Missbrauchstypisierung beschränkt ist, sondern jede Kapitalanlage einer im Ausland ansässigen Familienstiftung erfasst. Zudem greift die Vorschrift unabhängig davon ein, ob überhaupt ein Steuersatzgefälle zum Drittland besteht und ob die Errichtung einer ausländischen Stiftung überhaupt zu einem Steuervorteil führt. Letztlich folgt die Unverhältnismäßigkeit der Regelung auch daraus, dass in den Fällen, in denen sich der Sitz der ausländischen Familienstiftung nicht in einem EU-Staat befindet, die Entlastungsmöglichkeit des § 15 Abs. 6 AStG nach dessen Wortlaut nicht zur Verfügung steht. Lediglich ergänzend ist insoweit darauf hinzuweisen, dass die Europäische Kommission vor Einfügung des § 15 Abs. 6 AStG am 23.07.2007 zu dem Aktenzeichen 2003/4610 ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Hintergrund der deutschen Zurechnungsbesteuerung nach § 15 AStG eingeleitet und die Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Behandlung inländischer und ausländischer Stiftungen mit dem freien Kapitalverkehr (Art. 56 EGV, nunmehr Art. 63 AEUV) und der Freizügigkeit (Art. 18 EGV, nunmehr Art. 21 AEUV) gerügt hatte. Zur Anpassung an die EuGH-Rechtsprechung und angesichts des Vertragsverletzungsverfahrens führte der nationale Gesetzgeber daraufhin mit dem Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 den jetzigen § 15 Abs. 6 AStG ein und begründete dies damit, bei ausländischen Stiftungen komme es darauf an, ob Vermögen tatsächlich unwiderruflich auf diese übertragen und dem Einfluss des Übertragenden entzogen worden sei. Durch die Gesetzesänderung werde die ausnahmslose Zurechnung des Einkommens der Stiftung für eine Würdigung im Einzelfall geöffnet, die dem Stifter oder den Begünstigten den Nachweis ermögliche, dass ihnen die Verfügungsmacht über das Stiftungsvermögen rechtlich und auch tatsächlich entzogen sei. Dabei bezog sich der Gesetzgeber auf das BFH-Urteil vom 28.06.2007 II R 21/05, BStBl II 2007, 669, betreffend die Zurechnung von Wirtschaftsgütern für Zwecke der Schenkungsteuer. Die Kommission stellte das Vertragsverletzungsverfahren am 19.03.2009 ein (Webdatenbank der Kommission https://ec.europa.eu/ "Closed Infringement Cases").

    d) Die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV führt indes nicht dazu, dass die Regelung in § 15 AStG überhaupt nicht anzuwenden ist. Vielmehr ist sie ‒ insbesondere der Regelungsgehalt des § 15 Abs. 6 AStG - im Lichte der EU-Grundfreiheiten geltungserhaltend auszulegen.

    aa) Das Verfahren war auch nicht auszusetzen, um eine Vorabentscheidung bei dem EuGH einzuholen.

    Der Senat hat vorliegend keine Zweifel i.S. des Art. 267 AEUV an der Auslegung der im Streitfall anzuwendenden unionsrechtlichen Bestimmungen des Art. 63 AEUV. Die rechtlichen Grundlagen sind durch die Rechtsprechung des EUGH in einer Weise geklärt, die keinen vernünftigen Zweifel offen lassen ("acte éclairé"), sodass keine Veranlassung besteht, eine (weitere) Vorabentscheidung des EuGH einzuholen (vgl. zu den Voraussetzungen: EuGH-Urteil vom 6.10.1982 C-283/81 (CILFIT), NJW 1983, 1257).

    Das Recht der Europäischen Union ist gemäß Art. 23 Grundgesetz, Art. 267 AEUV Bestandteil des Bundesrechts und zwar mit Anwendungsvorrang vor nationalem Recht (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 07.06.2000 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147 und vom 09.01.2001 1 BvR 1036/99, NJW 2001, 1267). Die Gerichte dürfen deshalb deutsche Vorschriften nicht anwenden, soweit sie Unionsrecht verletzen. Der Anwendungsvorrang des Primärrechts der EU und damit der unionrechtlichen Grundfreiheiten ist somit auch mit Blick auf die Zurechnungsbesteuerung zu beachten. Allerdings ist die nationale Norm bei einem Verstoß gegen EU-primärrecht nicht generell unanwendbar. Denn der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvorrang wirkt sich nicht dergestalt aus, dass von der Anwendung einer EU-rechtswidrigen Norm gänzlich abzusehen ist. Die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind vielmehr in geeigneten Fällen durch die sogenannte „geltungserhaltende Reduktion“ in die betreffenden Normen hineinzulesen. Dadurch wird im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ein unionsrechtskonformer Zustand geschaffen (BFH-Urteile vom 21.10.2009 I R 114/08, BFH/NV 2010, 279; vom 13.06.2018 I R 94/15, BFHE 262,79 und vom 03.02.2010 I R 21/06, BStBl. II 2010, 692, 696).

    bb) Im Streitfall können die in § 15 Abs. 6 i.V.m. Abs. 1 AStG enthaltenen Regelungen ohne Weiteres dahingehend geltungserhaltend reduziert werden, dass § 15 Abs. 6 AStG auch im Falle von Drittländern greift, die keine Vertragspartner des EWR- Abkommens sind, soweit es mit diesem Drittland Vereinbarungen gibt, die zur Auskunftserteilung zwingen, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen.

    Eine geltungserhaltende Auslegung in diesem Sinne ist möglich, weil nach der Rechtsprechung des EuGH dann, wenn eine Regelung die Gewährung eines Steuervorteils von der Erfüllung von Verpflichtungen abhängig macht, deren Einhaltung nur in der Weise nachgeprüft werden kann, dass Auskünfte von den zuständigen Behörden eines Drittlands eingeholt werden, es grundsätzlich nur dann gerechtfertigt ist, dass der Mitgliedstaat die Gewährung dieses Vorteils ablehnt, wenn es sich, insbesondere wegen des Fehlens einer vertraglichen Verpflichtung des Drittlands zur Vorlage der Informationen, als unmöglich erweist, die Auskünfte von diesem Land zu erhalten (vgl. EuGH-Urteile vom 18.12.2007 C-101/05 (A), HFR 2008, 295; vom 27.01.2009 C-318/07 (Persche), BStBl II 2010, 440 und vom 28.10.2010 C-72/09 (Etablissement Rimbaud), IStR 2010, 842).

    Maßgeblich ist demnach, ob im Hinblick auf den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt der Jahre 2012 bis 2016 eine vertragliche Verpflichtung der Schweiz gegenüber den deutschen Steuerbehörden besteht, die es ermöglicht, die Richtigkeit der Angaben der Klägerin in Bezug auf die tatsächlichen Verhältnisse zu überprüfen. Dies ist vorliegend der Fall, denn in Art. 27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 27. Oktober 2010 (BGBl II 2011, 1092, BStBl I 2012, 513) --DBA-Schweiz 1971/2010-- ist mit dem erwähnten Änderungsprotokoll vom 27. Oktober 2010 eine sog. "große" Auskunftsklausel implementiert worden. Danach tauschen die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten die Informationen aus, die zur Durchführung dieses Abkommens oder zur Anwendung oder Durchsetzung des innerstaatlichen Rechts betreffend Steuern jeder Art und Bezeichnung, die für Rechnung der Vertragsstaaten oder ihrer Länder, Kantone, Bezirke, Kreise, Gemeinden oder Gemeindeverbände erhoben werden, voraussichtlich erheblich sind, soweit die diesem Recht entsprechende Besteuerung nicht dem Abkommen widerspricht. Diese Bestimmung gilt gemäß Art. 6 Abs. 2 Buchst. d des Änderungsprotokolls vom 27. Oktober 2010 für Informationen nach Art. 27 Abs. 5 DBA-Schweiz 1971/2010, die sich auf einen Zeitraum beziehen, der am 1. Januar des auf die Unterzeichnung des Protokolls folgenden Jahres beginnt (Doppelbuchst. aa) und in allen anderen Fällen hinsichtlich Informationen, die sich auf Steuerjahre oder Veranlagungszeiträume beziehen, die am oder nach dem 1. Januar des auf die Unterzeichnung des Protokolls folgenden Jahres beginnen (Doppelbuchst. bb). In Bezug auf den im Streitfall relevanten Zeitraum ist die "große" Auskunftsklausel somit anwendbar.

    e) Im vorliegenden Fall sind auch die sich bei unionsrechtskonformer Auslegung ergebenden Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 AStG erfüllt.

    Bei unionrechtskonformer Auslegung des § 15 Abs. 6 AStG ist § 15 Abs. 1 AStG nicht anzuwenden, wenn (1.) nachgewiesen wird, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in den Absätzen 2 und 3 genannten Personen rechtlich und tatsächlich entzogen ist und (2.) zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat, in dem die Familienstiftung, Geschäftsleitung oder Sitz hat, aufgrund der Amtshilfe Richtlinie gem. § 2 Abs. 2 des EU-Amtshilfegesetzes oder einer vergleichbaren zwei- oder mehrseitigen Vereinbarung, Auskünfte erteilt werden, die erforderlich sind, um die Besteuerung durchzuführen.

    aa) Im vorliegenden Verfahren ist den Anforderungen des § 15 Abs. 6 Nr. 1 AStG entsprechend ausreichend nachgewiesen worden, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht des Stifters, dessen Angehörigen und der im Sinne des § 15 Abs. 2 AStG anfallsberechtigten Abkömmlingen entzogen ist.

    Für die Frage zu welchem Zeitpunkt, das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der in § 15 Abs. 2 und 3 AStG entzogen sein muss, ist auf den Zeitpunkt oder Zeitraum abzustellen, für den die Einkommens- oder Einkünftezurechnung nach § 15 Abs. 1 AStG vorzunehmen wäre (Schönfeld in Flick/Wassermeyer Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Rz. 187 zu § 15 AStG), hier die Feststellungszeiträume 2012 bis 2016. Ob das Stiftungsvermögen rechtlich und tatsächlich der Verfügungsmacht der bezeichneten Personen entzogen ist, ist im Ergebnis nach der zivilrechtlichen Rechtslage zu beurteilen (so BFH-Urteil v. 28.06.2007 II R 21/05, BStBl II 2007, 669 zur Schenkungssteuer unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 25.01.2001 II R 39/98, DStR 2001, 656). § 15 Abs. 6 Nr.1 AStG führt zu einer Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast (vgl. dazu nur Schönfeld in Flick/Wassermeyer Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, Rz. 187 zu § 15 AStG mit zahlreichen weiteren Nachweisen; kritisch dazu u.a. Hey IStR 2009, 181); vor dem Hintergrund der EuGH-Rechtsprechung (vgl. dazu nur Urteil vom 12.09.2006 C-196/04 (Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas), DStR 2006, 1686-1691) ist für die sich daraus ergebenden Anforderungen im Einzelfall der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.

    Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen ist durch den dargelegten Geschehensablauf (sowohl zur Gründung der Stiftung als auch zu den Stiftungsgeschäften vor und während der Feststellungszeiträume), dem vorgelegten Schriftverkehr und die vorgelegten zahlreichen Dokumente nachgewiesen worden, dass das Stiftungsvermögen in den Feststellungszeiträumen der Verfügungsmacht insbesondere der Feststellungsbeteiligten als Abkömmlinge i.S.d. § 15 Abs. 2 AStG rechtlich und tatsächlich entzogen war. Hinsichtlich des Stifters und seiner unmittelbaren Angehörigen folgt dies bereits daraus, dass sie vor den Feststellungszeiträumen verstorben waren; die in § 15 Abs. 3 AStG vorausgesetzte Fallkonstellation lag ohnehin nicht vor. Insbesondere aus den Stiftungsstatuten ergibt sich, dass die Begünstigten der X-Stiftung in den hier maßgeblichen Feststellungszeiträumen in rechtlicher oder tatsächliche Hinsicht keine Möglichkeit gehabt hätten, über das Vermögen zu verfügen. Auch aus den umfangreichen weiteren Unterlagen, die dem Gericht und dem Finanzamt vorliegen (u.a. auch die Dokumente im Zusammenhang mit den den Feststellungsbeteiligten seitens der X-Stiftung gewährten Darlehen und Vorabausschüttungen) ergibt sich nichts Anderes. Ebenso wenig lässt die Handhabung der Stiftungsgeschäfte durch den Stiftungsrat (in seiner jeweiligen Zusammensetzung) in der Vergangenheit den Schluss zu, dass für die Feststellungsbeteiligten Einflussnahmemöglichkeiten geschweige denn Verfügungsmöglichkeiten hinsichtlich des Vermögens der X-Stiftung bestanden hätten oder bestehen. Insofern werden auch seitens des Finanzamts keine Vorfälle angeführt, die zu einer anderen Schlussfolgerung Anlass geben könnten. Soweit das Finanzamt im Zusammenhang mit den Fragen der Bezugs- oder Anfallsberechtigung unter Hinweis auf die Regelungen in Abs. 2 und 6 des Art. 12 der Stiftungsstatuten darauf abstellt, dass für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden könne, dass Destinatäre dem Stiftungsrat angehören könnten, verweist es damit auf in der Zukunft liegende hypothetische Geschehensabläufe. Daraus lassen sich keine Anhaltspunkte für eine Verfügungsmacht während der Feststellungszeiträume ableiten. Letztlich muss unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten auch davon ausgegangen werden, dass der nach § 15 Abs. 6 Nr.1 AStG erforderliche Nachweis erbracht wurde, weil nicht ersichtlich ist, welche weiteren Nachweismöglichkeiten den Feststellungsbeteiligten zur Verfügung stehen könnten, um nachzuweisen, dass das Vermögen der X-Stiftung ihrer Verfügungsmacht entzogen war. Solche weiteren Nachweismöglichkeiten werden auch durch das Finanzamt nicht aufgezeigt.

    bb) Die Anforderungen des § 15 Abs. 6 Nr. 2 AStG werden im vorliegenden Falle erfüllt, weil in Art. 27 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.F. des Änderungsprotokolls vom 27. Oktober 2010 (BGBl II 2011, 1092, BStBl I 2012, 513) --DBA-Schweiz 1971/2010-- mit dem erwähnten Änderungsprotokoll vom 27. Oktober 2010 eine sog. "große" Auskunftsklausel implementiert worden ist. Die Klägerin verweist in ihrem Schriftsatz vom 30.04.2020 in diesem Zusammenhang auch zu Recht auf das EuGH-Urteil vom 26.02.2019 in der Sache Wächtler (C-581/17, DStR 2019, 425). Insoweit wird auch auf die oben gemachten Ausführungen unter II. 2. d) bb) Bezug genommen.

    cc) Weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 6 AStG danach im vorliegenden Falle erfüllt werden, kann dahinstehen, ob diese aus europarechtlichen Gründen eingefügte Regelung selbst mit EU-Recht zu vereinbaren ist (vgl. dazu nur Hey IStR 2009, 181).

    f) Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Regelung des § 15 AStG nach Auffassung des Senats mit Verfassungsrecht zu vereinbaren ist. Das Gericht schließt sich insoweit den zur Vermögensbesteuerung bei Anfallsberechtigten ergangenen Urteilen des 2. Senats des BFH an (vgl. BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457 und vom 02.02.1994 I R 66/92, BStBl. II 1994, 727).

    Die Zurechnung nach § 15 Abs. 1 AStG lässt die steuerlichen Folgen eines von der Familienstiftung verwirklichten Besteuerungstatbestandes bei dem Stifter bzw. bei der Bezugs- oder Anfallsberechtigten eintreten. Der damit verbundene „Durchgriff“ durch eine Kapitalgesellschaft, wie sie bei einer rechtlich selbständigen Stiftung erfolgt, bedarf nach dem BVerfG-Urteil vom 24.01.1962 1 BvR 845/58 (BVerfGE 13, 331, BStBl I 1962, 500) unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 GG der besonderen Rechtfertigung. Abweichungen des Steuerrechts von der zivilrechtlichen Ordnung sind danach nur zulässig, wenn sie von überzeugenden Gründen getragen werden. Hierfür ausreichend ist, wenn der Normzweck nicht ohne den Durchbruch erreicht werden kann. Der Normzweck des § 15 Abs. 1 AStG will sowohl dem Grundsatz des EStG (Besteuerung des Welteinkommens bei unbeschränkt Steuerpflichtigen) als auch dem Grundsatz des Vermögenssteuergesetzes Rechnung tragen, wonach auch das im Ausland erzielte Einkommen oder im Ausland belegene Vermögen zu versteuern ist. Dieses Einkommen bzw. Vermögen soll nicht durch Zwischenschaltung einer Familienstiftung der inländischen Besteuerung entzogen werden können, wenn es bei inländischen Steuerpflichtigen anfallen wird oder seine Erträge diesen zuzurechnen sind. Darin liegt im Sinne der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung die Rechtfertigung für den Durchgriff auf die Begünstigten (vgl. dazu das zur Vermögensbesteuerung ergangene BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457 mit weiteren Ausführungen dazu, dass auch kein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG vorliegt, soweit den Anfallsberechtigten bis zum Anfall des Vermögens keine sonstigen Zuwendungen der Stiftung zustehen sollten und dazu, dass gegebenenfalls eine vorrangige Zurechnung bei den bezugsberechtigten Personen stattfinden sollte).

    Soweit im vorliegenden Falle Bedenken im Hinblick auf das durch Art. 3 Abs. 1 GG garantierte Prinzip einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bestehen, insbesondere dann, wenn den Anfalls- oder Bezugsberechtigten seitens der Stiftung keine Einkommensbeträge in den jeweiligen Feststellungszeiträumen zufließen sollten, kann dem im jeweiligen Einzelfall durch Billigkeitsmaßnahmen auf der Grundlage des §§ 163, 222 und 227 AO Rechnung getragen werden (vgl. so im Grundsatz bereits auch BFH-Urteil vom 25.04.2001 II R 14/98, BFH/NV 2001, 1457). Nach Auffassung des Senats sollte dies jedoch nicht auf der Ebene des Feststellungsverfahrens gem. § 15 Abs. 1 und 2 AStG i.V.m. § 18 Abs. 4 AStG sondern bei der Einkommensteuerveranlagung der einzelnen Feststellungsbeteiligten geschehen. Bei dieser Lösung kann sowohl dem Sinn und Zweck des § 15 AStG Rechnung getragen werden, als auch dem Umstand, dass die Leistungsfähigkeit der einzelnen Steuerpflichtigen letztlich nicht ohne weiteres abschließend und umfassend im Rahmen des Feststellungsverfahrens durch das für dieses Verfahren zuständige Finanzamt geprüft und beurteilt werden kann, sondern idealerweise durch das Wohnsitzfinanzamt im Rahmen der jeweiligen Einkommensteuerveranlagung. Letztlich ist diese Frage im vorliegenden Falle jedoch nicht abschließend klärungsbedürftig, weil die angegriffenen Bescheide bereits aus anderen Gründen aufzuheben waren. Zu der Frage, ob § 15 AStG verfassungsgemäß ist und zu den dazu vertretenen Auffassungen wird im Übrigen auf den Überblick bei Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld Rz. 24 ff. zu § 15 AStG verwiesen.

    III. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung hat das Gericht den Beteiligten vorgeschlagen, das Verfahren ruhen zu lassen bis über ein, ebenfalls eine Schweitzer Familienstiftung betreffendes Verfahren rechtskräftig entschieden worden ist. Die Klägerin war damit nicht einverstanden. Eine Aussetzung des Verfahrens auf der Grundlage des § 74 FGO kam ebenfalls nicht in Betracht, weil es nach der Rechtsprechung des BFH nicht ausreicht, dass ein bei einem Finanzgericht oder bei dem BFH anhängiges Verfahren lediglich dieselbe Rechtsfrage betrifft (vgl. nur BFH-Beschluss vom 15.10.2019 XI B 57/19, BFH/NV 2020, 214).

    IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    V. Die Revision war auf der Grundlage des § 115 Abs. 2 Nr.1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zuzulassen.

    RechtsgebieteAStG, AEUVVorschriften§ 15 Abs. 1 AStG, § 15 Abs. 2 AStG, § 18 Abs. 4 AStG, Art. 63 AEUV, Art. 64 AEUV, Art. 65 Abs. 1 und 3 AEUV