· Fachbeitrag · Telemedizin
Telemedizin in der ambulanten Versorgung
von RA Sylvia Manteufel, Leipzig, www.telemedizin-medizinrecht.de, und Christine Carius, Neubrandenburg, www.telmedicon.de
| Digitale Anwendungen wie Videosprechstunde, Telemonitoring, Telekonsil oder Telerehabilitation sind aus der modernen ambulanten Versorgung nicht mehr wegzudenken. Sie schließen Versorgungslücken ‒ etwa in ländlichen oder abgelegenen Gebieten ‒ und ermöglichen es, Patientenkontakte effizient zu gestalten. Damit diese Anwendungen echten Mehrwert stiften können, müssen sie juristisch sicher, organisatorisch sinnvoll und technisch verlässlich in den Praxisablauf integriert werden. Der Beitrag gibt dazu einen ersten Einblick und beleuchtet ausgewählte Fragen aus allen drei Perspektiven. |
1. Digitalisierung in der ambulanten Versorgung
Eine digitalisierte Arztpraxis setzt digitale Dienste ein, um Praxisabläufe zu erleichtern. In Deutschland gibt es kaum noch ambulante Praxen, die gänzlich ohne digitale Prozesse auskommen. Aber der Digitalisierungsgrad variiert zwischen den einzelnen Leistungserbringern doch stark.
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Gefragt nach den Erfahrungen mit digitalen Anwendungen berichten laut „PraxisBarometer Digitalisierung“ der KBV etwa 1/4 der Praxen von deutlichen Verbesserungen. So geben 24 % an, dass die Qualität der medizinischen Versorgung gestiegen ist, 20 % sehen Vorteile in der Handhabbarkeit der Abläufe, und beim Zeitaufwand für Praxis- bzw. ärztliches Personal berichten 18 % bzw. 16 % von spürbaren Entlastungen. Telemedizinische Anwendungen wie Apps, Videounterstützung bei Haus- und Heimbesuchen, Fernabfragen oder Online-Fallbesprechungen werden von 23 bis 29 % der Praxen als sehr oder eher nützlich bewertet. |
Ergänzend zum digitalen Serviceangebot bietet eine Telemedizinpraxis neben dem analogen medizinischen Leistungsangebot zusätzlich telemedizinische Leistungen an. Hierzu gehören z. B. Videosprechstunden, das Telekonsil oder auch das Telemonitoring. Um telemedizinische Leistungen wie die Videosprechstunde anbieten zu können, ist das Erreichen eines gewissen Digitalisierungsgrades der einzelnen Praxis erforderlich. Derzeit setzen rund 22 % der hausärztlichen Praxen in Deutschland auf die Videosprechstunde, wie das „PraxisBarometer Digitalisierung“ zeigt. Eine Arztpraxis kann also digital sein, ohne Telemedizin anzubieten ‒ eine Praxis, die Telemedizin anbietet, ist aber immer auch eine teilweise digitalisierte Praxis.
Schließlich sind begrifflich noch die Online-Arzt-Plattformen zu erwähnen, über die verschiedene niedergelassene Ärzte ihre ärztliche Leistung ortsunabhängig anbieten. Diese werden in der Praxis zum Teil mit der reinen Online-Praxis verwechselt. Die reine Online-Praxis unterscheidet sich jedoch darin, dass sie ohne Bindung an Praxisräume rein virtuell aufgestellt ist.
2. Der Weg zur Telemedizinpraxis
Das Ziel einer Telemedizinpraxis besteht darin, möglichst die Patienten telemedizinisch zu versorgen, die von dieser Behandlungsform sicher profitieren, und wiederum diejenigen Patienten in der Praxis persönlich zu behandeln, bei denen dies notwendig ist. Der hybride Versorgungsansatz ermöglicht somit die Kombination der Vorteile aus der persönlichen und der telemedizinischen Leistungserbringung.
Vor der konkreten Umsetzung eines telemedizinischen Versorgungsangebots stellen sich u. a. folgende Fragen:
- Wie kann sichergestellt werden, dass genau die richtigen Patienten telemedizinisch versorgt werden?
- Ist ein praxiseigenes Angebot oder das Angebot über eine Plattform besser geeignet?
- Wie können die Prozesse so gestaltet werden, dass das Praxisteam sie gut bewältigen kann?
- Wie kann die Leistung dauerhaft wirtschaftlich angeboten werden und wie können ggf. weitere Leistungserbringer im komplexen Akteursnetzwerk (Ärztenetze, MVZ etc.) gut eingebunden werden?
Gute Antworten auf diese organisatorischen Fragestellungen können nur nach einer klaren Zielformulierung, unter Berücksichtigung der Perspektiven der beteiligten Akteure, einer umfassenden und strukturierten Anforderungserhebung sowie einer Analyse ggf. bestehender Prozesse, Vergütungsmodelle und technischer Lösungen gefunden werden.
3. Rechtliche Gesichtspunkte
Neben den gesetzgeberischen Digitalisierungsthemen rund um die Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI), wie z. B. die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) oder die Umsetzung des elektronischen Rezepts (eRezept), die alle Praxisinhaber gleichermaßen betreffen, gilt es darüber hinaus, die besonderen rechtlichen Anforderungen bei der organisatorischen Umsetzung einer telemedizinischen Praxis zu berücksichtigen. So darf der Einsatz von IT in der Medizin zu keinem Zeitpunkt der medizinischen Behandlung zu Qualitätseinbußen führen. Oberstes Schutzgut ist und bleibt die Gesundheit der Patienten.
Die Umsetzung einer reinen Telemedizinpraxis sollte wohl überlegt angegangen werden, denn sie muss bspw. mit dem aktuellen ärztlichen Berufsrecht kompatibel sein. Danach gilt weiterhin der Grundsatz der persönlichen Untersuchung und Beratung des Patienten, dies verbunden mit der Möglichkeit des ergänzenden Einsatzes digitaler Techniken, sozusagen zur Unterstützung der ärztlichen Tätigkeit und nicht dagegen, um die gebotene persönliche Zuwendung gegenüber dem einzelnen Patienten zu ersetzen. Vor diesem Hintergrund sorgen derzeit ausschließliche Primärarztmodelle mit festem Sitz, wie z. B. in Gestalt einer komplett virtuell aufgestellten Arztpraxis, für Zündstoff im berufsrechtlichen Diskurs um die Statthaftigkeit solcher ambulanten Versorgungsformen.
Rechtlich brisant in diesem Kontext ist auch die Frage der Anwendbarkeit der Vorgaben des inländischen ärztlichen Berufsrechts im Rahmen von grenzüberschreitenden Sachverhalten, insbesondere wenn Ärzte aus Deutschland ihre berufliche Tätigkeit in das EU-Ausland verlagern, um von dort aus deutsche Patienten telemedizinisch zu behandeln.
Schließlich sollte man sich als Leistungserbringer im Rahmen des Einsatzes eines telemedizinischen Verfahrens darüber im Klaren sein, dass in der Beziehung zum Patienten ein Behandlungsvertrag mit allen Rechten und Pflichten zustande kommt. Aus arzthaftungsrechtlicher Perspektive müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, um juristisch von einer im Einzelfall erlaubten Fernbehandlung sprechen zu können. Mit Betonung auf den Einzelfallcharakter einer telemedizinischen Behandlungsmaßnahme sind Leistungserbringer in ihrem ambulanten Berufsalltag vielfach verunsichert, wie man sich gegenüber dem selbstinformierten Patienten haftungsrechtlich richtig verhält, wenn man z. B. in der laufenden medizinischen Behandlung patientenseitig mit App-Befunden konfrontiert wird. Hier gilt im Sinne der ärztlichen Entscheidungshoheit bzw. Therapiefreiheit: Ärzte treffen die Entscheidung über das Ob und Wie einer medizinischen Behandlungsmaßnahme. Die Entscheidung, ob im Einzelfall eine ausschließliche Fernbehandlung ärztlich vertretbar ist, liegt immer beim Behandler und nicht beim Patienten.
4. Organisatorisch-technische Gesichtspunkte
Aus organisatorisch-technischer Sicht stellt die telemedizinische Arztpraxis zunächst ähnliche Anforderungen an die medizinischen Leistungserbringer wie die digitalisierte Praxis. So muss die eingesetzte Technik zuverlässig, DSGVO-konform und für das jeweilige Anwendungsszenario geeignet sein. Zusätzlich hat die telemedizinische Praxis im Rahmen der ärztlichen Verantwortung sicherzustellen, dass nur jene Patienten telemedizinisch versorgt werden, für die diese Form der Behandlung auch medizinisch sinnvoll und umsetzbar ist. Das heißt, Ärzte sind gefordert, entsprechende Strukturen zu schaffen, die es erlauben, die Eignung für die telemedizinische Behandlung im Einzelfall festzustellen und gegebenenfalls eine persönliche Behandlung durch einen Leistungserbringer vor Ort anzuraten.
FAZIT | Telemedizinische Vorhaben sind organisatorisch, technisch und rechtlich sehr komplex. Neben Fragen der Integration in bestehende Praxisabläufe, der Vergütung und der Qualifizierung des Personals spielen auch berufsrechtliche und haftungsrechtliche Aspekte eine entscheidende Rolle. Eine frühzeitige und professionelle Begleitung ‒ sowohl organisatorisch als auch strategisch und juristisch ‒ kann dazu beitragen, Herausforderungen zu bewältigen und die Grundlage für eine erfolgreiche und rechtssichere Umsetzung zu schaffen. |
Zu den Autorinnen | Sylvia Manteufel ist Rechtsanwältin mit dem Beratungsschwerpunkt Telemedizin und Inhaberin der Kanzlei für Telemedizin & Medizinrecht in Leipzig. Mit ihrer Vision „Für eine Medizin, die Zukunft wagt“ begleitet sie Ärzte, Start-ups und Softwareunternehmen auf dem Weg in die digitale Medizin. Christine Carius ist Geschäftsführerin der telmedicon GmbH in Neubrandenburg (B2B-Beratung Telemedizin). Die telmedicon GmbH berät Anbieter, Hersteller und Versorgungspartner im Gesundheitswesen zu strategischen Fragen der Telemedizin.