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  • · Fachbeitrag · Sektorenübergreifende Versorgung

    Ambulante spezialfachärztliche Versorgung nach § 116b SGB V - neue Wege gehen?

    von RA, FA für MedR, Wirtschaftsmediator Dr. Tobias Scholl-Eickmann und RAin Dr. Christina Thissen, www.kanzlei-am-aerztehaus.de 

    | Mit der Neufassung des § 116 SGB V wurde der Grundstein für eine neue sektorenübergreifende Versorgungsstruktur gelegt. Die Ausgestaltung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist zwar noch nicht abgeschlossen, mit den allgemeinen Richtlinien, dem sog. „Paragrafenteil“ wurde aber bereits die Marschroute vorgegeben. Zudem liegen bereits erste sogenannte „Konkretisierungen“ für die Gastrointestinaltumoren/Tumoren der Bauchhöhle sowie die Tuberkulose/Mykobakteriose vor. Daher lohnt sich schon ein Blick auf die neue ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV). |

    1. Was gehört zur ASV?

    Die ASV umfasst ein weites Spektrum an Erkrankungen, die entweder aufgrund ihrer schweren bzw. besonderen Verlaufsform oder ihrer Seltenheit einer spezialfachärztlichen Betreuung bedürfen, so z.B. onkologische und rheumatische Erkrankungen, HIV/Aids, Tuberkulose, Mukoviszidose oder Hämophilie. Darüber hinaus fallen auch hochspezialisierte Leistungen wie die CT/MRT-gestützte interventionelle Schmerztherapie oder die Brachytherapie in den ASV-Katalog.

    2. Wer darf an der ASV teilnehmen?

    An der ASV können Vertragsärzte und zugelassene Krankenhäuser teilnehmen, soweit sie die Voraussetzungen nach den Richtlinien und Konkretisierungen des G-BA erfüllen. Die Teilnahme muss unter Beifügung entsprechender Belege gegenüber dem (um Vertreter der Krankenhäuser) erweiterten Landesausschuss angezeigt werden. Die Kontaktdaten der einzelnen Ausschüsse sind beispielhaft auf der Homepage des Bundesverbandes ambulante spezialfachärztliche Versorgung e.V. hinterlegt (http://www.qualidoc.org/asv/landesausschuesse/).

    3. Welche Grundvoraussetzungen sind personell zu erfüllen?

    Welche konkreten Anforderungen für die einzelnen Krankheitsbilder erfüllt werden müssen, ist den jeweiligen Konkretisierungen durch den G-BA vorbehalten. Bislang wurden diese nur für Tuberkulose/atypische Mykobakteriose sowie die gastrointestinalen Tumore und Tumore der Bauchhöhle festgelegt. Auf Basis dessen sowie unter Berücksichtigung des Paragrafenteils sowie des § 116b SGB V lassen sich jedoch schon jetzt einige Rückschlüsse ziehen, welche Grundvoraussetzungen für die Teilnahme an der ASV zu erfüllen sind. So wird regelhaft ein interdisziplinäres Team zu gründen sein, das auch durch vertragliche (ggf. sektorenübergreifende) Kooperationen etabliert werden kann und sich aus einem Teamleiter, dem Kernteam sowie bei medizinischer Notwendigkeit zeitnah hinzuzuziehenden Fachärzten zusammensetzt.

     

    • Der Teamleiter hat die Aufgabe, die ASV fachlich und organisatorisch zu koordinieren und gehört damit zwingend dem Kernteam an.

     

    • Die Mitglieder des Kernteams sind Fachärzte, deren Kenntnisse und Erfahrungen zur Behandlung im Rahmen der ASV in der Regel eingebunden werden müssen. Sie müssen die ASV-Leistungen am Tätigkeitsort des Teamleiters zumindest an einem Tag in der Woche erbringen. Ausgenommen sind „immobile“ Leistungen bzw. die Untersuchung von entnommenen Untersuchungsmaterialien. Diese Leistungen müssen in der Regel in 30 Minuten vom Teamleiterstandort erreichbar sein, soweit eine direkte Leistung am Patienten zu erbringen ist.

     

    • Die hinzuzuziehenden Fachärzte sind solche, deren Fähigkeiten und Kenntnisse in Abhängigkeit vom Krankheitsbild typischerweise bei einem Teil der Patienten benötigt werden. Auch hier gilt die 30-Minuten-Regel.

     

    Die jeweils erforderlichen Qualifikationen für die einzelnen Teammitglieder werden in den weitestgehend noch ausstehenden Konkretisierungen festgelegt und richten sich nach der (Muster-)Weiterbildungsordnung. Der Paragrafenteil sieht insoweit Facharztstatus (nicht Facharztstandard!) vor. Eine Vertretung des jeweiligen ASV-Arztes ist ebenfalls nur durch einen Facharzt möglich, der über sämtliche erforderlichen Qualifikationen verfügt. Vertretungen sind im Übrigen gegenüber dem erweiterten Landesausschuss anzuzeigen, soweit sie länger als eine Woche andauern.

     

    Assistenzärzte können entsprechend dem Stand ihrer Weiterbildung unter Verantwortung eines zur Weiterbildung befugten Mitglieds des interdisziplinären Teams in die ASV zur Durchführung ärztlicher Tätigkeiten einbezogen werden. In diesem Fall gilt der Facharztstandard. Diagnosestellung und leitende Therapieentscheidungen dürfen von Assistenzärzten nicht erbracht werden.

    4. Welche infrastrukturellen Maßnahmen sind zwingend?

    Soweit in den Konkretisierungen nicht noch weitergehende Anforderungen gestellt werden, müssen jedenfalls die Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V eingehalten werden. Zudem müssen behindertengerechte, möglichst barrierefreie Räumlichkeiten vorgehalten werden.

     

    Im Übrigen lässt sich schlussfolgern, dass die Leistungserbringung nicht zwingend in einem Krankenhaus erfolgen muss, sondern auch ein Vertragsarzt als Teamleiter in Betracht kommt und somit die Leistungen schwerpunktmäßig in der vertragsärztlichen Praxis erbracht werden (können). Die angeführte 30-Minuten-Regel wird dann jedoch zu beachten sein, soweit etwaig erforderliche Begleitleistungen wie z.B. Notfalllabor, Intensivstation etc. nachgewiesen werden müssen.

    5. Welche Behandlungen können durchgeführt werden?

    Der Behandlungsumfang der ASV wird krankheits- und anlassbezogen durch die Konkretisierungen festgelegt (werden). Krankenhäuser, die an der ASV teilnehmen, dürfen darüber hinaus fachärztliche Leistungen erbringen und abrechnen, sofern diese im unmittelbaren Zusammenhang zur Katalogerkrankung stehen, die Leistung im Haus erfolgt und dem Patienten eine Überweisung zu einem niedergelassenen Vertragsarzt nicht zumutbar ist. Diese eingeschränkte „Öffnungsklausel“ bietet Krankenhäusern aufgrund der Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe ein Einfallstor für weitergehende Leistungen im Rahmen der ambulanten Versorgung.

     

    Weiter können im Rahmen der ASV sämtliche Untersuchungs- und Behandlungsleistungen erbracht werden, soweit der G-BA keine ablehnende Entscheidung getroffen hat. Es gilt somit anders als im Bereich der sonstigen vertragsärztlichen ambulanten Versorgung der aus der stationären Versorgung bekannte sogenannte „Verbotsvorbehalt“. Dies dürfte gerade für niedergelassene Vertragsärzte ein Anreiz sein, sich im Rahmen der ASV zu engagieren.

     

    Im Übrigen können in der ASV auch Arznei- und Heilmittelverordnungen ausgestellt werden, Rehabilitationen oder Krankenhausbehandlung oder häusliche Krankenpflege verordnet werden. Es ist allerdings - wie im § 116b SGB V a.F. auch - ein gesondertes Kennzeichnungsverfahren zu beachten. Geeigneten Patienten soll zudem auch die Teilnahme in nationalen sowie internationalen Studien ermöglicht werden.

    6. Bedarf es einer Überweisung durch einen Vertragsarzt?

    Bei seltenen Erkrankungen (z.B. Tuberkulose) und hochspezialisierten Leistungen (z.B. Brachytherapie) werden die Überweisungserfordernisse abschließend für die jeweiligen Krankheitsbilder in den Konkretisierungen festgelegt. Bei schweren Verlaufsformen von Erkrankungen mit besonderem Krankheitsverlauf (z.B. Onkologie) gibt bereits der Paragrafenteil vor, dass eine Überweisung durch einen Vertragsarzt zu erfolgen hat. Der große Streitpunkt „Onkologie“ wurde damit - wohl zum Schutz der Niedergelassenen - vorab herausgegriffen.

     

    Dieser Schutz stellt sich bei näherem Hinschauen wegen zweier Ausnahmeregelungen allerdings als löchrig dar. Einer Überweisung bedarf es nämlich nicht

    • bei Zuweisungen aus dem stationären Bereich,
    • bei Zuweisungen von ASV-Ärzten, die im jeweiligen Bereich tätig sind.

     

    Auch hier ist somit für Krankenhäuser eine Option eröffnet, sich durch die ASV im ambulanten Bereich zu positionieren.

     

    Überweisungen können im Übrigen für ein oder mehrere Quartale erfolgen. Zum Zeitpunkt der Überweisung muss „eine gesicherte Diagnose vorliegen“. Nur bei seltenen Erkrankungen (z.B. Tuberkulose) reicht eine Verdachtsdiagnose. In regelmäßigen Abständen ist zu prüfen, ob die Indikation für die ASV-Behandlung fortbesteht.

    7. Wie werden ASV-Leistungen vergütet?

    Die Leistungen der ASV werden unmittelbar und unbudgetiert von der Krankenkasse vergütet. Vertragsärztliche Leistungserbringer können die Kassenärztliche Vereinigung gegen Aufwendungsersatz mit der Abrechnung von Leistungen im Rahmen der ASV beauftragen.

     

    Für die Vergütung der Leistungen vereinbaren der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassenärztliche Bundesvereinigung gemeinsam und einheitlich die Kalkulationssystematik, diagnosebezogene Gebührenpositionen in Euro sowie deren jeweilige verbindliche Einführungszeitpunkte. Die Kalkulation erfolgt auf betriebswirtschaftlicher Grundlage ausgehend vom EBM unter ergänzender Berücksichtigung der nichtärztlichen Leistungen, der Sachkosten sowie der spezifischen Investitionsbedingungen. Bei den seltenen Erkrankungen und Erkrankungszuständen mit entsprechend geringen Fallzahlen sollen die Gebührenpositionen für Diagnostik und die Behandlung getrennt kalkuliert werden. Die Vertragspartner können einen Dritten mit der Kalkulation beauftragen. Die Gebührenpositionen sind in regelmäßigen Zeitabständen daraufhin zu überprüfen, ob sie noch dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie dem Grundsatz der wirtschaftlichen Leistungserbringung entsprechen. Für eine Übergangszeit gilt zunächst der EBM, wobei zugelassene Krankenhäuser einen Abschlag von 5% hinzunehmen haben aufgrund der Investitionskostenförderung. Für die Onkologie ist darüber hinaus zur Förderung der ASV eine Anpassung an die Vergütung nach der Onkologievereinbarung in der Diskussion.

    8. Wird die ASV-Verordnung und -Abrechnung überprüft?

    Die Vergütungsanforderung im Rahmen der ASV wird durch die Krankenkassen selbst geprüft. Die Kassen können aber den MDK oder eine Arbeitsgemeinschaft mit dieser Prüfung beauftragen. Die Verordnungsleistungen, vor allem die Heil- und Arzneimittelverordnungen, werden durch die Prüfungsstellen nach § 106 SGB V gegen Kostenersatz im Auftrag der Krankenkassen geprüft. Es bleibt abzuwarten, wie die für eine Prüfung notwendigen Rahmendaten (z.B. Richtgrößen, Vergleichsgruppendaten etc.) ermittelt werden sollen. Die bisherigen Erfahrungen im Rahmen des § 116b SGB V a.F. lassen vermuten, dass auch im Rahmen der neuen ASV bis auf Weiteres keine umfassenden Prüfverfahren durchgeführt werden (können).

    9. Ist eine sektorenübergreifende Kooperation zwingend?

    Bei onkologischen Patienten besteht intersektoraler Kooperationszwang, der durch Vorlage der Kooperationsvereinbarung gegenüber dem erweiterten Landesausschuss zu dokumentieren ist. Der Nachweis ist nur dann entbehrlich, wenn im relevanten Einzugsbereich kein geeigneter Kooperationspartner vorhanden ist oder trotz ernsthaften Bemühens innerhalb von mindestens zwei Monaten kein zur Kooperation bereiter Leistungserbringer zu finden ist.

     

    Auch diese Voraussetzungen müssen gegenüber dem erweiterten Landesausschuss nachgewiesen werden. Denkbar ist dabei aber beispielhaft auch eine Kooperation zwischen einem Krankenhaus und einem vom Krankenhausträger betriebenen MVZ. Ebenfalls ist eine intersektorale Kooperation nicht zwingend im betreffenden Fachgebiet vorgesehen.

     

    Für die übrigen der ASV zugewiesenen Erkrankungen werden Kooperationserfordernisse mit dem jeweils anderen Versorgungssektor in den Anlagen gesondert ausgewiesen. Es sind grundsätzlich jeweils mehrere Kooperationen möglich. Inhalte einer Kooperationsvereinbarung können nach den Vorgaben des G-BA insbesondere sein:

     

    • Abstimmung über Eckpunkte der Versorgung,
    • Abstimmung der Arbeitsteilung,
    • Verpflichtung zu mindestens halbjährlichen Konferenzen zur Evaluation der Behandlungsergebnisse.

     

    Darüber hinaus ist anzuraten, ein Konfliktmanagement in der Kooperationsvereinbarung vorzusehen, da streitige Auseinandersetzungen mit Blick auf die - teils erzwungene - Zusammenarbeit nicht auszuschließen sind.

    10. Mindestmengenvorgaben

    Der Gesetzgeber hat beibehalten, dass der G-BA für einzelne ASV-Leistungen Mindestmengen etablieren darf. In den bislang erfolgten Konkretisierungen der Krankheitsbilder Tuberkulose und gastrointestinale Tumore wurde davon auch Gebrauch gemacht. Da Mindestmengen als Element der Qualitätssicherung jedoch u.a. von der Rechtsprechung zunehmend kritisch betrachtet werden, wäre es gut, wenn der G-BA bei den noch ausstehenden Konkretisierungen mehr auf hoch angesetzte personelle, infrastrukturelle und qualitätsgebundene Voraussetzungen setzen würde.

    11. Wie funktioniert das Anmeldeverfahren?

    Wer an der ASV teilnehmen möchte, muss dies gegenüber dem erweiterten Landesausschuss unter Beifügung der notwendigen Belege anzeigen. Zwei Monate nach Eingang der Anzeige ist man zur Teilnahme an der ASV berechtigt, es sei denn, der erweiterte Landesausschuss teilt binnen dieser Frist mit, dass der Antragsteller die Voraussetzungen nicht erfüllt. Im Anmeldeverfahren ist der erweiterte Landesausschuss berechtigt, Informationen und ergänzende Stellungnahmen anzufordern, wodurch die Zweimonatsfrist unterbrochen wird. Hier sind einige Rechtsfragen indes noch ungeklärt.

    12. Fazit

    Die ASV eröffnet nicht nur Krankenhäusern und deren Chefärzten, sondern auch den niedergelassenen (Fach-)Ärzten neue Chancen und extrabudgetäre Verdienstmöglichkeiten in der ambulanten Versorgung. Ferner eröffnen sich für niedergelassene Vertragsärzte Optionen, um Prüfverfahren (Wirtschaftlichkeitsprüfung, Plausibilitätsprüfung) vorzubeugen. Die Vorbereitungen sollten jetzt getroffen werden. Dies gilt v.a. für die Abstimmung von Kooperationen, die ggf. schon jetzt vertraglich niedergelegt werden sollten. Anträge für bereits erfolgte Konkretisierungen können je nach regionalem Bezirk bereits gestellt werden.

    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 154 | ID 42634526

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