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  • · Fachbeitrag · Praxisbewertung

    Willkürfreie Bewertung von Arztpraxen in Niedrigzinsphasen

    von WP StB Dr. Rolf Leuner, Nürnberg, www.roedl.de 

    | Die Bewertungspraxis hilft sich mit Zu- und Abschlägen auf den Kapitalisierungszinssatz, um unternehmensspezifische Risiken abzubilden ,und handelt sich dafür von der Rechtsprechung immer öfter den Willkürvorwurf ein. Mit dem CAPM-Modell gibt es aber ein Verfahren, das eine wissenschaftlich fundierte, intersubjektiv nachvollziehbare und auch bei Freiberuflerpraxisbewertungen willkürfreiere Bewertung ermöglicht - nicht zuletzt, weil die Methode den Bewerter zwingt, jeden einzelnen Bewertungsschritt zu begründen und zu dokumentieren. |

    1. Das Bewertungsdilemma

    Im Grunde wäre es ganz einfach eine Arztpraxis zu bewerten. Es müsste „nur“ ein ideales Vergleichsobjekt existieren, das einem streng individualistisch ausgelegten Bewertungskalkül folgend für den Käufer und für den Verkäufer eine äquivalente Mittelanlage darstellt. Ein solches ideales Vergleichsobjekt existiert in der Praxis jedoch nicht. Und dem Dilemma ist auch nicht dadurch zu entkommen, dass auf Marktpreise zurückgegriffen wird. Der Markt für Arztpraxen ist intransparent, sodass nur wenige Preise bekannt werden. Zudem wirken Marktpreise nivellierend, sodass sie für ein streng individualistisch ausgerichtetes Bewertungskalkül nur ergänzend taugen.

    2. Näherungslösungen für Arzt- und Zahnarztpraxen

    Dem Bewerter bleibt also nur, auf einen Fremdkapitalzinssatz als ein in seiner Komplexität reduziertes Vergleichsobjekt bzw. auf die bestmögliche Alternativverzinsung als Kapitalisierungszinsfuß zurückzugreifen. Auch deswegen dominiert in der Arztpraxisbewertung die modifizierte Ertragswertmethode. Sie bewertet - vereinfachend ausgedrückt - die zukünftigen Praxisüberschüsse durch Abzinsung mit einem Kapitalisierungszinsfuß. Die Zinssätze der Mittelaufnahmen zur Finanzierung eines Unternehmenskaufs bzw. die ersparten Zinsen bei Mitteltilgungen durch Praxisverkaufserlöse sowie die Alternativinvestitionen hängen aber auch vom Käufer/Verkäufer ab (z.B. Verbindungen, Bonität, Verhandlungsgeschick) und nicht allein vom zu bewertenden Betrieb.

     

    2.1 Äquivalenzprinzipien für die willkürfreie Bewertung

    Damit aber Kapitalisierungszinsfüße nicht einfach frei gegriffen werden, wurden in der Literatur Äquivalenzgrundsätze entwickelt:

     

    • Die Planungshorizontäquivalenz verlangt, dass die anfallenden Praxiserträge mit der Anlage zum Kapitalisierungszinsfuß zeitlich korrelieren. Bei Arztpraxen darf daher (von großen MVZ abgesehen) als Vergleichszinssatz keine ewigen Anleihe, auch keine 30 Jahre laufende Anleihe, als Vergleichsbasis herangezogen werden. Stattdessen wären bei der modifizierten Ertragswertmethode Vergleichslaufzeiten von Anleihen von drei bis maximal zehn Jahren gut begründbar, um die Planungshorizontäquivalenz zu erhalten.

     

    • Die Arbeitseinsatzäquivalenz besagt, dass die Unternehmenserträge erst dann mit dem Kapitalisierungszinsfuß diskontiert werden dürfen, wenn etwaige Geschäftsführungsleistungen des Eigentümers abgezogen sind, weil die Alternativanlage i.d. Regel keine Geschäftsführungsleistungen benötigt bzw. sich Ärzte auch anstellen lassen können und somit Behandler und Eigentümer der Arztpraxis nicht mehr identisch sein müssen/oft auch nicht mehr sind. Einem Kapitalmarktanlageertrag ist daher erst die Praxisnettoentnahme nach Unternehmerlohn finanziell gesehen äquivalent, und genau deswegen wird bei der modifizierten Ertragswertmethode ein Unternehmerlohn des oder der praktizierenden Ärzte/Zahnärzte subtrahiert, um zum nachhaltigen Zukunftserfolg zu gelangen.

     

    • Die Verfügbarkeits- oder Steueräquivalenz besagt, dass Steuern, auch persönliche Steuern des Unternehmers, dann von den erwarteten Erträgen des Bewertungs- und des Vergleichsobjekts abzuziehen sind, wenn beide Mittelanlagen unterschiedlich steuerlich belastet sind. Aufgrund der bestehenden Abgeltungsteuer auf Kapitalanlagen einerseits und dem progressiven Einkommensteuersatz bei Praxiseinkünften (i.d. Regel gemäß § 18 EStG) anderseits muss daher sachgerecht die Arzt-/Zahnarztpraxis nach Steuern bewertet werden. Zudem sind aus individualistischer Sicht bei der Praxisbewertung allein die für die Bedürfnisbefriedigung des Käufers/Verkäufers verfügbaren Erträge relevant, und das sind eben allein die Nettoentnahmen nach allen gezahlten Ertrags- und Substanzsteuern.

     

    • Kaufkraftäquivalenz: Da in Kapitalzinssätzen durch den Markt automatisch eine Inflationsprämie eingerechnet ist, muss bei der modifizierten Ertragswertmethode im nachhaltigen Zukunftserfolg ebenfalls die Inflation und deren Folgen auf Kosten und Praxisumsätze berücksichtigt werden, oder es ist ein Inflationsabschlag auf den Kapitalisierungszinsfuß sachgerecht zu schätzen (Kaufkraftäquivalenz bzw. Homogenitätsprinzip nach Moxter).

     

    • Unsicherheitsäquivalenz: Die Erträge im Zähler und der Nenner jeder Ertragswertformel müssen die gleiche Unsicherheitsdimension aufweisen. Dem sollte auch in der Praxis durch die Bestimmung unsicherheitsäquivalenter Kapitalisierungszinsfüße Rechnung getragen werden.

     

    2.2 Unsicherheitsäquivalente Kapitalisierungszinsfüße in der Praxis

    Wegen der grundsätzlich ungewissen Einnahmesituation von Arztpraxen sind jeweils pro Periode verschiedene Entnahmen vorstellbar, für deren Höhe unbeeinflussbare Umweltfaktoren und eigene Dispositionen maßgebend sind. Die Daten im Entscheidungsprozess sind daher zwingend mehrwertig, und jede Praxisbewertung ist es damit auch. Theoretisch wären daher die unsicheren Ertragsbandbreiten jeder Arztpraxis (Zählergröße) mit gleich unsicheren Ertragserwartungen im Nenner zu vergleichen.

     

    Wird stattdessen als Komplexitätsreduktion der Kapitalzins für (quasi sichere) festverzinsliche Kapitalmarkttitel, die von Schuldnern mit höchstmöglicher Bonität emittiert wurden, genommen, so wäre als zweitbeste Lösung mit Blick auf die Unsicherheitsäquivalenz die unsichere Ertragsbandbreite jedes Unternehmens auf einen gleich sicheren Betrag zu reduzieren. In diesem Fall unterschieden sich Zähler und Nenner hinsichtlich der Unsicherheit nur dadurch, dass beim Kapitalzins Risiken und Chancen nicht existieren, während der gleich sichere Ertrag die innerhalb der Ertragsbandbreite gelegene Ertragshöhe bezeichnet, bei der sich Risiken und Chancen gegenseitig in den Augen des Bewertungssubjekts aufheben und deshalb vernachlässigbar werden.

     

    Der sicherheitsäquivalente Ertrag (SÄE) setzt die bekannte individuelle Risiko-Nutzen-Funktion des Bewertungssubjekts voraus. Nur mittels dieser können die mehrwertigen Ertragserwartungen des zu bewertenden Unternehmens subjektspezifisch mit Blick auf dessen spezifische Risikoeinstellung und damit unabhängig von der Ertragslage der Arztpraxis, auf den einwertigen Ertrag reduziert werden, der aus Sicht des Gutachtenauftraggebers die gleiche Unsicherheitsdimension hat wie der Kapitalzins. Für ihn gleichen sich dann das Risiko weniger, und die Chance, mehr Ertrag zu erzielen, im SÄE genau aus. Nur so könnten Praxiserträge und festverzinsliche, quasi sichere Kapitalisierungszinsfüße theoretisch exakt verglichen werden.

     

    Genau deswegen lässt sich jedoch die Sicherheitsäquivalenzmethode in der Bewertungspraxis nicht anwenden, denn welcher Arzt, Zahnarzt oder Freiberufler kennt schon seine individuelle Risiko-Nutzen-Funktion und ist in der Lage diese intersubjektiv nachvollziehbar (genau dessen bedarf es jedoch in der Gerichtsgutachtenpraxis; BGH 27.6.01, NJW 01, 3775) zu dokumentieren? Bestenfalls könnte wohl der Gutachtenauftraggeber die Mittelanlage benennen, die er wählen würde bei seiner ihm eigenen Risikoaversion, die er bei Nichtkauf der Praxis als nächstes zeichnen würde, jedoch müssten dann beide Ströme für ihn unsicherheitsäquivalent sein.

     

    2.3 Praktikerlösung: Risikozuschläge

    Die Bewertungspraxis behilft sich nun damit, zum quasi sicheren Zinsfuß Risikozuschläge zu addieren. Dies ist als Näherungslösung in der Bewertungspraxis solange akzeptabel, wie der Gutachter festzustellen sucht, ob die Unsicherheitsäquivalenz bei Verwendung derartiger Risikozuschlagsmethoden weiterhin gegeben ist. D.h., wird anstelle der Sicherheitsäquivalenzmethode mit der Risikozuschlagsmethode gearbeitet und damit im Nenner neben dem Kapitalzins ein Risikozuschlag angesetzt, so muss im Zähler eine Erfolgsgröße stehen, die sich zum sicherheitsäquivalenten Ertrag möglichst so verhält wie der verwendete Kapitalisierungszinssatz zum risikolosen Kapitalzins.

     

    Bereits hier wird klar, dass der Risikozuschlag denklogisch niemals intersubjektiv nachvollziehbar eine wie auch immer fixierte Relation des Risikozuschlags zum quasi sicheren Zinssatz sein kann. So setzte zwar das OLG Schleswig-Holstein (29.1.04, 5 U 46/97 ) im vorherigen Jahrzehnt den Risikozuschlag mit 50% des risikolosen Zinssatzes an. Dort wird ein Risikoaufschlag i.H. von 50 % auf den risikolosen Zinssatz als nachvollziehbar angesehen. Dies kann heute bei quasi sicheren Zinssätzen von unter 0,5 % bei dreijähriger Laufzeit und unter 0,75 % bei fünfjähriger Laufzeit selbst im Ergebnis nicht mehr richtig sein. Intersubjektiv nachvollziehbar lässt es sich schon gar nicht begründen. Ebenso wenig gerichtsfest ist ein unbegründeter Aufschlag von zwei bis drei Prozentpunkten auf den quasi sicheren Zinssatz, auch wenn der BGH (21.7.03, II ZB 17/01) das für die 1990er Jahre akzeptierte.

     

    Schließlich reicht spätestens seit der Entscheidung des BGH vom 27.6.01 (a.a.O.) ein schlussendlich „richtiges“ Ergebnis (z.B. durch einander gegenseitig aufhebende Fehler) nicht mehr aus. Nach neuerer Rechtsprechung kann ein Schiedsgutachten heute auch „offenbar unrichtig“ sein, wenn seine Feststellungen für einen Fachmann nicht verständlich oder nicht nachprüfbar sind (BGH 27.6.01, NJW 01,3775).

     

    Um Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit insoweit zu erreichen, unterschied schon in den 1980er Jahren das IDW zwischen allgemeinem und speziellem Unternehmerrisiko:

     

    • Allgemeine Unternehmerrisiken sind Schäden in Form singulärer Erscheinungen, die nicht unter das Gesetz der großen Zahl fallen und deshalb auch kein Wagnis im versicherungstechnischen Sinne sind. Es handelt sich aus Unternehmenssicht um unbeeinflussbare Umweltfaktoren. Es sind welt- oder landespolitische Ereignisse, unabsehbare konjunkturelle Entwicklungen, Naturereignisse oder ähnliches (IDW, WPg 83, 470). Sie sollen im Kapitalisierungszinsfuß berücksichtigt werden, weil sie den Zukunftserfolg nicht als Aufwand korrigieren können.

     

    • Spezielle Unternehmerrisiken sind nur vom Unternehmen zu verantwortende Faktoren wie Managementqualifikation, besondere Einkaufs- und Absatzverträge, Finanzierungsverhältnisse der spezifischen Unternehmung, technische Ausstattung etc., die nach IDW in die Erträge mit einbezogen werden (IDW, WPg 83, 471).

     

    Beide Risikoarten lassen sich aber nicht trennen, sodass Nicht- und Doppelberücksichtigungen drohen (BGH 6.2.08, XII ZR45/06, insb. Tz 28). Letztere wiederum akzeptiert der BGH seit dem 27.6.01 bei Gerichtsgutachten nicht mehr als sachgerecht, zumal durch die Addition des so gewonnenen Risikozuschlags zum Kapitalisierungszinsfuß eine willkürliche Nennervergleichsgröße geschaffen wird, die ohne Erläuterungen intersubjektiv nicht nachvollziehbar ist (BGH 27.6.01, NJW 01, 3775).

     

    2.4 Gleichsetzung mit den Sollzinsen eines Kontokorrentkredits

    In der Praxis mehr Bewertungshilfe bietet der Ansatz der Rechtsprechung, den gewählten Risikozuschlag zuzüglich quasi sicherem Zinssatz gleichzusetzen mit den Sollzinsen eines Kontokorrentkredits für Ärzte (LG Nürnberg-Fürth 22.4.99, 1 HK 6730/89, AG 00, 89). Lassen sich von einschlägigen Ärzte finanzierenden Banken z.B. Durchschnittswerte eines Referenzmonats bezogen auf drei aufeinanderfolgende zeitnahe Jahre erlangen, kann dies ein wertvoller Beitrag sein, den risikobehafteten Zinssatz zu objektivieren und intersubjektiv nachvollziehbar zu machen. Allerdings ist anzumerken, je länger der Abzinsungszeitraum reicht, desto weniger begründbar wird ein Kontokorrentzinsenabgleich sein, gerade mit Blick auf die o.g. Planungshorizontäquivalenz.

    3. Abschätzung durch das CAPM

    Wissenschaftlich abgeleitet, intersubjektiv besser nachvollziehbar und somit maximal gerichtsfest schätzt das Capital Asset Pricing Model (CAPM) den unsicherheitsäquivalenten Zinssatz ab.

     

    3.1 Berechnung der erwarteten Eigenkapitalrendite

    Die Renditeforderung/Mindestverzinsung der Eigenkapitalgeber hängt - annahmegemäß - von der Verzinsung einer risikolosen Anlagemöglichkeit und von einem Risikozuschlag ab, der ausdrückt, wie stark das zu bewertende Unternehmen vom allgemeinen Marktrisiko abweicht. Wer ein Portfolio hält, das nur aus risikolosen Anlagen und einer Abbildung des gesamten Markts besteht, ist perfekt diversifiziert. Die spezifischen Risiken eines Unternehmens spielen darin keine Rolle mehr. Wer andererseits mehr als diese Rendite will, muss ein höheres Risiko eingehen. Die entscheidende Größe, die das spezifische Risiko eines Unternehmen ausdrückt und multiplikativ mit dem Marktrisiko verknüpft ist, ist das Beta (ß). Es kann positiv oder negativ von 1 abweichen. Bei einem ß = 1 verhält sich der fragliche Unternehmenswert (Kurs der Aktie) wie der Wert des Marktes. Bei einem Wert ß > 1 schwankt der Wert mehr, bei einem Wert < 1 schwankt er weniger als der Markt. Die für Aktienunternehmen ermittelten ß-Koeffizienten liegen mehrheitlich zwischen +0,5 und +2.

     

    Das CAPM ist somit ebenfalls eine Risikozuschlagsmethode, aber das Modell ist marktorientiert. Damit ist ihr großer, jedenfalls theoretischer Vorteil gegenüber anderen Methoden, dass sie durch den Einbezug der Bandbreite der Unternehmenserfolge in das Beta in Form der Streuung der Erträge vom Erwartungswert versucht, eine unternehmensspezifische, unsicherheitsäquivalente Vergleichbarkeit von Zukunftserfolgen im Zähler und Kapitalisierungszinssatz im Nenner zu erreichen.

     

    Bei der Methode des HFA 2/83 schlägt sich dagegen die Bandbreite der Praxiserträge nicht im Risikozuschlag nieder, weil sie allein das generelle, nicht willkürfreie Unternehmerwagnis berücksichtigt, nicht aber das spezielle Unternehmerrisiko. Zudem werden weitere Risikozuschläge wie Immobilitäts- und Fungibilitätszuschläge hinzuaddiert, die ebenfalls frei gegriffen sind. Zum Teil wird noch ein Inflationsabschlag oder gar ein Inflationszuschlag bei ertragsschwachen Unternehmen geltend gemacht. Dieser ist aber, wenn er getrennt vom Risikozuschlag festgesetzt wird, unzulässig, weil auch die Inflation ein externer Einflussfaktor ist und somit zum allgemeinen Unternehmerrisiko gehört, das den Risikozuschlag bestimmt.

     

    3.2 Kritische Annahmen des CAPM

    Trotz dieser wissenschaftlichen Basis ist zu bedenken, dass das CAPM als Risikozuschlagsmethode nur so genau und willkürfrei sein kann wie Beta und Marktrisikoprämie arzt- bzw. zahnarztspezifisch zukunftsorientiert korrekt ermittelt werden können. Zudem sollte der Bewerter immer beachten, dass - nachdem der Risikozuschlag nur auf eine andere Weise ermittelt wird - auch das CAPM die oben bei dem Vergleich von Sicherheitsäquivalenz- und Risikozuschlagsmethode dargestellten Regeln gegen sich gelten lassen muss, und es damit nicht frei von Schwächen ist. So unterstellt z.B. das CAPM - entgegen dem Unternehmensbewertungskalkül und der Bewertungsrealität - gleichgewichtige Situationen. Tatsächlich bestehen jedoch Marktungleichgewichte, die ein potenzieller oder tatsächlicher Eigentümer auszunutzen vermag. Warum sonst kauft ein niederlassungswilliger Arzt eine ertragsschwache Praxis, wenn er nicht davon ausginge, durch besseres Know-how und/oder Verbindungen diese wieder wettbewerbsfähig zu machen und den aus dieser generierbaren Nutzenzufluss und so deren Ertragswert zu steigern? Käufer und Verkäufer haben unterschiedliche Optionen und können aus demselben Unternehmen mit ihren individuellen Fähigkeiten unterschiedliche Erträge erwirtschaften.

     

    3.3 Empirische Bestimmung der Marktrisikoprämien

    Die Marktrisikoprämie ist regelmäßig positiv, weil und nur solange Gutachtennehmer risikoaverse Akteure sind. Über die Höhe und zeitliche Schwankung gibt es diverse empirische Studien, die der Gutachter für die möglichst willkürfreie Ableitung nutzen kann. Die Marktrisikoprämie schwankt dabei auch laufzeitabhängig zumeist zwischen drei und sieben Prozent über die Zeit mit dem Grad der Risikoaversion der Marktakteure. Sie liegt gemäß empirischer Studien in volatilen Zeiten, nach Marktcrashs und in Rezessionen tendenziell höher und in Zeiten niedriger Volatilität, nach starken Kursanstiegen und in Boomzeiten tendenziell niedriger.

     

    Die meisten Studien messen die Marktrisikoprämie durch nationale Aktienindizes (für Deutschland Stehle, WPg 04, 906), was der Freiberuflerpraxisbewertung wegen ihrer häufig allenfalls überregionalen, aber nicht internationalen Ausdehnung durchaus entgegenkommt. Die Marktrisikoprämie ist zudem laufzeitabhängig. In Zeiten niedriger Volatilität steigt sie mit der Laufzeit leicht an, während in volatilen Zeiten die kurzfristige Marktrisikoprämie deutlich über der langfristigen Prämie liegt.

     

    All dies erscheint zunächst sehr ermutigend für eine willkürfreie Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes. Aber in Deutschland dürfen Arztpraxen und Freiberufler bereits standesrechtlich generell nicht börsennotiert sein. Durch Aktienindizes ermittelte Marktrisikoprämien dürfen daher nicht unreflektiert und schon gar nicht eins zu eins - deswegen braucht es auch die Beta-Ermittlung - auf Freiberufler und Ärzte übertragen werden. Solange jedoch dem Bewerter keine besseren Werkzeuge zur Verfügung stehen ist diese Form der Kapitalisierungszinsfußermittlung trotzdem einem freien Greifen des Zuschlages ohne Begründung immer vorzuziehen.

     

    3.4 Empirische Bestimmung des Beta-Faktors

    Das Beta wird mittels einer linearen Regression zwischen den Renditen des Unternehmens und den Renditen eines Marktindexes, wie z.B. in Deutschland dem DAX, ermittelt. Theoretisch exakt wäre somit das Beta wie die Marktrisikoprämie aufgrund von Wahrscheinlichkeitsverteilungen der Zukunftserträge deutscher Arztpraxen zu gewinnen. Mangels Börsennotierung gibt es aber keine Beta-Werte für deutsche Arztpraxen.

     

    Jedoch könnte man näherungsweise Arztpraxen-Betas auf der Grundlage von Betas anderer endkundenorientierter Branchen als Näherungswert schätzen (z.B. der Konsumgüter-, der Versorgerindustrie, der Telekombranche etc.). Aus den Betas dieser börsennotierten Branchen, die die Grundbedürfnisse des modernen Menschen befriedigen, zeigt sich, dass deren Betas regelmäßig deutlich unter 1 liegen, also weniger volatil sind als z.B. der deutsche Leitindex DAX. Somit ist auch ein stichhaltiger intersubjektiv nachvollziehbarer Grund gegeben, die jeweilige deutsche Marktrisikoprämie mit einem Beta-Faktor von deutlich kleiner 1 zu multiplizieren und zum risikolosen Zinssatz zu addieren, um willkürfrei den Kapitalisierungszinsfuß einer Arztpraxis zu ermitteln.

     

    Dies bedeutet im Umkehrschluss: Die bloße Addition der Marktrisikoprämie zum risikolosen Zinssatz ist willkürbehaftet und nicht intersubjektiv nachvollziehbar, denn das hieße ein Beta von 1 zu unterstellen.

     

    Und die Betas endkonsumentenorientierter Produkt- und Dienstleistungsanbieter nähern sich auch nicht deshalb 1 an, weil die Arztpraxen Deutschlands tendenziell überschaubarer Größe und i.d. Regel behandlerabhängig sind: Da deutsche Arztpraxen ohnehin nicht börsennotiert sein dürfen und im Gros kleinteilig sind, lässt sich kein Aufschlag deswegen auf das Beta rechtfertigen. Und die Tatsache, dass durch die Personengebundenheit Risiken durch krankheitsbedingten Behandlerausfall entstehen, ist zwar richtig und steigt je mehr der Praxisinhaber auch der einzige Behandler ist. Dem ist jedoch nicht im Nenner also nicht im Kapitalisierungszinsfuß so, sondern allein im Zähler, weil das CAPM allein marktorientierte Risiken abbildet und das Berufsausfallrisiko ein spezielles und kein allgemeines Unternehmerrisiko darstellt.

    4. Fazit

    Auch wenn durch das CAPM gerade bei der Bewertung von Arztpraxen erhebliche Subjektivismen trotz Marktorientierung und Nachprüfbarkeit in die Quantifizierung des risikoangepassten Eigenkapitalzinsfußes hineingetragen werden, sollte die marktgestützte Risikozuschlagserhebung bei der Arztpraxisbewertung angewendet und die durch sie gewinnbaren Daten erhoben und ausgewertet werden. Das Arztpraxis-Beta ist deutlich < 1, weil Ärzte nur für den Endkunden als natürliche Person tätig werden und sie eine nicht substituierbare Dienstleistung ohne Wechselkursrisiken erbringen. Somit darf die Marktrisikoprämie nicht 1:1 zum risikolosen Zinssatz hinzuaddiert werden, sondern ist zuvor mit dem Beta zu multiplizieren.

     

    Schließlich hat das CAPM auch einen konzeptionellen Wert: Es zwingt dazu, die Einflussgrößen des Kapitalisierungszinsfußes zu explizieren; die Manipulationsmöglichkeiten sind damit deutlich geringer. Ferner lenkt das CAPM das Augenmerk auf den Risikoverbund der zu bewertenden Unternehmung mit dem Gesamtmarkt bzw. mit allen anderen Unternehmen. Das kommt in der theoretischen Herleitung des CAPM und technisch im Beta zum Ausdruck, das die Volatilität der Unternehmensrendite in Relation zu der Volatilität des Marktportfolios beschreibt, als Kovarianz geteilt durch die Varianz der Marktrendite.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Ballwieser, Wolfgang, Aktuelle Aspekte der Unternehmensbewertung, in: WPg 1995, 119 - 129.
    • Gleißner, Werner, Die Marktrisikoprämie: stabil oder zeitabhängig?, in: WPg 2014, 258 - 264.
    • Leuner, Rolf, Steht die Ärztekammermethode (erneut) juristisch vor dem Aus?, in NJOZ 2010, 2242 - 2247.
    • Moxter, Adolf, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl., Wiesbaden 1983.
    • Peemöller, Volker (Hrsg.), Praxis der Unternehmensbewertung, 4. Aufl., Herne 2009.
    • Wagner, Wolfgang u.a., Auswirkungen der Finanzmarktkrise auf die Ermittlung des Kapitalisierungszinsfußes in der Unternehmensbewertung, in: WPg 2013, 948 - 959.
    Quelle: Ausgabe 06 / 2014 | Seite 164 | ID 42573933

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