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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Pflegeleistungen können nicht nur von Vereinen umsatzsteuerfrei erbracht werden

    von RA Christian Scur, ETL Medizinrecht Berlin

    Der BFH (14.10.15, V R 13/14) hat entschieden, dass auch Pflegeleistungen von Mitgliedern eines Vereins unter Berufung auf das Unionsrecht umsatzsteuerfrei erbracht werden können. Damit wird der Kreis der Steuerbefreiungen vom Verein, der nach § 4 Nr. 16 UStG steuerbefreite Leistungen erbringt, auch auf seine Mitglieder ausgedehnt.

     

    Sachverhalt

    Die Klägerin war Mitglied eines eingetragenen Vereins, der mit Pflegepersonen und Pflegekassen Verträge über Pflegeleistungen abschloss, die dann auch einen Großteil der Kosten übernahm. Die Klägerin war für diesen gegen Entgelt als Pflegehelferin tätig. Eine Ausbildung als Kranken- oder Altenpflegerin hatte sie nicht. Der Verein hatte mit der Klägerin eine Qualitätsvereinbarung abgeschlossen, die fachliche Standards festlegte. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die Klägerin als Unternehmerin tätig und ihre Leistungen der Umsatzsteuer zu unterwerfen seien. Es erließ entsprechende Bescheide. Bereits die Vorinstanz gab der Klage gegen die Steuerbescheide statt.

     

    Anmerkungen

    Der BFH hat sich der Vorinstanz angeschlossen. Die Steuerbefreiung nach nationalem Recht scheidet zwar aus, die Klägerin kann sich aber auf das weitergehende Unionsrecht berufen. Nach der damaligen Fassung des § 4 Nr. 16 UStG sind die mit dem Betrieb der Einrichtungen ambulanter Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen eng verbundenen Umsätze steuerfrei, wenn bei der Einrichtung zur ambulanten Pflege die Pflegekosten im vorangegangenen Kalenderjahr in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen worden sind. Dies war bei der Klägerin unstreitig nicht der Fall. Damit scheiterte es nicht, wie man zunächst vermuten könnte, an dem Merkmal „Einrichtung“. Denn hierunter sind auch natürliche Personen zu fassen.

    Die Klägerin kann sich jedoch auf unmittelbar auf die zugrundeliegende Richtlinie berufen, weil diese unmittelbar anwendbar ist. Der BFH hat bereits vorher entschieden, dass § 4 UStG die Richtlinie des Unionsrechts nicht ausreichend umgesetzt hatte (BFH 16.10.13, XI R 19/11).

     

    • Voraussetzungen der unmittelbaren Anwendbarkeit von Unionsrecht
    • Unionsrecht wurde nicht oder nicht ausreichend umgesetzt.
    • Die Umsetzungsfrist ist abgelaufen.
    • Die Unionsrechtsnorm ist hinreichend genau und inhaltlich unbedingt.
    • Die Unionsrechtsnorm verleiht dem Einzelnen Rechte.
     

     

    Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten „die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“. Die Voraussetzungen und Regeln der Anerkennung werden durch die Norm aber nicht festgelegt. Dies obliegt dem nationalen Recht. Meint nun ein Steuerpflichtiger, dass er aufgrund des Unionsrechts steuerbefreite Leistungen erbringt, entscheidet das Gericht anhand aller Umstände des Einzelfalls, ob der Steuerpflichtige von der Befreiungsnorm des Unionsrechts Gebrauch machen kann.

     

    Die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter bei der Klägerin folgte hier aus § 77 SGB XI. Danach konnten die Pflegekassen mit Einzelpersonen Pflegeverträge zur Sicherstellung der häuslichen Pflege und Betreuung und zur hauswirtschaftlichen Versorgung abschließen. Der BFH ist dabei der Auffassung, dass die bloße Möglichkeit zum Abschluss eines solchen Vertrags genügt, um die soziale Zweckbestimmung zu begründen. Die Norm erfordert auch nicht, dass die Einzelperson eine Ausbildung zum Kranken- oder Altenpfleger absolviert hat. Sie muss nur „geeignet“ sein. Die Anforderungen an die Eignung können aber nicht verallgemeinert werden, sondern hängen vom Inhalt des Pflegevertrags ab. Der BFH sah die Eignung aufgrund der Qualitätsvereinbarung und der Nachweise über die Fortbildungen als gegeben an.

     

    Praxishinweis

    Die Entscheidung ist zu begrüßen. Zum einen hat der BFH auch den gerichtsbekannten Pflegenotstand und das daraus folgende Gemeinwohlinteresse an der Erbringung umsatzsteuerfreier Pflegeleistungen berücksichtigt. Zum anderen wird mit der Entscheidung der Pflegesektor nicht noch stärker finanziell belastet.

     

    Da auch die Neuregelung das Unionsrecht nicht vollumfänglich umgesetzt hat, kann die Entscheidung auch für zukünftige Fallgestaltungen Relevanz haben, auch wenn § 4 Nr. 16 Buchst. c UStG nun die Befreiung für Einrichtungen mit Verträgen nach § 77 SGB XI vorsieht.

    Quelle: ID 43665873

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