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  • · Fachbeitrag · Umsatzsteuer

    Leistungen eines Verfahrensbeistands sind nach EU-Recht umsatzsteuerbefreit

    von StB Christian Herold, Herten, www.herold-steuerrat.de

    | Der BFH hat entschieden, dass die Leistungen eines Verfahrensbeistands nach Unionsrecht umsatzsteuerfrei sind, und damit der Vorinstanz widersprochen (BFH 17.7.19, V R 27/17). |

     

    Sachverhalt

    Sind in einem Gerichtsverfahren bedeutsame Angelegenheiten für das weitere Leben eines minderjährigen Kindes zu regeln, muss das Gericht einen Verfahrensbeistand bestellen, wenn dies zur Wahrung der Interessen des Kindes erforderlich ist. Er muss das Interesse des Kindes feststellen und in der gerichtlichen Familiensache zur Geltung zu bringen. Er hat das Kind über Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in geeigneter Weise zu informieren (§ 158 FamG). Im Urteilssachverhalt ging es um die Leistungen einer Diplom-Psychologin als Verfahrensbeistand nach § 158 FamFG. Das FA und das FG Köln (17.5.17, 9 K 3140/14) standen auf dem Standpunkt, die Leistungen seinen weder nach nationalem Umsatzsteuerrecht (§ 4 Nr. 25 UStG) noch nach Unionsrecht steuerfrei.

     

    Entscheidung

    Der BFH hingegen verneinte zwar ebenfalls eine Steuerbefreiung nach deutschem Recht, also die Anwendung von § 4 Nr. 25 UStG. Er ist aber der Ansicht, dass sich Verfahrensbeistände auf das EU-Recht, hier Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL, berufen und so eine Umsatzsteuerfreiheit ihrer Umsätze erreichen können.

     

    Begründung: Die Tätigkeit des Verfahrensbeistands steht im Regelfall in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit des Jugendamts in Jugendhilfesachen und ist daher als eine „eng“ mit der Sozialfürsorge verbundene Leistung zu qualifizieren. Dem steht nicht entgegen, dass der Verfahrensbeistand als „Anwalt des Kindes“ bezeichnet wird und die Bestellung eines Verfahrensbeistands unterbleiben oder aufgehoben werden soll, wenn die Interessen des Kindes von einem Rechtsanwalt angemessen vertreten werden.

     

    •  Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MWStSystRL

    Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen (...), einschließlich derjenigen, die durch (…) Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“ von der Umsatzsteuer. Die Steuerbefreiung knüpft an leistungs- und an personenbezogene Voraussetzungen an: Es muss sich um eng mit der Sozialfürsorge oder der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen handeln, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder anderen Einrichtungen erbracht werden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit im Wesentlichen sozialem Charakter anerkannt worden sind.

     

    Der Verfahrensbeistand ist auch als soziale Einrichtung anerkannt. Eine Anerkennung als „Einrichtung“ ist nicht zu versagen, wenn es sich bei dem Verfahrensbeistand um eine natürliche Person handelt. Denn der Begriff „Einrichtung“ ist weit genug, um auch natürliche Personen und private Einheiten mit Gewinnerzielungsabsicht zu erfassen. Auch die fehlende Kostenübernahme durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit steht einer Steuerfreiheit nicht entgegen. Und letztlich ist auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität maßgebend, wenn die Leistungen mit denen von so genannten Betreuungsvereinen verglichen wird. Denn soweit ein Betreuungsverein ‒ wie im Regelfall ‒ einem anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege (z. B. Caritasverband) angeschlossen ist, sind die von ihm erbrachten Leistungen steuerfrei.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Leistungen eines Verfahrensbeistands sind also nicht direkt nach § 4 Nr. 25 UStG steuerfrei. Er erbringt weder Leistungen der Jugendhilfe nach § 2 Abs. 2 SGB VIII oder nach § 2 Abs. 3 Nr. 6 i. V. m. § 50 SGB VIII noch die in § 4 Nr. 25 S. 3 unter a bis c im Einzelnen bezeichneten Leistungen. Allerdings können sich die Betroffenen auf die unionsrechtliche Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.

     

    Das Urteil ist erfreulich, da es bei den Betroffenen für Rechtssicherheit sorgt. Insgesamt ist das Thema der Steuerbefreiung für Leistungen, die im weitesten Sinne im „sozialen Bereich“ oder der Kinder- und Jugendhilfe erbracht werden, aber äußerst komplex und unterliegt einer gewissen Einzelfallrechtsprechung, die nur schwer zu durchschauen ist und eine wirklich klare Linie kaum erkennen lässt. Hinzuweisen ist z. B. auf folgende weitere Entscheidungen des BFH:

     

    • 1. Betreuungsleistungen einer juristischen Person sind nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. h MwStSystRL steuerfrei, wenn ihr die Erlaubnis zum Betrieb einer Einrichtung zur Betreuung von Kindern und Jugendlichen nach § 45 SGB VIII erteilt wurde und die Kosten für diese Leistungen über einen Träger der freien Jugendhilfe abgerechnet und damit mittelbar von öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe gezahlt werden (BFH 6.4.16, V R 55/14).

     

     

    • 3. Pflegeleistungen sind unter Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL steuerfrei, wenn die Pflegekraft die Möglichkeit hat, Verträge nach § 77 Abs. 1 S. 1 SGB XI mit Pflegekassen abzuschließen (BFH 18.8.15, V R 13/14).

     

    • 4. Leistungen der ambulanten Eingliederungshilfe, die eine selbstständig tätige psychologische Beraterin als „sonstige qualifizierte Person“ gegenüber zugelassenen Anbietern für hilfsbedürftige Personen erbringt, sind steuerfrei, wenn diese Leistungen aufgrund eines Hilfeplans vom Träger der Sozialhilfe bewilligt und mittelbar vergütet werden (BFH 13.6.18, XI R 20/16).
    Quelle: ID 46178640

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