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Steuerneutrale Übertragung gegen Übernahme von Verbindlichkeiten?
| In Fällen, in denen eine gesetzliche Regelung offensichtlich verunglückt gestaltet wurde (hier: § 6 Abs. 5 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes), in der Literatur hierzu vielfältige Auffassungen vertreten wurden und die spätere Korrektur bereits frühzeitig erkennbar war, kann der Steuerpflichtige nicht auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelung in Gestalt der gerade für ihn günstigen Auslegung vertrauen. Denn eine unklare gesetzliche Rechtslage verhindert das Entstehen eines Vertrauensschutzes ( FG Niedersachsen 6.3.12, 13 K 251/10, Rev. zugelassen). |
Zwischen den Beteiligten war streitig, ob die Übertragung eines Grundstücks aus dem Sonderbetriebsvermögen in das Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft gegen Übernahme von Verbindlichkeiten steuerneutral zulässig ist. Während der Betriebsprüfer die Übertragung in eine voll unentgeltliche und eine voll entgeltliche Übertragung aufteilen wollte, gingen Gesellschafter und Personengesellschaft von einer steuerneutralen Einbringung der Grundstücke aus: Im Zeitpunkt der Grundstücksübertragung am 26.6.01 sei nach § 6 Abs. 5 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG vom 23.10.00) eine Buchwertfortführung nicht nur möglich, sondern gesetzlich zwingend angeordnet gewesen, sofern die Besteuerung der stillen Reserven sichergestellt sei. Erst das Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz (UntStFG vom 20.12.01) habe § 6 Abs. 5 EStG dergestalt geändert, dass die Steuerneutralität voraussetze, dass die Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft entweder unentgeltlich oder gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erfolge.
2001 - Keine Konkurrenz von Steuersenkungsgesetz und Unternehmensteuerfortentwicklungsgesetz
Das FG Niedersachsen wies die Klage jedoch als unbegründet zurück. § 6 Abs. 5 S. 3 Nr. 2 EStG i.d.F. des UntStFG ist gemäß § 52 Abs. 16a EStG i.d.F. des UntStFG erstmals auf Übertragungsvorgänge nach dem 31.12.00 anzuwenden.. Zwar ist die Möglichkeit einer steuerneutralen Übertragung aus dem Betriebsvermögen in ein Gesamthandsvermögen erst mit Wirkung ab dem 1.1.01 wieder eingeführt worden (§§ 6 Abs. 5 S. 3 ff., 52 Abs. 16a EStG i.d.F. des StSenkG). Ob darunter auch die teilentgeltliche Übertragung zu fassen gewesen wäre, erscheint dem Gericht zumindest zweifelhaft, kann letztlich aber dahingestellt bleiben, da nach der Übergangsregelung das UntStFG rückwirkend für den gesamten Veranlagungszeitraum anzuwenden ist.
Die Übergangsregelung des § 52 Abs. 16a EStG i.d.F. des UntStFG ist auch nicht verfassungswidrig. Das UntStFG ist am 20.12.01 mit Wirkung zum 1.1.01 verkündet worden. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.9.01 (BT-Drs. 14/6882) diente der Umsetzung der im Bericht des BMF an den Finanzausschuss des Deutschen Bundestages vom 18.4.01 als Nahziele unterbreiteten Vorschläge zur Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts. Die Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Rechtsgeschäfte, die vor der Gesetzesverkündung und vor dem Gesetzentwurf, aber nach dem Bericht des BMF vorgenommen wurden, stellt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar.
- Nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des BVerfG stellt die Änderung des für die Steuerfestsetzung maßgebenden Rechts vor Ende des Kalenderjahres eine unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) dar. Eine unechte Rückwirkung (wie hier im Streitfall) ist im Gegensatz zur echten Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen) grundsätzlich zulässig (z.B. BVerfG 14.5.86, 2 BvL 2/83; BVerfG 3.12.97, 2 BvR 882/97).
- Erst wenn eine nach Ablauf des Veranlagungszeitraums verkündete Norm mit Wirkung für diesen Zeitraum eine ursprünglich geltende steuerliche Rechtsfolgenlage nachträglich ändert, handelt es sich um die Rückbewirkung einer Rechtsfolge bzw. um eine echte Rückwirkung (BVerfG 14.5.86, 2 BvL 2/83 ), die nur ausnahmsweise gerechtfertigt sein kann.
Dispositionsschutz für Verschonungssubventionen/Lenkungsnormen
Einige Senate des BFH haben sich im Einklang mit der ganz überwiegenden Zahl der Stimmen in der Literatur in mehreren Vorlagebeschlüssen an das BVerfG für einen stärkeren Dispositionsschutz ausgesprochen. Das BVerfG hat bislang noch nicht entschieden, ob es an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält.
- Der 9. Senat des BFH will den vom BVerfG für Verschonungssubventionen anerkannten Dispositionsschutz auf alle Steuerrechtsnormen erweitern (BFH 16.12.03 IX R 46/02, Tz. 73; BVerfG 2 BvL 2/04), sodass generell zwischen dem durch die Disposition betätigten Vertrauen des Steuerpflichtigen und dem staatlichen Interesse abgewogen werden müsste.
- Der 11. Senat des BFH stellt zur Unterscheidung von echter und unechter Rückwirkung abweichend von der Rechtsprechung des BVerfG nicht auf die Entstehung der Steuer, sondern generell auf die Disposition des Steuerpflichtigen ab (BFH 2.8.06 XI R 34/02, Tz. 63; BVerfG: 2 BvL 58/06; ebenso BFH 19.4.07 IV R 59/05; offen gelassen in BFH 24.4.07 I R 16/06). Dabei soll grundsätzlich die Gesetzesverkündung der Zeitpunkt sein, bis zu dem ein Steuerpflichtiger auf den Fortbestand der alten Rechtslage vertrauen kann (BFH 2.8.06, XI R 34/02, Tz. 64 ff.).
Das FG Niedersachsen hält jedoch an der herkömmlichen Unterscheidung des BVerfG zwischen echter und unechter Rückwirkung im Bereich der Veranlagungssteuern fest. Diese als „rein formal“ kritisierte Unterscheidung (BFH 2.8.06, XI R 34/02, Tz. 58) ist Ausdruck des Bemühens des BVerfG, die verfassungsrechtliche Abwägung der für und gegen die Rückwirkung sprechenden Gründe klar zu strukturieren, um dem Gesetzgeber deutliche und verlässliche Grenzen aufzuzeigen und die mit einer in jedem Einzelfall erforderlichen Abwägung verbundene Rechtsunsicherheit zu vermeiden (vgl. Mellinghoff, DStJG 27 [2004], S. 25, 42). Die Aufgabe der Unterscheidung würde den Rechtsschutz der Steuerpflichtigen eher verschlechtern; wollte man demgegenüber die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten strengeren Prüfmaßstäbe der echten Rückwirkung auch auf Sachverhaltsgestaltungen wie im Streitfall anwenden, so würde die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers nach Auffassung des Senats zu weitgehend eingeschränkt werden.
Dies gilt umso mehr in Fällen der vorgenannten Art, in denen eine gesetzliche Regelung offensichtlich verunglückt gestaltet wurde, in der Literatur hierzu vielfältige Auffassungen vertreten wurden und die spätere Korrektur bereits frühzeitig erkennbar war. In einem solchen Fall kann der Steuerpflichtige nicht auf den Fortbestand der gesetzlichen Regelung in Gestalt der gerade für ihn günstigen Auslegung vertrauen. Denn eine unklare gesetzliche Rechtslage verhindert das Entstehen eines Vertrauensschutzes (vgl. u.a. BVerfG 25.5.93, 1 BvR 1509, 1648/91).