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  • · Fachbeitrag · Gesellschafter-Geschäftsführer

    Kein Vertrauensschutz für Beitragsforderungen wegen Aufgabe der Kopf-und-Seele-Rechtsprechung

    von Christian Herold, Herten, www.herold-steuerrat.de

    | Die Sozialversicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern ist ein schillerndes Thema und hat die Sozialgerichtsrechtsprechung immer wieder beschäftigt. Zuletzt mit der Frage, ob trotz Betriebsprüfungen, in denen der Geschäftsführer wegen der Kopf-und-Seele-Rechtsprechung als nicht sozialversicherungspflichtig eingestufte wurde, dennoch nicht verjährte Beiträge nachgefordert werden dürfen, oder ob Vertrauensschutz zu gewähren ist. Darüber hinaus befasst sich dieser Beitrag mit der Wirkung von „Schönwetterklauseln“ und mit der Festsetzung von Säumniszuschlägen. |

    1. Kein Vertrauensschutz ohne Feststellungsbescheid

    Die Aufgabe der Kopf-und-Seele-Rechtsprechung (BSG 29.8.12, B 12 KR 25/10 R und B 12 R 14/10 R) erweist sich nun im Nachhinein noch als Beitragsquelle ‒ und zwar in allen Fällen, in denen Betriebsprüfungen beanstandungsfrei, aber ohne feststellenden Bescheid beendet wurden. Zur Erinnerung: Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger verjähren vier Jahre nach Ablauf des Fälligkeitsjahrs (§ 25 SGB IV) ‒ bei Vorsatz sogar erst nach 30 Jahren.

     

    • Hintergrund: Die Kopf-und-Seele-Rechtsprechung

    Fremd-Geschäftsführer sind in aller Regel nach § 7 Abs. 1 SGB IV versicherungspflichtig (Weisungsgebundenheit, Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation). Bei Gesellschafter-Geschäftsführern kommt es auf die kapitalmäßige Beteiligung an der Gesellschaft an: Ein Gesellschafter-Geschäftsführer

     

    • mit mindestens 50 % des Stammkapitals ist nicht weisungsgebunden und somit nicht sozialversicherungspflichtig;
    • mit weniger als 50 % Stammkapital muss über eine Sperrminorität verfügen, sonst ist er sozialversicherungspflichtig.

     

    Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hatte das BSG in der ‒ nunmehr aber längst aufgegebenen ‒ Kopf- und Seele-Rechtsprechung formuliert. Sie galt für Geschäftsführer ohne Kapitalbeteiligung oder ohne Sperrminorität einer Familiengesellschaft sowie für einen Angestellten unterhalb der Geschäftsführerebene, der mit den Gesellschaftern familiär verbunden ist. Dominierten diese Personen faktisch die Gesellschaft und konnten sie wie ein Alleininhaber nach Belieben agieren, waren auch sie nicht sozialversicherungspflichtig.

     

    Das BSG (19.9.19, B 12 R 25/18 R) steht auf dem Standpunkt, dass Betriebsprüfungen, die ohne Beanstandungen beendet wurden und ohne dass ein entsprechender feststellender Bescheid erging, keinen Vertrauensschutz vermitteln, weil es an einem Anknüpfungspunkt hierfür fehlt. Das heißt, die DRV darf Beiträge in vielen Fällen selbst dann für die Jahre vor 2012 zurückfordern, wenn es bereits eine beanstandungsfreie Prüfung für die Altjahre gegeben hat.

     

    Allerdings müssen 1‒ so das BSG weiter ‒ Betriebsprüfungen künftig auch bei fehlenden Beanstandungen zwingend durch einen Verwaltungsakt, der insbesondere den Umfang, die geprüften Personen und das Ergebnis der Betriebsprüfung festhält, beendet werden. Das wird zu mehr Rechtssicherheit führen.

     

    Seit einer Änderung der Beitragsverfahrensordnung zum 1.1.17 müssen Betriebsprüfungen künftig auch bei fehlenden Beanstandungen zwingend durch einen Verwaltungsakt beendet werden. Die darin enthaltenen Feststellungen sind bei neuerlichen Betriebsprüfungen zu beachten und können unter Umständen einer anderslautenden Beurteilung entgegengehalten werden. Zudem sind die prüfenden Rentenversicherungsträger verpflichtet, die Betriebsprüfung auf die im Betrieb tätigen Ehegatten, Lebenspartner, Abkömmlinge des Arbeitgebers sowie geschäftsführende GmbH-Gesellschafter zu erstrecken, sofern ihr sozialversicherungsrechtlicher Status nicht bereits durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist.

    2. Stimmrechtsvereinbarungen gehören in die Satzung

    Schon zuvor hatte das BSG (11.11.15, B 12 KR 13/14 R, B 12 R 2/14 R, B 12 KR 10/14 R) zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Voraussetzungen sich Minderheits-Gesellschafter-Geschäftsführer von der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht befreien lassen können. Die Entscheidungen waren erforderlich, nachdem mehrere Landessozialgerichte jeweils eine vertragliche Stimmbindung als ausreichend gesehen hatten, um eine unternehmerische Stellung eines Minderheitsgesellschafters zu begründen. Nach Ansicht der Landessozialgerichte konnten Minderheitsgesellschafter über eine vertragliche Stimmbindungsvereinbarung demnach der Sozialversicherungspflicht entgehen (siehe z. B. LSG Rheinland-Pfalz 12.11.14, L 4 R 556/13).

     

    In der Gestaltungspraxis sind die besagten Stimmbindungsklauseln daher oft verwendet worden. Sie hatten den Nebeneffekt, dass sie nur bei einer Prüfung der Sozialversicherung „aus dem Hut gezaubert werden mussten“, ansonsten aber zumeist keine Bewandtnis hatten. Sie sind daher oftmals auch als „Schönwetterklauselnr“ bezeichnet worden.

     

    Das BSG hat rein vertraglichen Vereinbarungen dann jedoch eine Absage erteilt. Das BSG bejahte zwar die Zulässigkeit einer Stimmrechtsvereinbarung. Allerdings seien solche Abreden nach Ansicht des BSG nicht geeignet, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben, da der Stimmbindungsvertrag von jedem Gesellschafter zumindest aus wichtigem Grund gekündigt werden kann (vgl. Bosse, NWB Nr. 5 vom 1.2.16, S. 352).

     

    PRAXISTIPP | Stimmbindungsvereinbarungen müssten also in der Satzung verankert sein, um sozialversicherungsrechtliche Wirkung zu entfalten. Aber die Betroffenen sollten sich natürlich über die Konsequenzen im Klaren sein: Mit der Stimmbindung wird die Rechtsstellung des Mehrheitsgesellschafters erheblich eingeschränkt.

     

    3. Säumniszuschläge wohl nicht zulässig

    In vielen Fällen ist es nicht nur aufgrund der Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge teuer geworden. Vielmehr haben die Prüfer der Sozialversicherungsträger zuweilen auch Säumniszuschläge festgesetzt, und zwar ein Prozent pro Monat (§ 24 Abs. 1 SGB IV). Damit liegen die Zuschläge außerhalb jedes normalen Zinssatzes und haben reinen Strafcharakter. Doch hinsichtlich der Säumniszuschläge gibt es wohl ein Aufatmen.

     

    Das BSG (12.12.18, B 12 R 15/18 R) hat festgestellt, dass Säumniszuschläge bei Fahrlässigkeit oder bei falscher Interpretation einer Rechtsvorschrift nicht festgesetzt werden dürfen. Und das dürfte angesichts der Schwierigkeit des Sozialversicherungsrechts sehr häufig der Fall sein.

     

    PRAXISTIPP | Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV).

     

    Kenntnis von der Zahlungspflicht bedeutet, dass der Arbeitgeber sicher weiß, rechtlich und tatsächlich zur Beitragszahlung verpflichtet zu sein.

     

    Ob die unterlassene Beitragszahlung unverschuldet ist, bestimmt sich nicht nach § 276 BGB, sondern nach einem eigenständigen Verschuldensmaßstab. Verschulden i. S. des § 24 Abs. 2 SGB IV setzt wenigstens bedingten Vorsatz voraus. Das folgt aus der Systematik des SGB IV und dem Zweck der Säumniszuschläge. Auch kann der Zweck der Säumniszuschläge, Druck auf die Zahlungspflichtigen mit dem Ziel einer rechtzeitigen Beitragszahlung auszuüben und verspätete Zahlungen zu sanktionieren, unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur erreicht werden, wenn der betroffene Arbeitgeber seine Zahlungspflicht zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.

     

    Das BSG konnte wegen fehlender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden, ob die klagende GmbH unverschuldet keine Kenntnis von ihrer Beitragszahlungspflicht hatte. Daher wurde der Fall an das Landessozialgericht zurückverwiesen. Dennoch sind die Ausführungen als sehr erfreulich zu werten. Arbeitgeber sollten Säumniszuschläge daher nicht mehr einfach hinnehmen und bereits gezahlte Beträge unter Hinweis auf § 44 SGB X ‒ soweit möglich ‒ zurückfordern.

     

    FAZIT | Zumindest in den streitigen Fällen der Kopf-und-Seele-Rechtsprechung des BSG besteht kein Raum für die Festsetzung bzw. Erhebung von Säumniszuschlägen.

     
    Quelle: ID 46147478

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