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  • · Nachricht · Einkünftequalifikation

    Abgrenzung zwischen Anwalts- und Inkassotätigkeit im Falle des Mengeninkassos

    von StB Jürgen Derlath, Münster

    Massenhaft betriebenes - und mithin ohne rechtliche Prüfung der einzelnen einzuziehenden Forderungen erfolgendes - außergerichtliches Mengeninkasso eines zugelassenen Rechtsanwalts führt insoweit nicht zu freiberuflichen Einkünften i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern zu gewerblichen Einkünften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG (BFH 20.8.12, III B 246/11).

    Sachverhalt

    Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist als Rechtsanwalt in eigener Praxis selbstständig tätig. Ende des Jahres 2005 begann er mit dem außergerichtlichen Forderungseinzug. Im Zusammenhang mit der Inkassotätigkeit betrieb der Kläger Call-Center mit insgesamt ca. 30 Telefonplätzen. In der Zeit von März bis Dezember 2006 verschickte der Kläger insgesamt 684.704 standardisierte Mahnungen. Im Jahr 2006 beantragte er im Zusammenhang mit seiner Inkassotätigkeit 30 bis 40 Mahnbescheide. Außerdem erhob er in den Jahren 2006 und 2007 insgesamt ca. 50 Klagen. Das Finanzamt sah die vom Kläger erklärten Einkünfte aus selbstständiger Arbeit im Anschluss an eine Außenprüfung insgesamt als solche aus Gewerbebetrieb (§ 15 EStG) an und erließ dementsprechend einen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag.

     

    Anmerkungen

    Sowohl das FG als auch der BFH gaben dem Finanzamt recht. Das Vorliegen von Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG), die durch eine selbstständige Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts erzielt werden, setzt nach ständiger Rechtsprechung des BFH u.a. voraus, dass es sich bei der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit um eine solche freiberuflicher Art, d.h. für den genannten Katalogberuf berufstypische Tätigkeit handelt (z.B. BFH 18.10.06 XI R 9/06).

     

    Eine anwaltliche Tätigkeit liegt in der Gewährung rechtlichen Beistands (§ 3 der Bundesrechtsanwaltsordnung) und kann gerichtlicher oder außergerichtlicher Art sein. Ob im Einzelfall ein Anwaltsvertrag - und damit eine berufstypische Tätigkeit - vorliegt mit der Verpflichtung, dem Auftraggeber rechtlichen Beistand zu leisten, hängt vom Inhalt der Aufgabe ab, die dem Rechtsanwalt übertragen und von diesem durchgeführt wurde. Die Rechtsberatung und -vertretung muss nicht der Schwerpunkt der anwaltlichen Tätigkeit sein. Ein Anwaltsvertrag im vorstehenden Sinne kann auch anwaltsfremde Maßnahmen umfassen, falls diese in einem engen inneren Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht stehen und auch Rechtsfragen aufwerfen können. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Rechtsberatung und -vertretung völlig in den Hintergrund tritt und deswegen als unwesentlich erscheint (BGH 2.7.98, IX ZR 63/97). Entsprechend hängt die Abgrenzung zwischen Anwalts- und reiner Inkassotätigkeit davon ab, ob die dem Rechtsanwalt eigentümliche Aufgabe, rechtlichen Beistand zu leisten, so in den Hintergrund getreten ist, dass es gerechtfertigt ist, die Aufgabe als reine Inkassotätigkeit zu werten (BGH 9.6.08 AnwSt (R) 5/05).

     

    Das Inkasso durch gewerbliche Unternehmen und Rechtsanwälte ist lediglich hinsichtlich seines Ziels, nämlich der Beitreibung von Forderungen, vergleichbar. Strukturell und organisatorisch gibt es gewichtige Unterschiede (BGH 9.6.08 AnwSt (R) 5/05). Während einem Rechtsanwalt in erster Linie die rechtliche Beratung des Gläubigers zukommt, ist die Durchsetzung der Forderung im kaufmännischen Bereich mit rechtlichen Mitteln in erster Linie den Inkassobüros zuzuordnen. Dementsprechend muss ein Rechtsanwalt, der den Einzug einer Forderung im Rahmen eines Anwaltsvertrags übernimmt, deren Berechtigung prüfen, bevor er seine Tätigkeit aufnimmt und bevor er die jeweils weiteren Schritte zur Durchsetzung der Forderung unternimmt (BGH 9.6.08 AnwSt (R) 5/05; OLG Köln 18.11.05, 6 U 149/05). Dagegen besteht für Inkassodienstleiter, insbesondere im Bereich des auch vom Kläger betriebenen sog. Mengeninkassos, keine gesetzliche Verpflichtung, in jedem Einzelfall eine angemahnte Forderung zuvor auf ihren tatsächlichen Bestand hin zu prüfen (VG Berlin 25.8.11, 1 K 5.10).

     

    Deshalb hat das FG zutreffend entschieden, dass massenhaft betriebenes - und mithin ohne rechtliche Prüfung der einzelnen einzuziehenden Forderungen erfolgendes - außergerichtliches Mengeninkasso eines zugelassenen Rechtsanwalts insoweit nicht zu freiberuflichen Einkünften i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern zu gewerblichen Einkünften nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG führt.

     

    Ein Rechtsanwalt, der exzessives vollautomatisiertes Mengeninkasso in Form des massenhaften Versendens standardisierter Mahnschreiben mittels seiner Büroorganisation betreibt, erbringt eine kaufmännische Dienstleistung, die als solche nach ihrer Art nicht das für eine selbstständige Arbeit charakteristische Merkmal einer persönlichen Arbeitsleistung erfüllt. Deshalb hat das FG zutreffend ausgeführt, dass es sich insoweit auch nicht um Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG handelt.

    Quelle: ID 36364400