· Nachricht · Einkünfteermittlung
Kosten des Erststudiums sind keine vorweggenommenen Betriebsausgaben bei den Einkünften aus selbstständiger Tätigkeit
| Die gesetzlichen Neuregelungen zur Abziehbarkeit von Erstausbildungskosten als vorweggenommene Werbungskosten/Betriebsausgaben (§ 6 Abs. 9, § 12 Nr. 5 und § 52 Abs. 23d und 30a EStG) verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht. Eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung enthalten diese Vorschriften nicht. Steuerpflichtige konnten auch kein schutzwürdiges Vertrauen aufgrund der BFH-Rechtsprechung bilden ( FG Münster 18.4.12, 10 K 4400/09 F, Rev. BFH VIII R 22/12 ). |
Zwar handelt es sich hier auch nach Ansicht des FG Münster um eine echte Rückwirkung, da die Änderungen auch für die vor dem Verkündungszeitpunkt liegenden, abgeschlossenen Veranlagungszeiträume 2004 bis 2010 gelten. Diese echte Rückwirkung sei aber ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässig.
Echte Rückwirkung
Ein Fall der echten Rückwirkung liegt vor, wenn eine Rechtsnorm für Zeiträume gelten soll, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegen und abgeschlossen sind (BVerfG 15.10.08, 1 BvR 1138/06). In bestimmten Fällen ist echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig, so z.B. wenn
- ein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts nicht oder nicht mehr bestehen konnte (BVerfG 23.11.99, 1 BvF 1/94) oder wenn
- das geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar und verworren war (BVerfG 15.10.08, 1 BvR 1138/06).
Dementsprechend ist es dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes erst recht nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor der Rechtsprechungsänderung der bis dato gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (BVerfG 15.10.08, 1 BvR 1138/06; BVerfG 23.01.90, 1 BvL 4, 5, 6 und 7/87).
Der Gesetzgeber durfte daher mit Rückwirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2004 anordnen, dass Aufwendungen für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt, keine (vorweggenommenen) Betriebsausgaben sind, wenn dieses Erststudium nicht im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfindet. Denn hiermit hat der Gesetzgeber die Rechtslage rückwirkend festgeschrieben, wie sie bis zur Änderung der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (BFH 17.04.96, VI R 94/04) und der einhelligen Praxis der Finanzverwaltung und damit allgemeiner Rechtsanwendungspraxis entsprach.
Keine Vertrauensschutz
Der Kläger hat auch kein schutzwürdiges Vertrauen in die Abzugsfähigkeit der Aufwendungen als (vorweggenommene) Betriebsaugaben aufgrund geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung bilden können. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung kann allenfalls bei gefestigter, langjähriger Rechtsprechung entstehen (BVerfG 21.07.10, 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05). Eine gefestigte, langjährige Rechtsprechung im Sinne des Klagebegehrens existierte hier nicht. Der BFH änderte seine Rechtsprechung erst beginnend mit seiner Entscheidung vom 4.12.02 (BFH 4.12.02, VI R 120/01).
Gesetzesänderung stellt nicht lediglich Vorgängerregelung klar
Entgegen der Auffassung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 17/7524, S. 12, 13, 14 und 20) ist aber eine Prüfung des Rückwirkungsverbots nicht deswegen entbehrlich, weil die Neuregelung nur der Klarstellung diene und daher keine rückwirkende Gesetzesänderung sei. Rein deklaratorisch und nicht konstitutiv ist eine gesetzliche Regelung nur dann, wenn sich das nunmehr ausdrücklich Geregelte auch schon bisher unter Anwendung der herkömmlichen Auslegungsregeln aus dem Gesetz hat ableiten lassen. Dass dieses Erfordernis hier nicht erfüllt ist, zeigen die Ausführungen des BFH (28.7.11, VI R 7/10, VI R 38/10).
Weiterführender Hinweis
- Zum selben Thema FG Münster (20.12. 11, 5 K 3975/09 F, Rev. BFH VI R 8/12)