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  • 02.08.2013

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 24.04.2013 – 4 K 422/12

    - Die Vorlagepflicht von mit einem
    Datenverarbeitungssystem erstellten Aufzeichnungen nach § 147 Abs. 6 AO bezieht
    sich nur auf Aufzeichnungen, für die eine gesetzliche Aufbewahrungspflicht
    besteht.


    - Die Grundsätze ordnungsgemäßer
    Buchführung verlangen auch bei computergesteuerten Kassensystemen keine
    Einzelaufzeichnung der Bargeschäfte, wenn der Unternehmer gegen Barzahlung
    Waren von geringem Wert an eine unbestimmte Vielzahl von Kunden im offenen
    Ladengeschäft verkauft.


    - Eine Pflicht zur Vorlage von
    überobligatorisch mit einem Datenverarbeitungssystem freiwillig geführter
    Kasseneinzelaufzeichnungen der Barverkäufe besteht nicht, wenn ordnungsgemäße
    Tagesendsummenbons vorgelegt werden.


    - Ein Apotheker, der freiwillig
    eine von seiner PC-Kasse erstellte Datei mit Einzelaufzeichnungen über
    Barverkäufe führt, ist nicht verpflichtet dem Finanzamt diese Datei im Rahmen
    einer Betriebsprüfung vorzulegen.


    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um den
    Umfang der Verpflichtung der Klägerin zur Gewährung des Datenzugriffs im Rahmen
    einer laufenden Betriebsprüfung. Die Klägerin betreibt eine Apotheke. Mit
    dieser erzielt sie nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 lit. b AO vom Beklagten (dem
    Finanzamt, im Folgenden: ,FA') gesondert festzustellende Einkünfte aus
    Gewerbebetrieb, die sie durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt. Aus den von
    der Klägerin mit den Feststellungserklärungen der Jahre 2007 bis 2009 beim FA
    eingereichten Jahresabschlüssen ergab sich nach Erträgen und Aufwendungen im
    jeweils sechsstelligen Bereich zum 31.12.2007 ein Bilanzgewinn von 87.479,47
    Euro, zum 31.12.2008 von 80.696,99 Euro und zum 31.12.2009 von 87.048,52 Euro.


    Aufgrund eines Prüfungsvorschlags
    der Veranlagungsstelle des FA mit der Erwägung „noch nicht geprüfter
    M-Betrieb” ordnete das FA gegenüber der Klägerin am 29.08.2011 für die
    Zeiträume 2007 bis 2009 eine steuerliche Außenprüfung betreffend
    Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer an, zu deren Vorbereitung es
    mit Schreiben vom 12.09.2011 unter anderem die „Einzeldaten der
    Registrierkasse (Journal der EDV-Kasse sowie Daten der Z-Bons)” und die
    „Einzeldaten des Warenverkaufs” anforderte. Dieses Schreiben
    enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Die bei Prüfungsbeginn am 26.10.2011 in
    einem Fragebogen vom Prüfer erbetenen Auskünfte zur Beschaffenheit der
    Kassenführung beantwortete die Klägerin am 31.10.2011 wie folgt: Die
    Tageseinnahmen würden im Betrieb der Klägerin über eine modulare PC-Kasse der
    Firma A mit zwei Kassen erfasst, sodann durch Tagesendsummenbons (Z-Bons) mit
    anschließender Nullstellung ausgewertet und als Summe in ein manuell geführtes
    Kassenbuch eingetragen. Ein Testat über die Unveränderlichkeit der
    Kassensoftware liege nicht vor. Ferner erläuterte die Klägerin mündlich, dass
    eine gesonderte Fakturakasse wegen des geringen Umfangs der Lieferungen auf
    Rechnung nicht existiere und die diesbezüglichen Aufzeichnungen manuell geführt
    würden. Hochpreisige Medikamente an Privatpatienten würden nicht verkauft. Die
    Auslage an frei verkäuflicher Ware sei deshalb sehr gering, weil sich in der
    Nähe ein Drogeriemarkt befinde. Neben den zwei Bedienkassen werde ein PC mit
    Scanner zur Erfassung des Wareneingangs genutzt. Der Warenbestand werde nicht
    automatisch überprüft. Warenbestellungen würden manuell vorgenommen. Auf das
    Schreiben vom 12.09.2011 erhielt der Prüfer vom steuerlichen Berater der
    Klägerin eine CD mit von der Firma A bereitgestellten Daten aus dem
    Kassensystem der Klägerin, unter denen der steuerliche Berater jedoch die Datei
    mit der Einzeldokumentation der Verkäufe entfernt hatte, da er die Auffassung
    vertrat, dass das FA ein entsprechende Zugriffsrecht nicht habe.

    Mit Schreiben vom 28.10.2011
    forderte das FA die Klägerin auf, „die von der Firma A gelieferten Daten
    über die Warenverkäufe (vk _ rechnungen …csv und vk _ verkaeufe
    …csv) bis zum 11.11.2011 bereitzustellen” und drohte für den Fall
    der verspäteten Erfüllung die Festsetzung eines Verzögerungsgeldes an. Entgegen
    der Ansicht des steuerlichen Beraters seien die genannten Dateien als
    Bestandteil der Grundaufzeichnungen nach § 147 Abs. 6 AO vorzulegen. Auch
    dieses Schreiben enthielt keine Rechtsbehelfsbelehrung. Am 03.11.2011 teilte
    der steuerliche Berater mit, dass eine Datei „VK-Rechnungen” nicht
    existiere, da die Klägerin das entsprechende Kassenmodul nicht erworben habe.
    Die Datei „VK-Verkäufe” sei vom Datenzugriffsrecht des FA nach §
    147 Abs. 6 AO nicht umfasst, da die Klägerin keine entsprechende
    Einzelaufzeichnungspflicht habe. Gegen die „Anforderungen von
    Daten” legte die Klägerin am 24.11.2011 Einspruch ein, den das FA nach
    Einholung einer Weisung der Mittelbehörde und Gewährung der beantragten
    Vollziehungsaussetzung durch Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 als
    unbegründet zurückwies.

    Mit ihrer am 23.02.2012 erhobenen
    Klage verfolgt die Klägerin ihr Rechtsbegehren weiter. Die Anforderung der
    Datei „VK Rechnungen” sei bereits deshalb rechtswidrig, weil eine
    solche Datei mangels Erfassung der Rechnungsumsätze über die PC-Kasse nicht
    existiere. Hinsichtlich der Datei „VK Verkäufe” habe das FA kein
    Zugriffsrecht, da die Klägerin gesetzlich nicht verpflichtet sei, die Verkäufe
    einzeln aufzuzeichnen, es damit an einer Aufbewahrungspflicht i.S.d. § 147 Abs.
    1 AO und folglich auch an einem Zugriffsrecht des FA auf die aufbewahrten
    Unterlagen bzw. Dateien nach § 147 Abs. 6 AO fehle (Verweis auf BFH vom
    24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 sowie Bellinger StBp 2011,
    272 ff. u. 305 ff. und Mack Stbg. 2012, 116 ff.). Die Aufzeichnungspflicht nach
    § 144 AO greife nicht, da die Klägerin Einzelhändlerin sei. Eine
    Einzelaufzeichnungspflicht für den Warenverkauf ergebe sich auch nicht aus den
    in § 145 AO getroffenen allgemeinen Regeln für die Führung von Büchern. Das
    belege bereits der Ausnahmecharakter des § 144 AO. Soweit die ältere
    Rechtsprechung zur Situation vor der Einführung von PC-Kassen die Auffassung
    vertreten habe, dass der Einzelhandel nur aus Zumutbarkeitsgründen von der
    Einzelaufzeichnungspflicht befreit sei (BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60,
    BStBl. III 1966, 372), sei diese Aussage durch die klaren Aussagen des BFH im
    Urteil vom 24.06.2009 überholt. Im Ergebnis unterlägen damit die freiwillig
    geführten und aufbewahrten Unterlagen bzw. Dateien nicht dem Zugriffsrecht nach
    § 147 Abs. 6 AO. Mangels Aufbewahrungspflicht dürften solche Medien vom
    Steuerpflichtigen auch jederzeit vernichtet bzw. gelöscht werden. Bei der vom
    FA verlangten Verkaufsdatei handele es sich auch nicht i.S.v. § 147 Abs. 1 Nr.
    5 AO um „sonstige Unterlagen, soweit sie für die Besteuerung von
    Bedeutung sind”. Denn diese Vorschrift komme nur zum Tragen, soweit der
    Gesetzgeber nicht auf eine Aufzeichnungspflicht verzichtet habe. Dies sei
    bezüglich des Warenausgangs bei Einzelhandelsunternehmen jedoch im
    Unkehrschluss zu § 144 AO gerade der Fall. § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO könne nicht
    den Zweck haben, als Auffangvorschrift („Blanko-Scheck”) für durch
    den Gesetzgeber nicht geregelte Aufzeichnungspflichten herzuhalten.

    Insoweit wäre auch der Vorbehalt
    des Gesetzes verletzt. Theoretisch könne alles irgendwie einmal „von
    Bedeutung” sein. Dem Bürger sei es nicht möglich, anhand dieser
    Vorschrift im Vorhinein zu erkennen, welche Unterlagen er für Steuerzwecke
    aufbewahren müsse. Anders als in Österreich sei eine (zweifelsfrei
    wünschenswerte) klarstellende gesetzliche Regelung in der AO bisher
    unterblieben. Eine solche könne nicht im Verwaltungswege hergestellt werden.
    Dass nach der neuen Kassenrichtlinie (BMF vom 26.11.2010 –BStBl. I 2010,
    1342) sämtliche steuerlich relevanten Daten einzeln aufzubewahren seien, sei
    für den Streitfall ohnehin nicht von Belang, da diese Verwaltungsanweisung erst
    ab dem 01.01.2011 anwendbar sei. Selbst insoweit könnten jedoch aus den darin
    lediglich enthaltenen Aufbewahrungsvorschriften keine Aufzeichnungspflicht
    abgeleitet werden.

    Auch die berufsrechtlichen
    Vorschriften (hier: §§ 17, 22 ApoBetrO) begründeten keine steuerrechtlichen
    Aufzeichnungspflichten, zumal nach diesen Vorschriften die Preise nicht zu
    dokumentieren seien. § 22 UStG zwinge nur zur Dokumentation der Entgelte, nicht
    aber zur kombinierten Aufzeichnung von Waren und Preisen. Die vom BMF
    zusammengefassten Grundsätze ordnungsgemäßer DV-gestützter Buchführungssysteme
    (GoBS) (BMF vom 07.11.1995,BStBl. I 1995, 738, Anhang 64 zum AO-Handbuch 2012)
    begründeten selbst keine Aufzeichnungspflicht und seien damit für
    Datenverarbeitungsanwendungen, die nicht Teil des betrieblichen Rechnungswesens
    seien, nicht verbindlich. Gleiches gelte für die Empfehlungen des IDW. Die
    These des FA, aus der Funktionalität eines vorhandenen PC-Systems (z.B. eines
    Warenwirtschaftssystems) auf eine bestimmte Aufzeichnungs- und
    Aufbewahrungspflicht des Steuerpflichtigen zu schließen, sei rechtsdogmatisch
    nicht haltbar, da dann der Umfang der Aufzeichnung- und Aufbewahrungspflicht
    vom jeweils eingesetzten PC-System und von der individuell eingesetzten
    Software abhinge. Die Klägerin schulde nur den Nachweis, dass die
    Tagesendsummenbons zutreffend ermittelt wurden. Dieser Nachweis sei nicht
    einzeln, sondern auf der Systemebene zu führen. Die Anforderung des FA gehe
    über die stichprobenartige Überprüfung des entsprechenden Verfahrens weit
    hinaus. Der BFH habe es im Urteil vom 24.06.2009 gerade für unzulässig
    erachtet, seitens der Betriebsprüfung ohne gesetzliche Aufbewahrungspflicht zur
    Verprobung überzugehen. Die Firma A habe auch nie in Verdacht gestanden, ihre
    Software mit Manipulationsmöglichkeiten auszustatten.

    Im Übrigen verfüge die Kasse nicht
    über die vom FA gemutmaßte Funktionalität. Es handele sich um das Modell der
    Firma A. Betriebswirtschaftliche Auswertungen habe es damit nicht gegeben. Ein
    Trainingsspeicher existiere nicht. Gleiches gelte für bedienerbezogene
    Tagesendsummenbons. Eine Bedienungsanleitung (Benutzerhandbuch) habe vorgelegen
    und hätte auf Anfrage jederzeit vorgelegt werden können. Umprogrammierungen der
    Software seien nicht möglich gewesen und hätten daher auch nicht stattgefunden.


    Die Klägerin beantragt,

    den Datenanforderungsbescheid des
    Beklagten vom 28.10.2011 in Form der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012
    aufzuheben sowie die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für
    notwendig zu erklären.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Das FA vertritt die Auffassung,
    dass die Klägerin bereits nach § 144 AO zur gesonderten Aufzeichnung des
    Warenausgangs verpflichtet sei. Ferner ergebe sich die Verpflichtung zur
    Führung entsprechender Einzelaufzeichnungen für jedes Handelsunternehmen
    grundsätzlich auch aus § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 145 Abs. 1 Satz 2 AO
    (Verweis auf BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 372). Auf
    die Unzumutbarkeit der Führung von Einzelaufzeichnungen könne sich die Klägerin
    nicht berufen, da sie die fraglichen Aufzeichnungen (d.h. die Einzelverkäufe)
    tatsächlich geführt habe. Bei der von der Klägerin verwendeten PC-Kasse handele
    es sich um ein Erlöserfassungssystem mit integrierter
    Warenwirtschaftsverwaltung. Die mit einem solchen System bewältigte
    Dokumentation des Warenausgangs sei gerade bei Apotheken zur Aktualisierung des
    Warenbestandes („permanente Inventur”) und zur Einhaltung der
    strengen und vielfältigen berufsrechtlichen Vorschriften (z.B. zur
    Kennzeichnung der Rezeptpflichtigkeit und der Rezeptart, zur Zuzahlungspflicht
    bei gesetzlicher Krankenversicherung und zur abgegebenen Menge) erforderlich
    (Verweis auf §§ 17, 22 ApoBetrVO und § 13 Abs. 3 BtMG). Ferner zwängen § 22
    UStG und § 4 Abs. 5 EStG zur gesonderten Aufzeichnung. Die im Bescheid vom
    28.10.2011 angeforderten Dateien seien im Ergebnis Teil der nach § 147 Abs. 1
    Nr. 1 AO aufzubewahrenden „Grundaufzeichnungen”. Somit habe die
    Klägerin die Grundsätze ordnungsmäßiger DV-gestützter Buchführungssysteme nach
    § 146 Abs. 5 AO zu beachten, gegen die eine Beschränkung der Archivierung der
    Tagesaufzeichnungen auf die Tagesendsummenbons widerspreche. Selbst
    Kostenstellenrechungen unterlägen dem Datenzugriff (Verweis auf FG
    Rheinland-Pfalz vom 13.06.2006 – 1 K 1743/06, EFG 2006, 1634). Das FG
    Sachsen-Anhalt habe die Rechtsauffassung des FA bestätigt, wonach die
    Verkaufsdaten nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO aufzubewahren seien (Beschluss vom
    15.01.2013 – 1 V 580/12, n. v., Kopie Bl. 110 ff. der Klageakte).


    Dessen ungeachtet stehe dem FA der
    Zugriff auf die angeforderten Dateien auch zum Zwecke der allgemeinen
    Verprobung zu. So sei eine Verprobung des Aufschlagssatzes einzelner
    Warengruppen, des erklärten Gesamtumsatzes mittels Kassenabrechnungen, der
    Falscherfassung von Privatrezepten, eine Mengenverprobung des Warenbestandes
    sowie die Prüfung der Verwendung von Manipulationssoftware ohne Zugriff auf die
    Verkaufsdatei nicht möglich. Da ein Programmierprotokoll nicht vorgelegt worden
    sei, könne die Angabe der Klägerin, dass nach der Aufstellung keine Änderungen
    vorgenommen worden seien, nicht verifiziert werden. Auch die
    Organisationsunterlagen und die betriebswirtschaftlichen Auswertungen der Kasse
    habe die Klägerin nicht vorgelegt. Die Intensität und die Ausgestaltung der
    Prüfung lägen nach § 194 AO im Ermessen des FA. Der Prüfer habe bei der
    Klägerin erhebliche Mängel in der Kassenbuchführung festgestellt (Verweis auf
    einen checklistenartig ausgefüllten und weder datierten noch unterschriebenen
    Aktenvermerk des Prüfers, sowie auf einen Aktenvermerk vom 26.10.2011). Die
    Klägerin habe den Nachweis der Vollständigkeit der Einnahmen daher durch
    Vorlage der „Kassenstreifen” (Papierjournalrolle) zu führen. Da
    dieser nicht existiere, sei die Verkaufsdatei vorzulegen.

    Auf die dem Gericht vorgelegten
    Verwaltungsakten wird ergänzend Bezug genommen. Sie waren Gegenstand des
    Verfahrens. Darüber hinaus wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten
    Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen
    Verhandlung vom 24.04.2013 ergänzend Bezug genommen.

    Gründe

    Die Klage ist begründet. Der wegen
    des vorherigen Streits der Beteiligten um den Umfang der Datenzugriffsrechte
    des FA als Verwaltungsakt i.S.d. § 118 Satz 1 AO zu wertende Bescheid des FA
    vom 28.10.2011 (BFH vom 08.04.2008 – VIII R 61/06, BStBl. II 2009, 579)
    ist in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.02.2012 in Ermangelung
    einer die Datenanforderung stützenden gesetzlichen Grundlage i.S.d. Art. 2 Abs.
    1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
    Rechten. Auf den Umstand, dass die ebenfalls angeforderte Datei „vk _
    rechnungen …csv” nach den Angaben der Klägerin gar nicht
    existiert, kam es nicht an.

    1. Die Anforderung des FA vom
    28.10.2011 kann nicht auf § 147 Abs. 6 AO gestützt werden, da die
    Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift im Streitfall nicht erfüllt sind.


    a) Sind Unterlagen nach § 147 Abs.
    1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden, so hat die
    Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung das Recht, Einsicht in die
    gespeicherten Daten zu nehmen und das Datenverarbeitungssystem zur Prüfung
    dieser Unterlagen zu nutzen (§ 147 Abs. 6 Satz 1 AO). Sie kann im Rahmen einer
    Außenprüfung auch verlangen, dass Daten nach ihren Vorgaben maschinell
    ausgewertet oder ihr die gespeicherten Unterlagen und Aufzeichnungen auf einem
    maschinell verwertbaren Datenträger zur Verfügung gestellt werden (§ 147 Abs. 6
    Satz 2). Diese Befugnisse stehen der Finanzbehörde nach dem insoweit
    eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nur in Bezug auf Daten zu, die der
    Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat (BFH vom 24.06.2009
    VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. a. b. aa.). Die in § 147
    Abs. 1 AO geregelten Aufbewahrungspflichten setzen wiederum eine gesetzliche
    Aufzeichnungspflicht des Steuerpflichtigen voraus und bestehen grundsätzlich
    nur im Umfang dieser Aufzeichnungspflicht (BFH vom 24.06.2009 – VIII R
    80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. a. b. cc.).

    b) Im Streitfall hatte die
    Klägerin, der aufgrund der Größe und der Einzelumsatzhäufigkeit ihres Geschäfts
    zweifelsfrei die Kaufmannseigenschaft nach § 1 Abs. 1 HGB i.V.m. § 238 Abs. 1
    HGB zukommt, keine gesetzliche Verpflichtung, die von ihr getätigten
    Einzelverkäufe (d.h. die im Einzelnen verkauften Waren und die hierfür im
    Einzelnen vereinnahmten Kaufpreise) im Einzelnen manuell oder auf einem
    Datenträger (§ 146 Abs. 5 AO) aufzuzeichnen und diese manuellen oder
    elektronischen Aufzeichnungen nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren.

    aa) Da die Klägerin ihre Waren nach
    der Art ihres Geschäftsbetriebes nicht regelmäßig an anderer gewerbliche
    Unternehmer, sondern an Endverbraucher liefert, ist sie zweifelsfrei nicht nach
    § 144 Abs. 1 bis 4 AO zur gesonderten Aufzeichnung des Warenausgangs
    einschließlich des Warenpreises (§ 144 Abs. 3 Nr. 4 AO) verpflichtet. Entgegen
    der Ansicht des FA ergibt sich eine entsprechende Verpflichtung auch nicht aus
    den allgemeinen Vorschriften nach § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 145 Abs. 1 Satz
    2 AO. Zur Erfüllung des in diesen Vorschriften geregelten Gebotes der
    Gewährleistung der eindeutigen Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der
    einzelnen Handelsgeschäfte ist der Kaufmann ungeachtet der Eigenart seines
    Unternehmens zwar grundsätzlich verpflichtet, seine Kassenvorgänge (seien es
    Barausgaben oder Bareinnahmen) einzeln aufzuzeichnen (vgl. BFH vom 12.05.1966
    IV 472/60, BStBl. III 1966, 372 zur Herleitung dieses Gebotes aus den
    Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung). Es entspricht jedoch der gefestigten
    und auch im „Computerzeitalter” aufrecht erhaltenen
    höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die in § 238 Abs. 1 HGB und § 145 AO
    zum Ausdruck kommenden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung derartige
    Einzelaufzeichnungen aus Zumutbarkeits- und Praktikabilitätsgründen regelmäßig
    nicht verlangen, wenn der Unternehmer gegen Barzahlung Waren von geringerem
    Wert an eine unbestimmte Vielzahl von Kunden im offenen Ladengeschäft verkauft
    (BFH vom 12.05.1966 – IV 472/60, BStBl. III 1966, 37; BFH vom 01.10.1969
    I R 73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 26.02.2004 – XI R 25/02,
    BStBl. II 2004, 599; BFH vom 07.02.2008 – X B 189/07, n. v. Juris; BFH
    vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 1 a.). Soweit
    hiernach auf Einzelaufzeichnungen verzichtet werden darf, sind die Tagessummen
    der Kasseneinnahmen und Kassenausgaben in Form von Kassenberichten oder mit
    Hilfe eines Kassenbuchs täglich festzuhalten (BFH vom 01.10.1969 – I R
    73/66, BStBl. II 1970, 45; BFH vom 20.06.1985 – IV R 41/82, BFH/NV 1985,
    12). Die aus der Tageskasse ausgezählte Summe der Tagesein- und Ausgaben ist in
    das in Form aneinandergereihter Kassenberichte geführte Kassenbuch zu
    übertragen (BFH vom 07.07.1977 – IV R 205/72, BStBl. II 1978, 307; BFH
    vom 21.02.1990 – X R 54/87, BFH/NV 1990, 683). Die zugehörigen
    Tagesendsummensbons (Z-Bons) sind als sonstige Unterlagen i.S.d. § 147 Abs. 1
    Nr. 4 und Nr. 5 AO aufzubewahren (FG Bremen vom 24.09.1996 – 2 94 085 K
    2, EFG 1997, 449; FG Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88, EFG 1991, 507).


    Nach diesen Grundsätzen war auch
    die Klägerin i.S.v. § 238 Abs. 1 Satz 3 HGB und § 147 Abs. 1 Satz 2 AO als
    Einzelhändlerin von der Verpflichtung befreit, die einzelnen
    „Verkäufe” über die Ladentheke (d.h. den jeweiligen Warenausgang
    in Verbindung mit dem vereinnahmten Kaufpreis) einzeln aufzuzeichnen. Dem steht
    nicht entgegen, dass die Klägerin (wie der Bevollmächtigte in der mündlichen
    Verhandlung klargestellt hat) sämtliche mit den Trägern der gesetzlichen
    Krankenversicherung anfallenden Geschäftsvorfälle mit diesen unbar abwickelt,
    da dies am grundsätzlichen und zusätzlichen Anfall von anonymen (da
    rezeptfreien) Bargeschäften „über die Ladentheke” in erheblichem
    Umfang nichts ändert. Die Klägerin konnte ihre Pflicht zur Gewährleistung der
    eindeutigen Identifizierbarkeit und Nachprüfbarkeit der einzelnen Geschäfte
    mithin grundsätzlich dadurch erfüllen, dass sie – wie sie dies zu Beginn
    der Betriebsprüfung dargestellt und erläutert hatte – die festgestellten
    Tagesendsummen fortlaufend in ein Kassenbuch übertrug. Dass sie die einzelnen
    Barverkäufe gleichwohl freiwillig und programmgesteuert in einer gesonderten
    Datei („VK Verkäufe”) mitschrieb und speicherte, ändert hieran
    nichts. Zwar stellt dies die von der Rechtsprechung zur Begründung der
    Erleichterung angeführten Kriterien der Praktikabilität und Zumutbarkeit in
    Frage. Für die Tragfähigkeit dieser Kriterien kann es jedoch nicht auf den
    einzelnen (sich z.B. durch den Einsatz einer besonders ausgestalteten Kasse
    möglicherweise überobliagtionsmäßig verhaltenden) Steuerpflichtigen, sondern
    allein auf den Typus eines in größerem Umfang Barumsätze erzielenden
    Einzelhandelsbetriebes ankommen. Eine Apotheke gleich welcher Größe kann
    insoweit nicht anders behandelt werden als z.B. ein Betrieb der
    Kleingastronomie. Andenfalls würde der Umfang der Aufzeichnungspflicht vom
    Umfang der vom Steuerpflichtigen tatsächlich getätigten Aufzeichnungen
    abhängen, was mit der abstrakt-generellen Intention der Grundsätze
    ordnungsmäßiger Buchführung und dem Regelungszweck des § 238 Abs. 1 Satz 2 HGB
    und des § 145 Abs. 1 Satz 2 AO und überdies auch mit den Grundsätzen der
    Verhältnismäßigkeit und des Vorrangs und Vorbehalts des Gesetzes (Art. 2 Abs. 1
    i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) nicht zu vereinbaren wäre (vgl. BFH vom 24.06.2009
    VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. cc. unter Verweis auf
    das Volkszählungs-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, BVerfG vom 15.12.1983
    1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1 unter C. II. 2. a.). Für Steuerzwecke
    (d.h. ungeachtet des dargestellten handelsrechtlichen Auslegungsergebnisses)
    führt darüber hinaus eine am Gesetzeswortlaut orientierte Auslegung des § 144
    AO zu dem Ergebnis, dass die von dieser Vorschrift nicht betroffenen
    Unternehmer (wie im Streitfall die Klägerin) im Umkehrschluss ihren
    Warenausgang nicht einzeln aufzeichnen müssen.

    Entgegen der Ansicht des FA handelt
    es sich bei der angeforderten Datei „VK Verkäufe” daher nicht um
    einen Bestandteil der nach § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO aufzubewahrenden
    „Grundaufzeichnungen”. Das gilt auch für die Datei „VK
    Rechnungen”, bei der es sich nach den Mutmaßungen des FA ebenfalls um
    einen Datensatz mit Einzelverkäufen handeln soll. Insoweit kann dahinstehen,
    dass diese Datei nach den (vom FA nicht widerlegten) Angaben der Klägerin
    überhaupt nicht existiert, weil gegenüber den Kunden nur geringe
    Rechnungsumsätze angefallen und diese manuell dokumentiert worden seien.


    bb) In Bezug auf die im Bescheid
    vom 28.10.2011 angeforderten Dateien ergibt sich eine Aufbewahrungspflicht auch
    nicht aus § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO. Nach dieser Vorschrift sind auch
    „sonstige Unterlagen” gesondert aufzubewahren, soweit sie
    „für die Besteuerung von Bedeutung sind”. Zwar lässt der weite
    Wortlaut der Norm die Deutung zu, dass nach ihr ohne Rücksicht auf eine
    Aufzeichnungspflicht sämtliche für die Besteuerung bedeutsamen Unterlagen
    aufzubewahren sind. Eine solche Auslegung hat die höchstrichterliche
    Rechtsprechung jedoch zu Recht verworfen. Vielmehr ist § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO
    unter Berücksichtigung der generellen Akzessorietät der Aufbewahrungspflicht zu
    einer bestehenden gesetzlichen Aufzeichnungspflicht dahingehend einschränkend
    auszulegen, dass nur solche sonstigen (d.h. nicht unter § 147 Abs. 1 Nr. 1 bis
    4a AO fallenden) Unterlagen oder Daten (etc.) aufbewahrt werden müssen, die zum
    Verständnis und zur Überprüfung der für die Besteuerung gesetzlich
    vorgeschriebenen Aufzeichnungen im Einzelfall von Bedeutung sind (BFH vom
    24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. cc.; BFH
    vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921 unter II. 2. a. bb.).


    Nach dieser Maßgabe ist der von der
    Klägerin aufbewahrte Datensatz „VK Verkäufe” zum Verständnis und
    zur Überprüfung des von ihr aufzubewahrenden Kassenbuchs und der
    aufzubewahrenden Tagesendsummensbons (Z-Bons) nicht „von
    Bedeutung”. Für die Beantwortung der Frage, ob bestimmte Unterlagen oder
    Daten nach den vom BFH entwickelten Grundsätzen „im Einzelfall”
    zum Verständnis oder zur Überprüfung vorgeschriebener Aufzeichnungen
    „bedeutsam” sind, kann es – mit Blick auf die gleichzeitig
    geforderte einschränkende Auslegung der gesetzlichen Aufbewahrungs- und
    Zugriffstatbestände unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes –
    ebenfalls nicht auf die Verhältnisse des einzelnen Steuerpflichtigen ankommen.
    Vielmehr ist entscheidend, ob die fraglichen Unterlagen oder Daten zum
    Verständnis und zur Überprüfung der jeweils aufzuzeichnenden Geschäftsvorfälle
    bei abstrakt-genereller Betrachtung typischerweise von Bedeutung sind. Denn nur
    so ist sichergestellt, dass der Steuerpflichtige im Vorhinein erkennen kann,
    welche Unterlagen und Daten er zur Gewährleistung der Ordnungsmäßigkeit seiner
    Buchführung innerhalb der gesetzlichen Fristen zwingend aufbewahren muss. Es
    wäre mit dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren,
    wenn sich eine Aufbewahrungspflicht nach § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO allein aus dem
    Umstand ergäbe, dass der Steuerpflichtige freiwillig (z.B. zu internen
    Kontrollzwecken) bestimmte Aufzeichnungen fertigt, die sich im Rahmen einer
    Betriebsprüfung für eine Verprobung der verpflichtend erstellten Aufzeichnungen
    später als hilfreich erweisen könnten.

    Der Streitfall ist unter
    Berücksichtigung dieser Vorgabe zu entscheiden. Die von der Klägerin freiwillig
    und programmgesteuert gespeicherten Einzeldaten der Verkäufe sind aus der
    Perspektive des FA für eine rückschauende Verprobung des Kassenbuchs und der
    Z-Bons zwar zweifellos von großem Interesse. Die Bejahung einer hierauf
    gestützten generellen Aufzeichnungspflicht würde jedoch den Grundsatz ad
    absurdum führen, dass für den Betrieb der Klägerin nach § 145 Abs. 1 Satz 2 AO
    eine gesonderte Aufzeichnung des Warenausgangs und der Einnahmen gerade nicht
    erforderlich ist. Bei abstrakt-genereller Betrachtung sind die Einzeldaten auch
    für das „Verständnis” der Z-Bons und des Kassenbuchs nicht
    erforderlich, da letztere die fraglichen Einzelaufzeichnungen gerade ersetzen
    sollen. Diese Erwägungen gelten vorliegend sowohl für die Datei „VK
    Verkäufe” als auch für die Datei „VK Rechnungen” (soweit
    überhaupt vorhanden).

    Der Streitfall ist insoweit auch
    mit der vom BFH entschiedenen Konstellation vergleichbar, in der ein in
    größerem Umfang bar abrechnender Betreiber einer Kraftfahrzeugwerkstatt über
    die Führung des Kassenbuchs hinaus seine Kundenaufträge dadurch einzeln
    festhält, dass er jeweils eine Kopie des Fahrzeugscheins des zu reparierenden
    Fahrzeugs anfertigt und hierauf handschriftlich den Arbeitsumfang, die zu
    beschaffenden Ersatzteile und die geleisteten Arbeitsstunden notiert. Trotz der
    unbestreitbaren Tatsache, dass diese zusätzlichen Aufzeichnungen bei der
    Überprüfung der Richtigkeit des Kassenbuches durch die Finanzbehörde äußert
    hilfreich wären, besteht hierfür nach der Rechtsprechung (BFH vom 07.12.2010
    III B 199/09, BFH/NV 2011, 411) ersichtlich keine Aufbewahrungspflicht
    nach § 147 Abs. 1 AO. Soweit das FA der angeführten Entscheidung des FG
    Rheinland-Pfalz etwas anderes entnimmt (FG Rheinland-Pfalz vom 13.03.2006
    1 K 1743/05, EFG 2006, 1550), sind die dort zu Grunde gelegten
    Erwägungen jedenfalls durch die Entscheidung des BFH vom 24.06.2009 (VIII R
    80/06, BStBl. II 2010, 452) überholt. Den neuerlichen Erwägungen des FG
    Sachsen-Anhalt im summarischen Aussetzungsverfahren (FG Sachsen-Anhalt vom
    15.01.2013 – 1 V 580/112, n. v. ist mit den hier vertretenen Argumenten
    nicht zu folgen.

    cc) Entgegen der Auffassung des FA
    ergibt sich eine gesetzliche Pflicht zur gesonderten Aufzeichnung des
    Warenausgangs nebst den im Einzelnen vereinnahmten Warenpreisen auch nicht aus
    den für die Klägerin geltenden sonstigen (berufs-) rechtlichen Bestimmungen.
    Die aufgrund § 21 des Apothekengesetzes erlassene Apothekenbetriebsordnung
    (ApoBetrO) und das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) enthalten zwar einzelne
    Aufzeichnungs- und Bestandsdokumentationspflichten. Eine Verpflichtung zur
    Dokumentation der für den Verkauf einzelner Warenstücke vereinnahmten Preise
    (d.h. der „Verkäufe”, wie sie sich aus der Datei „VK
    Verkäufe” ergeben sollen) findet sich hier jedoch nicht. § 17 Abs. 6 Satz
    1 Nr. 4 ApoBetrO betrifft nur die Angabe des Preises auf der vom Bezieher
    vorgelegten und wieder an sich genommenen Verschreibung. Die besonderen
    Aufzeichnungspflichten nach § 17 Abs. 6a u. Abs. 6b ApoBetrO und die
    Aufbewahrungspflichten nach § 22 ApoBetrO sehen eine Berücksichtigung des
    Preises nicht vor. Gleiches gilt für die Anzeigepflicht nach § 12 Abs. 2 BtMG
    und die Aufzeichnungspflicht nach § 17 BtMG. Auch die Regelungen nach § 22 UStG
    i.V.m. §§ 63 ff. UStDV beinhalten lediglich die Pflicht zur Aufzeichnung der
    Entgelte i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG. Eine Verpflichtung zur kombinierten
    Einzelaufzeichnung von Waren und Preisen ergibt sich hieraus nicht.

    Sofern das FA die Auffassung
    vertritt, dass es nach § 147 Abs. 6 AO zumindest die Herausgabe der nach der
    ApoBetrO und dem BtMG geführten Aufzeichnungen bzw. die Gewährung des Zugriffs
    auf die entsprechenden Daten verlangen könne, ist der Bescheid vom 28.10.2011
    jedenfalls deshalb rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, da
    das FA sein dort formuliertes Vorlageersuchen nicht auf die entsprechenden
    Aufzeichnungen beschränkt, sondern vielmehr Zugriff auf die Daten zu sämtlichen
    „Verkäufen” und „Rechnungen” (d.h. Rechungsverkäufen)
    verlangt hat (vgl. BFH vom 24.06.2009 – VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452
    unter II. 1. c.). Gleiches gilt hinsichtlich der Entgeltaufzeichnungspflichten
    nach § 22 UStG. Eine diesbezügliche Umdeutung des Anforderungsbescheides ist
    nicht möglich, da damit i.S.v. § 128 Abs. 1 AO ein anderes Ziel verfolgt werden
    würde, welches vom FA wegen des weitergehenden Vorlagebegehrens i.S.v. § 128
    Abs. 2 AO nicht gewollt war. Aus den gleichen Gründen ist es auch nicht
    möglich, im Anforderungsbescheid des FA insoweit ein „wesensgleiches
    Minus” zu erblicken.

    2. Der streitgegenständliche
    Bescheid kann auch nicht hilfsweise auf die allgemeine Verpflichtung der
    Klägerin nach § 200 Abs. 1 AO zur Mitwirkung bei der Betriebsprüfung in Gestalt
    der Unterstützung des Prüfers beim Datenzugriff gestützt werden. Denn § 200
    Abs. 1 Satz 2 AO verweist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf § 147 Abs. 6
    AO, weshalb die Pflichten der Klägerin nach § 200 Abs. 1 AO nicht weiter
    reichen können als ihre Pflichten nach § 147 Abs. 6 AO (BFH vom 24.06.2009
    VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 unter II. 1. b. aa.). Weitere in
    Betracht kommende Rechtsgrundlagen für den Bescheid 28.10.2011 sind nicht
    erkennbar. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Umfang
    des Datenzugriffs durch § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO unter
    Verzicht auf die Einführung weitergehender Befugnisse der Finanzbehörden einer
    eindeutigen und in sich abgeschlossenen Regelung zugeführt hat. Diese
    Gesetzeslage mag – wie die Klägerin selbst einräumt – aus
    prüfungspraktischer Sicht zwar ausgesprochen misslich sein. Dem Gesetzgeber
    stünde es jedoch jederzeit frei, nach dem (von der Klägerin beschriebenen)
    österreichischen Vorbild Abhilfe zu schaffen und ein gesetzliches Zugriffsrecht
    auch für die außerhalb einer gesetzlichen Aufzeichnungspflicht vom
    Steuerpflichtigen geschaffenen Daten zu schaffen.

    3. Bei diesem Ergebnis würde es
    auch dann bleiben, wenn die (allerdings nicht weiter belegte) Behauptung des FA
    zuträfe, nach der die bei der Klägerin gesichteten Z-Bons formelle Fehler
    aufwiesen oder sich hieraus Differenzen ergäben und aus diesen Gründen Zweifel
    an der Richtigkeit des manuell geführten Kassenbuches bestünden. Die Frage des
    Bestehens einer Vorlageverpflichtung i.S.v. § 147 Abs. 6 AO ist von der Frage
    der im Übrigen erkennbaren Ordnungsmäßigkeit der klägerischen Buchführung und
    der dadurch eröffneten Schätzungsbefugnis des FA nach § 162 AO strikt zu
    trennen. Nicht ordnungsmäßige Kassenaufzeichnungen (z.B. Differenzen zwischen
    den Tagessummen laut Z-Bons und den Eintragungen im Kassenbuch, nicht
    zeitgerechte Führung des Kassenbuchs oder mangelnde Sturzfähigkeit der Kasse)
    lassen den Schluss zu, dass nicht alle Bareinnahmen verbucht worden sind (BFH
    vom 02.02.1982 – VIII R 65/80, BStBl. II 1982, 409) und berechtigen die
    Betriebsprüfung gegebenenfalls zu Zuschätzungen (vgl. bei mangelhaftem
    Kassenbuch z.B. FG Hamburg vom 04.12.1990 – II 104/88, EFG 1991, 507).
    Soweit betont wird, dass das Zustandekommen der Tagessummen durch die einzelnen
    Kassenzettel und Bons (etc.) „nachgewiesen” werden muss, wenn die
    Eintragungen im Kassenbuch oder die Tagesendsummenbons keine Gewähr für die
    Vollständigkeit bieten (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand 09/2009, § 147 AO
    Rn. 24 m.w.N.), handelt es sich hierbei nicht um eine Verpflichtung im Sinne
    einer (wiederauflebenden) Aufzeichnungspflicht, sondern um eine Obliegenheit
    des Steuerpflichtigen zur Widerlegung der Schätzungsbefugnis des FA durch
    anderweitige Glaubhaftmachung der Richtigkeit der Buchführung. Ob dies bei der
    Klägerin der Fall ist (d.h. ob die Tagesendsummenbons und das Kassenbuch
    ordnungsgemäß geführt wurden), kann im Streitfall dahinstehen, da dies an der
    fehlenden Rechtsgrundlage für die Anforderung des FA im Bescheid vom 28.10.2011
    nichts ändert. Dass die Klägerin im Falle der Feststellung der fehlenden
    Ordnungsmäßigkeit ihrer (Kassen-)Buchführung die vom FA angeforderten
    Einzelverkaufsdaten zur Entkräftung einer entsprechenden Schätzung des FA
    möglicherweise freiwillig vorlegen wird, belegt allenfalls die fehlende
    Praxisnähe der in § 147 Abs. 6 AO und § 200 Abs. 1 Satz 2 AO vom Gesetzgeber
    getroffenen Regelungen.

    4. Die Kostenentscheidung beruht
    auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die Notwendigkeit der Zuziehung
    eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und die
    Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 Abs. 1 und Abs. 3
    FGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision lagen nicht
    vor. Der Umfang der gesetzlichen Aufzeichnungspflichten und die gesetzliche
    Reichweite der Datenzugriffsrechte der Betriebsprüfung sind durch die
    höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt (BFH vom 24.06.2009
    VIII R 80/06, BStBl. II 2010).

    VorschriftenAO § 147 Abs. 6, AO § 146, AO § 200 Abs. 1 S. 2, HGB § 238 Abs. 1

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