Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 25.01.2013 · IWW-Abrufnummer 130411

    Finanzgericht Köln: Urteil vom 15.11.2012 – 10 K 1692/10

    Ein Maler- und Lackierbetrieb kann tarifbegünstigt veräußert werden und bleibt es auch, selbst wenn der bisherige Inhaber eine freilegende, archäologische Restauratorentätigkeit neu aufnimmt, bei der einzelne Farbschichten freigelegt und dokumentiert werden. Diese hat gegenüber dem veräußerten Betrieb eine neue Zielrichtung, so dass keine schädliche Betriebsfortführung vorliegt.


    Im Namen des Volkes
    URTEIL
    In dem Rechtsstreit
    hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 15.11.2012 für Recht erkannt:
    Tatbestand
    Die Beteiligten streiten darüber, ob der Einkommenssteuerbescheid 2002 aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen geändert werden durfte und ob es sich bei der durchgeführten Betriebsveräußerung um eine steuerlich begünstigte Veräußerung im Sinne des § 16 Abs. 1 und Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) handelt.
    Der Kläger betrieb die Firma A. Dabei war er im Wesentlichen als Maler und Lackierer tätig.
    Mit Vertrag vom 31.12.2002 verkaufte der am …1945 geborene Kläger die Fa. A (Malerbetrieb) einschließlich sämtlicher Anlagegegenstände sowie des Warenbestands an seinen Sohn A1 für einen Kaufpreis in Höhe von 62.000 EUR, wobei der Veräußerungsgewinn 40.151,63 EUR betrug. Lediglich ein PKW sowie Teile der Büroeinrichtung wurden zurückbehalten.
    In den drei Jahren vor der Veräußerung erwirtschaftete der Betrieb einen Umsatz von durchschnittlich 508.729,24 EUR pro Jahr. Im Folgejahr 2003 war der Kläger für den Erwerber des Betriebs im Umfang von 17.100 EUR tätig. „Altkunden” betreute der Kläger auf eigene Rechnung im Umfang von 5.170 EUR. Einnahmen in Höhe von 9.290 EUR wurden als Einnahmen aus Restaurationen bezeichnet. Im Jahr 2004 sind Einnahmen in ähnlicher Höhe verbucht worden. Für das Jahr 2005 akquirierte der Kläger einen Großauftrag des Landschaftsverbands B (LB) über 97.000 EUR. Dabei hatte der Kläger einzelne, über Jahrhunderte aufeinander aufgetragene Schichten von Wandbelägen einzeln freizulegen und diese ausführlich zu dokumentieren.
    Am 21.10.2004 beantragte der Kläger die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG für den Zeitraum 2005 – 2007. Daraufhin erteilte die Veranlagungssachbearbeiterin am 26.10.2004 diese Bescheinigung für den Zeitraum 2005 – 2007.
    Am 08.08.2005 erfolgte die abschließende Zeichnung der Einkommenssteuerveranlagung 2002. Mit Bescheid vom 16.08.2005 setzte der Beklagte die Einkommenssteuer 2002 fest. Dabei stellte er den Veräußerungsgewinn gem. § 16 Abs. 4 EStG steuerfrei.
    Nach Prüfungsanordnung vom 13.09.2007 begann der Beklagte am 22.10.2007 eine Betriebsprüfung für die Jahre 2002 bis 2004. Mit Betriebsprüfungsbericht vom 21.08.2008 führte der Beklagte aus, es handele sich nicht um eine Betriebsveräußerung im Sinne des § 16 Abs. 1 EStG, da der Betrieb nicht aufgegeben worden sei. Dies zeige sich auch dadurch, dass nach Betriebsveräußerung keine Gewerbeummeldung erfolgte.
    Mit Bescheid vom 23.09.2008 änderte der Beklagte den ursprünglichen Einkommenssteuerbescheid 2002 dahingehend, dass der Veräußerungsgewinn zu versteuern sei. Er stütze sich dabei darauf, dass erstmals durch die Betriebsprüfung bekannt geworden sei, dass der Kläger in größerem Umfang seinen Betrieb fortgeführt habe.
    Der Kläger legte hiergegen am 10.10.2008 Einspruch ein. Er führte aus, der Umfang der nach Betriebsveräußerung fortgesetzten Tätigkeit sei für die Veranlagungsstelle keine neue Tatsache gewesen. Durch die Umsatzsteuervoranmeldung sei die Tatsache bereits bekannt gewesen. Das Wissen der Umsatzsteuervoranmeldungsstelle sei der Veranlagungsstelle zuzurechnen. Doch auch anderenfalls entspräche es dem Grundsatz von Treu und Glauben, den Beklagten so zu stellen, als habe er die Tatsache gekannt. Denn der Beklagte ist seiner Ermittlungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Gerade unter Berücksichtigung der Betragsgrenzen des § 48 Abs. 2 EStG habe sich bei Durchführung der Veranlagung die Frage aufdrängen müssen, warum eine Freistellungsbescheinigung nach Betriebsübergabe noch benötigt werde. Zudem schade der Umfang der Tätigkeit des Klägers nicht der Annahme einer Betriebsveräußerung. Die Arbeit für den Erwerber des Betriebs sei nicht zu berücksichtigen. Die immer noch betreuten Altkunden machten weit unter 10% des vorherigen Umsatzes aus. Die Arbeit für den LB unterscheide sich wesentlich von der Tätigkeit im vorherigen Betrieb, so dass unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung nicht von wirtschaftlicher Identität mit dem vorherigen Betrieb gesprochen werden könne. Vorher seien Restaurierungen etwa in der Art vorgenommen worden, dass Tapeten in denkmalgeschützten Gebäuden gereinigt und ausgebessert worden seien.
    Mit Bescheid vom 29.04.2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte aus, eine Zurechnung des Wissens der Dienststellen untereinander käme selbst dann nicht in Betracht, wenn die einzelnen Dienststellen verpflichtet seien, zusammenzuarbeiten und Informationen auszutauschen. Die eingereichte Einkommensteuererklärung 2002 sei eindeutig und schlüssig gewesen, so dass sich weitere Nachforschungen nicht hätten aufdrängen müssen. Zudem läge keine Betriebsveräußerung vor, da die Fortführung der bisherigen Tätigkeit unter Gewinnung neuer Mandate schade. So sei die Tätigkeit für das LB 2005 als neues Mandat in nicht geringem Umfang anzusehen. Dabei unterscheide sich die Tätigkeit nicht ausschlaggebend von der bisherigen Tätigkeit, da bereits 2002 Restaurierungen in der Denkmalpflege durchgeführt worden seien. Nach Betriebsveräußerung sei jedoch eine angemessene Zeitspanne abzuwarten, bevor von einer neuen Tätigkeit anstatt der bloßen Fortführung gesprochen werden könne. Die Zeitspanne zwischen Betriebsaufgabe und Auftragserteilung des LB habe höchstens zwei Jahre betragen und sei zu kurz gewesen. Das Argument, dass der LB-Auftrag örtlich weit von der bisherigen Tätigkeit entfernt gewesen sei, spiele keine Rolle, da Restauratoren überörtlich tätig seien. Auch eine Teilbetriebsveräußerung läge nicht vor.
    Hiergegen hat der Kläger am 28.05.2010 Klage erhoben.
    Der Kläger trägt ergänzend vor, es sei gängige Praxis, dass die Veranlagungsstellen auf Daten der Voranmeldungsstellen zurückgreifen könnten. Schon deshalb sei das Wissen der Voranmeldestellen den Veranlagungsstellen zuzurechnen. Zudem habe die Veranlagungsstelle wegen des Freistellungsbescheids nach § 48b EStG bereits eigenes Wissen darüber gehabt, dass seitens des Klägers weiterhin eine gewerbliche Tätigkeit als Bauleistender vorlag.
    Die Tätigkeit des Klägers für den LB unterscheide sich erheblich von früheren Arbeiten in denkmalgeschützten Objekten.
    Der Kläger beantragt,
    den Änderungsbescheid vom 23. September 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
    Der Beklagte beantragt,
    die Klage abzuweisen.
    Der Beklagte trägt vor, die Kenntnis der Freistellungsbescheinigung nach § 48b EStG habe lediglich dazu geführt, dass die Veranlagungsstelle gewusst habe, dass der Kläger weiter tätig sei. Die Veranlagungsstelle habe dem keine Beachtung geschenkt, weil die weitere Tätigkeit in geringem Umfang für eine Betriebsveräußerung unschädlich sei. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, den Sachverhalt auf alle möglichen Fallgestaltungen zu erforschen. Der Beklagte habe erwarten dürfen, dass der steuerlich beratene Kläger die denkbare steuerliche Relevanz der nachfolgenden Umsätze dem Beklagten zur Kenntnis mitgeteilt hätte.
    Entscheidungsgründe
    Die Klage ist begründet.
    1. Der Änderungsbescheid vom 23.09.2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
    a. Ob die Kenntnis von dem Restaurationsauftrag eine neue Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellt, kann dahinstehen, denn jedenfalls führte dieser Auftrag nicht dazu, dass der von dem Kläger erzielte Veräußerungsgewinn aus dem Anwendungsbereich der Begünstigungsvorschriften gemäß § 16 Abs. 4 EStG herausfallen würde.
    b. Der Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der Betriebsveräußerung nicht um eine begünstigte Veräußerung im Sinne des § 16 Abs. 1 und Abs. 4 EStG handelt.
    Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb auch Gewinne, die bei der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs erzielt werden. Der Gewinn aus einer solchen Veräußerung wird nach § 16 Abs. 4 EStG zur Einkommenssteuer nur herangezogen, soweit er die dort bezeichneten Freibeträge übersteigt und gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 2 EStG nur ermäßigt besteuert.
    Die Veräußerung eines Gewerbebetriebs im Ganzen setzt voraus, dass das wirtschaftliche Eigentum an allen wesentlichen Betriebsgrundlagen in einem einheitlichen Vorgang auf einen Erwerber übertragen wird (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 17.07.2008, X R 40/07, BStBl II 2009, 43 m.w.N.). Zudem muss gleichzeitig die bisher in diesem Betrieb entfaltete gewerbliche Tätigkeit enden (BFH, Urteil vom 12.06.1996, XI R 56, 57/95, BStBl II 1996, 527, m.w.N.).
    Die Beendigung der bisherigen gewerblichen Tätigkeit ist als selbständiges Merkmal der Tatbestandsverwirklichung und losgelöst von dem Merkmal der Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen zu sehen. Denn bereits der Begriff des Gewerbebetriebs i.S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 EStG ist tätigkeitsbezogen definiert. Er wird begründet durch eine mit Gewinnabsicht unternommene, selbstständige und nachhaltige Tätigkeit, die sich u.a. als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt. Da der Begriff „Gewerbebetrieb” eine tätigkeitsbezogene Komponente aufweist, ist Voraussetzung einer Betriebsveräußerung, dass der Gewerbetreibende nicht nur die Betriebsmittel überträgt, sondern auch seine durch den betrieblichen Organismus bestimmte gewerbliche Tätigkeit aufgibt (BFH, Urteil vom 17.07.2008, X R 40/07, BStBl II 2009, 43; BFH, Urteil vom 12.06.1996, XI R 56, 57/95, BStBl II 1996, 527, m.w.N.). Wie bei der Betriebsaufgabe muss auch bei der Betriebsveräußerung das veräußerte Betriebsvermögen vom Zeitpunkt der Veräußerung an aufhören, der gewerblichen Tätigkeit des Veräußerers zu dienen (BFH, Urteil vom 12.06.1996, XI R 56, 57/95, BStBl II 1996, 527). Bleibt der bisherige Betriebsinhaber also gewerblich tätig, ist zu prüfen, ob der bisherige Betrieb fortgeführt wird oder ein gänzlich neuer Betrieb vorliegt. Der bisherige Betrieb wird fortgeführt, wenn sich der alte und der neue Betrieb unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung als wirtschaftlich identisch darstellen (BFH, Urteil vom 24.06.1976, IV R 199/72, BStBl. II 1972, 670).
    Der Kläger hat seine bisherige gewerbliche Tätigkeit beendet und seinen bisherigen Betrieb in diesem Sinne nicht fortgeführt. Die bisherige Tätigkeit und die nachfolgende Tätigkeit sind wirtschaftlich gesehen unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung nicht identisch.
    Zu berücksichtigen sind insoweit die Verwendung der Betriebsmittel, das Wirkungsfeld und die Kundschaft (BFH, Urteil vom 24.06.1976, IV R 199/72, BStBl. II 1972, 670).
    Keine Bedeutung haben die Tätigkeit für den Erwerber und die Betreuung der Altkunden, da nach der Rechtsprechung des BFH – und der bereits vom Beklagten in seinem Betriebsprüfungsbericht insoweit geteilten Ansicht – die Fortführung einer freiberuflichen Tätigkeit in geringem Umfang unschädlich ist, wenn die darauf entfallenden Umsätze weniger als 10 % der gesamten Umsätze in den letzten drei Jahren vor Betriebsveräußerung ausmachten. Unschädlich ist auch die weitere Tätigkeit im Auftrag des Erwerbers, solange keine neuen Aufträge im bisherigen Aufgabenbereich gewonnen werden (BFH vom 1. August 2007 XI R 47/06, BFHE 218, 509, BStBl II 2008, 106; vom 18. Mai 1994 I R 109/93, BFHE 175, 249, BStBl II 1994, 925; FG Baden-Württemberg vom 5. November 2002,1 K 235/01, juris; Wacker in Schmidt, EStG, § 16, Rz. 97f.).
    Der Senat geht nach Würdigung der Gesamtumstände davon aus, dass die Tätigkeit des Klägers für den LB sich wesentlich von der Tätigkeit vor Betriebsveräußerung unterscheidet. Insoweit liegt keine Gewinnung neuer Aufträge in seinem bisherigen Tätigkeitsfeld vor. Der Kläger hat schlüssig dargelegt, dass seine Restauratorentätigkeit sich darauf bezog, einzelne Farbschichten freizulegen und zu dokumentieren, in welcher Weise sich die Wandbeläge in der vergangenen Zeit entwickelt haben. Seine bisherige Tätigkeit hingegen bestand darin, Wandbeläge zu erneuern bzw. auszubessern. Neben der klassischen Malertätigkeit umfasste dies nach Feststellung der Betriebsprüfung auch Ausbesserungstätigkeiten bei denkmalgeschützten Gebäuden. Nach dem Verständnis des Senates ist dies aber nicht mit der Restauratorentätigkeit für den LB vergleichbar, da die Zielrichtung eine völlig andere war. Während es bei der früheren Tätigkeit um die (Wieder –) Herstellung von Wandbelägen ging, hatte die Tätigkeit für den LB einen „archäologischen ”, freilegenden Charakter.
    Vor diesem Hintergrund kann auch unter Berücksichtigung der Tätigkeit für den LB nicht von einer schädlichen Betriebsfortführung ausgegangen werden. Eine nachträgliche Besteuerung des Veräußerungsgewinnes war danach nicht durchzuführen.
    Das der Veräußerungsgewinn – nach Maßgabe der einschlägigen Begünstigungsvorschriften – als solcher zu keiner Steuer führte, ist, ebenso wie die Höhe, zwischen den Beteiligten unstreitig.
    2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.
    3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

    VorschriftenEStG § 16 Abs. 4, EStG § 34, EStG § 16 Abs. 1

    Karrierechancen

    Zu TaxTalents