08.09.2011
Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 14.10.2010 – 16 K 216/10
- Bei der Optionserklärung handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung, die rechtsgestaltend auf  das bestehende Rechtsverhältnis einwirkt. Im Falle einer Option wird durch die dem Steuerpflichtigen eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit  ein Wechsel in der Besteuerungsform herbeigeführt und zwar schon durch die Ausübung selbst.  
- Anstelle der Besteuerung für Kleinunternehmer tritt die Regelbesteuerung. Das Umsatzsteuerrechtsverhältnis erfährt damit  eine inhaltliche Umgestaltung.  
- Zur Frage, wann eine Optionserklärung für die Regelbesteuerung durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden kann.
Tatbestand
Der Kläger war seit dem 1.7.2004 mit dem Handel mit Telekommunikationszubehör und Frankatourware unternehmerisch tätig. Gegenüber  dem Beklagten gab er im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung vom 21.7.2004 an, die Kleinunternehmerregelung i.S.d. § 19 Abs.  1 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Anspruch zu nehmen, da sein voraussichtlicher Gesamtumsatz die gesetzlichen Grenzen nicht überschreiten  werde.  
Der Kläger gab für 2004 und 2005 keine Umsatzsteuererklärung ab. In 2005 hatte er steuerpflichtige Umsätze aus dem Verkauf  von Telekommunikationszubehör i.H.v. brutto 16.123,35 € und steuerfreie Umsätze aus dem Verkauf von Postwertzeichen i.H.v.  4.425,46 € erzielt. Da er irrtümlich der Auffassung war, dass bei der Berechnung des Gesamtumsatzes des Vorjahres i.S.d. §  19 Abs. 1 UStG von 17.500 € auf die von ihm erzielten steuerpflichtigen Umsätze die Umsatzsteuer von 16 % hinzuzurechnen sei  und meinte, mit einem danach berechneten Gesamtumsatz in Höhe von 18.703,09 € (16.123,35 € + 2.579,74 € (= UST 16 %)) die  Umsatzgrenze von 17.500 € überschritten zu haben, reichte er am 28.12.2007 beim Beklagten eine Umsatzsteuererklärung für das  Jahr 2006 ein, in der er Umsätze und Vorsteuern erklärte. Bei der Anfertigung der Erklärung hatte ein Steuerberater mitgewirkt.  Der Beklagte setzte die Umsatzsteuer entsprechend fest. Mit Schreiben vom 17.1.2008 beantragte der Kläger die Änderung des  Bescheides mit der Begründung nicht beachtet zu haben, dass bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage i.S.d. § 19 Abs. 3  UStG die Umsatzsteuer aus der Gesamtdifferenz herausgerechnet werden müsse. Das Finanzamt änderte den Umsatzsteuerbescheid  entsprechend und hob den Vorbehalt der Nachprüfung mit Bescheid vom 9.5.2008 auf. Der Umsatzsteuerbescheid wurde bestandskräftig.   
In der Folgezeit stellte der Kläger fest, dass bei der Berechnung des Vorjahresumsatzes i.S.d. § 19 Abs. 1 UStG nicht die  Steuer auf die von ihm erzielten Umsätze hinzuzurechnen sei und er im Jahre 2005 tatsächlich unter der Umsatzgrenze von 17.500  € lag. Er beantragte deshalb beim Beklagten die Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzung 2006. Der Beklagte  lehnte eine Änderung zuletzt mit Einspruchsbescheid ab. Eine dagegen beim Niedersächsischen Finanzgericht erhobene Klage nahm  der Kläger zurück.  
Mit seiner Umsatzsteuererklärung 2007 stellte der Kläger beim Beklagten gleichzeitig den Antrag, die Umsatzsteuer aus sachlichen  Billigkeitsgründen gemäß § 163 Abgabenordnung (AO) niedriger festzusetzen. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt mit Bescheid  vom 10.2.2009 ab. Mit Schreiben vom 6.11.2009 stellte der Kläger ferner den Antrag, die Umsatzsteuer 2007 auf 0 € festzusetzen.  Diesen Antrag lehnte das Finanzamt mit Bescheid vom 6.1.2010 ab und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Die dagegen eingelegten  Einsprüche waren erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.  
Der Kläger ist der Auffassung, seine Umsätze unterlägen der Besteuerung nach § 19 Abs. 1 UStG. Er habe nicht durch Abgabe  einer Steuererklärung im Jahre 2006 zur Regelbesteuerung optiert und sei auch nicht an die 5-Jahres-Frist in § 19 Abs. 2 UStG  gebunden. Er habe vielmehr irrtümlich angenommen, dass die Regelbesteuerung für seine Umsätze Anwendung finde. Er habe weder  das Bewusstsein noch den Willen gehabt, zur Regelbesteuerung zu optieren, insofern eine Wahl zu treffen und eine entsprechende  Erklärung abzugeben. Entgegenstehende Anhaltspunkte lägen nicht vor. Er habe zu keiner Zeit Vorsteuerüberhänge erwirtschaftet  oder erwirtschaften können, so dass auch insofern kein Indiz dafür vorliege, zur Regelbesteuerung optieren zu wollen. Diese  Gründe habe der Beklagte sowohl bei der Steuerfestsetzung wie auch bei der Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme gemäß  § 163 AO nicht hinreichend berücksichtigt.  
Der Kläger beantragt, 
die Umsatzsteuer 2007 auf 0 € festzusetzen. 
Der Beklagte beantragt, 
die Klage abzuweisen. 
Der Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe mit Abgabe der Steuererklärung 2006 auf die Anwendung der Kleinunternehmerregelung  i.S.d. § 19 Abs. 1 UStG verzichtet. An diese Verzichtserklärung sei er 5 Jahre gebunden, so dass er die Kleinunternehmerregelung  im Streitjahre nicht in Anspruch nehmen könne.  
Gründe
Die Klage ist begründet. Die Umsätze des Klägers unterliegen im Streitjahr der Besteuerung für Kleinunternehmer nach § 19  Abs. 1 UStG.  
Der Kläger unterlag aufgrund der Höhe der unstreitig von ihm erzielten Umsätze nicht der Regelbesteuerung, sondern gemäß §  19 Abs. 1 UStG von Gesetzes wegen der Besteuerung für Kleinunternehmer. Entgegen der Auffassung des Beklagten hat der Kläger  durch Abgabe der Steuererklärung 2006, der Erklärung von Umsätzen und Vorsteuern und der Bestandskraft der entsprechenden  Steuerfestsetzung 2006 nicht nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG zur Regelbesteuerung optiert, da keine „Erklärung” des Klägers vorliegt,  seine Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes der Besteuerung unterwerfen zu wollen.  
Bei der in § 19 UStG vorgesehenen Optionserklärung handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung,  die rechtsgestaltend auf das bestehende Rechtsverhältnis einwirkt. Im Falle einer Option nach § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG wird  durch die dem Steuerpflichtigen eingeräumte Gestaltungsmöglichkeit ein Wechsel in der Besteuerungsform herbeigeführt und zwar  schon durch die Ausübung selbst und nicht erst mit einer entsprechenden Entscheidung der Finanzbehörde. An die Stelle der  Besteuerung nach § 19 Abs.1 UStG für Kleinunternehmer tritt die Besteuerung nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes  (Regelbesteuerung), so dass das Umsatzsteuerrechtsverhältnis aufgrund der einseitigen Willenserklärung eine inhaltliche Umgestaltung  erfährt. Diese für das Umsatzsteuergesetz 1973 dargelegte Rechtsauffassung des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1984  V R 32/74, BFHE 142, 327, BStBl II 1985, 173 m.w.N.) hält das Gericht auch für das anzuwendende Umsatzsteuergesetz für maßgeblich.   
Der Kläger hat von der Optionsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht. Nach dem Wortlaut der Regelung in § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG  wäre eine ausdrückliche Erklärung des Unternehmers erforderlich, seine Umsätze nicht der Besteuerung nach den Absätzen 1 -  3 des § 19 UStG, sondern nach den allgemeinen Vorschriften des Gesetzes versteuern zu wollen. Eine ausdrückliche Erklärung  zur Regelbesteuerung zu optieren, liegt nicht vor. Der Kläger hatte vielmehr im Gegenteil im Fragebogen zur Gewerbeanmeldung  gegenüber dem Beklagten erklärt, die Umsätze nach § 19 Abs. 1 UStG versteuern zu wollen, da er die Umsatzgrenzen voraussichtlich  nicht überschreiten werde.  
Eine solche Erklärung ergibt sich auch nicht aus der Abgabe der Steuererklärung für 2006, in der der Kläger die Umsatzsteuer  nach den allgemeinen Vorschriften des Umsatzsteuergesetzes errechnet hatte.  
Im Urteil vom 19. 02.1976 (V R 23/73, BFHE 118, 483, BStBl II 1976, 400) hatte der Bundesfinanzhof – BFH – die Frage noch  unbeantwortet gelassen, ob die Abgabe einer Umsatzsteuererklärung auf einem für die Regelbesteuerung vorgesehenen Vordruck  als Abgabe einer Optionserklärung angesehen werden kann. In dem Urteil vom 23.06.1983 (V R 117/76, n.v.) hat der BFH unter  Hinweis auf Weiß (UStR 1976, 144) festgestellt, dass die Abgabe einer Steuererklärung auf einem für so genannte Regelbesteuerer  bestimmten Vordruck für sich allein noch nicht besage, dass der Steuerpflichtige damit zugleich einen Verzicht auf die bisherige  Besteuerungsform habe erklären wollen. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war auch zu berücksichtigen, dass der  Kläger keinerlei Vorsteuerabzug geltend gemacht hatte, nicht einmal den Vorsteuerabzug nach Durchschnittssätzen.  
Demgegenüber hat der BFH mit Urteil vom 19.12.1985 (V R 167/82, BFHE 145, 457, BStBl II 1986, 420; bestätigt mit Urteil vom  09.07.2003 V R 29/02, BFHE 202, 403, BStBl II 2003, 904) zugelassen, dass eine Optionserklärung für die Regelbesteuerung dem  Finanzamt gegenüber auch durch schlüssiges Verhalten abgegeben werden kann. Der BFH begründet dies damit, dass sich Erklärungen  in Steuererklärungen nicht in Wissenserklärungen erschöpfen, sondern diese gegebenenfalls davon abhängen, ob und ggf. in welchem  Sinne eingeräumte Gestaltungsrechte ausgeübt werden. Insofern würden oftmals Erklärungen über die Ausübung steuerrechtlicher  Gestaltungsrechte mit der Abgabe von Steuererklärungen verbunden oder in die Steuererklärungen aufgenommen. Der BFH betont  im Urteil vom 19.12.1985 (a.a.O.) jedoch ausdrücklich, dass maßgeblich für vom Steuerpflichtigen im Rahmen der ihm auferlegten  rechtlichen Wertungen und Schlussfolgerungen sei, dass er „erkennbar” eine Rechtslage zugrunde lege, wie sie nur bei Ausübung  bzw. Nichtausübung des Gestaltungsrechts maßgebend sei und es bei der diesbezüglichen Würdigung auf die Umstände des Einzelfalles  ankomme. Von ihnen hänge es ab, ob der Inhalt einer Steuererklärung vom Finanzamt zweifelsfrei zugleich als Erklärung zur  Ausübung des steuerrechtlichen Gestaltungsrechts aufgefasst werden dürfe oder ob dem Inhalt eine solche Bedeutung nicht zukomme.   
Hinsichtlich der vom Kläger abgegebenen Steuererklärung 2006 bestehen keine Anhaltspunkte, dass er einen Erklärungswillen  dahingehend hatte, abweichend von der Besteuerung nach § 19 Abs. 1 UStG die Regelbesteuerung in Anspruch nehmen zu wollen.  Vorsteuerüberhänge als möglicher Grund eines Interesses des Klägers, zur Regelbesteuerung überzugehen, lagen nicht vor. Es  bestehen auch keine Anhaltspunkte, dass der Kläger Vorsteuerüberhänge durch entsprechende Investitionen hätte geltend machen  können und wollen. Hätte der Kläger in späteren Jahren Vorsteuerüberhänge begründende Investitionen getätigt, hätte er jederzeit  zur Regelbesteuerung optieren können, ohne dies bereits im Jahre 2006 erklären zu müssen. Allein aus der abgegebenen Steuererklärung  2006 ergibt sich nichts Gegenteiliges; mangels weiterer Anhaltspunkte handelt es sich hierbei vielmehr lediglich um eine Wissenserklärung,  in der der Kläger Angaben über Tatsachen und tatsächliche Verhältnisse gemacht hat. Wegen des fehlenden Erklärungsbewusstseins  des Klägers, zur Regelbesteuerung optieren zu wollen, gilt dies auch dann, wenn sich der Kläger der Mitwirkung eines Angehörigen  der steuerberatenden Berufe bei der Anfertigung der Steuererklärung bedient hat.  
Da die Umsätze des Klägers damit der Besteuerung gemäß § 19 Abs. 1 UStG unterliegen, war die Umsatzsteuer auf 0 € herabzusetzen.  Mit der Herabsetzung der Umsatzsteuer auf 0 € ist der Antrag auf Herabsetzung im Billigkeitswege gem. § 163 AO gegenstandslos  geworden.  
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).