15.09.2025 · IWW-Abrufnummer 250144
Finanzgericht Münster: Urteil vom 02.09.2025 – 1 K 360/25 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
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Tatbestand
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Die Beteiligten streiten darüber, ob eine Zahlung, die die Klägerin als Opfer eines Trickbetrugs geleistet hat, als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig ist.
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Am 24.11.2022 erhielt die zu diesem Zeitpunkt 77 Jahre alte Klägerin einen Anruf auf ihrem Festnetztelefon. Der Anrufer gab sich als Rechtsanwalt aus und gab an, dass die Tochter der Klägerin einen tödlichen Verkehrsunfall verursacht haben soll. Deshalb solle die Tochter in Untersuchungshaft, die durch Zahlung einer Kaution von 50.000 € an die Gerichtskasse in … vermieden werden könne. Da die Klägerin angab, nicht mobil zu sein, bot der Anrufer an, einen Boten zu schicken, der das Geld bei ihr zu Hause abholen könne. Nachdem die Klägerin ihre Mobiltelefonnummer angegeben hatte, meldete sich bei ihr ein Polizeioberkommissar, der sie aufforderte, beide Telefonleitungen konstant aufrechtzuerhalten und niemandem von dem Vorfall zu erzählen. Die Klägerin fuhr daraufhin mit dem Taxi zur Bank und hob dort 50.000 € ab. Diesen Betrag übergab sie später dem Boten.
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Nachdem die Klägerin den Trickbetrug durchschaut hatte, erstattete sie Strafanzeige bei der Polizeibehörde in U. Die Staatsanwaltschaft N stellte das Verfahren mit Verfügung vom 22.12.2022 ein. Die Täter konnten nicht ermittelt werden.
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In ihrer Einkommensteuererklärung für 2022 machte die Klägerin den Betrag von 50.000 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Auf Nachfrage des Beklagten erläuterte sie hierzu, dass Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden könnten, wenn der Steuerpflichtige in eine Erpressungssituation gerate. Ein Vertuschen eigener Straftaten, wie im Urteilsfall des Finanzgerichts (FG) Rheinland-Pfalz vom 1.4.2014 (5 K 1989/12), habe im Streitfall nicht vorgelegen.
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Im Einkommensteuerbescheid für 2022 vom 13.9.2024 setzte der Beklagte erklärungsgemäß Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung von sechs Objekten in Höhe von insgesamt xyz € sowie steuerpflichtige Renteneinkünfte in Höhe von xyz € an. Die außergewöhnlichen Belastungen erkannte der Beklagte nicht an. Zur Begründung führte er aus, dass das angegebene Urteil nicht auf den Streitfall übertragbar sei. Selbst wenn ein Erpressungsopfer nicht durch sein freigewähltes Verhalten eine wesentliche Ursache für eine Erpressung bereitet habe, sei noch zu prüfen, ob es Handlungsalternativen besessen habe, die den Erpressungsversuch mit einiger Sicherheit wirkungslos gemacht hätten. Die Klägerin hätte jedoch zumutbare Handlungsalternativen besessen. So hätte sie mit ihrer Tochter, der Polizei oder anderen Familienangehörigen Kontakt aufnehmen können. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Polizei regelmäßig medial vor entsprechenden Betrugsmaschen warne. Schließlich sehe auch die einschlägige steuerliche Kommentarliteratur Betrugsverluste nicht als zwangsläufig an.
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Zur Begründung ihres hiergegen eingelegten Einspruchs trug die Klägerin vor, dass sie zum Tatzeitpunkt nicht in der Lage gewesen sei, sich entsprechend den nachträglichen Erkenntnissen zu verhalten. Nach dem richterlichen Beschluss des Amtsgerichts N habe es sich um einen bandenmäßigen bzw. gewerbsmäßigen Betrug gehandelt, wobei die Hilflosigkeit eines älteren Menschen in besonders hinterhältiger Art und Weise ausgenutzt worden sei. Nach der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft brächten die Täter die Opfer mit geschickter Gesprächsführung dazu, Wertgegenstände und Barvermögen nach Hause zu holen und es anschließend zu übergeben. Auch die Mitarbeiter in zwei Bankfilialen, bei denen sich die Klägerin das Geld auszahlen ließ, hätten misstrauisch werden müssen. Den Opfern blieben in diesen Fällen keine alternativen Handlungsmöglichkeiten. Ein eigenes strafbares oder sozialwidriges Verhalten der Klägerin sei ebenso wenig zu erkennen wie ein freigewähltes Verhalten. Vielmehr sei vorliegend von einer persönlichen Zwangslage der Klägerin auszugehen.
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Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 17.1.2025 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, dass das zu einer Erpressung ergangene Urteil des FG Rheinland-Pfalz nicht unmittelbar übertragbar sei, da im Streitfall ein Betrug vorliege. Die Zwangsläufigkeit, die bei Vorliegen einer Handlungsalternative entfalle, sei objektiv und nicht subjektiv aus Sicht der Klägerin zu bestimmen. Anderenfalls läge bei jedem Betrug und jeder Erpressung eine Zwangsläufigkeit vor. Die Betrugsanfälligkeit sei ein allgemeines Lebensrisiko, das nicht über § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend gemacht werden könne. Die Betrugsmasche habe man mit öffentlich verfügbarem Wissen leicht durchschauen können, da eine Kaution, die an die Gerichtskasse zu zahlen ist, nicht vom Boten eines Rechtsanwalts in bar abgeholt werde. Ein Rechtsanwalt würde ein Gespräch mit der Tochter auch nicht verwehren. Es wäre zumutbar gewesen, vor der Zahlung von 50.000 € in bar das Telefonat zu beenden und sich bei der Tochter oder bei der Polizei zu informieren. Unabhängig davon bestehe auch für einen Familienangehörigen keine Verpflichtung, eine Sicherheit nach § 116a der Strafprozessordnung (StPO) zu hinterlegen, sodass auch ohne Betrug ein Abzug ausscheiden würde. Schließlich liege auch keine Außergewöhnlichkeit vor, da der Betrug ein deliktisches Massenphänomen sei.
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Zur Begründung ihrer hiergegen erhobenen Klage führt die Klägerin ergänzend das BFH-Urteil vom 18.3.2004 (III R 31/02) an, wonach für Erpressungen zunächst zu unterscheiden sei, ob der Steuerpflichtige durch sein frei gewähltes Verhalten selbst eine wesentliche Ursache für die Erpressung bereitet habe. In anderen Entscheidungen werde auf ein „Mitverschulden“ des Opfers abgestellt. Fehle ein solches Verhalten, solle es auf zumutbare Handlungsalternativen ankommen. Auch im Streitfall, bei dem es sich um einen Betrug handele, fehle es an einem auslösenden Vorereignis durch die Klägerin. Der Streitfall sei mit einer Erpressung vergleichbar, da eine Gefahr für Leib und Leben Dritter in Aussicht gestellt worden sei. Objektive Handlungsalternativen gebe es auf das Opfer bezogen bei fast jeder Straftat. Eine solche Sichtweise verstieße jedoch gegen das verfassungsrechtliche Menschenbild, da das Opfer der Straftat lediglich als Objekt der Rechtsanwendung behandelt werden würde. Daher könne es nur darauf ankommen, ob die Täuschung zur Zeit der Begehung der Straftat auch objektiv erkennbar war, wobei auch ein subjektiver Maßstab denkbar sei. Subjektiv hätten der Klägerin allerdings keine Handlungsalternativen zur Verfügung gestanden. Die vorliegende Tatbegehung werde auch als „Schockanruf“ bezeichnet und wer unter Schock stehe, handele mit eingeschränkter Erkenntnismöglichkeit. Maßgeblich sei nach § 33 Abs. 2 EStG, dass sich der Steuerpflichtige den Aufwendungen nicht entziehen könne, womit von außen auf den Steuerpflichtigen einwirkende Gründe gemeint seien, die im Streitfall gegeben seien.
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Die Ablehnung der steuerlichen Anerkennung könne auch nicht mit § 116a StPO begründet werden, da diese Vorschrift der Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Strafprozess diene. Solle die zeitliche Verzögerung zur Beendigung der Untersuchungshaft vermieden werden, könne eine Überweisung zu lange dauern.
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Für den Fall, dass der von den Tätern vorgegebene Sachverhalt tatsächlich zuträfe, bestünde zwar keine rechtliche, aber doch eine sittliche Verpflichtung zur Zahlung.
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Bei dem Umstand, Opfer einer Straftat zu werden, handele es sich auch nicht um ein allgemeines Lebensrisiko. Die Außergewöhnlichkeit des hier auslösenden Ereignisses könne nicht mit Angaben aus der Kriminalstatistik beantwortet werden, da es nur bei einem Teil registrierter Straftaten individuelle Opfer geben könne. Beim Betrug liege darüber hinaus in der Regel eine Beziehung zwischen Täter und Opfer vor und nur in seltenen Fällen - wie vorliegend - gebe es im Vorfeld zwischen beiden keinen Kontakt. Daraus folge, dass die Delikte, bei denen ein individuelles Opfer geschädigt wird, ohne zuvor einen eigenen Anlass gegeben zu haben, gering seien. Zum allgemeinen Risiko könnten allenfalls Gegenstände gehören, die im Allgemeinen im zu erwartenden Tagesablauf eines Bürgers aufträten. Ein Schockanruf sei danach als außergewöhnliches Ereignis anzusehen.
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Die wirtschaftliche Situation der Klägerin stehe dem Klagebegehren nicht entgegen, denn diese sei nicht Tatbestandsmerkmal des § 33 Abs. 1 EStG und werde im Rahmen der zumutbaren Belastung berücksichtigt. Die im Einkommensteuerbescheid berücksichtigten Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung stellten im Wesentlichen (neben der kleineren Rente) die Altersversorgung der Klägerin dar. Der in Verlust geratene Betrag von 50.000 € sei u.a. eine Rücklage für die Instandhaltung der Immobilien gewesen.
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Die Klägerin beantragt sinngemäß,
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den Einkommensteuerbescheid für 2022 vom 13.9.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.1.2025 dahingehend zu ändern, dass außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 50.000 € berücksichtigt werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Nach seiner Auffassung komme es auf die Prüfung eines Vorverhaltens der Klägerin nicht an, da es um einen Betrug und nicht um eine Erpressung gehe. In diesem Punkt komme der Beklagte zum selben Ergebnis wie die Klägerin. Maßgeblich sei, ob ein objektiver Dritter bei dem Geschehensablauf die Möglichkeit einer Handlungsalternative gesehen und ergriffen hätte. In der Praxis gebe es trotz der Professionalität der Banden eine Reihe von Fällen, bei denen die Betrugsversuche bei älteren Menschen scheiterten, sodass erkennbar die Möglichkeit bestehe, einen Betrugsversuch zu durchschauen. Nach der Kriminalstatistik unter Berücksichtigung eines hohen Dunkelfeldes (für Nordrhein-Westfalen umgerechnet aus der Kriminalstatistik für Baden-Württemberg unter Berücksichtigung von Opfer- und Täterbefragungen) gelangten gerade einmal ein Prozent vergleichbarer Schockanrufe an ihr Ziel, da 99 von 100 Personen die Betrügereien durchschauten.
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Entgegen den Ausführungen der Klägerin seien Vermögensdelikte (Diebstahl, Unterschlagung, Untreue und Betrug) Massenphänomene, sodass sich deren Verwirklichung als allgemeines Lebensrisiko darstelle. Unzutreffend sei auch, dass beim Betrug in der Regel eine Opfer-Täter-Beziehung vorhanden sei. Dies ergebe sich aus den Tatbestandsmerkmalen des § 263 des Strafgesetzbuches (StGB) nicht.
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Die Einheitlichkeit der Rechtsordnung gebiete es nicht, die Zahlung einer Sicherheit nach § 116a StPO steuerlich geltend zu machen. Auch eine sittliche Verpflichtung bestehe nicht, da die Zahlung einer Kaution lediglich menschlich nachvollziehbar sei, aber nicht im Ergebnis einer Rechtspflicht gleichkomme.
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Unklar sei zudem, ob die Tochter der Klägerin in der Lage gewesen wäre, die Sicherheitsleistung selbst zu begleichen, was für die Frage der Zwangsläufigkeit von Bedeutung wäre.
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Schließlich stehe die wirtschaftliche Situation der Klägerin der Klagebegehren entgegen. Nach dem Urteil des FG München vom 7.12.1993 (16 K 1445/93) sei ein Vermögensverlust, der darauf beruht, dass der Steuerpflichtige Opfer eines Vermögensdelikts geworden ist, ausnahmsweise abziehbar, wenn es sich um Vermögen oder Gegenstände handele, die zum existenznotwendigen Lebensbedarf des Steuerpflichtigen gehören. Dass die Klägerin aufgrund des Verlustes der 50.000 € in wirtschaftliche Bedrängnis gelangt sei, habe sie ebenso wenig dargelegt wie ihre übrigen liquiden Mittel.
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In der Sache hat am 26.5.2025 ein Erörterungstermin vor dem Berichterstatter stattgefunden. Auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und auf den Inhalt der Steuerakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung, FGO).
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I. Der Einkommensteuerbescheid für 2022 vom 13.9.2024 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17.1.2025 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte hat den Abzug des Verlusts aus dem Trickbetrug in Höhe von 50.000 € zurecht nicht als außergewöhnliche Belastungen anerkannt.
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Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen erwachsen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
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1. Vorliegend scheitert der Abzug der von der Klägerin an die Trickbetrüger gezahlten 50.000 € bereits am Vorliegen einer Außergewöhnlichkeit.
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a) Bei der Frage, unter welchen Voraussetzungen Verluste aus Vermögensdelikten als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig sind, ist zunächst zu prüfen, ob sich durch die Straftat ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht hat, das den Abzug mangels Außergewöhnlichkeit ausschließt.
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aa) Bei § 33 geht es um die Erfassung der subjektiven Leistungsfähigkeit und letztlich um die Frage, ab wann der Einzelne Anspruch auf die Solidarität der staatlichen Gemeinschaft hat. Ist das allgemeine Lebensrisiko betroffen, hat der Steuerpflichtige die damit zusammenhängenden Kosten selbst zu tragen (Loschelder in Schmidt, 44. Aufl. 2025, § 33 EStG Rn. 1 m.w.N.). § 33 EStG dient dazu, sicherzustellen, dass die Besteuerung erst jenseits des Existenzminimums einsetzt. Die Vorschrift will Fällen Rechnung tragen, in denen das Existenzminimum höher als im Normalfall liegt. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die nicht nur einer kleinen Minderheit entstehen, werden daher von § 33 EStG nicht erfasst. Ferner fallen nur solche Aufwendungen unter § 33 EStG, die existentiell erforderlich sind und weder durch den Grundfreibetrag noch durch den Sonderausgabenabzug erfasst werden. Dies können grundsätzlich nur solche Aufwendungen sein, die bereits ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen und insofern nur einer Minderheit entstehen (BFH-Urteil vom 19.5.1995 III R 12/92, BStBl II 1995, 774, Rn. 12).
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bb) Hieraus wird gefolgert, dass die Verwirklichung des allgemeinen Risikos, Opfer einer Straftat zu werden, in der Regel nicht zu einer außergewöhnlichen Belastung im Sinne des § 33 EStG des Geschädigten führt (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.7.1998 1 K 3025/97, juris; so auch FG München, Urteil vom 7.12.1993 16 K 1445/93, EFG 1994, 1994). Der Gegenmeinung, wonach das allgemeine Risiko, Opfer einer Straftat zu werden, in aller Regel unabhängig von der Art der Straftat zur Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung führen müsse, da auch die Verwirklichung des allgemeinen Risikos, Opfer einer Erkrankung zu werden, die in aller Regel zur Anerkennung außergewöhnlicher Belastungen führe (FG des Saarlandes, Urteil vom 25.11.1987 1 K 128/86, EFG 1988, 126), ist nicht zu folgen. Krankheitskosten nehmen im Rahmen der Beurteilung der außergewöhnlichen Belastungen eine Sonderstellung dahingehend ein, dass derartige Aufwendungen dem Grunde und der Höhe nach immer zwangsläufig (aus tatsächlichen Gründen) sind, selbst wenn der Steuerpflichtige die Krankheit durch eigenes Verschulden (etwa bei Alkohol- oder Spielsucht) herbeigeführt hat. Dieser Verzicht auf Ursachenforschung wird damit begründet, dass es unzumutbar sei, in die Privatsphäre des Steuerpflichtigen einzudringen (Modrzejewski in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 33 EStG, Rn. 89 m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). Vor diesem Hintergrund können Grundsätze zur Abzugsfähigkeit von Krankheitskosten nicht auf andere Aufwendungen übertragen werden.
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cc) Daraus folgt, dass grundsätzlich ein aus einem Vermögensdelikt entstandener Schaden mangels Außergewöhnlichkeit bzw. Zwangsläufigkeit nicht nach § 33 EStG berücksichtigt werden kann (vgl. Modrzejewski in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 33 EStG, Rn. 303 „Deliktsverluste“; so wohl auch BFH-Beschluss vom 17.11.2009 VI B 18/09, BFH/NV 2010, 206). Vielmehr muss sich die Außergewöhnlichkeit aus besonderen Umständen der Straftat ergeben. So hat der BFH die Außergewöhnlichkeit in einem Fall bejaht, in dem ein Ehemann damit erpresst wurde, ein außereheliches Verhältnis gegenüber seiner Ehefrau zu offenbaren. Denn derjenige, der ein außereheliches Verhältnis eingeht, sei nicht üblicherweise einer Erpressung ausgesetzt (BFH vom 18.3.2004 III R 31/02, BStBl. II 2004, 867). Ausnahmsweise werden unfreiwillige Vermögensverluste auch dann nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastung angesehen, wenn es sich um Gegenstände handelt, die zum lebensnotwendigen Bedarf eines Steuerpflichtigen gehören, z.B. notwendige Kleidung oder Gegenstände des Hausrats. Allerdings sind die durch die Wiederbeschaffung von lebensnotwendigen Gegenständen verursachten Aufwendungen nur in einem engen Rahmen von besonders schwerwiegenden, aus dem normalen Geschehensablauf weit herausragenden (elementaren) Ereignissen als außergewöhnlich und zwangsläufig anzusehen, wie z.B. bei Naturkatastrophen, Brand oder Vertreibung, nicht aber bei Verlust einer fehlgeschlagenen Kapitalanlage (FG München, Urteil vom 7.12.1993 16 K 1445/93, EFG 1994, 754 m.w.N.).
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b) Bei der Klägerin hat sich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht, Opfer eines Trickbetrugs zu werden.
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aa) Anders als im Fall der Entführung einer prominenten Person oder eines Fabrikantenkindes oder der Erpressung aufgrund eines entsprechenden Vorverhaltens wurde die Klägerin nicht gezielt ausgesucht, sondern ist ‒ wie viele andere Seniorinnen und Senioren auch - Zufallsopfer geworden. Das Phänomen des Trickbetrugs in Form von Schockanrufen ist ein weit verbreitetes Problem. „Niemand ist vor Betrug gefeit!“ (Zitat der ehemaligen Bundesinnenministerin Nancy Faeser, abrufbar unter https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/schwerpunkte/DE/enkeltrick/artikel-enkeltrick.html). Die Täter können mit wenig Aufwand durch Wählen einer Telefonnummer versuchen, ein Opfer zu finden. Jeder, der einen Telefonanschluss besitzt, kann potenzielles Opfer eines solchen Betruges werden. Da die Dunkelziffer bei derartigen Delikten sehr hoch liegen dürfte, erscheint ein Abstellen auf die Polizeiliche Kriminalstatistik wenig zielführend. Typisch für die vorliegende Betrugsmasche oder ähnliche Taten ist vielmehr, dass die Täter eine Vielzahl von Telefonanrufen tätigen. Wenn nur jeder 100. Anruf oder noch weniger zum Erfolg führen, ist dies aus Sicht der Täter dennoch ein „lukratives Geschäft“. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass eine Vielzahl potenzieller Betrugsversuche scheitern, weil die potenziellen Opfer den Betrugsversuch schnell durchschauen, etwa weil sie keine Kinder haben, oder gar nicht erst ans Telefon gehen.
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bb) Der Vermögensverlust der Klägerin ist auch nicht deshalb ausnahmsweise als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, weil es sich bei dem an die Trickbetrüger gezahlten Betrag um einen Gegenstand gehandelt hätte, der zum lebensnotwendigen Bedarf der Klägerin gehört hat. Der Klägerin sind keine lebensnotwendigen Gegenstände abhandengekommen, sondern Bargeld, das sie am Tag des Anrufs problemlos bei ihrer Bank abheben konnte. Sie hatte den Betrag offenbar als liquide Mittel zur Verfügung. Für ihre finanzielle Absicherung war die Klägerin auf diesen Betrag aufgrund der vorhandenen sechs Mietobjekte, aus denen sie ausnahmslos positive Einkünfte erzielte und ihrer kleineren Rente nicht lebensnotwendig angewiesen.
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2. Darüber hinaus fehlt es auch an einer Zwangsläufigkeit.
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a) Unter welchen Voraussetzungen Verluste, die ein Opfer von Straftaten erleidet, zwangsläufig sind, hängt nach der Rechtsprechung von der Art des Delikts ab.
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aa) Bei Betrug oder Unterschlagung ist zu prüfen, ob die Ursache, die zum Delikt geführt hat, zwangsläufig war. Dies führt bei einem Eingehungsbetrug dazu, dass nur zwangsläufige Vertragsabschlüsse zum Abzug von Aufwendungen führen können, nicht aber freiwillig eingegangene rechtsgeschäftliche Verpflichtungen wie der Kauf eines Hauses (BFH-Urteil vom 19.5.1995 III R 12/92, BStBl. II 1995, 774) oder Darlehensgewährungen an einen als kreditwürdig geltenden Freund (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 8.2.2006 3 K 2924/03, juris).
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bb) Im Fall einer Erpressung wird eine zweistufige Prüfung vorgenommen. Ein Abzug scheidet mangels Zwangsläufigkeit von vornherein aus, wenn sich das Erpressungsopfer durch strafbares oder sozialwidriges Verhalten selbst erpressbar gemacht und damit die wesentliche Ursache für die Aufwendungen selbst gesetzt hat, etwa durch Eingehen eines außerehelichen Verhältnisses (so im Urteilsfall des BFH vom 18.3.2004 III R 31/02, BStBl. II 2004, 867) oder durch Nichtdeklaration eines aus der Türkei eingeführten Teppichs (so im Fall des von den Beteiligten zitierten Urteils des FG Rheinland-Pfalz vom 1.4.2014 5 K 1989/12, DStRE 2015, 1161). Anderenfalls ist weiter zu prüfen, ob zumutbare Handlungsalternativen vorlagen, die den Erpressungsversuch mit einiger Sicherheit wirkungslos gemacht hätten. Im Fall des außerehelichen Verhältnisses hat der BFH es für das Erpressungsopfer für zumutbar gehalten, das Verhältnis seiner Ehefrau trotz deren Herzkrankheit zu gestehen, da nicht jede Aufregung zu einer Gesundheits- oder gar Lebensgefährdung geführt hätte (BFH vom 18.3.2004 III R 31/02, BStBl. II 2004, 867). Dementsprechend scheiterte der Abzug als außergewöhnliche Belastungen in diesem Fall sowohl am sozialwidrigen Vorverhalten als auch an der fehlenden Unzumutbarkeit der Handlungsalternative.
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cc) Bei Lösegeldzahlungen, die nach der Entführung eines Angehörigen geleistet werden, wird hingegen eine „unabweisbare Notwendigkeit“ gesehen, diese als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen (BFH-Urteil vom 6.5.1994 III R 27/92, BStBl. II 1995, 104, Rz. 41). Ein strafbares oder sozialwidriges Vorverhalten scheidet in derartigen Fällen regelmäßig aus und eine Handlungsalternative zur Zahlung des Lösegeldes kommt ebenfalls im Regelfall nicht in Betracht.
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b) Unter Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall scheidet eine Zwangsläufigkeit der Zahlung der Klägerin an die Trickbetrüger aus.
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aa) Zur Beurteilung der Zwangsläufigkeit können die bisherigen von der Rechtsprechung zu Betrugsopfern entschiedenen Fälle nicht herangezogen werden. Die Klägerin ist zwar Opfer eines Betrugs im Sinne von § 263 StGB geworden. Die Täter haben ihr einen falschen Sachverhalt vorgetäuscht, dadurch bei der Klägerin einen Irrtum erzeugt, der sie zu einer Vermögensverfügung in Form der Geldübergabe veranlasst hat, wodurch bei ihr ein Vermögensschaden entstanden ist. Diese strafrechtliche Beurteilung ist zwischen den Beteiligten auch unstreitig. Die Fälle von Eingehungsbetrügen, bei denen das Opfer freiwillig einen Vertrag abgeschlossen hat, passen jedoch zur vorliegenden Situation, in der die Klägerin durch einen Telefonanruf überrumpelt wurde, nicht.
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bb) Die Situation der Klägerin ist unabhängig von der strafrechtlichen Beurteilung der Täter vielmehr mit derjenigen einer Erpressung vergleichbar, sodass die hierzu ergangene Rechtsprechung heranzuziehen ist. Ebenso wie bei einer Erpressung, bei der die Täter das Opfer vor die Wahl zwischen einer Handlung (häufig Zahlung eines Geldbetrags) und der Verwirklichung eines angedrohten empfindlichen Übels stellen (§ 253 StGB), wurde die Klägerin von den Tätern im Streitfall vor die Wahl gestellt, die angebliche Kaution zu entrichten, anderenfalls komme ihre Tochter in Untersuchungshaft.
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cc) Da sich die Klägerin nicht im Vorfeld strafbar oder sozialwidrig verhalten hat, sondern Zufallsopfer des Betrugs geworden ist, kommt es allein darauf an, ob sie eine zumutbare Handlungsalternative zur Zahlung besessen hat. Um nur die den Umständen nach notwendigen und angemessenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zum Abzug zuzulassen, ist die Unzumutbarkeit anhand objektiver Kriterien zu bestimmen (BFH-Urteil vom 29.3.2012 VI R 21/11, BStBl. II 2012, 574, Rn. 14). Die Frage der Zwangsläufigkeit ist nicht danach zu entscheiden, ob sich der Steuerpflichtige subjektiv zu der Handlung verpflichtet fühlt, sondern vielmehr danach, ob die in § 33 Abs. 2 EStG genannten Gründe von außen derart auf den Steuerpflichtigen einwirken, dass er ihnen nach einem objektiven Maßstab nicht ausweichen kann (vom 18.3.2004 III R 31/02, BStBl. II 2004, 867).
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dd) Objektiv lag für die Klägerin keine Zwangslage vor. Tatsächlich bestand für ihre Tochter keinerlei Gefahr, da sie keinem Strafverfahren ausgesetzt war. Vor diesem Hintergrund bestanden objektiv vielfältige zumutbare Handlungsalternativen. Die Klägerin hätte den Anruf beenden und durch Rückruf bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft in Erfahrung bringen können, ob ihre Tochter tatsächlich verhaftet wurde. Auch hätte sie versuchen können, ihre Tochter zu erreichen oder eine andere Vertrauensperson zu kontaktieren. Bei der Verhaftung eines nahen Angehörigen wäre es objektiv auch naheliegend, einen Rechtsanwalt zu konsultieren, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Dass die Klägerin all diese Möglichkeiten subjektiv in der von den Betrügern aufgebauten Stresssituation nicht erkannt und wahrgenommen hat, ist aufgrund des allein objektiven Beurteilungsmaßstabs nicht von Bedeutung.
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Selbst wenn der von den Tätern vorgegebene Sachverhalt zugetroffen hätte und die Tochter der Klägerin tatsächlich in Untersuchungshaft genommen worden wäre, wären Handlungsalternativen zumutbar gewesen. Wenn ‒ wie der BFH entschieden hat ‒ die Offenbarung eines außerehelichen Verhältnisses des Ehemannes gegenüber seiner herzkranken Ehefrau zumutbar ist, muss dies erst recht für den Fall gelten, dass eine Person ‒ den rechtsstaatlichen Vorschriften entsprechend ‒ in Untersuchungshaft genommen wird. Allein der Umstand der Verhaftung in Deutschland stellt noch keine Gefahr für Leib und Leben dar.
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3. Auf die Frage, ob eine sittliche Verpflichtung zur Übernahme der Kaution für die Tochter bestand, kommt es danach nicht an. Der Senat sieht daher davon ab, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Tochter der Klägerin aufzuklären.
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II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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III. Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Frage der steuerlichen Behandlung von Betrugsopfern bei Schockanrufen betrifft eine Vielzahl von Steuerpflichtigen und ist höchstrichterlich bislang nicht geklärt.