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  • 02.01.2014

    Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 29.10.2013 – 2 K 2055/11

    1. Die Einnahmen aus von einem Diplom-Psychologen mit Heilpraktiker-Befugnis in fünfstündigen Gruppenveranstaltungen durchgeführten
    Raucherentwöhnungsseminaren können nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG steuerfrei sein, wenn u. a. individuell für jeden Teilnehmer
    durch Diagnosefragebögen und Fagerström-Test eine psychische Störung in Form der Tabaksucht festgestellt worden ist, demnach
    rund 91 % der Teilnehmer mittel bis stark tabaksüchtig sind, wenn das Raucherentwöhnungsprogramm nach der Beurteilung durch
    einen Experten inhaltlich systematisch theoriebasiert ist und alle Kriterien eines gruppentherapeutischen Interventionsprogramms
    aufweist, und wenn zudem auch eine individuelle Nachsorge angeboten wird.


    2. Ebenfalls steuerfrei sind die Umsätze aus einer zusätzlich angebotenen Mesotherapie (u. a. auf die Linderung der Symptome
    des Nikotinentzugs gerichtete homöopathische Behandlung).


    3. Die Steuerbefreiung hängt nicht davon ab, dass die Leistungen generell unter die sogenannten Präventionsprogramme gemäß
    § 20 SGB V fallen, dass die Kosten ggf. nicht von den Krankenkassen der Teilnehmer übernommen worden sind und die Therapien
    grundsätzlich ohne ärztliche Verschreibung erfolgt sind.


    IM NAMEN DES VOLKES

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit


    hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 2. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom
    29. Oktober 2013 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht … und den Richter am Finanzgericht … sowie
    die ehrenamtlichen Richter … Herr … und Herr …


    für Recht erkannt:


    Die Umsatzsteuerbescheide für 2007 und 2008 vom 29.09.2011 werden dahingehend geändert, dass für das Jahr 2007 die zu 19 v.H.
    steuerpflichtigen Umsätze um … EUR vermindert, zusätzlich steuerfreie Umsätze von … EUR berücksichtigt und die abzugsfähigen
    Vorsteuern um … EUR verringert werden und dass für das Jahr 2008 die zu 19 v.H. steuerpflichtigen Umsätze um … EUR vermindert,
    zusätzlich steuerfreie Umsätze von … EUR berücksichtigt und die abzugsfähigen Vorsteuern um … EUR verringert werden.


    Die Berechnung der Steuer wird dem Beklagten übertragen.

    Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

    Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

    Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden,
    wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.


    Tatbestand:

    Der Kläger ist Diplom-Psychologe mit einer vom Bezirksamt C. im Jahr 1986 erteilten Heilkunde-Erlaubnis zur Psychotherapie.
    Er veranstaltete in seiner Praxis in C. in den Streitjahren 2007 und 2009 sowie in den Folgejahren Rauchentwöhnungsseminare
    unter dem Titel „…”. Streitig ist im vorliegenden Verfahren, ob der Kläger die Einnahmen aus den Seminaren mit 19 % Umsatzsteuer
    versteuern muss (so der Beklagte) oder ob er die Umsatzsteuerfreiheit nach § 4 Nr. 14 S. 1 Umsatzsteuergesetz – UStG – (Steuerfreiheit
    der Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut … oder aus einer ähnlichen heilberuflichen
    Tätigkeit) geltend machen kann.


    Bei den vom Kläger angebotenen Seminaren handelte es sich um fünfstündige Gruppenveranstaltungen, die an einem Tag abgehalten
    wurden. Die Teilnehmer meldeten sich aufgrund entsprechender Werbung des Klägers an und mussten für das Seminar ein Entgelt
    zwischen … EUR und … EUR bezahlen. Nach der Beschreibung in einer fachlichen Stellungnahme vom 14.11.2010 von B., Universität
    D., waren die Seminare so aufgebaut, dass zunächst die Motivation der aufhörwilligen Raucher gestärkt wurde, indem sie sich
    ausführlich mit allen möglichen Vorteilen des Nichtrauchens auseinandersetzten. Im nächsten Teil des Seminars (Wege aus der
    Abhängigkeit) seien die Teilnehmer ausführlich über die gesundheitlichen Risiken des Rauchens aufgeklärt und eine Analyse
    des persönlichen Rauchverhaltens vorgenommen worden. Dabei seien eingehend die psychologischen und physiologischen Effekte
    des Rauchens erläutert worden. Mit einer darauf folgenden Übung (Bedürfnis-Verknüpfungen lösen) hätten die Teilnehmer klar,
    einfach und am eigenen Beispiel die bedürfnis- und emotionsphysiologischen Ursachen von Rauchverhalten erfahren. Ebenso hätten
    sie erfahren, welche Bedürfnisse sie als Raucher mit dem Rauchen verknüpften, und es seien alternative Verhaltensweisen besprochen
    worden. Weiterhin sei die systematische Desensibilisierung zur Anwendung gekommen. Dabei seien typische Raucher-Suchtmuster
    erkannt, mehrfach ausgesprochen und dann noch zusätzlich zur Unterstützung MET (Meridian-Energie-Techniken) zur Stresslösung
    eingesetzt worden. Weiter hätten die Teilnehmer mit der Übung „Lösung von spezifischen Situations-Verknüpfungen” gelernt,
    Abschied von alten inneren Bildern zu nehmen, in denen eine bestimmte Situation mit dem Rauchen verknüpft gewesen sei, und
    sich in der Imagination die gleiche Situation jetzt rauchfrei vorzustellen, angereichert mit positiven Gefühlen. Am Ende des
    Programms seien im Sinne der Ressourcenaktivierung und Rückfallprävention in der Gruppe alternative Verhaltensmöglichkeiten
    im Notfall durchgespielt worden (Notfallblatt) und es sei intensiv auf das Rauchertelefon der E. hingewiesen worden. Zusammenfassend
    bewertete B. das Seminar aus fachlicher, verhaltenstherapeutischer Sicht für außerordentlich gelungen und überzeugend. Im
    Einzelnen wird auf die fachliche Stellungnahme vom 14.11.2000 (Bl. 52 ff. der Gerichtsakte) verwiesen.


    Der Kläger bietet im eigenen Namen zusätzlich zu dem eigentlichen Seminar eine unterstützende so genannte Mesotherapie an,
    bei der in Akupunkturpunkte ein spezielles homöopathisches Mittel injiziert wird. Diese therapeutische Maßnahme ist nach seiner
    Darstellung gleichwertig zur therapeutischen Intervention durch gruppentherapeutische Seminare. Etwa 97 % aller seiner Kunden
    entscheiden sich für diese Maßnahme.


    91 % der Teilnehmer sind nach der klägerischen Darstellung mittelgradig bis schwer tabakabhängig. Die restlichen Kunden seien
    leichtgradig tabakabhängig und wiesen einen zumindest gesundheitsschädlichen Konsum von Tabak auf. Der Kern der therapeutischen
    Maßnahmen bestehe in dem gruppentherapeutischen Seminar mit dem Namen „…”, der begleitenden Mesotherapie und der individuellen
    Nachsorge. Zur Nachsorge gehörten eine kostenfreie Telefonberatung, gegebenenfalls eine kostenfreie Beratung per E-Mail sowie
    kostenpflichtige Einzelsitzungen.


    Der Kläger macht geltend, dass nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG die Umsätze aus Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin, die im
    Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt oder einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit durchgeführt werden, von der Umsatzsteuer
    befreit seien. Es komme dabei nicht allein auf die formale Berufszulassung an. Eine Maßnahme, die dem Kern der Tätigkeit eines
    Heilberufs entspreche, sei steuerfrei. Diese Maßnahme müsse therapeutisch sein, also nicht allein primärpräventiv, d. h. ohne
    konkret vorliegenden Krankheitsbezug der allgemeinen Gesundheitsverbesserung und Vorbeugung dienend oder außerhalb der Heilkunde
    gelegen. Es müsse sich nicht immer um eine Behandlung in einer Einzelsitzung handeln. Gerade bei der Suchtbehandlung seien
    Gruppentherapien durchaus üblich und würden gleichwohl auf den Teilnehmer individuell abgestimmt. Daher sei auch der gruppentherapeutische
    Ansatz als Ausübung der psychotherapeutischen Heilkunde zu werten. Dementsprechend erfüllten seine Leistungen die Voraussetzungen
    des § 4 Nr. 14 S. 1 UStG. Anders als der Beklagte meine, erfolgten seine Leistungen auch nicht etwa zur primären Prävention
    und zur Selbsthilfe im Sinne des § 20 Sozialgesetzbuch – SGB – V. Der Beklagte wende insoweit in seiner Einspruchsentscheidung
    das Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 07.07.2005 V R 23/04 unrichtig an. Der dem Urteil zugrunde liegende Fall eines
    Ernährungsberaters sei mit seiner Leistung nicht vergleichbar. Die Tabakabhängigkeit sei vielmehr als Krankheit zu werten.
    Hierzu beruft sich der Kläger auf den „Leitfaden Prävention 2010” des GKV-Spitzenverbandes. Auch die E. habe dargelegt, dass
    70 – 80 % der Raucher in Deutschland als nikotinabhängig bezeichnet werden müssten. Die Behörde habe insoweit auf den von
    ihm ebenfalls angewendeten Fagerström-Test abgestellt. Er habe sein Programm unter Ausrichtung auf die empirisch anerkannten
    Daten konzipiert und bei jedem Patienten zu Beginn der Seminare den Grad der Abhängigkeit und den Grad der gesundheitlichen
    Störung anhand dieses Testes festgestellt. Die entsprechenden Ergebnisse seien in einem Diagnosebogen erfasst worden. Dabei
    habe sich ergeben, dass jeder der Seminarteilnehmer an Tabakabhängigkeit erkrankt gewesen sei, wenn auch in unterschiedlicher
    Intensität, nämlich 9 % leichtgradig und 91 % mittelgradig bis schwer. Im Einzelnen wird insbesondere auf den Schriftsatz
    vom 06.03.2013 und die Anlagen hierzu verwiesen (Bl. 144 bis 194 der Gerichtsakte). Es handele sich bei seiner Tätigkeit somit
    nicht um eine reine Beratung zur Umstellung der Lebensweise, sondern um die Behandlung der Tabaksucht und damit einer Krankheit.
    In der Internationalen Klassifikation von Krankheiten der WHO, in der ICD-10, werde Tabakabhängigkeit als Krankheit mit der
    Ziffer F17.2 verschlüsselt.


    Die ICD-10-Klassifikation sei in Deutschland als Diagnosestandard im Sozialgesetzbuch – SGB – V in § 295 und in § 301 fest
    verankert. Auch derjenige, der vielleicht noch keine Abhängigkeit entwickelt habe, leide unter einer Gesundheitsstörung oder
    Krankheit, wenn er einen Arzt oder Psychotherapeuten wegen schädlichen Gebrauchs von Tabak aufsuche. Auch in der medizinischen
    Fachwelt werde Tabakabhängigkeit nicht nur etwa als unerwünschtes Verhalten mit Gesundheitsrisiken gewertet, sondern als Störung
    mit Krankheitswert. Der Kläger beruft sich insoweit auf das Memorandum der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen aus dem Jahr
    2008.


    Es habe ferner eine wissenschaftliche Evaluierung seines Raucherentwöhnungsprogrammes durch das H.-Institut stattgefunden.
    Von 127 Teilnehmern seiner Maßnahme seien dabei 72 % als starker Raucher und 19 % sogar als sehr starke Raucher mit einer
    Zigarettenmenge von 31 Zigaretten und mehr pro Tag beschrieben worden. Mit 91 % sei die weit überwiegende Mehrzahl der Teilnehmer
    stark nikotinabhängig und damit suchtkrank. Der Beklagte habe daher in seiner Einspruchsentscheidung zu Unrecht ausgeführt,
    dass er – der Kläger – keine Heilbehandlung durchgeführt habe. Auch als Gruppentherapieprogramm habe sein Raucherentwöhnungsprogramm
    ein auf den individuellen Fall abgestimmtes psychotherapeutisches Leistungskonzept aufgewiesen. Für die Diagnose der Tabakabhängigkeit
    sei der bewährte Fagerström-Test eingesetzt worden, der internationalen Standards entspräche. Vor Beginn der Maßnahme sei
    mit jedem Teilnehmer eine individuelle Anamnese i.V.m. diesem Test durchgeführt worden.


    Aus der Expertise des B. gehe hervor, dass sein Raucherentwöhnungsprogramm inhaltlich systematisch theoriebasiert sei und
    alle Kriterien eines gruppentherapeutischen Interventionsprogrammes erfülle. Im Übrigen verweist der Kläger auf die Expertise
    (Bl. 52 ff der Gerichtsakte).


    Es komme auch nicht allein auf die formalen bzw. abrechnungstechnischen Rahmenbedingungen an. In einem vergleichbaren Fall
    des Finanzgerichts Köln, Urteils vom 28.08.2007 8 K 3104/05 (n.v., recherchierbar in Juris-Datei) sei es um die Frage gegangen,
    inwieweit eine Heilbehandlung im Rahmen einer Diätberatung auch dann eine Heilbehandlung darstelle, wenn sie im Rahmen einer
    Gruppenberatung durchgeführt werde. Das Gericht habe in seiner Entscheidung auch die Gruppenbehandlung als Heilbehandlung
    anerkannt.


    Es handele sich bei seiner Tätigkeit auch nicht etwa um eine reine Aufklärungsarbeit oder Informationsveranstaltung. Sie sei
    auf eine Verhaltensänderung zum Rauchstopp als therapeutisches Ziel gerichtet. Auch der Beginn einer möglichen Heilung sei
    bereits eine Heilbehandlung. Er könne zudem nachweisen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum seine Heilbehandlungen individuell
    erfolgreich gewesen seien. Nach der stattgefundenen Evaluierung habe die Erfolgsquote bei rund 43 % gelegen. Auch nach dem
    Abschnitt 4.14.1 Abs. 4 und 5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses – UStAE – vom 01.10.2010 gehörten selbst Leistungen der
    vorbeugenden Gesundheitspflege zur Ausübung der Heilkunde. Selbst wenn der Krankheitswert der Nikotinsucht oder des schädlichen
    Gebrauchs von Tabak verneint würde, könne kein Zweifel daran bestehen, dass das Raucherentwöhnungsprogramm dem Gesundheitsschutz
    der Teilnehmer dienen solle. Die im Zusammenhang mit seiner Therapie angebotene Mesotherapie werde von Ärzten oder Heilpraktikern
    in seinem Unternehmen in separaten Behandlungszimmern durchgeführt. Durch diese Therapie würden die sonst häufig auftretenden
    körperlichen Entzugserscheinungen signifikant reduziert.


    Irrelevant sei es, dass seine Leistungen im Rahmen der so genannten Präventionsprogramme gemäß § 20 SGB V abgerechnet würden.
    Dies betreffe allein die Finanzierung. Die gesetzlichen Krankenkassen hätten sich bis in die Gegenwart geweigert, den schädlichen
    Gebrauch von Tabak und die Tabakabhängigkeit als Krankheit anzuerkennen. Auch als die Bundesärztekammer im September 2008
    von den Krankenkassen gefordert habe, die Tabakabhängigkeit als Krankheit anzuerkennen, seien seitens der Krankenkassen ausschließlich
    ökonomische Gründe hiergegen angeführt worden. Bei seinem Angebot handele sich auf keinen Fall um Primärprävention, denn diese
    sei an vollkommen gesunde Menschen gerichtet. Rauchentwöhnungstherapien seien systemwidrig in den Leitfaden Prävention aufgenommen
    worden und zwar allein aus finanziellen Gründen.


    Das Finanzgericht Köln habe in seinen Urteil vom 19.01.2006 10 K 5354/02 ausdrücklich festgestellt, dass die Übernahme der
    Kosten durch die gesetzlichen Krankenkassen zwar wichtiges Indiz für das Vorliegen einer nach § 4 Nr. 14 UStG steuerfreien
    Heilbehandlung sei, dieses Indiz alleine sei aber nicht ausschlaggebend. Die Einordnung und Kostenübernahme der Krankenkassen
    würden häufig von politischen und wirtschaftlichen Interessen der Kostenträger geleitet.


    Schließlich habe selbst das oberste Finanzgericht Englands in seiner Entscheidung vom 22.07.2009 festgestellt, dass Raucherentwöhnungsmaßnahmen
    als Heilbehandlung umsatzsteuerfrei seien.


    Mit Schriftsatz vom 05.05.2011 reichte der Kläger in Ergänzung zu seinem bisherigen Vorbringen zwei Fagerström-Tests in anonymisierter
    Form ein. Ferner trägt er vor, dass in dem von der E. herausgegebenen Buch „Raucherentwöhnung in Deutschland” der Test auf
    Seite 14 dahingehend beschrieben werde, dass er sich international zur Messung der Ausprägung der Nikotinabhängigkeit durchgesetzt
    habe. Auf Seiten 13 und 14 dieses Buches würden die psychischen und körperlichen Aspekte der Nikotinabhängigkeit erklärt.
    Weiter werde dort dargelegt, dass 70 – 80 % der Raucher als nikotinabhängig bezeichnet werden könnten und die meisten Raucher
    innerhalb weniger Jahre täglichen Rauchens eine Abhängigkeit entwickelten. Offensichtlich ordne der Beklagte die Nikotinabhängigkeit
    selbst als Krankheit ein, wenn er in der Einspruchsentscheidung vom 15.02.2011 auf Seite 6 ausführe, dass das Hauptziel seiner
    Seminare nicht die individuelle Behandlung einer bereits vorhandenen Krankheit (Nikotinabhängigkeit) zum Zwecke der Heilung
    sei. Dieser Satz lasse sich nicht anders verstehen, als dass Nikotinabhängigkeit eben doch eine Krankheit sei.


    Sein Programm sei – anders als der Beklagte meine – durchaus nicht nur eine reine Informationsveranstaltung, sondern ein systematisch
    theoriebasiertes, psychotherapeutisches Behandlungsprogramm zur Raucherentwöhnung, das alle Kriterien einer Gruppentherapie
    erfülle. Wie gerade die bei ihm durchgeführte wissenschaftliche Evaluation durch die F. GmbH aus dem Jahr 2008 zeige, sei
    es entgegen der Meinung des Beklagten doch möglich, in einer einzigen auf 5 Stunden beschränkten gruppentherapeutischen Sitzung
    ein auf das individuelle Krankheitsbild des einzelnen Teilnehmers zugeschnittenes Behandlungskonzept zu realisieren. Gerade
    deshalb sei es laut Nr. 4.2 des Ergebnisberichts der F. GmbH (Umsatzsteuerakte Band II Bl. 4 bis 15) 43 % der Teilnehmer gelungen,
    nach der Maßnahme nicht mehr zu rauchen, was gleichbedeutend sei mit der Heilung von der Nikotinsucht. Die Information und
    Aufklärung über die Gefahren des Tabakkonsums nehme in seinem Konzept nur eine sehr geringe Rolle ein. Hierzu verweise er
    auf die fachliche Stellungnahme von Herrn B.. In dieser sei gerade festgestellt, dass es sich um eine verhaltenstherapeutische
    Interventionsmethodik handele. Das Programm sei eine in dieser speziellen Konzeption sinnvolle und mögliche Tages-Block-Maßnahme.
    Wie er bereits dargelegt habe, betreibe er sehr wohl eine individuelle Nachsorge. Hierzu beruft er sich ergänzend auf exemplarischen
    E-Mail-Verkehr, der dem Schriftsatz vom 29.06.2011 beigefügt ist (Bl. 85 der Gerichtsakte ff.).


    Das Finanzgericht Köln habe in seinem Urteil vom 08.03.2012 10 K 2389/09 darauf abgestellt, dass für die begehrte Umsatzsteuerfreiheit
    im Rahmen einer Heilbehandlung eine individuelle Untersuchung vorliegen müsse, durch die das konkrete Vorliegen eines Krankheitsbildes
    festgestellt werde, was regelmäßig eine individuelle ärztliche Verordnung voraussetze. Diese Kriterien seien erfüllt. Das
    Kriterium der ärztlichen Verordnung könne – wie auch beim Durchführen einer Psychotherapiebehandlung als Heilbehandlung durch
    einen Diplom-Psychologen – wegfallen, wenn eine individuelle Untersuchung und Diagnose durch den Therapeuten selber stattfinde
    und er selbst die Heilkunde hierfür ausüben dürfe.


    Bei seinen Teilnehmern hätten gerade einmal 9 % einen Zigarettenkonsum von bis zu zehn Zigaretten pro Tag aufgewiesen, 72
    % der Befragten hätten zwischen elf und 30 Zigaretten pro Tag geraucht (starker Raucher) und 19 % sogar noch mehr. Seine Patienten
    seien damit gerade auch nach Auswertung der Fagerström-Tests als nikotinabhängig einzustufen. Zudem seien seine Teilnehmer
    im Durchschnitt 51 Jahre alt gewesen und hätten damit durchschnittlich schon über 25 Jahre täglichen Rauchens hinter sich
    gehabt. Es müsse davon ausgegangen werden, dass sich in einer solchen Periode bei allen eine Tabakabhängigkeit herausgebildet
    habe.


    Da individuelle Eingangsuntersuchungen stattgefunden hätten, sei das Urteil des FG Köln vom 08.03.2012 10 K 2389/09, in dessen
    Fallgestaltung Seminarteilnehmer durch im Einzelnen nicht näher begründete Sammelverordnungen von Betriebsärzten zu den Seminaren
    geschickt worden seien, mit dem vorliegenden Fall tatbestandlich nicht zu vergleichen, sodass einem vom Beklagten angeregten
    Ruhen des Verfahrens nicht zugestimmt werde. Anders als der Beklagte meine, brauche der BFH gar nicht zu der Frage Stellung
    zu nehmen, von wem und auf welche Weise die ausschließlich medizinische Indikation festzustellen sei. Diese Fragestellung
    gehe weder als offene Frage aus dem Urteil des FG Köln hervor, noch sei sie in der Rechtsprechung in irgendeiner Weise umstritten
    oder ungeklärt. In diesem Zusammenhang sei auf das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 19.01.2006 10 K 5354/02 hinzuweisen,
    in dem explizit festgestellt worden sei, dass auch psychotherapeutische Leistungen von Heilpraktikern als Heilbehandlung anerkannt
    seien, wenn es Tätigkeiten seien, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, Behandlung und Heilung von Krankheiten bei Menschen
    vorgenommen würden. Er sei als DiplomPsychologe mit der Heilpraktikererlaubnis zur Psychotherapie berechtigt und befugt, medizinische
    Indikationen, Diagnosen und Behandlungen von Störungen vorzunehmen. Der BFH brauche sich ebenfalls in der Revision nicht mit
    der Frage zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen eine therapeutische Maßnahme generell unter dem Begriff der Heilbehandlung
    zu subsumieren sei. Dies sei bereits durch das Urteil des BFH vom 30.01.2008 XI R 53/06 (Bundessteuerblatt – BStBl – II 2008,
    649) erfolgt. Außerdem sei diese Frage bei dem fraglichen Urteil des FG Köln auch gar nicht offen geblieben. Vor dem FG Köln
    sei es lediglich noch um die Frage gegangen, ob und wann zwischen so genannten Gelegenheitsrauchern und Süchtigen differenziert
    werden müsse und anhand welcher Kriterien dies geschehen könne. Das FG Köln habe letztlich sein abweisendes Urteil damit begründet,
    dass es an individuellen Untersuchungen der Patienten gemangelt habe.


    Ferner sei auf das Urteil des BFH vom 18.08.2011 V R 27/10 (Sammlung der Veröffentlichungen des Bundesfinanzhofs – BFHE –
    235, 58) hinzuweisen. Dort würden Randbereiche therapeutischer Tätigkeit als umsatzsteuerfrei angesehen. Er habe in seinem
    Schriftsatz vom 22.08.2011 zwar die Formulierung benutzt, dass fast 100 % der Teilnehmer als nikotinabhängig zu bezeichnen
    sei. Diese Formulierung trage aber lediglich dem Umstand Rechnung, dass aus wissenschaftlicher Sicht hundertprozentige statistische
    Absolutheitsaussagen nicht seriös seien. Es sei festzustellen, dass nach Auswertung des Fagerström-Tests und des standardisierten
    zweiseitigen Diagnosefragebogens jeder seiner Teilnehmer als nikotinabhängig zu bezeichnen sei. Selbst wenn eine minimale
    Fehlerquote angenommen würde, würde im Grenzbereich zwischen krankhaftem Tabakmissbrauch (ICD-10 – F 17.1) und Nikotinabhängigkeit
    (ICD-10 – F 17.1) auf jeden Fall die Diagnose des krankhaften Tabakmissbrauchs (ICD-10 – F 17.1) vorliegen. Damit stehe auf
    jeden Fall fest, dass bei jedem Teilnehmer eine krankhafte Störung vorliege. Beide genannten Diagnosen entstammten der Diagnoseklassifikation
    ICD-10-GM, die das Deutsche Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bundesministeriums
    für Gesundheit herausgegeben habe. Alle in dem genannten Katalog genannten Krankheiten oder krankhaften Störungen seien anerkannte
    Krankheiten. Zum Nachweis, dass alle Teilnehmer des Programms als krank einzuordnen seien, reiche er zwölf ausgefüllte anonymisierte
    Teilnehmer-Fragebögen zuzüglich des jeweils ausgefüllten Fagerström-Test ein. Ferner präzisiere er seinen Vortrag dahingehend,
    dass alle starken Raucher (zwischen elf und 30 Zigaretten pro Tag), die an seinem Entwöhnungsprogramm teilgenommen hätten,
    als suchtkrank diagnostiziert worden seien.


    Mit Schriftsatz vom 07.10.2013 trägt der Kläger ergänzend vor, dass er aus den Raucherentwöhnungsseminaren im Jahr 2007 …
    EUR und im Jahr … EUR eingenommen habe und dies in den geänderten Bescheiden steuererhöhend berücksichtigt worden sei. Dafür
    seien durch den Beklagten aber auch Vorsteuern aus Eingangsumsätzen an ihn zum Abzug gebracht worden, die für die Einnahmen
    aus den Seminaren verwendet worden seien.


    In der mündlichen Verhandlung waren die Beteiligten über die im Falle der Umsatzsteuerfreiheit zu korrigierenden Vorsteuerbeträge
    einschließlich der zu berücksichtigenden Steuerbeträge nach § 13b UStG, welche sich teilweise ebenfalls auf die streitigen
    Umsätze beziehen, einig. Insbesondere hat der Kläger erklärt, von ihm erhaltene Umsätze der Firma G., die der Besteuerung
    nach § 13 b UStG zu unterwerfen seien, hätten der Werbung für seine Raucherentwöhnungsseminare gedient. Der Antrag des Klägers
    gibt diese Werte wieder.


    Der Kläger beantragt,

    die Umsatzsteuerbescheide für 2007 und 2008 vom 29.09.2011 dahingehend zu ändern, dass für das Jahr 2007 die zu 19 v.H. steuerpflichtigen
    Umsätze um … EUR vermindert, zusätzlich steuerfreie Umsätze von … EUR berücksichtigt und die abzugsfähigen Vorsteuern um …
    EUR verringert werden und dass für das Jahr 2008 die zu 19 v.H. steuerpflichtigen Umsätze um … EUR vermindert, zusätzlich
    steuerfreie Umsätze von … EUR berücksichtigt und die abzugsfähigen Vorsteuern um … EUR verringert werden,


    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen,

    hilfsweise die Revision zuzulassen.

    Der Beklagte verweist zunächst auf seine Einspruchsentscheidung. Er bestreite nicht, dass es sich bei einer Nikotinabhängigkeit
    um eine Krankheit handele und der Fagerström-Test ein Instrument zur Bestimmung des Grades der Nikotinabhängigkeit sei. Er
    gehe jedoch nach wie vor davon aus, dass der Kläger keine Heilbehandlung im Sinne des BFH-Urteils vom 07.07.2005 V R 23/04
    erbringe. Es sei dem Kläger nicht möglich, in einer einzigen auf fünf Stunden beschränkten Gruppensitzung ein auf das individuelle
    Krankheitsbild des einzelnen Klienten zugeschnittenes Behandlungskonzept zu realisieren. Der Schwerpunkt der Seminare liege
    in der Information und der Aufklärung über die Gefahren des Tabakkonsums, um hierdurch eine zukünftige Verhaltensänderung
    herbeizuführen. Bezeichnenderweise führe der Kläger selbst keine Nachsorge durch.


    Das vom Kläger zitierte Urteil des FG Köln vom 08.03.2012 10 K 2389/09 habe gerade darauf abgestellt, dass individuelle Untersuchungen
    zum Grad und Vorliegen einer eventuellen Nikotinabhängigkeit vorliegen müssten. Daran fehle es hier. Im Übrigen sei gegen
    das Urteil des Finanzgerichts Köln die Revision anhängig. Er rege daher an, das vorliegende Verfahren ruhen zu lassen.


    Der BFH habe auch in seinem Urteil vom 18.08.2011 V R 27/10 an seiner langjährigen Rechtsprechung festgehalten, dass eine
    Steuerbefreiung für eine Heilbehandlung nur dann in Betracht komme, wenn sie im Rahmen eines hinreichend konkreten, individuellen,
    der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes erfolge;
    dieses Kriterium diene der Abgrenzung zu Leistungen, die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug hätten, weil sie lediglich den
    allgemeinen Gesundheitszustand verbesserten. In die Steuerbefreiung seien auch Leistungen einzubeziehen, die ein Arzt mit
    unmittelbarem Bezug zu einer Heilbehandlungstätigkeit erbringe.


    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die beigezogenen Akten des
    Beklagten Bezug genommen.


    Entscheidungsgründe:

    Die Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und der Kläger ist durch die Bescheide in seinen Rechten
    verletzt, § 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –. Der Beklagte hat zu Unrecht die Leistungen des Klägers aus den
    Raucherentwöhnungsseminaren der Umsatzsteuer unterworfen. Die Umsätze sind nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG steuerfrei.


    Nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG sind „die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Physiotherapeut (Krankengymnast),
    Hebamme oder aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker” steuerfrei. Die
    Vorschrift setzt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (nunmehr geregelt in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g
    RL 2006/112/EG, Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie) in nationales Recht um und ist nach dieser Bestimmung richtlinienkonform
    auszulegen. Nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG befreien die Mitgliedstaaten von der Steuer „die
    Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten
    ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden” (vgl. BFH-Urteil vom 31.01.2008 XI R 53/06, BStBl II 2008, 647 für Umsatzerlöse
    aus therapeutischem Reiten unter Hinweis auf BFH-Urteile vom 22.04.2004 V R 1/98, BStBl II 2004, 849; vom 12.08.2004 V R 18/02,
    BStBl II 2005, 227).


    § 4 Nr. 14 S. 1 UStG setzt bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie
    77/388/EWG voraus, dass der Unternehmer zum einen eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin durch ärztliche oder arztähnliche
    Leistungen erbringt und dass er zum anderen die dafür erforderliche Qualifikation besitzt, die durch den erforderlichen Befähigungsnachweis
    dokumentiert ist (vgl. BFH-Urteile vom 31.01.2008 XI R 53/06, BStBl II 2008, 647, vom 07.07.2005 V R 23/04, BStBl II 2005,
    904, vom 25.11.2004 V R 44/02, BStBl II 2005, 190; vgl. EuGH-Urteile vom 10.09.2002 Rs. C-141/00, Slg. 2002, I-6833, BFH/NV
    2003, Beilage 1, 30; vom 06.11.2003 Rs. C-45/01, Slg. 2003, I-12911, BFH/NV 2004, Beilage 1, 40; vom 27.04.2006 Rs. C-443/04
    und Rs. C-444/04, Slg. 2006, I-3617, BFH/NV 2006, Beilage 3, 299).


    Heilbehandlungen i. S. des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der
    Richtlinie 77/388/EWG sind (nur) Tätigkeiten, die zum Zweck der Vorbeugung, Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten
    oder Gesundheitsstörungen bei Menschen vorgenommen werden. Die befreiten Leistungen müssen der medizinischen Behandlung einer
    Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung dienen (BFH-Urteil vom 31.01.2008 XI R 53/06, BStBl II 2008, 647 für Umsatzerlöse
    aus therapeutischem Reiten: Hippotherapie durch Krankengymnastin als von der Umsatzsteuer befreite Heilbehandlung nach § 4
    Nr. 14 UStG, unter Hinweis auf EuGH-Urteil in Slg. 2003, I-12911, BFH/NV 2004, Beilage 1, 40, Randnr. 48). Nicht unter die
    Befreiung fallen danach Tätigkeiten, die nicht Teil eines konkreten, individuellen, der Diagnose, Behandlung, Vorbeugung und
    Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienenden Leistungskonzeptes sind (BFH-Urteil vom 07.07.2005 V R 23/04,
    BStBl II 2005, 904,) oder etwa von einem Chirurgen durchgeführte Schönheitsoperationen oder Massagen, die von einem Physiotherapeuten
    ohne vorherige ärztliche Anordnung lediglich aus kosmetischen Gründen oder zur Verbesserung des Wohlbefindens („Wellness”)
    durchgeführt werden.


    Nicht maßgeblich für die Steuerbefreiung ist nach Auffassung des BFH, wer die Leistung gegenüber dem Empfänger abrechnet (vgl.
    etwa BFH-Urteil vom 07.07.2005 V R 23/04, BStBl II 2005, 904) oder inwieweit die gesetzlichen Krankenkassen zur Übernahme
    der Kosten verpflichtet sind (vgl. BSG-Urteil in SozR 3-2500 § 138 Nr. 2: Hippotherapie). Denn im Gegensatz zu den einschlägigen
    sozialrechtlichen Bestimmungen, bei denen es um die Frage geht, ob ein Einzelner auf Kosten der Allgemeinheit einen (Mindest-)Anspruch
    auf bestimmte Heilmittel hat, verfolgt § 4 Nr. 14 UStG einen anderen Zweck: Dieser besteht darin, ganz allgemein die Kosten
    der Heilbehandlungen zu senken und diese Behandlungen dem Einzelnen zugänglicher zu machen. Der EuGH hat darüber hinaus ausdrücklich
    hervorgehoben, dass der bloße Umstand der fehlenden (vollständigen) Kostenübernahme durch die Träger der Sozialversicherung
    keine unterschiedliche Behandlung der Leistungserbringer in Bezug auf die Mehrwertsteuerpflicht rechtfertigt. Vor diesem Hintergrund
    ist die Frage der Kostenerstattung durch die Sozialversicherungsträger kein geeignetes Abgrenzungskriterium für den Begriff
    der Heilbehandlung i. S. von § 4 Nr. 14 UStG (vgl. BFH-Urteil vom 31.01.2008 XI R 53/06, BStBl II 2008, 647; EuGH-Urteil in
    Slg. 2003, I-12911, BFH/NV 2004, Beilage 1, 40, Randnr. 43).


    Dem steht nicht die Rechtsprechung des BFH entgegen, wonach grundsätzlich von einem Befähigungsnachweis auszugehen ist, wenn
    die Leistungen des Unternehmers durch Heilbehandlung in der Regel von Sozialversicherungsträgern finanziert werden (vgl. BFH-Urteil
    vom 25.11.2004 V R 44/02, BStBl II 2005, 190, m.w.N.). Denn diese Einschränkung gilt nur für die Fälle, in denen es sich –
    abweichend vom Streitfall – nicht um einen „Katalogberuf” i. S. von § 4 Nr. 14 UStG handelt (BFH-Urteil vom 31.01.2008 XI
    R 53/06, BStBl II 2008, 647).


    Ebenfalls nicht entscheidungserheblich für die Anwendung der Steuerbefreiung ist, ob der Kläger selbst Inhaber der nach §
    4 Nr. 14 S. 1 UStG ausdrücklich benannten beruflichen Qualifikation ist. Denn der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbietet
    es, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt
    werden.


    Die Umsatzsteuerbefreiung umfasst danach ausschließlich medizinisch indizierte Leistungen gemäß heilberuflicher Verordnung,
    sei es etwa im Wege eines ärztlichen Auftrages einer Reha-Klinik, sei es durch individuelle ärztliche Verordnung. Deshalb
    sind Leistungen, die nicht aufgrund entsprechender Anordnung oder im Rahmen einer medizinischen Behandlung als Vorsorge- oder
    Rehabilitationsmaßnahme durchgeführt werden, nicht nach § 4 Nr. 14 S. 1 UStG steuerfrei. Ebenso wenig liegt eine gemäß § 4
    Nr. 14 UStG steuerbefreite Heilbehandlung vor, wenn Leistungen zur Prävention und Selbsthilfe i. S. des § 20 SGB V erbracht
    werden, die keinen unmittelbaren Krankheitsbezug haben, weil sie lediglich „den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern
    und insbesondere einen Beitrag zur Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen erbringen” sollen (§
    20 Abs. 1 Satz 2 SGB V; vgl. BFH-Urteile vom 31.01.2008 XI R 53/06, BStBl II 2008, 647, vom 07.07.2005 V R 23/04, BStBl II
    2005, 904, BFH/NV 2005, 2142, vom 10.03.2005 V R 54/04, BStBl II 2005, 669: Diplom-Oecotrophologe).


    Im Streitfall erfolgten die Therapien zwar grundsätzlich ohne ärztliche Verschreibung, aber nach einer nach Auffassung des
    Senates hinreichend ausgiebigen Anamnese (standardisierter zweiseitiger Diagnosefragebogen zuzüglich Fagerstöm-Test) durch
    den Kläger, der als Psychologe mit Heilpraktiker-Befugnis zum Katalogberuf des § 4 Nr. 14 S. 1 UStG gehört, sodass die begehrte
    Umsatzsteuerfreiheit nicht an einer fehlenden Verordnung scheitert. Insoweit fehlt es auch an einer Vergleichbarkeit mit dem
    Urteil des FG Köln 10 K 2389/09. Der Kläger war hinreichend selbst qualifiziert, das Vorliegen einer psychischen Störung in
    der Form der Tabaksucht festzustellen. Nach den im Klageverfahren vorgelegten Testmaterialien und hierzu gegebenen Erläuterungen
    geht das Gericht davon aus, dass jeder der Seminarteilnehmer auf bei ihm vorliegende Tabaksucht individuell diagnostiziert
    wurde, bevor die Seminardurchführung begann.


    Der Kläger hatte als Psychologe mit Heilpraktiker-Befugnis auch unzweifelhaft die notwendige Qualifikation für die Diagnose
    und nachfolgende Erbringung der Heilmaßnahmen. Auch die Anwendung des so genannten Fagerström-Tests zur Feststellung der Diagnose
    begegnet keinen Bedenken. Mindestens 91 % der Kunden des Klägers waren nach einer stattgefundenen Evaluierung im Streitzeitraum
    stark tabakabhängig. Angesichts des Umstandes, dass die Teilnehmer im Durchschnitt 51 Jahre alt waren und in der Regel mehr
    als 25 Jahre geraucht hatten, liegt aus Sicht des Senates die Tabakabhängigkeit damit auch auf der Hand. Auch die restlichen
    9 %, die sich als Restgruppe nach der Evaluierung ergeben, sind nach der Klassifikation in der ICD bereits als krank einzuordnen,
    da sie nach der nicht substantiiert bestrittenen Darstellung des Klägers in die Gruppe des krankhaften Tabakmissbrauchs gehören
    (ICD-10 – F 17.1). Hinzu kommt, dass vorliegend die Teilnehmer aus eigenem Antrieb zu dem Kläger kamen und den mit dem Seminar
    verbundenen zeitlichen und finanziellen Aufwand in Kauf nahmen, was deutlich belegt, dass sie selbst die Steuerung über ihr
    Suchtverhalten bereits verloren hatten und nicht mehr in der Lage waren, ohne Hilfe ihr Verhalten zu ändern. Dies alles belegt
    bereits den Krankheitswert des Tabakkonsums der Patienten. Auch die Bundesärztekammer stufte nach einem Bericht der Zeitschrift
    … bereits im Jahr 2008 Rauchen als Krankheit ein (zitiert nach http://www.focus.de/gesundheit/news/gesundheit-aerzte-wollen-rauchen-als-krankheit-einstufen-aid
    333485.html). Ähnliche Berichte sind aus den Zeitungen „…” und „…” im Internet nachweisbar.


    Erst Recht vermag der Beklagte mit seiner Argumentation hinsichtlich einer fehlenden Abstimmung der Therapie auf den einzelnen
    Patienten bzw. einer zu kurzen Behandlungsdauer nicht durchzudringen. Es gibt keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass nur
    besonders lange und teure Therapien erfolgreich sein könnten. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt,
    dass die Gruppengröße in der Gruppentherapie üblich sei und auch so bei anderen Formen der Gruppentherapie durchgeführt werde,
    deren Kosten von den Krankenkassen übernommen würden. Die diesbezüglichen Einwände des Beklagten kann der Senat daher nicht
    nachvollziehen. Unberücksichtigt gelassen hat der Beklagte auch die Expertise des B., der dem Raucherentwöhnungsprogramm des
    Klägers bescheinigt, inhaltlich systematisch theoriebasiert zu sein und alle Kriterien eines gruppentherapeutischen Interventionsprogrammes
    aufzuweisen. Das Gericht nimmt Bezug auf die in den Gerichtsakten enthaltene Expertise (Bl. 52 ff der Gerichtsakte). Die entsprechend
    fachkompetente Beurteilung durch den am Institut für Psychologie und klinische und Gesundheitspsychologie der Universität
    D. tätigen B. sieht das Gericht durch die seitens des Beklagten vorgebrachten Einwände nicht infrage gestellt.


    Der Vorwurf einer fehlenden Nachsorge wurde durch den Kläger mit entsprechendem E-Mail-Verkehr aber auch durch seinen Vortrag
    in der mündlichen Verhandlung eindeutig widerlegt. Nicht nachvollziehbar ist auch der Vorwurf des Beklagten, dass es an einem
    Leistungskonzept mangeln sollte. Im Gegenteil hat der Kläger die Ergebnisse seiner Evaluierung durch die F. GmbH (Umsatzsteuerakte
    Bd. II Bl. 4 bis 15) eingereicht, die eindrucksvoll das Gegenteil belegen. Die erzielte Erfolgsquote ist im Suchtbereich,
    auch wenn nur die Ergebnisse einer einzigen, allerdings breit angelegten Überprüfung vorliegen, dennoch als erstaunlich zu
    bezeichnen. Die mitumfasste homöopathische Behandlung stellt, da sie auf die Linderung der Symptome des Nikotinentzuges gerichtet
    ist, ebenfalls eine Heilbehandlung dar. Anders als der Beklagte in der mündlichen Verhandlung meinte, ist hierfür auch keine
    weitergehende ärztliche Verschreibung erforderlich, der Kläger ist vielmehr selbst als Heilpraktiker zugelassen.


    Es ist im Übrigen für den Senat nicht nachvollziehbar, warum der Therapieschwerpunkt – wie der Beklagte meint – lediglich
    in der Information und der Aufklärung über die Gefahren des Tabakkonsums liegen sollte, um hierdurch eine zukünftige Verhaltensänderung
    herbeizuführen. Die erzielte Erfolgsquote wäre hiermit schwerlich vereinbar, denn die Gefahren des Tabakkonsums sind allgemein
    und hinlänglich bekannt. Das Problem der meisten Raucher liegt aber gerade nicht in dem fehlenden Wissen um die Schädlichkeit
    des Tabakkonsums, sondern vielmehr in der suchtbedingten Unfähigkeit, das Rauchen ohne Hilfe aufzugeben. Gerade hieran zeigt
    sich der Krankheitswert der Tabakabhängigkeit. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung zudem eindrucksvoll geschildert,
    wie er mit jedem Patienten entsprechende Verhaltenstechniken bei Suchtsituationen, in denen der Drang zu einer Zigarette verstärkt
    auftritt, entwickelt und dass er grundsätzlich auch auf jeden Patienten individuell eingeht.


    Auch wenn der Klägervortrag nicht eindeutig macht, in welchem Umfang die Kursteilnehmer die Kosten durch Krankenkassen gefördert
    bekamen, bedarf es hierüber keiner weiteren Aufklärung. Die Frage der Abrechnung mit den Krankenkassen ist nach der zitierten
    Rechtsprechung ohnehin irrelevant.


    Die Revision war nicht zuzulassen, da der Fall weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch ein anderer Zulassungsgrund vorliegt.
    Insbesondere stell sich vorliegend nicht die Frage, ob die Voraussetzungen des § 4 Nr. 14 S. 1 UStG auch für eine Kursteilnahme
    ohne individuelle Diagnose einer krankheitsbedingten Störung zu bejahen sind, wie sie beim Urteil des FG Köln vom 08.03.2012
    10 K 2389/09 der Revisionszulassung zugrunde lag. Denn die entsprechende individuelle Diagnose steht beim Kläger nach den
    zuvor gegebenen Darlegungen nicht im Zweifel.


    Die Übertragung der Berechnung der Steuer auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 S. 2 FGO.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung – ZPO – i.V.m. 151 Absatz
    3, 155 FGO.

    VorschriftenUStG 2007 § 4 Nr. 14 S. 1 EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst.c

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