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  • · Fachbeitrag · Löhne und Gehälter

    Steuerliche Reisekostenreform (Teil 1): Alles Wichtige zur ersten Tätigkeitsstätte

    von RiFG Prof. Dr. Volker Kreft, Dipl.-Finw., Bielefeld

    | Mit der Reform des Reisekostenrechts wurden die bisherigen steuerlichen Bestimmungen mit Wirkung zum 1.1.14 umfassend umgestaltet. Kernbestandteil ist der neue Begriff „erste Tätigkeitsstätte“ in § 9 Abs. 4 EStG. Der Beitrag erläutert diese neue Begriffsbestimmung und seine steuerlichen Folgewirkungen unter Berücksichtigung des Einführungsschreibens des BMF (30.9.13, IV C 5 - S 2353/13/10004 , Abruf-Nr. 133156 ). |

    1. Begriff der ersten Tätigkeitsstätte

    Bis dato kommt es im steuerlichen Reisekostenrecht entscheidend auf den von der BFH-Rechtsprechung geprägten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte an. Ab 1.1.14 gibt der Gesetzgeber den nunmehr allein maßgeblichen Begriff der ersten Tätigkeitsstätte vor. Nach § 9 Abs. 4 S. 1 EStG ist erste Tätigkeitsstätte die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist.

     

    Fahrzeuge, Flugzeuge, Schiffe oder Tätigkeitsgebiete ohne ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind keine Tätigkeitsstätten i.S. des § 9 Abs. 4 S. 1 EStG. Das häusliche Arbeitszimmer des Arbeitnehmers ist nach Auffassung des BMF (a.a.O., Tz. 3) ebenfalls keine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers oder eines Dritten und kann daher auch zukünftig keine erste Tätigkeitsstätte sein.

     

    PRAXISHINWEISE |  

    Mit dieser erweiterten Begriffsfassung tritt insoweit eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage ein (vgl. z.B. BFH 13.6.12, VI R 47/11), als nunmehr auch die ortsfeste Einrichtung eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten (z.B. ein Kunde) einbezogen wird.

     

    Auch ab 2014 hat der Arbeitnehmer je Dienstverhältnis höchstens eine erste Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 4 S. 5 EStG).

     

     

    1.1 Arbeitsvertragliche Zuordnung

    Die Zuordnung erfolgt vorrangig anhand der dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden (mündlichen oder schriftlichen) Absprachen und Weisungen durch den Arbeitgeber (§ 9 Abs. 4 S. 2 EStG; 
BMF a.a.O., Tz. 2). Da die Zuordnungsentscheidung eindeutig sein muss, ist sie vom Arbeitgeber zu dokumentieren (BMF a.a.O., Tz. 10). In Betracht kommen hierfür z.B. Regelungen im Arbeits- oder Tarifvertrag, in Protokollnotizen, dienstrechtlichen Verfügungen oder Reisekostenabrechnungen. Ferner kommt auch der Ansatz eines geldwerten Vorteils für die Nutzung eines Dienstwagens für die Fahrten Wohnung/erste Tätigkeitsstätte infrage.

     

    Ob der Arbeitgeber bei der Zuordnung die konkrete Bezeichnung „erste Tätigkeitsstätte“ oder eine andere Bezeichnung wählt, ist dabei unerheblich (so Harder-Buschner und Schramm, NWB Beilage zu Heft 9/13, S. 5).

     

    PRAXISHINWEISE |

    Das Steuerrecht folgt hier dem Arbeitsrecht! Auf den qualitativen Schwerpunkt der beruflichen Tätigkeit kommt es in diesen Fällen nicht mehr an (Grune, AktStR 13, 201; so auch BMF a.a.O., Tz. 6 und 8). Eine Zuordnung, ohne dass der Arbeitnehmer in dieser Einrichtung tätig werden soll, wird jedoch nicht möglich sein (BMF a.a.O., Tz. 6).

     

    Gegebenenfalls kann durch eine geschickte arbeitsvertragliche Festlegung - bis zur Grenze des Missbrauchs - eine steuerlich günstige Konstellation für den Arbeitnehmer „gestaltet“ werden. Es ist allerdings damit zu rechnen, dass das FA insbesondere bei Gesellschafter-Geschäftsführern, Arbeitnehmer-Ehegatten und sonstigen, mitarbeitenden Familienangehörigen die getroffenen Vereinbarungen dahingehend prüfen wird, ob diese einem Fremdvergleich standhalten (vgl. hierzu BMF a.a.O., Tz. 9).

     

     

    1.2 Dauerhafte Zuordnung

    Die Zuordnung durch den Arbeitgeber zu einer Tätigkeitsstätte muss auf Dauer angelegt sein (BMF a.a.O., Tz. 13). Typische Fälle einer dauerhaften Zuordnung sind in § 9 Abs. 4 S. 3 EStG aufgeführt:

     

    • unbefristetes Tätigwerden,
    • Tätigwerden für die Dauer des Dienstverhältnisses,
    • Tätigkeit über einen Zeitraum von mehr als 48 Monaten.

     

    • Beispiel (BMF a.a.O., Tz. 14)

    A ist unbefristet beschäftigt. Für einen Zeitraum von 36 Monaten soll er überwiegend in der Filiale X arbeiten. In der Filiale Y soll er (voraussichtlich ein Mal pro Monat) nur an Teambesprechungen, Mitarbeiterschulungen und sonstigen Firmenveranstaltungen teilnehmen. Der Arbeitgeber hat A der Filiale Y arbeitsrechtlich dauerhaft zugeordnet.

     

    Erste Tätigkeitsstätte ist hier die Filiale Y, da A dort arbeitsrechtlich dauerhaft zugeordnet ist.

     

    Beachten Sie | Ordnet der Arbeitgeber nicht zu, liegt keine erste Tätigkeitsstätte vor: In der Filiale X soll A nicht dauerhaft tätig werden und in der Filiale Y nicht in dem nach § 9 Abs. 4 S. 4 EStG erforderlichen quantitativen Umfang (vgl. hierzu später unter 1.3).

     

     

    Für die Beurteilung, ob eine dauerhafte Zuordnung vorliegt, ist die auf die Zukunft gerichtete prognostische Betrachtung (Ex-ante-Betrachtung) maßgebend. Unvorhersehbare Ereignisse (wie Krankheit oder Insolvenz) haben keine Auswirkungen auf die Zuordnungsentscheidung in der Vergangenheit. Die Änderung einer Zuordnung durch den Arbeitgeber ist mit Wirkung für die Zukunft zu berücksichtigen (BMF a.a.O., Tz. 14).

     

    Für die gegebenenfalls zu beachtende 48-Monatsfrist ist der Tätigkeitsbeginn regelmäßig auch dann entscheidend, wenn er vor dem 1.1.14 liegt! Hat der Arbeitgeber zu Beginn der Tätigkeit keine oder keine eindeutige Prognose getroffen oder eine solche nicht dokumentiert, kann er dies bis spätestens zum 1.1.14 nachholen (BMF a.a.O., Tz. 24).

     

    Die gesetzliche Typisierung in § 9 Abs. 4 S. 3 EStG kann Einfluss auf die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte bei längerfristigen Einsätzen von Arbeitnehmern beim Kunden des Arbeitgebers oder in Outsourcing-Fällen haben. Leiharbeitnehmer, die regelmäßig keine erste Tätigkeitsstätte bei der Entleihfirma haben, können hiernach eine erste Tätigkeitsstätte beim Entleiher begründen, wenn sie „bis auf Weiteres“ (also unbefristet), für die gesamte Dauer des Leiharbeitsverhältnisses oder länger als 48 Monate in einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig werden sollen (BMF a.a.O., Tz. 19).

     

    Beachten Sie | Die anderslautende steuerzahlerfreundliche BFH-Rechtsprechung ist nach Ansicht des BMF (a.a.O., Tz. 19) überholt:

     

    1.3 Fehlende oder zweifelhafte arbeitsvertragliche Festlegung

    Für den Fall, dass eine dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte fehlt oder nicht eindeutig ist, hat der Gesetzgeber mit der Typisierung anhand verschiedener quantitativer Elemente „vorgesorgt“. Nach § 9 Abs. 4 S. 4 EStG ist erste Tätigkeitsstätte in diesen Fällen die betriebliche Einrichtung, an der der Arbeitnehmer

     

    • typischerweise arbeitstäglich oder
    • je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit dauerhaft tätig werden soll.

     

    Abzustellen ist dabei auf die eigentliche berufliche Tätigkeit. Allein ein regelmäßiges Aufsuchen der betrieblichen Einrichtung, z.B. um ein Kundendienstfahrzeug, Material, Auftragsbestätigungen, Stundenzettel, Krankmeldungen oder Ähnliches abzuholen oder abzugeben, führt hier noch nicht zu einer Qualifizierung der betrieblichen Einrichtung als erste Tätigkeitsstätte (BMF a.a.O., Tz. 26). Auch hierbei handelt es sich um eine Prognose.

     

    Beachten Sie | Bei der quantitativen Prüfung kommt es allein auf den Umfang der an der Tätigkeitsstätte zu leistenden arbeitsvertraglichen Arbeitszeit an (BMF a.a.O., Tz. 28 sowie Tz. 25 bis Tz. 27 mit Beispielen).

     

    1.4 Mehrere Tätigkeitsstätten

    Erfüllen mehrere Tätigkeitsstätten in einem Dienstverhältnis die quantitativen Kriterien für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte, kann der Arbeitgeber die erste Tätigkeitsstätte bestimmen (§ 9 Abs. 4 S. 6 EStG). Insoweit stellt das BMF (a.a.O., Tz. 30) klar, dass es sich dabei nicht um die Tätigkeitsstätte handeln muss, an der der Arbeitnehmer den zeitlich überwiegenden oder qualitativ bedeutsameren Teil seiner beruflichen Tätigkeit ausüben soll.

     

    • Beispiel

    Filialleiter A ist an drei Tagen in der Woche in einer Filiale seines Arbeitgebers in H und an zwei Tagen in der Woche in einer Filiale seines Arbeitgebers in S tätig.

     

    Der Arbeitgeber kann die Filiale in S zur ersten Tätigkeitsstätte bestimmen.

     

     

    Fehlt eine arbeitgeberseitige Festlegung, ist die der Wohnung des Arbeitnehmers örtlich am nächsten liegende Tätigkeitsstätte die erste Tätigkeitsstätte 
(§ 9 Abs. 4 S. 7 EStG). Die Fahrten zu weiter entfernt liegenden Tätigkeitsstätten werden als Auswärtstätigkeit qualifiziert (BMF a.a.O., Tz. 31).

     

    1.5 Erste Tätigkeitsstätte bei vollzeitigen Bildungsmaßnahmen

    Quasi rechtsprechungsbrechend hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 4 S. 8 EStG festgelegt, dass als erste Tätigkeitsstätte auch eine Bildungseinrichtung gilt, die außerhalb eines Dienstverhältnisses zum Zwecke eines Vollzeitstudiums oder einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme aufgesucht wird. Durch die Neuregelung ist die Rechtsprechung des BFH, wonach es sich bei vollzeitig besuchten Bildungseinrichtungen nicht um regelmäßige Arbeitsstätten handelt, damit überholt (vgl. BFH 9.2.12, VI R 42/11; VI R 44/10).

     

    Ein Vollzeitstudium oder eine vollzeitige Bildungsmaßnahme liegen insbesondere vor, wenn der Steuerpflichtige für einen Beruf ausgebildet wird und daneben entweder keiner Erwerbstätigkeit nachgeht oder während der gesamten Dauer des Studiums oder der Bildungsmaßnahme eine Erwerbstätigkeit mit durchschnittlich bis zu 20 Stunden regelmäßiger wöchentlicher Arbeitszeit oder in Form eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses i.S. der §§ 8 und 8a SGB IV ausübt (vgl. hierzu BMF a.a.O., Tz. 33).

    2. Arbeitnehmer ohne erste Tätigkeitsstätte

    In § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG hat der Gesetzgeber schließlich eine Fiktion aufgenommen, wonach die Entfernungspauschale auch ohne erste Tätigkeitsstätte relevant sein kann. Betroffen sind die Fälle, in denen der Arbeitnehmer aufgrund arbeitsvertraglicher Festlegungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort (Sammelpunkt) oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufsucht.

     

    Das BMF nennt als Beispiele für einen Sammelpunkt den Treffpunkt für einen betrieblichen Sammeltransport, das Busdepot und den Fährhafen. Kein Sammelpunkt liegt hingegen vor bei privat organisierten Fahrgemeinschaften 
(vgl. BMF a.a.O., Tz. 37 und Tz. 38).

     

    Um ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet handelt es sich dann, wenn die vertraglich vereinbarte Arbeitsleistung auf einer festgelegten Fläche und nicht innerhalb einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder bei einem vom Arbeitgeber bestimmten Dritten ausgeübt werden soll. Dies gilt insbesondere für Zusteller, Hafenarbeiter und Forstarbeiter (BMF a.a.O., Tz. 41).

     

    Beachten Sie | Bezirksleiter und Vertriebsmitarbeiter, die verschiedene Niederlassungen betreuen, sind von dieser Regelung ebenso wenig betroffen wie mobile Pflegekräfte und Schornsteinfeger.

     

    Für die Fahrten von der Wohnung zu dem Sammelpunkt bzw. zu dem Tätigkeitsgebiet findet nur die Entfernungspauschale Anwendung.

     

    Beachten Sie | Wird das weiträumige Tätigkeitsgebiet immer von verschiedenen Zugängen aus betreten oder befahren, ist die Entfernungspauschale nur für die kürzeste Entfernung von der Wohnung zum nächstgelegenen Zugang anzuwenden (BMF a.a.O., Tz. 42). Für alle Fahrten innerhalb des weiträumigen Tätigkeitsgebiets sowie für die zusätzlichen Kilometer bei den Fahrten von der Wohnung zu einem weiter entfernten Zugang können die tatsächlichen Aufwendungen oder der sich am Bundesreisekostengesetz orientierende maßgebliche pauschale Kilometersatz angesetzt werden (BMF a.a.O., Tz. 43).

     

    PRAXISHINWEIS | Auf die Berücksichtigung von Verpflegungspauschalen oder Übernachtungskosten hat die Festlegung als Sammelpunkt oder weiträumiges Tätigkeitsgebiet hingegen keinen Einfluss, da der Arbeitnehmer weiterhin auswärts beruflich tätig wird. Es wird nur die Anwendung der Entfernungspauschale für die Fahrtkosten von der Wohnung zu dem Sammelpunkt (bzw. zu dem nächstgelegen Zugang zum Tätigkeitsgebiet) sowie die Besteuerung eines geldwerten Vorteils bei der Dienstwagengestellung durch den Arbeitgeber nach § 8 Abs. 2 S. 3 und S. 4 EStG festgelegt und der steuerfreie Arbeitgeberersatz für diese Fahrten nach § 3 Nr. 13 oder Nr. 16 EStG ausgeschlossen (so BMF a.a.O., Tz. 39, Tz. 44).

     

    3. Fazit

    Trotz der vom Gesetzgeber beabsichtigten Vereinfachung wird das Reisekostenrecht gerade im Hinblick auf die erste Tätigkeitsstätte auch zukünftig eine konfliktträchtige Materie bleiben. So hat es der Gesetzgeber z.B. versäumt, die Begriffe des weiträumigen Tätigkeitsgebiets und des Zugangs dazu gesetzlich zu definieren.

     

    Mit dem Grundsatz Steuerrecht folgt Arbeitsrecht“ ergeben sich auf der anderen Seite auch Gestaltungsfreiräume bei der arbeitsvertraglichen Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte, die zugunsten der Arbeitnehmer genutzt werden können. In Zweifelsfällen sollte in der Praxis zunächst das BMF-Schreiben mit den zahlreichen Beispielen zur Hand genommen werden.

     

    Weiterführender Hinweis

    • In der Dezember-Ausgabe von MBP erscheint Teil 2 zur steuerlichen Reisekostenreform. Hier werden dann die weiteren Neuregelungen (z.B. zu den Verpflegungspauschalen) besprochen.
    Quelle: Ausgabe 11 / 2013 | Seite 194 | ID 42278077

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