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  • 06.12.2012 · IWW-Abrufnummer 123657

    Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 31.05.2012 – 1 K 272/10

    1. Zu den Voraussetzungen für die Annahme eines häuslichen Arbeitszimmers.

    2. Räumlichkeiten, die ihrer Ausstattung und Funktion nach nicht dem Typus eines Arbeitszimmers entsprechen, sind auch nicht deshalb als solches anzusehen, weil sie ihrer Lage nach mit den Wohnräumen des Stpfl. verbunden und damit in dessen häusliche Sphäre eingebunden sind.

    3. Ist ein sog. Kreativraum eines Künstlers für ein Arbeitszimmer atypisch eingerichtet und dient er nicht vorwiegend der Arbeitsnutzung durch den Stpfl. selbst, so können die Kosten hierfür in voller Höhe abgezogen werden.


    Niedersächsisches Finanzgericht v. 31.05.2012

    1 K 272 / 10

    Tatbestand

    Streitig ist, ob Aufwendungen für einen Kreativraum als Betriebsausgaben anzuerkennen sind.

    Der Kläger ist als selbstständiger Musiker, Arrangeur und Produzent tätig. Er wurde u. a. mit dem Künstlernamen „…” bekannt. Zum Zwecke der Berufsausübung unterhält der Kläger in seinem ansonsten privat genutzten Einfamilienhaus in A ein volleingerichtetes Tonstudio (künftig Tonstudio), einen Büro- und einen Archivraum.

    Daneben hat er seinem Betriebsvermögen einen Raum in einem ebenfalls ansonsten privat genutzten Gebäude in B zugeordnet (künftig Kreativraum). Die Grundfläche des Kreativraums macht mit 82,45 qm 42,2 % der Gesamtfläche des Erdgeschosses mit 195,21 qm aus. Der Raum befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes und nimmt annähernd den gesamten linken Flügel des Hauses ein. Er verfügt über drei Zugänge. Eine zweiflügelige Tür führt nach draußen, hierbei handelt es sich um einen Nebeneingang des Gebäudes. Eine weitere Tür führt in die Diele, in die man auch über den Haupteingang des Gebäudes gelangt. Eine Treppe führt vom Kreativraum ins Obergeschoss, an deren Ende befindet sich die dritte Tür. Bei einer Ortsbesichtigung … stellte der Beklagte fest, dass sich in dem Raum ca. 25 bis 30 Sitzgelegenheiten, überwiegend bequeme Sessel befinden, wobei eine Sitzgruppe zentral um den Kamin angeordnet ist und eine weitere einen Kreis in der rechten hinteren Ecke des Raumes bildet. Im vorderen Bereich stehen ein Sofa und verschiedene Stühle um einen Tisch herum. Ein mit schwarzem Leder bezogener Bürostuhl des Klägers befindet sich in der linken hinteren Ecke des Raumes hinter dem Keyboard und dem Laptop, die auf einem niedrigen Schreibtisch steht. Hinter dem Bürostuhl steht ein altes Klavier an der Wand.

    Im Rahmen einer vorangegangenen Außenprüfung erläuterte der Kläger, für seine Arbeit brauche er grundsätzlich Ideen und Kreativität. Voraussetzung dafür sei absolute Ruhe, Atmosphäre und einen Platz, um auch mit Kollegen Konzepte zu entwickeln und Ideen festzuhalten. Diese Voraussetzungen lägen in seinem Tonstudio nicht vor. Das Tonstudio sei durch Technik und Musikinstrumente nahezu ausgefüllt. Dort könne er nur alleine arbeiten. Mit seinem Kreativstudio biete er seit vielen Jahren statt kalter Studioatmosphäre eine spezielle Umgebung (…) mit absoluter Ruhe, Platz und einem besonderen Ambiente an. Hier würden Konzepte mit Produzenten und Leuten aus Plattenfirmen entwickelt, es gebe gemeinsame Autorentätigkeiten mit Kollegen und der Kläger könne in Ruhe seine Arrangements und Produktionen vorbereiten. Um Ideen, Inspiration und den Kopf freizubekommen, benötige er eine besondere Umgebung und einen besonderen Platz. Im Kreativraum habe er zahlreiche Projekte durchgeführt. Hierfür brauche er nur Notenpapier, manchmal ein Klavier und einen Rekorder. Im Bedarfsfall hätten seine Kollegen ihre Instrumente bzw. Laptops selbst mitgebracht. Teure Technik und große Bandmaschinen seien hierfür nicht unbedingt von Nöten. Zudem stehe ihm ein Tonstudio zur Verfügung, in dem die Musik perfekt und in hoher Qualität aufgenommen werde. Der Kreativraum stelle für ihn auch eine wichtige Werbemaßnahme dar. Beim Vorhalten des Kreativraums gehe es ihm einzig und allein darum, einen Platz zu haben bzw. anbieten zu können, der seine Arbeit und den Projekten förderlich sei und ihm dadurch helfe, seine Einnahmen zu sichern.

    In seiner Gewinnermittlung 2008 hatte der Kläger ebenfalls die auf den Kreativraum entfallenden Kosten als Betriebsausgaben angesetzt.

    Der Beklagte erkannte diese Aufwendungen nicht als Betriebsausgaben an und erhöhte den Gewinn daher um … €. Hiergegen legten der Kläger und seine Frau Einspruch ein. Der Kreativraum stelle notwendiges Betriebsvermögen dar, da er ausschließlich und unmittelbar für eigenbetriebliche Zwecke des Klägers genutzt würde und dazu auch bestimmt sei. Bei dem Kreativraum handele es sich um einen abgeschlossenen Gebäudeteil, der durch einen extra Eingang frei zugänglich sei. Bereits beim Kauf des Gebäudes sei dokumentiert worden, dass eine Nutzung zu rein betrieblichen Zwecken vorgesehen sei. Besondere Einbauten seien nicht erforderlich gewesen, weil durch die abgelegene Lage keine Störfaktoren zu erwarten gewesen und auch nicht aufgetreten seien.

    Mit Bescheid vom 1. Dezember 2010 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die für den Kreativraum angefallenen Kosten stellten nicht abzugsfähige Kosten der privaten Lebensführung gemäß § 12 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) dar. Vorliegend könne die tatsächliche Nutzung des Raumes nicht unmittelbar und zur hinreichenden Gewissheit festgestellt werden. Der Kreativraum sei wie ein Wohnraum eingerichtet. Eine betriebliche Nutzung des Raumes habe der Kläger lediglich behauptet, aber nicht nachgewiesen. Die Feststellungen im Außenprüfungs- und Einspruchsverfahren reichten nicht aus, um mit hinreichender Gewissheit von einer tatsächlichen betrieblichen Nutzung auszugehen. Einer solchen Annahme stehe insbesondere die Tatsache entgegen, dass ein volleingerichtetes Tonstudio an einem anderen Ort vorhanden sei.

    Selbst wenn eine betriebliche Mitbenutzung des Raumes angenommen werden könne, käme ein Abzug als Betriebsausgaben nicht in Betracht, denn bei „gemischten Aufwendungen” sei ein Betriebsausgabenabzug nur möglich, wenn sich der betriebliche Nutzungsanteil leicht und einwandfrei anhand von Unterlagen nach objektiven und nachprüfbaren Merkmalen von den nichtabziehbaren Kosten der Lebensführung trennen lasse. Dies sei hier nicht der Fall.

    Im Klageverfahren gehen die Beteiligten übereinstimmend davon aus, dass für den Kreativraum im Streitjahr Kosten in Höhe von … € angefallen sind.

    Der Kläger vertritt die Auffassung, der Kreativraum stelle Betriebsvermögen dar, die hierfür angefallenen Kosten seien als Betriebsausgaben anzuerkennen.

    Zwar sei zutreffend, dass der streitgegenständliche Raum mit zahlreichen bequemen Sesseln und weiteren Sitzgelegenheiten, einem großen Klavier und diversen dekorativen Elementen ausgestattet sei, gleichwohl werde er ausschließlich betrieblich genutzt. Der Kreativraum verfüge über einen eigenen Eingang und sei räumlich getrennt von den übrigen privaten Räumlichkeiten. Hier verrichte der Kläger die für seinen Beruf wesentlichen und prägenden Tätigkeiten.

    Der Kreativraum, der eingebunden in eine ländliche und ruhige Atmosphäre weitab von dörflichen oder städtischen Strukturen sei, stelle die „Kreativzelle” des Klägers dar. Für seine Arbeit mit Personen, mit denen er sich „in Klausur” begebe, benötige er Ruhe und Abgeschiedenheit. Neben Ruhe, Atmosphäre und Platz biete der Kreativraum auch die Möglichkeit, teilweise über Tage und Wochen hinweg Konzepte zu entwickeln und Ideen festzuhalten. Dies sei im Tonstudio nicht möglich. Dieses sei durch Technik und Musikinstrumente nahezu ausgefüllt. Der Kläger könne dort nur alleine arbeiten. Im Kreativraum erfolgten Produktions- und Arrangements-Besprechungen, „Brainstorming”, GEMA-Aufnahmen, Song-Auswahl, Vocal coaching, Kompositions- und Textskizzierungen sowie Cover-Gestaltung. Das Arrangement und die Song-Produktion der Musikstücke finde in der Regel unter Beteiligung des Klägers und zahlreicher Musiker und Komponisten statt. Für manche Arbeiten sei die gleichzeitige Anwesenheit von fünf bis zehn Beteiligten erforderlich, wobei die Arbeiten in der Regel mehrere Tage dauerten. Zur Umsetzung der im Kreativraum entwickelten Ideen könne der Kläger auf ein Klavier, ein Keyboard, seinen Rechner sowie mehrere Gitarren zurückgreifen, wobei sich sämtliche Geräte in dem Raum befänden. Zudem würden die beteiligten Musiker zum Teil ihre eigenen Instrumente und Verstärker mitbringen.

    Während des Klageverfahren reichte der Kläger eine Auflistung der von ihm bearbeiteten Werke der GEMA, eine Auflistung von Personen, die mit dem Kläger zusammen im Kreativraum tätig waren sowie eine Aufstellung über die konkrete Nutzung im Jahr 2008 unter Angabe von Datum, Dauer, ggf. bearbeitetem Projekt und anwesenden Personen ein.

    Entgegen der vom Beklagten geäußerten Zweifel seien alle aufgelisteten Tätigkeiten im Kreativraum betrieblicher Art. Der Pressetermin mit … incl. Fotozession und Interview sei beruflich veranlasst gewesen. Für den Kläger sei es zwingend notwendig, grundsolide Studioarbeit für Künstler vermarkten zu können. Aufgrund des Artikels in der … hätten sich viele Anrufe und Kontakte zu potentiellen Geschäftskunden ergeben. Soweit der Beklagte die Termine im Zusammenhang mit der Band „XXX” als privat betrachte, sei dies unzutreffend, der Kläger habe positive Einnahmen aus der Band „XXX” erzielt und diese immer versteuert. Die Anwesenheit eines Berufskollegen des Klägers aus der Band „TTT” am 24. August 2008 habe ebenso wenig der Nachbarschaftspflege gedient, wie die Besprechung mit Frau S und Herr W am 25. und 30. August 2008 bezüglich der Interneteinrichtung. Selbst wenn er alleine im Kreativraum anwesend gewesen sei, sei er dort seiner musikalischen Tätigkeit nachgegangen.

    Das Tonstudio mit einer Größe von nur knapp 15 qm nutze er ausschließlich für Tonaufnahmen. Entgegen der Auffassung des Beklagten entstünden die Musikprodukte nicht im Tonstudio, sondern im Kopf des Klägers bzw. der Musiker, mit denen der Kläger zusammen arbeite. Sie würden dann zu Papier gebracht bzw. eingespielt. Lediglich die Umsetzung der sodann fertigen Arbeitsergebnisse erfolge im Tonstudio. Die Arbeiten im Kreativraum stellten somit nicht lediglich vorbereitende Tätigkeiten dar. Im Gegenteil seien die Aufnahmen im Tonstudio letztlich nur die Umsetzung der im streitbefangenen Raum entwickelten Ideen.

    Bei dem Kreativraum handele es sich auch nicht um ein häusliches Arbeitszimmer, da kein Büroraum gegeben sei.

    Der Kläger und seine Ehefrau hätten ihre Freizeit nicht im Kreativraum, sondern im Wohnbereich des Hauses verbracht. Für private Wohnzwecke seien im Haus in B hinreichende weitere Räume vorhanden, nämlich Wohn- und Schlafräume nebst Küche und Essbereich sowie Feuerstellen. Der Wohnraum der Kläger sei mit einem großzügigen Esstisch ausgestattet und gehe ohne Zwischenwand in den Sitzbereich über, an dessen Seite sich ein gemütlicher Kaminofen befinde. Vom Wohnbereich aus ginge eine Treppe in das erste Stockwerk des Gebäudes, in dem sich weitere Wohnzwecken dienende Zimmer, nämlich Schlafzimmer und Badezimmer befänden, die in der Zeit von 2005 bis 2008 fertiggestellt worden seien.

    Selbst wenn von einer privaten Mitveranlassung auszugehen sei, müsse zumindest ein Teil der Aufwendungen als Betriebsausgaben berücksichtigt werden, da vorliegend eine Kostenaufteilung möglich und geboten wäre.

    Der Kläger beantragt,

    unter Änderung des Bescheids über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 2008 vom 28. Dezember 2009 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 1. Dezember 2010 weitere Betriebsausgaben in Höhe von … € bei den Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit anzuerkennen.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    In Ergänzung zu seinen Ausführungen im Einspruchsbescheid trägt er vor, bei den streitigen Raumkosten handele es sich um Aufwendungen für die Lebensführung. Die Raumkosten könnten nur dann als Betriebsausgaben berücksichtigt werden, wenn sie zumindest nahezu ausschließlich betrieblich veranlasst seien. Hiervon könne jedoch nicht ausgegangen werden. Die zahlreichen Sitzgelegenheiten, der große Kamin und die Dekoteller prägten den Raum nach Art und Umfang als Wohnzimmer. Da er vom übrigen Wohnbereich leicht zu erreichen sei, könne nach der Lebenserfahrung regelmäßig von einer nicht unerheblichen privaten Nutzung ausgegangen werden. Die ausführliche Darstellung der betrieblichen Nutzung belege nicht eine nahezu ausschließliche betriebliche Nutzung. Aufgrund der Anwendung des Aufteilungs- und Abzugsverbots scheide eine Berücksichtigung als Betriebsausgaben folglich insgesamt aus.

    Falls eine Aufteilung der Kosten dennoch in Betracht käme, wäre eine Schätzung im Verhältnis 50:50 vorzunehmen, denn der Kläger habe nicht dargestellt und belegt, wo er und seine Ehefrau ihre Freizeit im Jahr 2008 verbracht hätten. Zudem enthalte die vom Kläger eingereichte Aufstellung auch private Zeitanteile. Die Anwesenheit am 24. August hinge mit der … Jahr-Feier des Ortes B zusammen. Am 25. August und 30. August habe die Anwesenheit offenbar nicht zuletzt der Nachbarschaftspflege gedient. Die betriebliche Bedeutung der Fotozession und des Interviews mit der … am 24. September erscheine zweifelhaft. Für einige Tage habe der Kläger zudem keine betrieblichen Tätigkeiten angegeben. Soweit die Anwesenheit mit „XXX”-Konzerten zusammenhinge, sei dies als privat veranlasst einzustufen. Die Band, an der der Kläger mitwirke, mache unregelmäßig vor ausgewähltem Publikum Aufführungen.

    Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgehen wolle, dass die Anwesenheit zur … Jahrfeier, das Treffen mit den Nachbarn, das Zeitungsinterview und die „XXX”-Treffen insgesamt als betrieblich und nur die in der Zusammenstellung ohne weitere Erläuterung mit „anwesend” angegebenen Zeiten als Privatnutzung zu berücksichtigen wären, ergebe sich immer noch eine private Mitbenutzung in einem Umfang von etwa 15% der Gesamtnutzung.

    Zudem wären im Fall einer (teilweisen) Anerkennung der Raumkosten als Betriebsausgaben § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG zu beachten. Zwar stehe dem Kläger nach eigenem Bekunden kein anderer Arbeitsplatz für seine betriebliche Tätigkeit im Sinne einer angeblich zwingend erforderlichen „Kreativzelle” zur Verfügung. Die abziehbaren Aufwendungen seien aber auf 1.250 € zu begrenzen, da es sich um bei dem Kreativraum um ein „häusliches Arbeitszimmer” handele. Allein der Umstand, dass ein Musiker keinen typischen Büroberuf ausübe, könne nicht dazu führen, dass er hinsichtlich der Abzugsfähigkeit von in seiner häuslichen Sphäre entstandenen Raumkosten generell bessergestellt werde. Auch das Übungszimmer eines Musikers könne den häuslichen Arbeitszimmern zuzuordnen sein. Aufgrund der aus seinem speziellen Berufsbild resultierenden Bedürfnisse ergebe sich für ihn die Notwendigkeit, sein häusliches Arbeitszimmer nicht mit Regalen und einem Schreibtisch, sondern mit Instrumenten auszustatten. Wenn die tatsächliche Nutzung jedoch letztendlich mit der Nutzung eines häuslichen Büros durch Angehörige von Büroberufen vergleichbar sei, sei der Raum schon aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung als häusliches Arbeitszimmer zu qualifizieren. Eine derartige Vergleichbarkeit sei hier gegeben. Der Kreativraum diene der Entwicklung von Konzepten, wie der Festhaltung von Ideen. Hierbei handele es sich um gedankliche Arbeiten, wie sie für die Tätigkeit in einem häuslichen Arbeitszimmer typisch seien. Die dazu hauptsächlich vom Kläger benötigten Arbeitsmittel seien ein Keyboard und ein Laptop, die sich auf einem Schreibtisch mit Bürostuhl befänden. Der Kreativraum erweise sich damit auch von seiner unmittelbaren beruflichen Zwecken dienenden Ausstattung her, als für ein häusliches Arbeitszimmer nicht untypisch.

    Der Kreativraum stelle auch nicht den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Klägers dar. Der Kläger nehme die Aufzeichnungen seiner Arbeitsergebnisse im Tonstudio vor. Dort entstünden die letzten Endes vom Kläger gehandelten Produkte. Bei der vom Kläger im Kreativraum ausgeübten Tätigkeit handele es sich lediglich um Vorbereitungshandlungen.


    Gründe

    Die Klage ist begründet.

    Der Beklagte hat zu Unrecht die Kosten für den Kreativraum in Höhe von … € nicht als Betriebsausgaben anerkannt.

    I. Dem Abzug der Aufwendungen steht § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG nicht entgegen.

    Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1 EStG dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer den Gewinn nicht mindern. Dies gilt nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG dann nicht, wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesem Fall wird nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3 EStG die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 1.250 € begrenzt; die Beschränkung der Höhe nach gilt nicht, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet.

    Unter einem - im Gesetz selbst nicht definierten - häuslichen Arbeitszimmer ist ein in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebundener Raum zu verstehen, der nach Ausstattung und Funktion (vorwiegend) der Erledigung betrieblicher/beruflicher Arbeiten gedanklicher, schriftlicher oder verwaltungstechnischer Art dient (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 2011 VIII R 4/09, BFH/NV 2012, 200, vom 22. November 2006 X R 1/05, BFHE 216, 110, BStBl II 2007, 304; vom 20. November 2003 IV R 3/02, BFHE 205, 46, BStBl II 2005, 203; vom 28. August 2003 IV R 53/01, BFHE 203, 324, BStBl II 2004, 55; vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185). Dieser Nutzung entsprechend ist das häusliche Arbeitszimmer daher typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet, wobei der Schreibtisch regelmäßig - allerdings nicht zwingend - das zentrale Möbelstück darstellt (vgl. BFH-Urteile vom 20. November 2003 IV R 3/02, BFHE 205, 46, BStBl II 2005, 203 und vom 22. November 2006 X R 1/05, BFHE 216, 110, BStBl II 2007, 304). Ob ein beruflich genutzter Raum als häusliches - büroartiges - Arbeitszimmer anzusehen ist, lässt sich nicht allgemein entscheiden, sondern nur aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls ( BFH-Urteil vom 16. November 2002 XI R 89/00 , BFHE 201, 27, BStBl 2003 II S. 185 m.w.N.). Dabei sind die Grenzen zwischen dem Typus des Arbeitszimmers und dem der „häuslichen Betriebsstätte”, für den die Abzugsbeschränkung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nicht gilt, fließend; entscheidend ist das Gesamtbild (BFH-Urteile vom 19. September 2002 VI R 70/01, BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139 und vom 22. November 2006 X R 1/05, BFHE 216, 110, BStBl II 2007, 304).

    Beruflich genutzte Räume, die in die häusliche Sphäre des Steuerpflichtigen eingebunden sind, können ein betriebsstättenähnliches Gepräge erlangen durch ihre - für eine büromäßige Nutzung untypische - Ausstattung und eine damit zusammenhängende Funktionszuweisung. So können zum Beispiel technische Anlagen und Schallschutzmaßnahmen dem betreffenden Raum das Gepräge eines häuslichen Tonstudios geben (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185 und vom 28. August 2003 IV R 53/01, BFHE 203, 324, BStBl II 2004, 55). Auch eine als Behandlungsraum ausgestattete und über einen separaten Eingang für Patienten leicht zugängliche Notfallpraxis im selbstgenutzten Einfamilienhaus ist kein häusliches Arbeitszimmer (vgl. BFH-Urteile vom 5. Dezember 2002 IV R 7/01, BFHE 201, 166, BStBl II 2003, 463 und vom 20. November 2003 IV R 3/02, BFHE 205, 46, BStBl II 2005, 203), ebenso wenig ein dem Einlagern und Aufbewahren betrieblicher Bedarfsgegenstände gewidmetes und entsprechend eingerichtetes Warenlager (vgl. BFH-Urteil vom 22. November 2006 X R 1/05, BFHE 216, 110, BStBl II 2007, 304). Die Einbindung eines Büros in die häusliche Sphäre kann zudem aufgehoben bzw. überlagert werden, wenn die Büroeinheit auch von Dritten, nicht familienangehörigen oder haushaltszugehörigen Personen genutzt wird (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Juni 2011 VIII B 22/ 10 , BFH/NV 2011, 1682 und BFH-Urteil vom 9. November 2006 IV R 2/06, BFH/NV 2007, 677).

    Räumlichkeiten, die ihrer Ausstattung und Funktion nach nicht dem Typus eines Arbeitszimmers entsprechen, sind auch nicht deshalb als häusliches Arbeitszimmer anzusehen, weil sie ihrer Lage nach mit den Wohnräumen des Steuerpflichtigen verbunden und damit in dessen häusliche Sphäre eingebunden sind (BFH-Urteile vom 19. September 2002 VI R 70/01 , BFHE 200, 336, BStBl II 2003, 139; vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185; vom 26. Juni 2003 VI R 10 /02, BFH/NV 2003, 1560 und vom 22. November 2006 X R 1/05, BFHE 216, 110, BStBl II 2007, 304).

    Unter Zugrundelegung dieser Maßgaben ist der Kreativraum des Klägers nicht als häusliches Arbeitszimmer sondern als betriebsstättenähnlichen Raum im Wohnungsbereich zu beurteilen, denn er entspricht in seiner Ausstattung und Funktion nicht dem Typus eines häuslichen Arbeitszimmers.

    1. Eine büromäßige Einrichtung liegt nicht vor.

    So ist der Kreativraum nicht (überwiegend) mit Büromöbeln eingerichtet, sondern mit einer Vielzahl von Sitzmöglichkeiten. Zwar befinden auch ein niedriger Schreibtisch und ein Bürostuhl darin, diese stellen jedoch nicht die zentralen Möbelstücke dar. Vielmehr steht der Schreibtisch in der linken hinteren Ecke des Raumes und wird als Stellfläche für Keyboard und Laptop verwendet. Regale, Aktenschränke, Fax-Gerät o.ä. typischerweise in einem häuslichen Arbeitszimmer befindliche Gegenstände sind nicht vorhanden. Der Beklagte trägt selbst vor, dass der Kreativraum das Gepräge eines Wohnzimmers habe.

    Bei der Einordnung ist auch zu berücksichtigen, dass dem Kläger für die Erledigung typischer Büroarbeiten in seinem Einfamilienhaus in A ein Büroraum zur Verfügung steht.

    2. Der Kreativraum ist nach seiner Ausstattung auch nicht darauf ausgerichtet, vorwiegend eine Arbeitsnutzung durch den Kläger selbst zu ermöglichen.

    Die Einrichtung mit den vielen Sitzmöglichkeiten, die in verschiedene Sitzecken angeordnet sind, belegt, dass der Raum für eine Nutzung durch mehrere Personen ausgelegt ist. Hierfür spricht auch die Größe, die für ein normales Arbeitszimmer überdimensioniert erscheint. Tatsächlich hat der Kläger - ausweislich seiner insoweit glaubhaften und vom Beklagten nicht bestrittenen Aufstellung - auch nicht nur gelegentlich, sondern an 74 Tagen im Jahr 2008 jeweils über mehrere Stunden in dem Raum zusammen mit anderen Personen gearbeitet, alleine jedoch nur an 57 Tagen. Bei diesen Personen handelte es sich auch nicht um Familienangehörige, sondern um fremde Dritte. Der Senat sieht insoweit auch einen grundlegenden Unterschied zu den Fällen, in denen der Steuerpflichtige von Kunden oder Mandanten nur gelegentlich oder immer nur kurz zur Übergabe von Unterlagen oder zu Besprechung von Fällen aufgesucht wird. Vorliegend dauerten die gemeinsamen Arbeiten im Kreativraum immer mehrere Stunden, häufig 9 oder mehr. Bei einer derartigen Zusammenarbeit scheint auch das Vorhalten eines großen Raumes mit mehreren Sitzgruppen nachvollziehbar.

    II. Einem vollständigen Abzug der für den Kreativraum angefallenen Raumkosten als Betriebsausgaben steht auch § 12 Nr. 1 EStG nicht entgegen.

    Vorliegend kann offen bleiben, ob nach Aufgabe der Rechtsprechung zum Aufteilungs- und Abzugsverbot durch den Beschluss des Großen Senats (vom 21. September 2009 GrS 1/06, BFHE 227, 1, BStBl II 2010, 672 - zu Reisekosten) Raumkosten für einen betriebsstättenähnlichen Raum im Wohnbereich aufzuteilen sein können, wenn eine nicht völlig untergeordnete private Mitbenutzung vorliegt. Der Senat geht hier davon aus, dass einer privaten Mitveranlassung - falls sie denn überhaupt vorhanden war - nur eine völlig untergeordnete Bedeutung zukommt.

    1. Die ganz überwiegende berufliche Nutzung hat der Kläger durch die detaillierte und vom Beklagten nicht bestrittene Aufstellung der Geschäftsaktivitäten hinreichend glaubhaft gemacht.

    Dabei folgt der Senat dem Vorbringen des Klägers, dass Öffentlichkeitsarbeit und ein Internetauftritt der beruflichen Tätigkeit als Musiker zuzuordnen ist. Das Gericht konnte auch nicht feststellen, dass die Einnahmen im Zusammenhang mit der Band „XXX” nicht steuerlich erfasst wurden. Dem Vortrag des Klägers, diese Einnahmen seien versteuert worden, hat der Beklagte nicht widersprochen.

    Bezüglich der Tage, für die in der Aufstellung nur „anwesend” angegeben war, hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erläutert, auch insoweit seiner musikalischen Tätigkeit nachgegangen zu sein, ohne diese einem konkreten Projekt zuzuordnen bzw. zuzuordnen zu können. Nach Auffassung des Senates gehören auch derartige allgemeine Aktivitäten zum beruflichen Bereich.

    Angesichts des Umstandes, dass der Kläger einen Teil seiner beruflichen Tätigkeit im Tonstudio und im Büro in A erledigen konnte, gibt auch der tageweise Leerstand des Kreativraumes keinen Anlass an der ganz überwiegend beruflichen Nutzung zu zweifeln.

    2. Anhaltspunkte für eine private Nutzung des Kreativraumes liegen nicht vor.

    a. Insgesamt ist die bauliche Gestaltung des Gesamtgebäudes so gehalten, dass eine ausschließliche betriebliche Nutzung des Kreativraums möglich und naheliegend erscheint. Er verfügt über einen eigenen Eingang und ist zum privaten Bereich durch Türen abgegrenzt. Er wird nicht als Durchgangsraum benötigt, der private Bereich ist über den Haupteingang zu erreichen. Darüber hinaus ist der Kreativraum mit 82,45 qm für private Nutzungen recht groß.

    b. Der private Wohnbereich im Erdgeschoss mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad und Flur ist mit über 110 qm für einen Zweipersonenhaushalt auch hinreichend groß bemessen. Eine Mitnutzung des Kreativraums aufgrund von beengten Verhältnissen scheint eher fernliegend. Zudem standen dem Kläger und seiner Ehefrau auch noch das Obergeschoss, dessen endgültige Fertigstellung aber erst gegen Ende des Jahres 2008 erfolgte, sowie das Einfamilienhaus in A zur privaten Nutzung zur Verfügung.

    c. Die Einrichtung des Kreativraums spricht ebenfalls gegen eine nennenswerte private Mitbenutzung. Mit 25 - 30 Sitzgelegenheiten, überwiegend Sessel, ist der Raum für ein gemütliches Zusammensein unter Eheleuten eher unpassend. Zwar könnte er möglicherweise für Familientreffen und private Partys nutzbar sein. Dies dürfte vorliegend jedoch - falls überhaupt - nur an wenigen Tagen im Jahr der Fall gewesen sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Gebäude in B nicht um das einzige Wohnhaus des Klägers handelt und dass es recht abgeschieden liegt.

    d. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass dem Kläger in seinem Einfamilienhaus in A ein Tonstudio zur Verfügung steht. Er hat glaubhaft dargestellt, dass für bestimmte Bereiche seiner Tätigkeit das Tonstudio nicht ausreicht. Insbesondere in Hinblick auf die z.T. vielstündige Zusammenarbeit mit mehreren Künstlerkollegen liegt es auf der Hand, dass ein voll eingerichtetes Tonstudio mit ca. 15 qm Fläche hierfür nur eingeschränkt oder überhaupt nicht geeignet ist. Der Senat hält es auch für nachvollziehbar, dass gerade bei kreativem Arbeiten die Umgebung von ausschlaggebender Bedeutung sein kann.

    III. Die Steuerberechnung ist dem Beklagten nach § 100 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) übertragen worden.

    IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

    V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 1 und 3 FGO i.V.m. 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 4 Abs. 4 EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 1

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