23.08.2012
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 28.09.2011 – 8 K 558/08 (Kg)
1. Der volljährige Sohn ist ab dem Monat, in dem er sich während seines Zivildienstes erfolgreich um einen Studienplatz beworben hat, nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. c EStG berücksichtigungsfähig, auch wenn er das Studium aus studienorganisatorischen Gründen erst nach Beendigung des Zivildienstes antreten kann.
2. Muss ein Kind nach dem Schulabschluss länger als vier Monate auf den Beginn des Zivildienstes warten, ist es auch für die ersten vier Monate nicht nach § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG berücksichtigungsfähig. Das gilt auch dann, wenn das Kind die Wartezeit nicht beeinflussen kann
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 8. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … des Richters am Finanzgericht … des Richters am Sozialgericht … der ehrenamtlichen Richterin … des ehrenamtlichen Richters … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 28. September 2011
für Recht erkannt:
1. Der Bescheid vom 7. Januar 2008 und die Einspruchsentscheidung vom 17. März 2008 werden insoweit aufgehoben, als davon auch die Festsetzung von Kindergeld ab März 2008 umfasst wird. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
2. Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin zu 6/7 und dem Beklagten zu 1/7 auferlegt.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist Kindergeldberechtigte für ihren am 28. April 1988 geborenen Sohn C..
Der Sohn beendete seine Schulausbildung im Juli 2007. Mit Bescheiden vom 6. Februar 2007, 28. Juni 2007 und 11. Oktober 2007 wurde der Sohn über die Ableistung des Zivildienstes informiert und zum 02.01.2008 einberufen. Seit Oktober 2008 studiert der Sohn. Der Klägerin wurde deshalb ab Oktober 2008 Kindergeld gewährt. Streitig ist hier das Kindergeld für den Zeitraum ab 1. August 2007.
Nachdem die Klägerin im November 2007 der Familienkasse mitgeteilt hatte, dass ihr Sohn ab dem 2. Januar 2008 den Zivildienst beginnen werde (ursprünglich war der Termin auf den 3. März 2008 bestimmt worden), hob diese mit dem hier streitigen Bescheid vom 7. Januar 2008 die Festsetzung des Kindergeldes ab August 2007 auf und forderte 616 EUR bereits ausbezahltes Kindergeld zurück. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 17. März 2008).
Mit der vorliegenden Klage hatte die Klägerin zunächst geltend gemacht, dass der Sohn sich nicht arbeitslos gemeldet habe, weil er bereits über den anstehenden Zivildienst informiert gewesen sei und hernach ein Studium beginnen wollte. Sie habe sich gemeinsam mit ihrem Sohn um einen früheren Beginn des Zivildienstes bemüht. Dies sei ebenso wenig ausreichend gewürdigt worden wie die Tatsache, dass der Sohn im Anschluss an den Zivildienst studieren werde. Zumindest für die vier Monate sei der Anspruch auf Kindergeld weiter zu gewähren.
Der Prozessvertreter führte nachfolgend aus, dass es nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c) EStG für die Berücksichtigung des Kindes nicht erforderlich sei, dass dieses bei einem Arbeitsamt als Ausbildung suchend gemeldet sei (FG Bremen, Urteil vom 22. Februar 2008 4 K 96/07). Wie die Klägerin vorgetragen habe, sei der Sohn um einen vorzeitigen Beginn des Zivildienstes bemüht gewesen. Ein früherer Beginn habe nicht erreicht werden können. Dies liege jedoch außerhalb des Einflusses des Sohnes. In einer vergleichbaren Konstellation habe das FG Sachsen-Anhalt am 14. September 2010 entschieden, dass § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG nicht auf die Verantwortung des Kindes abstelle. Es werde angeregt, das Verfahren bis zur Entscheidung im Revisionsverfahren III R 68/10 ruhen zu lassen.
Der Zivildienst sei gleichzusetzen mit einem angestrebten Ausbildungsverhältnis, was den streitigen Übergangszeitraum betreffe. Der Sohn habe sich während des relevanten Zeitraums um einen Studienplatz beworben und an der Eignungsprüfung der B. Uni W. im Juni 2008 teilgenommen. Dies zeige, dass der Sohn nach Ableistung des Zivildienstes ausbildungswillig sei. Es stehe bereits fest, dass ein nächster Ausbildungsschritt folgen werde. Es liege eine Übergangszeit im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 2. Alt. EStG vor.
Die Klägerin beantragt, den Bescheid vom 7. Januar 2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 17. März 2008 aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Klage abzuweisen.
Ein Kindergeldanspruch bestehe zwischen dem Schulabschluss und dem Beginn des Zivildienstes nur dann, wenn der Zeitraum von vier Monaten nicht überschritten werde. Eine teilweise Beurteilung der Zeiträume sei nicht vorzunehmen. Auf die Gründe einer Fristüberschreitung komme es nicht an. Der Sohn habe bereits Ende Juni 2007 gewusst, dass der Viermonatszeitraum nicht eingehalten werden könne. Die Klägerin habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass sie einen früheren Beginn erreichen könne. Bei der Frist in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG handle es sich um eine generalisierende und pauschalierende Regelung (vgl. BFH vom 15.07.2003 VIII R 78/99 und vom 07.09.2005 III B 30/05 sowie BVerfG vom 20.12.1996 1 BvR 320/57 und vom 28. April 1999 1 BvL 22).
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die Akte der Familienkasse sowie auf den protokollierten Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Einzelrichter vom 13. September 2011 Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 16. August 2011 hat der 8. Senat des Sächsischen Finanzgerichts den vorliegenden Rechtsstreit gemäß §§ 5 Abs. 3 Satz 1, 6 Abs. 1 FGO dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Der Einzelrichter hat die Sache mit Beschluss vom 26. September 2011 auf den Senat zurück übertragen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne weitere mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I. Gegenstand der vorliegenden, auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide gerichteten Klage ist der Kindergeldanspruch der Klägerin für die Monate August 2007 bis März 2008. Bei einem nicht angefochtenen Aufhebungsbescheid über die Festsetzung von Kindergeld bestimmt sich der Streitzeitraum grundsätzlich danach, wann der die Sach- und Rechtslage regelnde Bescheid – hier vom 7. Januar 2008 – bestandskräftig geworden ist (BFH-Beschluss vom 15. April 2011 III B 200/10, BFH/NV 2011, 1291). Schließt sich ein Einspruchsverfahren an, erweitert sich der streitige Zeitraum bis zum Ablauf des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung – hier März 2008 –, weil nach § 44 FGO davon auszugehen ist, dass die Sach- und Rechtslage nicht nur für den Zeitraum bis zum Erlass des Aufhebungsbescheides, sondern darüber hinaus auch für die Zeit des Einspruchsverfahrens geprüft worden ist (vgl. u.a. FG Münster, Urteil vom 14. Dezember 2010 1 K 4131/07 (Kg), EFG 2011, 718 m.w.N.). Hiervon ausgehend ist die vorliegende Klage begründet, soweit die ablehnende Entscheidung der Familienkasse auch den Monat März 2008 umfasst. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
1. Für ein über 18 Jahre altes Kind, das wie der Sohn der Klägerin das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, besteht nach § 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) EStG auch dann ein Anspruch auf Kindergeld, wenn das Kind eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann und seine zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmten Einkünfte und Bezüge 7.680 EUR im Kalenderjahr nicht übersteigen. Nach dieser Vorschrift hat die Klägerin Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn ab März 2008, denn spätestens im März 2008 hatte sich dieser um den Erhalt des Studienplatzes beworben, konnte indes – was für die Anwendung der genannten Vorschrift reicht – das Studium aus studienorganisatorischen Gründen erst im Oktober 2008 beginnen. Die Einkünfte bzw. Bezüge übersteigen den Grenzbetrag nicht, denn nach den vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegten Unterlagen hatte der Sohn nur für die Dienstzeit vom 2. Januar bis 30. September 2008 einen Sold in Höhe von 4.599,72 EUR und ein Entlassungsgeld in Höhe von 690,24 EUR, danach keine weiteren Zahlungen mehr erhalten.
Der Umstand, dass der Sohn der Klägerin ab 2. Januar 2008 im Zivildienst war, steht dem Anspruch nicht entgegen. Zwar wird nach der gesetzlichen Regelung kein Kindergeld für die Zeit des gesetzlichen Grundwehr- oder auch des Zivildienstes gewährt; auch ist der Zivildienst selber i.d.R. nicht als Berufsausbildung anzusehen (BFH-Beschluss vom 17. Februar 2010, III B 64/09, BFH/NV 2010, 883).
Dies schließt es jedoch nicht aus, dass für die Zeit des Zivildienstes das Vorliegen eines anderen Begünstigungstatbestandes angenommen werden kann. So kann sich ein Kind auch neben dem Zivildienst in einer Berufsausbildung befinden, wenn es sich ernsthaft und nachhaltig um diese Ausbildung kümmert, ohne dass die Ausbildung das Kind in überwiegendem Maße in Anspruch nehmen muss (vgl. BFH – Urteil vom 14. Mai 2002 VIII R 61/01, BStBl II 2002, 807). Zwar liegt eine vergleichbare Entscheidung des BFH zu der hier vorliegenden Konstellation einer erfolgreichen Bewerbung um eine Ausbildungsstelle während des Zivildienstes noch nicht vor, es ist jedoch kein Grund erkennbar, weshalb der Begünstigungstatbestand nicht zur Anwendung kommen sollte (vgl. auch Selder in seinen Anmerkungen zum BFH-Urteil vom 20.05.2010 III R 4/10, wonach es möglich sei, dass ein Kind neben dem Zivildienst einen Tatbestand des § 32 Abs. 4 EStG erfülle). Nach der aktuellen Rechtsprechung des BFH soll eine Berücksichtigung des Kindes nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchstabe c) EStG nicht mehr daran scheitern, dass das Kind während der Wartezeit einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht (vgl. BFH-Urteile vom 21. Oktober 2010 III R 74/09, BFH/NV 2011, 250 und vom 17. Juni 2010, III R 34/09, BStBl II 2010, 982). Die insoweit entwickelten Grundsätze müssen auch für die Zeit des Zivildienstes gelten, denn auch wenn für die Zeit des Zivildienstes typischerweise unterstellt werden kann, dass es an einer Unterhaltssituation fehlt, darf dies nicht bereits beim Begünstigungstatbestand, sondern erst bei der Prüfung der schädlichen Einkünfte berücksichtigt werden. Der Klägerin steht damit für ihren Sohn nicht erst ab Oktober 2008 mit Beginn des Studiums, sondern bereits ab März 2008 wegen der Bewerbung und der im Juni 2008 erfolgreich von ihrem Sohn bestandenen Aufnahmeprüfung Kindergeld zu.
2. Nicht zu folgen vermag das Gericht der Klägerin bezüglich des von ihr geltend gemachten Anspruchs für die Monate August 2007 bis Februar 2008. Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b) EStG wird Kindergeld unter den o.g. weiteren Voraussetzungen u.a. auch dann gewährt, wenn sich das Kind in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes liegt. Ein Kind, das – wie hier – nach Beendigung der Schulzeit länger als vier Monate auf den Beginn des Zivildienstes wartet, kann für die Übergangszeit nicht berücksichtigt werden, sofern es nicht arbeitslos gemeldet ist (BFH-Urteil vom 24. August 2004 VIII R 101/03, BFH/NV 2005, 198). Nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b) EStG scheidet eine Berücksichtigung bei länger als vier Monate dauernder Wartezeit aus, auch wenn das Kind die Wartezeit nicht beeinflussen kann.
Da die Ableistung des Zivildienstes keine Ausbildung ist, kommt auch eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe c) EStG nicht in Betracht. Es liegt insoweit keine planwidrige Regelungslücke vor, so dass auch eine analoge Anwendung ausscheidet (vgl. BFH-Urteil vom 16. März 2004 VIII R 86/02, BFH/NV 2004, 1242). Aus der von dem Prozessbevollmächtigten herangezogenen Entscheidung des FG Sachsen – Anhalt in seinem Urteil vom 14. September 2010 4 K 300/08, EFG 2011, 345 ergibt sich nichts anderes.
II. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
III. Der Senat hat im Einvernehmen mit den Beteiligten die Revision zugelassen, weil zu der Frage der Übergangszeit im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe b) EStG bereits eine Vielzahl von Verfahren beim BFH (u.a. auch wegen des vom Prozessbevollmächtigten genannten Urteils des FG Sachsen-Anhalt unter III R 68/10) anhängig sind.