07.05.2013
Finanzgericht München: Urteil vom 24.01.2012 – 13 K 543/10
1. Hat ein Arbeitnehmer ein
Arbeitsverhältnis einvernehmlich mit dem Arbeitgeber im Jahr 2003 in ein bis
2008 laufendes Altersteilzeitarbeitsverhältnis abgeändert und wurde ihm
entsprechend der 2003 vereinbarten (tarif-) vertraglichen Regelungen erst im
Jahr 2008 eine Abfindung ausgezahlt, konnte er für diese Abfindung den durch
das Gesetz zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm v. 22.12.2005 (BGBl
I 2005, 3682; BStBl I 2006, 79) mit Wirkung zum 1. Januar 2006 ersatzlos
aufgehobenen Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG nicht mehr in Anspruch nehmen. In
der Nichtgewährung des Freibetrages nach § 3 Nr. 9 EStG für die dem Kläger in
2008 zugeflossene Abfindung liegt keine Verletzung der verfassungsrechtlichen
Grundsätze des Vertrauensschutzes. Das Vertrauen des Arbeitnehmers darauf, dass
im Zeitpunkt der Auszahlung der Abfindung noch der Freibetrag nach § 3 Nr. 9
EStG a. F. zur Anwendung kommen werde, ist nicht von Verfassungs wegen
geschützt.
2. Auch die stichtagsbezogene
Übergangsregelung des § 52 Abs. 4a S. 1 EStG, wonach § 3 Nr. 9 EStG a. F. für
vor dem 1.1.2006 abgeschlossene Vereinbarungen unter der Einschränkung weiter
galt, dass die Auszahlung der Abfindung vor dem 1.1.2008 erfolgen musste, ist
nicht verfassungswidrig; es liegt insoweit keine das Willkürverbot verletzende
Ungleichbehandlung eines Arbeitnehmers, der die Abfindung erst nach dem
1.1.2008 erhalten hat, gegenüber Arbeitnehmern, denen vor dem 1.1.2008 eine
Abfindung zugeflossen ist, vor.
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In der Streitsache
hat der 13. Senat des Finanzgerichts München durch den
Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, die Richterin am Finanzgericht
… und die Richterin am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen
Richter … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 24. Januar 2012
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
3. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger wurde im Streitjahr 2008
von dem Beklagten – dem Finanzamt – mit Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit, aus Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung
sowie mit sonstigen Einkünften aufgrund einer Leibrente zur Einkommensteuer
(ESt) veranlagt.
Der 19[…] geborene Kläger
war seit 19[…] bei der D. GmbH (GmbH) – zuletzt seit dem 1.
November 1993 aufgrund Arbeitsvertrages vom […] 1993 als Senior
Ingenieur – beschäftigt und erzielte aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus
nichtselbständiger Arbeit. Mit Vertrag vom […] 2003 wurde das
Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen der Vertragsparteien abgeändert
und ab dem 1. Juli 2003 bis zum 30. Juni 2008 als
Altersteilzeitarbeitsverhältnis fortgeführt. Nach § 1 des Vertrages vom
[…] 2003 bestimmte sich das Altersteilzeitarbeitsverhältnis nach dem
„Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit […]”
(Altersteilzeit-TV/FST) vom […] 2000 in der jeweils gültigen Fassung.
Dieser galt gem. § 1 für alle unter den räumlichen und persönlichen
Geltungsbereich des Manteltarifvertrages fallenden Ingenieure und Techniker,
die im Bereich der Technik 15 Jahre im Wechselschichtdienst tätig gewesen sind,
davon in den letzten 10 Jahren mindestens fünf Jahre. § 5 Abs. 5 des
Altersteilzeit-TV/FST sah für diejenigen Mitarbeiter, die nach Inanspruchnahme
der Altersteilzeit eine Rentenkürzung wegen einer vorzeitigen Inanspruchnahme
der Rente zu erwarten haben, je 0,3 v.H. Rentenminderung eine bei Beendigung
des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses auszuzahlende Abfindung vor in Höhe von
5 v.H. der Vergütung, die ihnen im letzten Monat vor Beendigung bei
Beschäftigung mit der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zugestanden hätte.
Aufgrund dieser Regelung erhielt
der Kläger von der GmbH im Juli 2008 eine Abfindung in Höhe von […] EUR,
die von der GmbH in voller Höhe dem Lohnsteuerabzug unterworfen wurde. In
seiner am 26. März 2009 beim FA eingegangenen ESt-Erklärung für 2008 beantragte
der Kläger die Gewährung eines Steuerfreibetrages für die Abfindung in Höhe von
11.000 EUR. Dies lehnte das FA im ESt-Bescheid für 2008 vom 16. April 2009 ab
mit der Begründung, dass die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 9
Einkommensteuergesetz (EStG) a.F. weggefallen sei und § 3a EStG ebenfalls nicht
zuträfe.
Hiergegen legte der Kläger
Einspruch ein, den er – außer mit dem Vorliegen zusätzlicher
Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von
[…] EUR – damit begründete, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Altersteilzeitvertrages und der Vereinbarung der Abfindung mit Auszahlung in
2008 ein Freibetrag für die Abfindung gemäß § 3 Nr. 9 EStG a.F. bestanden habe.
Die Voraussetzungen des § 3 Nr. 9 EStG a.F. hätten vorgelegen. Die gesetzliche
Übergangsregelung, bei der es für vor dem 31. Dezember 2005 abgeschlossene
Vereinbarungen nur unter der Einschränkung, dass die Auszahlung der Abfindung
vor dem 1. Januar 2008 erfolgen müsse, bei der alten Rechtslage geblieben sei,
verletze den Bestandsschutz. Es sei ihm, dem Kläger, aus vertraglichen Gründen
nicht möglich gewesen, vom Arbeitgeber die Auszahlung der Abfindung vorzeitig
zu fordern. Der vom Gesetzgeber festgesetzte Zeitpunkt der Auszahlung sei nicht
nachvollziehbar und willkürlich gewählt. Eine mögliche Langfristigkeit von
Verträgen hätte berücksichtigt werden müssen.
Während des Einspruchsverfahrens
wurde die ESt zunächst mit Änderungsbescheid vom 2. Juni 2009 aufgrund der
Berücksichtigung zusätzlicher Werbungskosten i.H.v. […] EUR bei den
Einkünften aus Vermietung und Verpachtung auf 11.633 EUR herabgesetzt; mit
weiterem Änderungsbescheid vom 30. Dezember 2009 wurde die Abfindung von
[…] EUR der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG unterworfen und
die ESt auf 11.351 EUR festgesetzt. Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg
(Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 2010). Zur Begründung verwies das FA
darauf, dass die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung des § 52 Abs. 4a
S. 1 EStG nicht erfüllt seien.
Hiergegen richtet sich die Klage,
mit dem der Kläger weiterhin begehrt, dass ein Anteil der Abfindung i.H.v.
11.000 EUR steuerfrei gestellt wird. Zur Begründung seines Begehrens verweist
der Kläger auf seine diesbezüglichen Ausführungen im Einspruchsverfahren und
trägt nochmals vor, die vom Gesetzgeber geschaffene Übergangsfrist sei
willkürlich und trage dem Umstand, dass Altersteilzeitverträge in der Regel
eine längerer Vertragslaufzeit umfassten, nicht Rechnung.
Der Kläger
beantragt,
den Einkommensteuerbescheid für
2008 vom 30. Dezember 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Januar
2010 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit
um 11.000 EUR vermindert sowie der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG
unterliegende Einkünfte in Höhe von 1.061,50 EUR berücksichtigt werden und die
Einkommensteuer entsprechend festgesetzt wird; hilfsweise die Zulassung der
Revision.
Das Finanzamt
beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist es auf die
Einspruchsentscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des
Sachverhaltes und des rechtlichen Vortrags der Beteiligten wird auf die
eingereichten und ausgetauschten Schriftsätze, die Akten sowie die
Sitzungsniederschrift verwiesen.
II.
Die Klage ist unbegründet. Das FA
hat die Gewährung eines Freibetrages nach § 3 Nr. 9 EStG in der bis zum 31.
Dezember 2005 geltenden Fassung i.H.v. 11.000 EUR auf die dem Kläger im Juli
2008 zugeflossene Abfindung zu Recht abgelehnt.
1. Nach § 3 Nr. 9 EStG in der bis
zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung (a.F.) waren Abfindungen wegen einer
vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des
Dienstverhältnisses bis zu einer bestimmten Höhe, abhängig vom Lebensalter der
Steuerpflichtigen und von der Dauer der Beschäftigung, von der ESt befreit. Hat
– wie im Fall des Klägers bei Vereinbarung des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses im Mai 2003 – der Arbeitnehmer das 55.
Lebensjahr vollendet und hat das Dienstverhältnis mindestens 20 Jahre
bestanden, betrug der maßgebliche Höchstbetrag 11.000 EUR.
Mit dem Gesetz zum Einstieg in ein
steuerliches Sofortprogramm vom 22. Dezember 2005 (BGBl. I 2005, 3682; BStBl I
2006, 79) ist die Vergünstigung des § 3 Nr. 9 EStG mit Wirkung zum 1. Januar
2006 ersatzlos aufgehoben worden. Nach der gleichzeitig getroffenen
Übergangsregelung des § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG ist § 3 Nr. 9 EStG in der bis
zum 31. Dezember 2005 geltenden Fassung weiter anzuwenden für vor dem 1. Januar
2006 entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer auf Abfindungen oder für
Abfindungen wegen einer vor dem 1. Januar 2006 getroffenen Gerichtsentscheidung
oder einer am 31. Dezember 2005 anhängigen Klage, soweit die Abfindungen dem
Arbeitnehmer vor dem 1. Januar 2008 zufließen.
Demnach ist dem Kläger der
Freibetrag des § 3 Nr. 9 EStG a.F. – unabhängig davon, ob die weiteren
tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift („wegen einer vom
Arbeitgeber veranlassten Auflösung des Dienstverhältnisses”) vorlagen
– schon deshalb nicht zu gewähren, weil ihm die Abfindung erst im Juli
2008 und damit nach dem 1. Januar 2008 zugeflossen ist.
2. In der Nichtgewährung des
Freibetrages nach § 3 Nr. 9 EStG für die dem Kläger zugeflossene Abfindung
liegt keine Verletzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze des
Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG;
vgl. Bundesfinanzhof BFH-Beschluss vom 2. November 2010 I B 71/10, BFH/NV 2011,
849). Das Vertrauen des Klägers darauf, dass im Zeitpunkt der Auszahlung der
Abfindung noch der Freibetrag nach § 3 Nr. 9 EStG a.F. zur Anwendung kommen
werde, ist nicht von Verfassungs wegen geschützt.
2.1. Das Bundesverfassungsgericht
(BVerfG) hat in seinen Beschlüssen vom 7. Juli 2010 2 BvL 14/02, 2/04, 13/05
(BVerfGE 127, 1, unter C.II.1.) und 2 BvL 1/03, 57/06, 58/06 (BVerfGE 127, 31,
unter C.I.1.) bzw. 2 BvR 748/05, 753/05, 1738/05 (BVerfGE 127, 61 unter B.I.1.)
an seiner früheren Rechtsprechung zum grundrechtlich und rechtsstaatlich
begründeten Rückwirkungsverbot und zu den Grundsätzen des Vertrauensschutzes
festgehalten (BFH-Urteil vom 15. September 2010 X R 55/03, BFH/NV 2011, 231).
Danach beruht das grundsätzliche
Verbot rückwirkender belastender Gesetze auf den Prinzipien der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Es schützt das Vertrauen in die
Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des GG geschaffenen
Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BFH in BFH/NV
2011, 231 unter Bezug auf die BVerfG-Entscheidungen vom 8. Juni 1977 2 BvR
499/74, 1042/75, BVerfGE 45, 142, 167 f. und vom 23. November 1999 1 BvF 1/94,
BVerfGE 101, 239, 262). „Echte” Rückwirkungen, bei denen die
Rechtsfolge einer Rechtsnorm mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt
ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll
(„Rückbewirkung von Rechtsfolgen”), sind daher grundsätzlich
unzulässig (BVerfG in BVerfGE 127, 1, 16; 127, 61, 75; 127, 31, 46; jeweils
m.w.N.; BFH in BFH/NV 2011, 231). Einen größeren Spielraum besitzt der
Gesetzgeber dagegen im Fall der „unechten” Rückwirkung. Diese
liegt vor, soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung
eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt
ausgelöst werden „tatbestandliche Rückanknüpfung”) (BVerfG in
BVerfGE 127, 1, 17; 127, 31, 47; 127, 61, 76). Eine solche unechte Rückwirkung
ist nicht grundsätzlich unzulässig; der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz
geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu
bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten,
genießt die bloße allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig
unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz
(BVerfG a.a.O.; BFH-Beschluss vom 14. März 2011 I R 95/04, BFH/NV 2011, 1192)
Der Gesetzgeber muss aber, soweit
er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem
verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung
tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden,
und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind
abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen
und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur
Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer
Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht
und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze
der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (BVerfG in BVerfGE 127, 1, 18; 127, 31, 48;
127, 61, 76 f.; BFH in BFH/NV 2011, 1192).
2.2. Im Streitfall liegt eine sog.
unechte Rückwirkung vor. Denn die Aufhebung des § 3 Nr. 9 EStG a.F. i.V.m. der
Übergangsregelung des § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG durch das Gesetz zum Einstieg in
ein steuerliches Sofortprogramm vom 22. Dezember 2005 wurde mit
Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt am 30. Dezember 2005 verkündet und ist
zum 1. Januar 2006 in Kraft getreten (Art. 2 des Gesetzes zum Einstieg in ein
steuerliches Sofortprogramm). Dies führte zu einer unechten Rückwirkung in
allen Fällen, in denen – wie im Fall des Klägers – die Abfindung
vor der Verkündung vereinbart worden ist und nicht bereits bis Ende des Jahres
2005 zugeflossen war.
2.3. Die in diesem Fall gebotene
Abwägung ergibt, dass das Vertrauen des Klägers, im Zeitpunkt der Auszahlung
der Abfindung im Jahr 2008 würden noch die Freibeträge des § 3 Nr. 9 EStG a.F.
gelten, durch Aufhebung des § 3 Nr. 9 EStG a.F. i.V.m. § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG
nicht in verfassungswidriger Weise verletzt worden ist.
2.3.1. Dabei ist im Rahmen der
vorzunehmenden Abwägung auf Seiten des Klägers die nach der Rechtsprechung des
BVerfG (in BVerfGE 127, 31, 51, 53, 56 f.) geringere Intensität der
Schutzwürdigkeit des Vertrauens bei Sachverhalten, die sich über mehrere
Veranlagungszeiträume erstrecken, zu beachten. Nach dieser – zur
Einführung der sog. Fünftelregelung in § 34 Abs. 1 EStG durch das
Steuerentlastungsgesetz (StEntlG) 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 für
Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG ergangenen –
Rechtsprechung muss der Steuerpflichtige umso eher mit etwaigen
Rechtsänderungen rechnen und gegebenenfalls selbst durch Vereinbarung
entsprechender Anpassungsklauseln Vorsorge tragen, je größer der zeitliche
Abstand zwischen dem Abschluss der Entschädigungsvereinbarung und dem
vorgesehenen Auszahlungstermin war. Daher widersprach die Beschränkung der
steuerlichen Entlastung von Entschädigungen für entgangene oder entgehende
Einnahmen i.S. des § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG durch § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des
StEntlG 1999/2000/2002 mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1999 nach dem
Beschluss des BVerfG in BVerfGE 127, 31 nur dann den Grundsätzen des
verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes, wenn die Entschädigungen im Jahr
1998, aber noch vor der Einbringung der Neuregelung in den Deutschen Bundestag
am 9. November 1998 verbindlich vereinbart und im Jahr 1999 ausgezahlt wurden,
oder – unabhängig vom Zeitpunkt der Vereinbarung – noch vor der
Verkündung der Neuregelung am 31. März 1999 ausgezahlt wurden. In allen anderen
Fällen, also auch im Fall der Vereinbarung vor 1998 ohne Zufluss der
Entschädigung vor Verkündung der Neuregelung, war die Einbeziehung bereits
bestehender Entschädigungsvereinbarungen in die Neuregelung
verfassungsrechtlich dagegen nach Auffassung des BVerfG in der genannten
Entscheidung nicht zu beanstanden. Denn es mag für die Vereinbarung auch
solcher längerfristigen Zeiträume für die Beteiligten zwar gute Gründe geben;
es liegt dann aber ferner, auf den Fortbestand des geltenden Steuerrechts zu
vertrauen, und näher, mit vertraglichen Klauseln auch die Verteilung des
Risikos künftiger Steuerverschärfungen zu regeln (BVerfG in BVerfGE 127, 31,
51). Entscheidend ist für diese verminderte Schutzwürdigkeit einer bereits im
Jahr 1997 (oder eher) getroffenen Vereinbarung ist dabei der Umstand, dass
zwischen Vereinbarung und Auszahlung zwei (oder mehr)
Veranlagungszeitraumwechsel liegen. Über mehr als einen
Veranlagungszeitraumwechsel kann aber weniger vertraut werden, denn
typischerweise ändert der Gesetzgeber das Einkommensteuerrecht – dem
Periodizitätsprinzip entsprechend – veranlagungszeitraumbezogen (BVerfG
in BVerfGE 127, 31, 53). Liegt ein Fall derart verminderter Schutzwürdigkeit
des Vertrauens vor, bedarf es nach den Entscheidungsgründen des BVerfG in
BVerfGE 127, 31, 51 ff. – im Gegensatz zum Fall einer im
Veranlagungszeitraum vor Inkrafttreten der Neuregelung und vor Einbringung der
Neuregelung in den Bundstag abgeschlossenen Entschädigungsvereinbarung –
keiner Untersuchung der vom Gesetzgeber im Einzelnen mit der gesetzlichen
Neuregelung verfolgten Ziele, um davon ausgehen zu können, dass die legitimen
Änderungsinteressen des Gesetzgebers zur Rechtfertigung einer Enttäuschung des
im Zeitpunkt des Abschlusses der Entschädigungsvereinbarungen bestehenden
Vertrauens in den künftigen Fortbestand des Rechts ausreichen.
2.3.2. Dieser Rechtsgedanke ist
auch auf die im Streitfall vorliegende Vereinbarung einer Abfindung zu
übertragen. Der auf die tarifvertragliche Abfindungsregelung des
Altersteilzeit-TV/FEST Bezug nehmende Vertrag über das
Altersteilzeitarbeitsverhältnis des Klägers wurde bereits im Jahr 2003
geschlossen, während die Abfindung erst in 2008 und damit nach Verkündung der
Neuregelung am 22. Dezember 2005 erfolgte. Zwischen der Abfindungsvereinbarung
und der Auszahlung im Jahr 2008 lag damit weit mehr als ein
Veranlagungszeitraumwechsel. Dies führt nach den dargelegten Grundsätzen dazu,
dass ein etwaiges Vertrauen des Klägers in die unveränderte Weitergeltung und
Anwendung des § 3 Nr. 9 EStG a.F. auf die an ihn im Jahr 2008 zur Auszahlung
kommende Abfindung nur in geringerem Maße schutzwürdig ist. Dem kann nicht
entgegengehalten werden, dass die im Streitfall zur Anwendung kommende
Abfindungsregelung in einem Tarifvertrag enthalten war. Dies schließt die von
der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG vorausgesetzte grundsätzliche
rechtliche Möglichkeit des Steuerpflichtigen, vertragliche Anpassungsklauseln
zu vereinbaren, nicht aus. Denn auch wenn der Kläger zum Kreis der
tarifgebundenen Arbeitnehmer zählen sollte (vgl. § 1 des Altersteilzeit-TV/FST)
und damit der Bezugnahme auf den Alterteilzeit-TV/FST im Vertrag vom […]
2003 nur deklaratorische Wirkung zukäme, kann gem. § 4 Abs. 3
Tarifvertragsgesetz von den Rechtsnormen des Tarifvertrags zugunsten des
Arbeitnehmers durch Einzelarbeitsvertrag abgewichen werden.
Auf dieser Grundlage ist davon
auszugehen, dass im Streitfall das grundsätzlich legitime Änderungsinteresse
des Gesetzgebers ausreicht, um die Enttäuschung des im Zeitpunkt des
Abschlusses des Altersteilzeitarbeitsvertrages bestehenden Vertrauens des
Klägers in den künftigen Fortbestand der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 9 EStG
a.F. zu rechtfertigen.
3. Auch gegen die in der
Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG getroffene Stichtagsregelung,
wonach die Auszahlung der Abfindung vor dem 1. Januar 2008 erfolgen muss, damit
§ 3 Nr. 9 EStG a.F. auf vor dem 1. Januar 2006 entstandene Ansprüche weiterhin
zur Anwendung kommt, bestehen entgegen der Auffassung des Klägers keine
verfassungsrechtlichen Bedenken. Es liegt insoweit keine das Willkürverbot
verletzende Ungleichbehandlung des Klägers, der die Abfindung erst nach dem 1.
Januar 2008 erhalten hat, gegenüber Arbeitnehmern, denen vor dem 1. Januar 2008
eine Abfindung zugeflossen ist, vor.
3.1. Ungleichheiten, die durch
kraft Gesetzes vorgegebene Stichtagslösungen entstehen, müssen hingenommen
werden, wenn die Einführung eines Stichtages notwendig und die Wahl des
Zeitpunktes, orientiert am gegebenen Sachverhalt, sachlich vertretbar ist
(Beschluss des BVerfG vom 8. April 1987, 1 BvR 564, 684,877,886,1636,1711/84,
BVerfGE 75, 78, 106 m.w.N.). Bei der Ausgestaltung der Übergangsregelung steht
dem Gesetzgeber allerdings ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung.
Zwischen der sofortigen, übergangslosen Inkraftsetzung des neuen Rechts und dem
ungeschmälerten Fortbestand begründeter subjektiver Rechtspositionen sind
vielfache Abstufungen denkbar. Der Nachprüfung durch die Gerichte unterliegt
nur, ob der Gesetzgeber bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des
Eingriffs einerseits und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn
rechtfertigenden Gründe andererseits unter Berücksichtigung aller Umstände die
Grenze der Zumutbarkeit überschritten hat (BVerfG-Beschlüsse vom 30. September
1987 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256, 359 f.; vom 8. Juni 1988 2 BvL 9/85 und
3/86, BVerfGE 78, 249, 285; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht-Urteil vom 11.
Mai 2006 5 C 10/05, BVerwGE 126, 33).
3.2. Im Streitfall ist die
getroffene Übergangsregelung nicht zu beanstanden. Davon geht auch das BVerfG
in seinem Beschluss in BVerfGE 127, 31, 55 ausdrücklich aus.
Dem folgt der Senat auf der
Grundlage des dargestellten Maßstabs aufgrund folgender Erwägungen:
Im Rahmen der vorzunehmenden
Abwägung ist einerseits zu berücksichtigen, dass mit der Abschaffung der
Vergünstigung des § 3 Nr. 9 EStG a.F. nicht in schwerwiegender Weise in Rechte
des Klägers eingegriffen wurde. Denn der Kläger ist, wie dargelegt, in seinem
Vertrauen auf den Fortbestand der Regelung des § 3 Nr. 9 EStG a.F. nach den
verfassungsrechtlichen Grundsätzen zum Vertrauensschutz eben nicht
schutzwürdig. Auch wenn der Gesetzgeber nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich verpflichtet sein kann, bei der Aufhebung
oder Modifizierung bestehender Rechtslagen und Rechtsverhältnisse unter
Vertrauensschutzgesichtspunkten eine angemessene Übergangsregelung zu treffen,
bestand eine solche Verpflichtung daher gerade nicht in Bezug auf den Fall des
Klägers. Abgesehen davon unterliegt eine Abfindung i.S.d. § 3 Nr. 9 EStG a.F.
regelmäßig – und wie im Fall des Klägers (vgl. den Änderungsbescheid vom
30. Dezember 2009) auch berücksichtigt – der ermäßigten Besteuerung nach
§ 34 Abs. 1 EStG, wodurch zumindest in gewissem Umfang weiterhin ein Ausgleich
für die mit einem Arbeitsplatzverlust verbundenen Folgen gegeben ist.
Andererseits ist zu beachten, dass
eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung einer angemessenen
Übergangsregelung bestand für im Jahr 2005 vor Einbringung der Neuregelung in
den Bundestag getroffene Abfindungsvereinbarungen, bei denen die Auszahlung der
Abfindung nicht bereits bis zum 31. Dezember 2005 erfolgte. Denn nach dem
Beschluss des BVerfG in BVerfGE 127, 31 kann das Vertrauen in den Fortbestand
einer bestehenden Rechtslage verfassungsrechtlich insoweit geschützt sein, als
eine in einem Veranlagungszeitraum getroffene und nicht mehr rückgängig zu
machende Maßnahme regelmäßig nicht schon im nächsten Veranlagungszeitraum zu
Rechtsfolgen führen darf, die ungünstiger sind als die im Zeitpunkt der
Maßnahme vorgesehenen. Dem trägt die Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 4a Satz
1 EStG Rechnung, indem sie sicherstellt, dass im Jahr 2006, also im ersten
Veranlagungszeitraum, für den die Neuregelung – Abschaffung der
Vergünstigung des § 3 Nr. 9 EStG a.F. – galt, geflossene Abfindungen, die
auf im Jahr 2005 getroffenen Vereinbarungen beruhen, weiter von der
Steuerbefreiung profitieren.
Soweit § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG
über dieses Mindestmaß hinausgeht, indem er zum einen auch vor dem Jahr 2005
getroffene Vereinbarungen einbezieht und zum anderen den Zeitraum der zu
berücksichtigenden Auszahlung über den 31. Dezember 2006 hinaus auf den 31.
Dezember 2007 ausdehnt, erscheint dies vor dem Hintergrund sachgerecht, dass
die Betroffenen regelmäßig eine gewisse Zeitspanne benötigen, um ihre
Lebensführung darauf einzustellen, dass der sich aus einer zugesagten Abfindung
für einen Arbeitsplatzverlust ergebende Nettoertrag geringer sein wird als
erwartet. Wenn der Gesetzgeber andererseits davon ausgeht, dass insoweit eine
zwei Veranlagungszeiträume umfassende Zeitspanne seit dem Inkrafttreten der
Neuregelung ausreichend ist und deshalb nach dem 31. Dezember 2007 erfolgte
Zahlungen nicht mehr schutzwürdig sind, ist dies vertretbar. Zu beachten ist
ferner, dass ein weiteres Hinausschieben des Stichtags, bis zu dem bei
Altvereinbarungen die Auszahlung der Abfindung erfolgt sein muss, – oder
gar die generelle Weitergeltung der Altregelung für Altvereinbarungen –
dazu geführt hätte, dass für gleichen Sachverhalt – Zahlung einer
Abfindung in einem Veranlagungszeitraum – in Abhängigkeit vom Zeitpunkt
der zu Grunde liegenden Vereinbarung noch länger unterschiedliche Regelungen
gegolten hätten. Dies würde dem vom Gesetzgeber mit der Abschaffung der
Freibeträge verfolgten Ziel, außer zur Verbreiterung bzw. Stabilisierung der
Steuerbasis auch zur Rechtsvereinfachung beizutragen (vgl. BT-Drs.16/105, S.
4), zuwider laufen.
Aufgrund dieser Erwägungen hält
sich die für vor dem 1. Januar 2006 entstandene Ansprüche auf Abfindungen
getroffene Übergangsregelung des § 52 Abs. 4a Satz 1 EStG nach Auffassung des
Senats jedenfalls im Rahmen des dem Gesetzgeber zustehenden
Gestaltungsspielraums.
4. Da es somit verfassungsrechtlich
unbedenklich ist, dass § 3 Nr. 9 EStG a.F. von vorneherein keine Anwendung auf
die dem Kläger zugeflossene Abfindung findet, kann offenbleiben, ob im
Streitfall, wie vom Kläger behauptet, die tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 3 Nr. 9 EStG a.F. (vgl. dazu etwa BFH-Urteil vom 10. November 2004 XI R
64/03, BStBl II 2005, 181) gegeben waren.
5. Die Revision wird gem. § 115
Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen.
6. Die Kostenentscheidung beruht
auf § 135 Abs. 1 FGO.