12.06.2012
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 30.11.2011 – 6 K 1512/10
1. Der Umstand, dass der Insolvenzschuldner mit einer früheren Erwerbstätigkeit als Einzelunternehmer insolvent geworden ist und nunmehr nach Freigabe durch den Insolvenzverwalter erneut als Einzelunternehmer (sog. Neuerwerbs-Unternehmen) tätig ist, führt trotz des Bestehens mehrerer unterschiedlicher Steuernummern nicht dazu, dass für das Insolvenzunternehmen und das sog. Neuerwerbs-Unternehmen unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten oder Steuersubjekte entstehen, bei denen jeweils unabhängig voneinander eigenständige Rechte/Ansprüche oder Verbindlichkeiten begründet würden (gegen Sächsisches FG v. 27.8.2008, 2 K 998/08). Daher darf das FA zulässigerweise einen Umsatzsteuererstattungsanspruch der Insolvenzmasse mit einer Umsatzsteuerschuld aus der Neuerwerbstätigkeit des Insolvenzschuldners verrechnen.
2. Einer Verrechnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht entgegen, da die Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der freigegebenen Tätigkeit des Insolvenzschuldners entstanden ist.
3. Auch § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO ist nicht einschlägig, da der Umsatzsteueranspruch des FA nicht durch die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen entstanden ist, sondern kraft Gesetzes.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 6. Senat durch RiFG H.-G. P. gemäß §§ 5 Abs. 3 Satz 1, 6 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung als Einzelrichter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 30. November 2011
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens fallen dem Kläger zur Last.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter über das Vermögen des G. (Insolvenzschuldner). Nachdem der Kläger die selbstständige Tätigkeit des Insolvenzschuldners im Bereich Drechsler- und Glaserhandwerk freigegeben hatte, und der Insolvenzschuldner für das Jahr 2007 keine Umsatzsteuererklärung abgegeben hatte, schätzte der Beklagte zunächst die Besteuerungsgrundlagen für die Umsatzsteuer 2007 und verrechnete den sich daraus ergebenden Umsatzsteuerbetrag mit dem Umsatzsteuererstattungsanspruch der Masse in Höhe von 233,63 Euro.
Gegen den diese Verrechnung bestätigenden Abrechnungsbescheid vom 12. Januar 2009 erhob der Kläger erfolglos Einspruch (Einspruchsentscheidung vom 25. August 2010).
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Beklagte nicht verrechnen dürfe. Es handele sich nach der Rechtsprechung des 2. Senats des Sächsischen Finanzgerichtes bei der Masse und dem Neuerwerb um zwei verschiedene Rechtspersönlichkeiten. Der Aufrechnung stehe zudem § 96 InsO entgegen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Abrechnungsbescheid vom 12. Januar 2009 und die Einspruchsentscheidung vom 25. August 2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass das Umsatzsteuerrecht dem Insolvenzrecht vorgehe. Danach sei bei einem Unternehmer zunächst die Umsatzsteuer mit den Vorsteuerbeträgen zu saldieren. Erst dieser Saldo stelle die Forderung im Rechtsschuldverhältnis zwischen dem Beklagten und der Masse bzw. dem Insolvenzschuldner fest. Deswegen könnten die Aufrechnungsverbote des § 96 Abs. 1 InsO nicht einschlägig sein.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die vorgelegten Behördenakten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte hat zu Recht die Rechtmäßigkeit der „Verrechnung” des Umsatzsteuererstattungsanspruchs 2007 der Masse mit einer Umsatzsteuerschuld 2007 aus der Neuerwerbstätigkeit des Insolvenzschuldners im streitigen Abrechnungsbescheid festgestellt (vgl. zum Folgenden SächsFG, Urteil vom 8. September 2011, 6 K 501/10).
Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung (Gleichartigkeit und Gegenseitigkeit der Forderungen) liegen vor. Schuldner und Gläubiger einer Umsatzsteuerforderung oder eines Umsatzsteuervergütungsanspruchs ist ungeachtet des Zeitpunkts ihrer Entstehung vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Insolvenzschuldner (BFH, BFH/NV 2011, 647). Der Umstand, dass der Insolvenzschuldner mit einer früheren Erwerbstätigkeit als Einzelunternehmer insolvent geworden ist und nunmehr erneut als Einzelunternehmer tätig ist, führt nicht dazu, dass für das Insolvenzunternehmen und das sog. Neuerwerbs-Unternehmen unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten entstehen, bei denen jeweils unabhängig voneinander eigenständige Rechte/Ansprüche oder Verbindlichkeiten begründet würden.
Für unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten spricht nicht die Vergabe unterschiedlicher Steuernummern. Wenn der Insolvenzschuldner für den Tätigkeitszeitraum des insolvent gewordenen Unternehmens von der Finanzverwaltung mit einer anderen Steuernummer geführt wird als für den Zeitraum des sog. Neuerwerbs, so hat dies nur verwaltungsinterne Gründe. Es berührt seine Rechtspersönlichkeit nicht. Es ist der Insolvenzschuldner, der als natürliche Person gemäß § 1 BGB rechtsfähig ist. Als solche ist er bis zu seinem Tod Träger von Rechten und Pflichten bzw. kann in seiner Person Rechte begründen und Verbindlichkeiten eingehen. Eine „Firma” oder ein „Gewerbebetrieb” besitzen im Gegensatz zu natürlichen Personen (§ 1 BGB) und juristischen Personen (§§ 21ff. BGB) keine Rechtsfähigkeit oder Teilrechtsfähigkeit wie z.B. Personengesellschaften (§ 124 HGB) und können damit auch nicht Gläubiger oder Schuldner sein. Ein Unternehmer im Sinne des § 2 UStG verliert demgemäß seine umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Er ist lediglich in seinem Verwaltungs- oder Verfügungsrecht beschränkt (§ 80 InsO). Umsatzsteuerliche Vorgänge, die der Insolvenzverwalter auslöst, sind dem insolventen Unternehmer als eigene Umsätze zuzurechnen. Neben diesen Umsätzen mit der Insolvenzmasse (§§ 35 Abs. 1, 55 Abs. 1 Ziffer 1 InsO), für die der Insolvenzverwalter anstelle des Gemeinschuldners gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verfügungsmacht ausübt, kann der Schuldner selbst auch Umsätze vornehmen. Das ist dann der Fall, wenn – wie vorliegend – der Insolvenzverwalter gemäß § 35 Abs. 2 InsO i.V.m. § 295 Abs. 2 InsO das „neue” Unternehmen aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben hat. In diesem Fall wird neben der Steuernummer, unter der die Insolvenzforderungen aus dem alten Unternehmen nach § 38 InsO angemeldet sind und der Steuernummer, die die Umsatzsteuer erfasst, die als Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 InsO insbesondere durch Handlungen des Insolvenzverwalters zu behandeln sind, noch eine dritte Steuernummer erteilt. Die Erfassung der Umsatzsteuer auf verschiedenen Steuernummern erfolgt ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der unterschiedlichen Geltendmachung und der Qualität von Forderungen (Insolvenzforderung, Masseverbindlichkeit oder Zurechnung zum insolvenzfreien Vermögen), der zutreffenden Bekanntgabe von Verwaltungsakten sowie der Überprüfung von Aufrechnungsmöglichkeiten. Unterschiedliche Rechtspersönlichkeiten oder Steuersubjekte entstehen hierdurch nicht. Der Auffassung des 2. Senats des Sächsischen Finanzgerichts in seiner Entscheidung vom 27. August 2008 (2 K 998/08), dass es sich bei dem Neuerwerb und der Masse um zwei verschiedene (umsatzsteuerliche) Steuersubjekte handele, vermag der Senat nicht zu folgen.
Einer Verrechnung steht auch § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Der Beklagte ist mit seiner vorliegend in Rede stehende Forderung gegen den Insolvenzschuldner jedoch nicht Insolvenzgläubiger, da die Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der freigegebenen Tätigkeit des Insolvenzschuldners entstanden ist. Deswegen besteht auch die Gefahr der Vorabbefriedigung eines Insolvenzgläubiger wegen seiner angemeldeten Forderung, wovor § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO u.a. schützen soll, nicht.
Ebenfalls ist § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO nicht einschlägig. Danach ist die Aufrechnung unzulässig, wenn ein Gläubiger, dessen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu befriedigen ist, etwas zur Insolvenzmasse schuldet. Diese Vorschrift ist nach Sinn und Zweck nur in den Fällen anwendbar, in denen der Schuldner mit dem Gläubiger kontrahiert (vgl. Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 96 Rdnr. 14) und dadurch eine Forderung des Gläubigers entsteht. Dieser Fall liegt hier nicht vor. Der Umsatzsteueranspruch des Beklagten ist nicht durch die Abgabe übereinstimmender Willenserklärungen entstanden, denen sich der Beklagte angesichts des Risikos, als Gläubiger nahezu rechtlos gestellt zu werden (vgl. Braun, Kommentar zu Insolvenzordnung, § 96 Rdnr. 14), was als unbefriedigend angesehen wird (vgl. BFH, BStBl. II 2010, 758), hätte enthalten können, sondern kraft Gesetzes.
Sofern der Auffassung zu folgen sein sollte, dass eine Verrechnungslage ausscheide, weil umsatzsteuerlich kein anderes Unternehmen entstanden sei und es sich deshalb nicht um eine „Aufrechnung” im Sinne zweier gegenläufiger Ansprüche handele, da der Saldo der unselbständigen Besteuerungsgrundlagen (berechneter Umsatzsteuer und abgesetzte Vorsteuer) nur einen Anspruch im Steuerschuldverhältnis darstelle, der in eine Steuerschuld oder einen Vergütungsanspruch münde (BFH, BStBl. II 2010, 758), durfte der Beklagte nach § 16 Abs. 2 Satz 1 UStG von der Umsatzsteuer (des Insolvenzschuldners) den Vorsteuerbetrag (der Masse) absetzen. Dementsprechend begegnet es keinen Bedenken, wenn der Beklagte zunächst für die Steuernummer der Masse und des Neuerwerbs getrennt den Saldo aus berechneter Umsatzsteuer und Vorsteuerbeträgen ermittelt und das Ergebnis miteinander saldiert. Denn zu diesem Ergebnis wäre der Beklagte auch gelangt, wenn er die berechnete Umsatzsteuer der Masse und des Neuerwerbs addiert und davon die Summe der Vorsteuerbeträge der Masse und des Neuerwerbs abgesetzt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war wie im Verfahren 6 K 501/10 aus den dort genannten Gründen zuzulassen.