01.06.2012
Finanzgericht Thüringen: Urteil vom 16.12.2010 – I 1309/04
1. In einem Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO können auch Streitigkeiten über Fragen der Wirksamkeit einer Zahlung durch die Verbuchung auf eine nicht gewünschte Schuld entschieden werden.
2. Der ausländische Vergütungsgläubiger hat als Steuerschuldner nach § 50a Abs. 5 S. 4 EStG grundsätzlich einen Anspruch auf Erlass eines Abrechnungsbescheides. Denn die Frage, ob und in welcher Höhe Zahlungen des Vergütungsschuldners auf die einbehaltenen und angemeldeten Steuern des Vergütungsgläubigers anzurechnen sind, hat Auswirkung auf die dem Vergütungsgläubiger eventuell nach § 50d Abs. 1 S. 2 EStG zu erstattenden Steuerbeträge.
3. Abzugssteuer gem. § 50a Abs. 4 EStG sind nicht bereits mit Einbehaltung durch den Vergütungsschuldner als getilgt anzusehen. Zwar kann der Vergütungsschuldner im Rahmen dieses Steuerabzugsverfahrens gegenüber dem ausländischen Steuerschuldner als eine Art „verlängerter
Arm der Verwaltung” wahrgenommen werden, dies kann jedoch nicht dazu führen, dass bereits die von ihm einbehaltende Steuer, entgegen dem Wortlaut des § 224 AO, als an den Staat entrichtet anzusehen ist.
4. Die vom FA nach der zeitlichen Abfolge der einzelnen Veranstaltungen des Vergütungsschuldners vorgenommene Tilgungsreihenfolge der von diesem angemeldeten Steuerschulden liegt innerhalb des Ermessensspielraums des FA. Der Vergütungsgläubiger kann keine abweichende Reihenfolge bestimmen.
5. Offen blieb, ob die Regelung des § 50d Abs. 1 S. 2 EStG, wonach nur die vom Vergütungsschuldner gezahlte Steuer zu erstatten ist, der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 und 50 EG entgegensteht.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der I. Senat des Thüringer Finanzgerichts durch … gemäß § 90 Abs.2 FGO ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 16. Dezember 2010 für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Umstritten ist, ob die vom Vergütungsschuldner beim damals zuständigen Finanzamt angemeldeten, aber teilweise nicht abgeführten Abzugssteuern für die Klägerin als getilgt anzusehen sind.
Die Klägerin ist eine Künstlergestellungsfirma mit Sitz in X-Stadt, Österreich. Sie erzielte im 2. Kalendervierteljahr 2002 Einkünfte für die die Einkommensteuer gem. § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) im Wege des Steuerabzugs zu erheben war. Als Künstlergestellungsfirma für im Inland ausgeübte künstlerische Darbietungen bezog sie Einkünfte i.S. des § 49 Abs. 1 Nr. 2. d EStG.
Am 5. Juni 2002 schloss die Klägerin einen Vertrag mit der in A-Stadt ansässigen Firma AABBCCDD Gesellschaft für Programm, Produktion, Sponsoring und Beratung mbH (nachfolgend: AABBCCDD) über 6 Aufführungen der Produktion „XY” bei den ABC-Festspielen in ABC-Stadt. Die vereinbarten Aufführungen fanden an 6 Tagen in 2002 in ABC-Stadt statt. Im Vertrag wurde für die 6 Aufführungen ein Gesamthonorar in Höhe 101.700,00 Euro vereinbart. Darüber hinaus war in dem Vertrag vereinbart worden, dass die AABBCCDD die Abzugssteuern einbehalten und das Honorar entsprechend kürzen werde. Nach Vorlage der von der Klägerin beantragten Freistellungsbescheinigung, sollte der einbehaltene Betrag ausgezahlt werden. Gemäß dem vorliegenden Vertrag und der dem Beklagten ebenfalls vorliegenden Abrechnungen der AABBCCDD erhielt die Klägerin folgende Zahlungen (Beträge in Euro):
Tag1 02 | Tag2 02 | Tag3 02 | Tag4 02 | Gesamt | |
Auszahlungsbetrag | 25.425,00 EUR | 10.000,00 EUR | 25.598,18 EUR | 11.853,45 EUR | 74.876,63 EUR |
Steuerabzug | 8.633,27 EUR | 3.395,58 EUR | 9.371,20 EUR | 4.024,94 EUR | 25.424,99 EUR |
Solidaritätszuschlag | 474,83 EUR | 186,76 EUR | 515,42 EUR | 221,37 EUR | 1.398,38 EUR |
gesamt | 34.533,10 EUR | 13.582,34 EUR | 37.484,80 EUR | 16.099,76 EUR | 101.700,00 EUR |
Die AABBCCDD (Vergütungsschuldnerin) meldete, mit der am 24. Juli 2002 beim Finanzamt eingegangen Steueranmeldung über den Steuerabzug bei Vergütungen an beschränkt Steuerpflichtige, folgendes an:
Bruttoeinnahmen 50a Abs. 4 Nr.1 EStG:
163.167,00 EUR | ||
Steuerabzug | ||
40.791,95 EUR | ||
Solidaritätszuschlag | 2.243,58 EUR |
Gemäß der Anmeldung über den Steuerabzug waren Empfänger der Vergütungen:
• Künstler „A” für eine Veranstaltung am 17. Mai 2002, Abzugsteuer 1.051,40 EUR + 57,83 EUR Solidaritätszuschlag
• Künstler „B” für Veranstaltungen am 17. Mai 2002, 18. Mai 2002 und am 20. Mai 2002, angemeldete Abzugsteuer insgesamt 14.315,56 EUR + 787,37 EUR.
• Klägerin für 6 Veranstaltungen in 2002, angemeldete Abzugsteuer 25.424,99 EUR und 1.398,38 EUR Solidaritätszuschlag
Die gemäß Steueranmeldung einbehaltene Abzugsteuer gemäß § 50a EStG wurde jedoch in der Folgezeit nicht in voller Höhe an das Finanzamt abgeführt. Gezahlt bzw. durch Aufrechnung getilgt wurden lediglich 21.030,76 EUR Abzugsteuer und 2.243,58 EUR Solidaritätszuschlag.
Die Klägerin beantragte beim Bundesamt für Finanzen (BfF) die Erstattung der Steuerabzugsbeträge nach § 50a Abs.4 EStG für das 2. Kalendervierteljahr 2002. Mit Schreiben vom 5. Februar 2003 bat das BfF das Finanzamt um Mitteilung, ob die Steuerabzugsbeträge angemeldet und abgeführt worden seien.
Nachdem im Mai 2003 über das Vermögen der AABBCCDD das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, teilte das Finanzamt dem Bundesamt mit Schreiben vom Juni 2003 mit, dass die Steuern angemeldet, aber nur teilweise durch Zahlungen und Verrechnungsbuchungen entrichtet worden seien.
Mit Schreiben vom Juli 2003 beantragte die Klägerin, die von der AABBCCDD an das Finanzamt entrichteten Abzugssteuern gemäß § 225 Abgabenordnung (AO) vollständig der Klägerin zuzurechnen und das BfF über die Zuordnung der Zahlungen zu unterrichten. Das Finanzamt lehnte dies mit Schreiben vom September 2003 ab.
Mit Schreiben vom Oktober 2003 legte die Klägerin gegen die Ablehnung des Antrages auf Zuordnung der von der AABBCCDD geleisteten Zahlungen auf die Steuerschuld der Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, dass § 225 AO anwendbar sei. Jede einzelne Zahlung der AABBCCDD an die ausländischen Auftragnehmer habe eine Haftungsschuld begründet. Das Finanzamt habe daher zwingend eine Zurechnung vorzunehmen, denn im Rahmen eines potentiellen Haftungsverfahrens gegen den früheren Geschäftsführer der AABBCCDD sei ebenfalls zu entscheiden, welche Haftungsschuld bestehe und welche erloschen sei. Es könne nicht sein, dass der Klägerin nach § 50a Abs.4 EStG Steuern abgezogen würden, gleichwohl aber die sich daraus ergebenden steuerlichen Erstattungspflichten des Steuergläubigers verweigert würden.
Im November 2004 erließ das Finanzamt einen Abrechnungsbescheid gemäß § 218 Abs.2 AO wegen Steuerabzugsbeträgen nach § 50a Abs.4 Nr.1 EStG für das 2. Quartal 2002. Adressat dieses Abrechnungsbescheides war die Klägerin. In diesem Abrechnungsbescheid entschied das Finanzamt, dass auf die von der Klägerin als Vergütungsgläubigerin geschuldeten Steuerabzugsbeträge in Höhe von 25.424,99 EUR, ein Betrag von 5.663,80 EUR gezahlt worden sei. Noch offen sei ein Betrag in Höhe von 19.761,19 EUR. Das Finanzamt erläuterte, dass die von der AABBCCDD geleisteten Zahlungen ohne Tilgungsbestimmung erfolgt seien. Zudem würden 8.030,76 Euro – die in der Tilgung enthalten seien – aus der vom Beklagten vorgenommenen Umbuchung von Steuerguthaben der AABBCCDD stammen. Gemäß §§ 225 und 226 AO sei die Tilgung der angemeldeten Steuerabzugsbeträge in der Reihe der Fälligkeit nach dem Alter der Forderungen erfolgt. Die Steuerschulden aus Abzugsbeträgen der anderen Künstler seien älter gewesen als die Forderungen der Klägerin, da die entsprechenden Veranstaltungen bereits im Mai 2002 stattgefunden hätten, die Veranstaltungen der Klägerin jedoch erst im Juni 2002. Die geleisteten Zahlungen/ Umbuchungen seien deshalb vorrangig auf die Veranstaltungen im Mai angerechnet worden.
Mit Schreiben vom November 2003 legte die Klägerin gegen diesen Abrechnungsbescheid Einspruch ein. Zur Begründung trug sie vor, das Finanzamt sei nicht berechtigt, von sich aus eine Tilgungsbestimmung auf die älteren Steuerschulden vorzunehmen. Bei Zahlung eines inländischen Vergütungsschuldners auf eine fremde Steuerschuld könne sowohl der Inländer als auch der Ausländer die Tilgungsbestimmung vornehmen. Die Klägerin habe im vorangegangenen Schriftverkehr einen entsprechenden Antrag gestellt. Das Finanzamt habe diesem Antrag zu entsprechen und dürfe nicht anderweitig verfahren. Somit gelte daher die gesamte Steuerschuld der Klägerin aus Steuerabzugsbeträgen als ausgeglichen. Die Klägerin beantragte, dies in einem geänderten Abrechnungsbescheid zu bestätigen.
Mit Schreiben vom April 2004 begehrte die Klägerin eine Feststellung des Finanzamts, wonach das Steuerschuldverhältnis erloschen sei. Falls das Steuerschuldverhältnis erloschen sei, müsse der Abrechungsbescheid die ursprüngliche Steuerschuld beinhalten und zum anderen die Tilgung durch Steuerabzug, so dass im Ergebnis keine Zahlung mehr geschuldet würde. Das Erlöschen der Steuerschuld ergebe sich aus der Tatsache, dass die Klägerin nach § 50a Abs.5 Satz 4 EStG Steuerschuldnerin sei, die Steuer aber durch die gesetzliche Anordnung des § 50a Abs.5 EStG einbehalten worden sei. Mit der Einbehaltung der Steuer sei das Steuerschuldverhältnis der Klägerin erloschen. Dies ergebe sich aus dem Umkehrschluss zu § 50a Abs.5 Satz 6 EStG. Losgelöst von der Frage ob die inländische Steuerschuldnerin die Steuerabzugsbeträge an den Beklagten entrichtet habe, müsse der Abrechnungsbescheid daher die volle Summe der von den Vergütungen der Klägerin abgezogenen Steuer als Zahlbetrag ausweisen.
Die Steueranmeldung der inländischen Vergütungsschuldnerin umfasse zwei Steuerschuldverhältnisse. Zum einen sei das Entrichtungssteuerverhältnis der AABBCCDD als Vergütungsschuldnerin betroffen, zum anderen aber das Steuerschuldverhältnis der Klägerin. Die Argumentation des Finanzamts sei nur auf die Frage des Erlöschens des Entrichtungssteuerverhältnisses der inländischen Vergütungsschuldnerin gerichtet. Soweit aber das Steuerschuldverhältnis der Klägerin betroffen sei, sei § 225 AO analog anzuwenden. Durch die Steueranmeldung nach § 50a Abs.4 EStG seien beschränkt steuerpflichtige Künstler betroffen. Das Finanzamt habe im Hinblick auf die Steuerabzugsbeträge keine Bestimmung nach § 225 AO getroffen. Eine Tilgungsbestimmung der inländischen Vergütungsschuldnerin liege ebenfalls nicht vor. Nach Auffassung der Klägerin enthalte § 225 AO im Hinblick auf die Frage des Bestimmungsrechtes eine Regelungslücke, die entsprechend gesetzeskonform auszulegen sei. Sei bis zur Antragstellung durch einen ausländischen Vergütungsgläubiger weder eine Bestimmung durch das Finanzamt noch durch den inländischen Vergütungsschuldner erfolgt, so müsse denknotwendig diese dem ausländischen Gläubiger im Hinblick auf sein Steuerschuldverhältnis zustehen, so er denn seinen Antrag vor dem Tätigwerden des Finanzamtes gestellt habe.
Das Finanzamt vertrat bei erneuter Prüfung des Sachverhaltes die Auffassung, dass der Erlass eines Abrechnungsbescheides gem. § 218 Abs.2 AO gegenüber der Klägerin als Adressat des Bescheides nicht zulässig gewesen sei, vielmehr hätte ein Ablehnungsbescheid über die abweichende Reihenfolge der Tilgung ergehen müssen. Finanzamt und Klägerin einigten sich aber ausdrücklich darauf, dieses gesonderte verfahrensrechtliche Problem nicht in den Streitgegenstand einzubeziehen, denn eine steuerliche Auswirkung ergebe sich daraus nicht.
Mit Einspruchsentscheidung vom November 2004 wies das Finanzamt den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass die Klägerin den Rechtsstreit in Gang gesetzt habe, um eine Erstattung der ihr von der AABBCCDD einbehaltenen Abzugsteuern durch das Bundesamt für Finanzen nach § 50d Abs.1 Satz 2 EStG zu erreichen. Die Erteilung eines Abrechnungsbescheids gegenüber der Klägerin sei unzutreffend gewesen, da der Beklagte in einem Abrechungsbescheid nur über die zu einem bestimmten Zeitpunkt noch bestehenden Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis zu der Vergütungsschuldnerin entscheiden könne, denn nur diese schulde die Entrichtung der einbehaltenen und angemeldeten Abzugssteuer. Es hätte ein Ablehnungsbescheid über die Änderung der im Abrechnungsbescheid beschriebenen Reihenfolge der Tilgung gegenüber der Klägerin als Vergütungsschuldnerin ergehen müssen.
Aufgrund des eindeutigen Wortlauts des § 225 Abs. 1 AO stehe der Klägerin nach der Zahlung durch die Vergütungsschuldnerin kein nachträgliches Recht mehr zu, die Reihenfolge der Tilgung zu bestimmen. Selbst wenn man den Vergütungsgläubigern ein solches einräumen würde, könnte dies von diesen nur einheitlich von den Steuerschuldnern ausgeübt werden. Diese liege hier nicht vor.
Soweit das Finanzamt durch Aufrechnung eine Tilgung der angemeldeten Abzugssteuern erreicht habe, obliege ihm das Bestimmungsrecht (§ 396 I BGB i.V.m. § 226 I AO). Dies ergebe sich zum einen aus der Gleichstellung zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigen bei der Aufrechnung und zum anderen aus dem Umstand, dass die erpflichtigen bei der Aufrechnung und zum anderen aus dem Umstand, dass die Finanzbehörde mit der Aufrechnungserklärung unter Preisgabe des Anspruches eine Leistung erbringe, die zur Tilgung eigener Verbindlichkeiten führe (Tipke/Kruse, Kommentar zur Abgabenordnung, 100 Lfg.2003, § 225 Rz.8).
Treffe der Steuerpflichtige bei der Aufrechnung keine Bestimmung, greife nicht § 225 II AO ein, sondern es gelten §§ 366, 367 BGB entsprechend. Allerdings gelte auch im Rahmen der Verrechnung, dass die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die Interessen des Schuldners zu berücksichtigen habe. Jedenfalls sei die Verrechnung nicht zu beanstanden, wenn die Finanzbehörde nicht die Grundsätze des § 225 II AO verletze. Eben dies habe das Finanzamt auch nicht getan, denn es habe das Sachkriterium „Reihenfolge der Veranstaltungen” als Maßstab für die Tilgungsreihenfolge genommen.
Zahle ein Dritter für Rechnung des Steuerpflichtigen (§ 48 AO), so könne der Dritte bestimmen, welcher Anspruch getilgt werden soll, weil dieser u.U. auf ihn übergeht (Urteile des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 14. Oktober 1999, Bundessteuerblatt Teil 2 – BStBl II – 2001, S.329). Der Klägerin stehe dieses Bestimmungsrecht mangels einer gesetzlichen Grundlage hingegen nicht zu.
Die der Klägerin nach ständiger Rechtsprechung des BFH zustehende Möglichkeit (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 27. Juli 1988, BStBl II 1989, S.449, BFH-Beschluss vom 13. September 1989,BFH/NV 1990, 208), als Vergütungsgläubiger aus eigenem Recht die Steueranmeldung anzufechten und ggf. eine Änderung der Steueranmeldung zu erreichen, habe sie nicht wahrgenommen.
Mit ihrer gegen die Einspruchsentscheidung erhoben Klage macht die Klägerin über ihr Vorbringen im Einspruchsverfahren hinaus im Wesentlichen geltend, dass die sie u.a. infolge der doppelten ertragsteuerlichen Erfassung ihrer Einkünfte in Deutschland und in Österreich selbst insolvent geworden sei. Dadurch, dass der Staat Quellensteuer auf Vergütungen gefordert habe, welche die Klägerin selbst an beschränkt Steuerpflichtige weitergeleitet habe, hätte sich die finanzielle Situation zugespitzt. Entgegen der Auffassung des Beklagten habe die Klägerin einen Anspruch auf den beantragten Abrechnungsbescheid aus § 218 Abs. 2 AO, da die Klägerin bereits durch Abzug der Steuer von den Einnahmen ihre steuerlichen Verpflichtungen im Inland erfüllt habe.
Der Staat habe gegenüber der Klägerin einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis auf Zahlung von Körperschaftsteuer aus § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 d EStG gehabt. Dieser Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis sei nach § 50 a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG über den inländischen Schuldner der Vergütung durch Steuerabzug an der Quelle erfüllt worden, somit sei der Anspruch des Staates aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 47 AO i.V.m. § 224 AO anlog erloschen, so dass der begehrte Abrechnungsbescheid schon auf der Grundlage dieser Regelungen zu erteilen sei. Zwar habe die Klägerin nicht, wie in § 224 AO vorgesehen, direkt an den Staat gezahlt, allerdings sei die Regelung des § 224 AO gemeinschaftsrechtskonform in dem Sinne des Art. 49 EG auszulegen. Sehe man nicht bereits die Zahlung der Steuer durch Steuerabzug an der Quelle als Tilgung der Steuerschuld an, bestünde die Gefahr, dass Gebietsfremde mit Erstattungsansprüchen gegenüber Gebietsansässigen schlechter gestellt würden. Denn die Zwischenschaltung von dritten Personen beinhalte das latente Risiko – welches sich im Falle der Klägerin bereits konkretisiert habe –, dass diese aufgrund finanzieller Engpässe die einbehaltene Steuer nicht entrichten. Eine Rechtfertigung sei hierfür nicht erkennbar, denn die Klägerin habe nach dem DBA Österreich steuerfreie Einkünfte erzielt, so dass ein potentieller Sicherungsaspekt für einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nicht durchgreife. Für dieses Ergebnis spreche auch der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Dabei sei zu berücksichtigen, dass z.B. Lohnsteuerabzugsbeträge auf der Ebene des Arbeitnehmers zur Anrechnung gelangen würden trotz fehlender Zahlung an das Finanzamt durch den Arbeitgeber, es sei denn, der Arbeitnehmer sei „bösgläubig” und wüsste davon. Das gleiche gelte für die sog. Bauabzugsteuer nach § 48f. EStG. Aus § 48 c Abs. 1 EStG werde erkennbar, dass schon die einbehaltene und angemeldete Steuer auf anderweitig bestehende Steuerschuldverhältnisse anzurechnen sei. Es komme auch hier auf die Zahlung an das Finanzamt nicht an. Es gäbe keinen sachlichen Rechtfertigungsgrund dafür, im Falle der Zwischenschaltung einer Grenze, wie im Falle der Klägerin, zu einem anderen Ergebnis zu gelangen.
Darüber hinaus sei die Steuer auf der Ebene der Klägerin als getilgt anzusehen, denn die Klägerin habe für die Zahlung der AABBCCDD selbst eine Tilgungsbestimmung über die §§ 224, 225 AO treffen dürfen. Nach dem Wortlaut der Regelung stehe jenes Bestimmungsrecht dem „Steuerpflichtigen” also der Klägerin zu. Nach der Rechtsprechung des EFTA-Gerichtshof dürften ausländische Vergütungsgläubiger im Verfahren der Einbehaltung von Quellensteuern nicht schlechter behandelt werden als gebietsansässige Unternehmer. Sie seien daher verfahrensrechtlich am Quellenbesteuerungsverfahren zu beteiligen. Nach diesen Grundsätzen dürfe die Klägerin als gebietsfremdes Unternehmen nicht von dem verfahrensrechtlichen Bestimmungsrecht bei Zahlung ausgenommen werden. Da sie im Steuerfestsetzungsverfahren zu hören sei, müsse dies auch für das Steuererhebungsverfahren Geltung entfalten. Diese Feststellung gelte jedenfalls so lange, wie die Regelung des § 225 Abs. 2 AO nicht eingreife, und das Finanzamt von sich aus tätig werde. Die Klägerin habe das maßgebliche Bestimmungsrecht ausgeübt, bevor der Beklagte eine Verteilung des gezahlten Betrages auf die Schulden It. Steueranmeldung vorgenommen habe. Insofern sei die durch die Firma AABBCCDD GmbH geleistete Zahlung in Höhe von EUR 13.000,00 durch die Bestimmung der Klägerin allein auf deren Körperschaftsteuer zu verrechnen.
Selbst wenn man dieser Auffassung nicht folgen wollte, hätte der Beklagte bei einer selbst bestimmten Zuordnung die Dienstleistungsfreiheit des Art. 49 EG beachten müssen. Bei der zu treffenden Entscheidung der Zuordnung handele es sich um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Nach Auffassung der Klägerin liege ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor, so dass der hier maßgebliche Betrag allein auf die Klägerin zugerechnet werden dürfe. Diese Erkenntnis leite sich ebenfalls aus dem Gemeinschaftsrecht ab. Nach Art. 49 EG sei die Dienstleistungsfreiheit geschützt. In einem Verfahren habe die EU-Kommission entschieden, dass Steuerbefreiungen aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens bereits unmittelbar an der Quelle wirken. (Schriftsatz der EU-Kommission vom 26.10.2004 im Verfahren C-290/04, Anlage K1)
Auf der Grundlage des seinerzeit gültigen Doppelbesteuerungsabkommens habe sich aus Art. 4 DBA Österreich ergeben, dass die Klägerin eindeutig steuerfreie Einkünfte im Inland erzielt habe. Die Ermessensreduzierung auf Null leite sich aus der Erkenntnis ab, dass die anderen durch die Firma AABBCCDD GmbH angemeldeten Steuerschulden solche gewesen seien, in denen eine doppelte steuerliche Inanspruchnahme im Wohnsitz- als auch im Tätigkeitsstaat nicht von Relevanz sein konnte. Die Steuerschuld „Herrn Z-Mann” sei z. B. dadurch gekennzeichnet gewesen, dass das Einkommen von Herrn Z-Mann in Österreich steuerbefreit sei. Er wäre durch eine fehlende Zuordnung durch das Finanzamt nicht weiter belastet gewesen.
Die gleichen Erkenntnisse gelte im Ergebnis bezogen auf den anderweitig angemeldeten Künstler, der seinen steuerlichen Sitz in Großbritannien gehabt habe. In diesem Land würde zwar nicht die Steuerfreistellung sondern die Steueranrechnung praktiziert. Das praktizierte Steueranrechnungsverfahren sei aber nicht gemeinschaftsrechtskonform.
Aus den vorangegangenen Ausführungen sei erkennbar, dass auch unter Berücksichtigung des § 225 Abs. 2 AO die durch die Firma AABBCCDD GmbH geleistete Zahlung von EUR 13.000,00 in jedem Fall allein der Klägerin hätte zugerechnet werden müssen.
Das Gleiche gelte für die vom Finanzamt aufgerechneten Beträge. Selbst dann, wenn man nicht von einem eigenen Bestimmungsrecht der Klägerin ausgehen würde, hätte das Finanzamt die Regelungen des § 226 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 396 Abs. 1 Satz 2, 366 Abs. 2 BGB in entsprechender Anwendung der Ausführung zu § 225 Abs. 2 AO nicht wirksam angewandt. Nach diesen Normen habe eine Verrechnung zunächst auf die fälligen Schulden zu erfolgen. Bei mehreren fälligen Schulden müsse die Verrechnung auf diejenige erfolgen, die eine geringere Sicherheit biete. Bei mehreren gleich sicheren Forderungen sei zwingend eine Tilgung auf die „lästigere” Schuld vorzunehmen. Im Sinne der vorgenannten Normenkette sei aus der Sicht des Finanzamts die „lästigere” Schuld diejenige der Klägerin gewesen. Denn auch hier sei zu berücksichtigen, dass die Bundesrepublik Deutschland eine Verantwortung im Hinblick auf Art. 49 EG habe. Der Staat habe alles zu unterlassen, was die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigt. Dementsprechend könne die „lästigere” Schuld nur diejenige sein, bei der eine grundsätzliche Erstattungsverpflichtung durch den Staat an den Steuerpflichtigen aufgrund des hier maßgeblichen DBA Österreich bestehe.
Letztlich habe die Klägerin, anders als in dem vom Finanzgericht Köln mit Urteil vom 23. Juni 2010 entschiedenen Fall (Az. 2 K1274/06), bereits am 1. März 2002 einen Freistellungsantrag gestellt. Dieser sei jedoch erst nach Abgabe der Steueranmeldung entschieden worden. Im Rahmen seiner Ermessensausübung hätte das Finanzamt die tatsächlich getilgte Abzugsteuer zumindest entsprechend den jeweiligen Umsätzen anrechnen müssen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom November 2004 zu verpflichten, gegenüber der Klägerin einen Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 AO zu erteilen, der unter Anrechnung eines gezahlten Betrages an Körperschaftsteuer in Höhe von 25.424,99 EUR und eines Solidaritätszuschlags in Höhe von 1.398,38 eine Schuld in Höhe von 0 EUR Körperschaftsteuer sowie eine Schuld in Höhe von 0 EUR Solidaritätszuschlag ausweist,
hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH im Wege der Vorabentscheidung nach § 234 EG anzurufen,
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Steuerakten waren beigezogen. Auf sie und auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen wird Bezug genommen.
Die Parteien haben übereinstimmend auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
Der Beklagte ist gemäß § 63 FGO im Wege eines gesetzlichen Parteiwechsels zuständig geworden, da die örtliche Zuständigkeit des Finanzamts nach Artikel 1 Nr. 2b der siebten Verordnung zur Änderung der Thüringer Finanzamts-Zuständigkeitsverordnung vom 18. Mai 2006 (Gesetz und Verordnungsblatt 2006, 239) mit Wirkung zum 18. Mai 2006 auf ihn übergegangen ist.
Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf den beantragten Abrechnungsbescheid, noch einen Anspruch auf eine abweichende Festlegung der Tilgung der angemeldeten Abzugssteuern.
Nach § 218 Abs. 2 S. 1 AO hat die Finanzbehörde durch Abrechnungsbescheid über Streitigkeiten zu entscheiden, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. d. § 218 Abs. 1 AO betreffen. Dabei wird darüber entschieden, ob und inwieweit ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis noch besteht, der in einem Steuerbescheid oder in einer anderen Grundlage für seine Verwirklichung festgesetzt worden ist (BFH-Urteil vom 26.November 1996, VII R 49/96, BFH/NV 1997, 537). Die Streitigkeiten können auch aus Fragen der Wirksamkeit einer Zahlung durch die Verbuchung auf eine nicht gewünschte Schuld folgen.
Unter Beachtung dieser Rechtsgrundsätze schließt sich der Senat insoweit der Auffassung der Klägerin an, dass sie im Streitfall als Steuerschuldnerin nach § 50a Abs. 5 Satz 4 EStG grundsätzlich einen Anspruch Erlass eines Abrechnungsbescheides hat. Denn auch wenn die Klägerin im Abzugsverfahren nach § 73 e Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) als Vergütungsgläubiger, für die vom Vergütungsschuldner angemeldeten aber nicht abgeführte Steuern, nicht in Anspruch genommen werden kann, hat die Frage, ob und in welcher Höhe Zahlungen des Vergütungsschuldners auf die einbehaltenen und angemeldeten Steuern der Klägerin anzurechnen sind, Auswirkung auf die der Klägerin eventuell nach § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG zu erstattenden Steuerbeträge.
Entgegen ihrer Auffassung ist die von der AABBCCDD als Vergütungsschuldner im Sinne des § 73e EStDV einbehaltene und angemeldete Steuer der Klägerin aber nur in der vom Beklagten festgestellten Höhe bezahlt worden.
Der Senat teilt nicht die von der Klägerin geltend gemachte Rechtsauffassung, dass das Steuerschuldverhältnis bei analoger Anwendung des § 224 AO als erloschen anzusehen sei.
Gemäß § 224 Abs. 2 AO gilt eine wirksame Zahlung an die Finanzbehörde als entrichtet:
bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln am Tag des Eingangs,
bei Überweisung oder Einzahlung auf ein Konto der Finanzbehörde und bei Einzahlung mit Zahlschein oder Postanweisung an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird,
bei Vorliegen einer Einzugsermächtigung am Fälligkeitstag.
Im Streitfall liegt unstreitig keine dieser Voraussetzungen vor. Allein der eindeutige Wortlaut dieser Vorschrift spricht schon gegen die Auffassung der Klägerin, dass die Abzugssteuer gegenüber der Finanzbehörde bereits mit Einbehaltung durch den Vergütungsschuldner als getilgt anzusehen ist. Für den Senat sind in den Bestimmungen des § 224 AO keine Anhaltspunkte für eine Regelungslücke erkennbar, die für eine analoge Anwendung des § 224 AO im Sinne der Klägerin notwendig wäre. Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass der Vergütungsschuldner im Rahmen dieses Steuerabzugsverfahrens gegenüber dem ausländischen Steuerschuldner als eine Art „verlängerter Arm der Verwaltung” wahrgenommen wird, dies kann jedoch nicht dazu führen, dass bereits die von ihm einbehaltende Steuer, entgegen dem Wortlaut des § 224 AO, als an den Staat entrichtet anzusehen ist. Dies würde dazu führen, dass der Staat das Risiko der Zuverlässigkeit und Zahlungsfähigkeit eines Vergütungsschuldners übernimmt, ohne diesen zu kennen, während der beschränkt steuerpflichtige Ausländer sehr wohl entscheiden kann, ob und mit wem er in Geschäftsbeziehungen tritt. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 3. Oktober 2006 in der Rechtssache C-290/04 (a.a.O.) entschieden hat, dass das EU-Recht nationalen Rechtsvorschriften, nach denen ein Steuerabzugsverfahren nur bei beschränkt steuerpflichtigen Anwendung findet, nicht entgegen steht.
Die vom Beklagten bzw. dem damals zuständigen Finanzamt vorgenommene Tilgungsreihenfolge ist ebenfalls nicht zu beanstanden, auch konnte die Klägerin keine abweichende Reihenfolge bestimmen.
Der Senat verweist dazu auf die zutreffende Begründung der Einspruchsentscheidung, der er sich unter Hinweis auf § 105 Abs. 5 FGO ohne weitere eingehende Begründung anschließt. Lediglich ergänzend merkt der Senat an, dass der Klägerin durchaus zuzugeben ist, dass hier auch eine andere Anrechnung der tatsächlich der von der AABBCCDD gezahlten Steuern, etwa wie von ihr im Klageverfahren geltend gemacht, entsprechend dem Verhältnis der einzelnen Umsätze am Gesamtumsatz, möglich gewesen wäre. Nach Ansicht des Senats erscheint jedoch auch die vom Finanzamt vorgenommen Verteilung entsprechend der zeitlichen Abfolge der einzelnen Veranstaltungen nicht unsachgerecht, sodass sie innerhalb dessen Ermessensspielraum liegt und nicht zu beanstanden ist.
Der Senat kann im Streitfall offen lassen, ob die Regelung des § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG, wonach nur die vom Vergütungsschuldner gezahlte Steuer zu erstatten ist, der Dienstleistungsfreiheit nach Art 59 und 60 (jetzt Art. 49 und 50 EG) entgegensteht, da diese Frage im hier vorliegenden Rechtstreit nicht entschieden werden kann. Hierzu hätte es zunächst eines erfolglosen Antrags- bzw. Einspruchsverfahrens der Klägerin beim BfF bedurft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Im Hinblick auf die gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln (Az. 2 K1274/06) anhängige Revision war auch im Streitfall die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.