26.04.2012
Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 20.03.2012 – 6 K 2143/07
Erhält der Steuerpflichtige unter Geltung des Alterseinkünftegesetzes von der Deutschen Rentenversicherung neben einer Rentennachzahlung für Vorjahre auch Zinsen nach § 44 Abs. 1 SGB I auf die Nachzahlung, so ist diese Zinszahlung keine Kapitaleinnahme i. S. d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, sondern wie die Rentenzahlung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG steuerbar.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Finanzrechtsstreit
hat der 6. Senat unter Mitwirkung der Richterin am Finanzgericht … als Vorsitzende, der Richterin am Finanzgericht …, des Richters am Sozialgericht … sowie der ehrenamtlichen Richterin … und des ehrenamtlichen Richters … ohne mündliche Verhandlung am 20. März 2012
für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die steuerliche Behandlung der Zinsleistung auf eine Rentennachzahlung.
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2006 Einkünfte aus einer Witwenrente sowie einer Altersrente für behinderte Menschen. Der Rentenbescheid für die zuletzt genannte Rente erging am 2. November 2005. Darin sprach die Deutsche Rentenversicherung der Klägerin rückwirkend ab Mai 1999 eine Rente zu. Für die Zeit bis Dezember 2005 erhielt die Klägerin eine Nachzahlung, die gemäß § 44 Abs. 1 des ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) mit einem Betrag von 1.399,75 EUR verzinst wurde. Der Beklagte unterzog diesen Zinsbetrag zusammen mit den Rentenzahlungen der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Die Klägerin hat nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, die Zinsen auf die Rentennachzahlung seien als Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu versteuern. Die Steuerschuld der Klägerin reduziere sich insofern um 145,– EUR, da unter Berücksichtigung ihres Sparerfreibetrages für den Zinszufluss keine Steuer anfalle. Zwar habe der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 22 EStG durch das Gesetz zur Neuordnung der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Alterbezügen (Alterseinkünftegesetz – AltEinkG) neben Leibrenten auch „andere Leistungen” in den Anwendungsbereich des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a, Doppelbuchstabe aa EStG einbezogen. Zinszahlungen seien hiervon jedoch nicht erfasst. Das ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, nach der beabsichtigt gewesen sei, Teilkapitalisierungen aus berufsständischen Versorgungseinrichtungen und Pensionskassen als „andere Leistungen” in die Rentenbesteuerung einzubeziehen. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit seinem Urteil vom 13. November 2007 zum Aktenzeichen VIII R 36/05 entschieden, dass Zinsen im Sinne von § 44 Abs. 1 SGB I nicht der Besteuerung nach § 22 EStG, sondern derjenigen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterfielen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 23. August 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Oktober 2007 dahingehend zu ändern, dass Einkommensteuern in Höhe von 177,– EUR festgesetzt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Nachzahlungszinsen seien eine „andere Leistung” im Sinne von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG. Sie seien nach dem vorliegend einschlägigen Prozentsatz zur Hälfte zu besteuern. Das Urteil des BFH vom 3. November 2007 (VIII R 36/05) sei für den Streitfall nicht einschlägig, da es zur alten Rechtslage vor dem AltEinkG ergangen sei.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie die zum Streitfall übergebenen Steuerakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet gemäß § 94a der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage hat keinen Erfolg.
Der Beklagte hat die streitige Zinsnachzahlung zu Recht der Besteuerung nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG unterzogen.
Seit der Neufassung durch das AltEinkG gehören zu den sonstigen Einkünften nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG neben den Leibrenten auch „andere Leistungen”, die aus den gesetzlichen Rentenversicherungen erbracht werden. Die Neuregelung der Rentenbesteuerung, die mit Wirkung ab 2005 gilt, ist – auch in Bezug auf Rentennachzahlungen früherer Jahre – verfassungsgemäß (Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 13. April 2011, X R 19/09, BFH/NV 2011, 1489). Der Gesetzeswortlaut des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG erfasst die klägerische Zinsgutschrift. Diese stammt aus der gesetzlichen Rentenversicherung und wurde nicht als Leibrente, sondern in anderer Form erbracht. Es handelt sich mithin um eine „andere Leistung” im Sinne der Bestimmung.
Eine Auslegung dahingehend, dass die Verzinsung der Rentennachzahlung entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht in den Regelungsbereich der Vorschrift einbezogen wird, ist nicht geboten.
Mit § 52 Abs. 1 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber die vollständige Umstellung der Rentenbesteuerung auf das neue System. Konsequenterweise wurden alle ab dem Jahr 2005 zugeflossenen Rentenbezüge unterschiedslos der Übergangsregelung unterworfen und entsprechend ihrem Beginn einem Rentnerjahrgang (Kohorte) zugeordnet. Von dieser Übergangsregelung sind auch Rentennachzahlungen für frühere Jahre betroffen (Urteil des BFH vom 13. April 2011 X R 1/10, BStBl. II 2011, 915 m. w. N.). Dem gesetzgeberischen Willen, alle aus der Rentenversicherung stammenden Leistungen vollständig zu erfassen und einheitlich der nachgelagerten Besteuerung zu unterwerfen, entspricht es, auch die im Zusammenhang mit einer Rentennachzahlung stehende Verzinsung dem Anwendungsbereich von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG zuzuordnen. Der Gesetzesbegründung lässt sich nichts anderes entnehmen. Der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages hat in seinem Bericht zum Entwurf des AltEinkG vom 29. April 2004 ausgeführt, der Begriff „Leibrenten” werde um den Begriff „andere Leistungen” erweitert, weil zum Beispiel bei berufsständischen Versorgungseinrichtungen und Pensionskassen Teilkapitalisierungen zulässig seien, die anderenfalls nicht steuerbar wären (BT-Drucksache 15/3004, S. 19). Wie der Zusatz „zum Beispiel” zeigt, wollte der Gesetzgeber ersichtlich nicht nur die bisher ausdrücklich benannten Leistungstypen erfassen, sondern Zahlungen jedweder Art aus der Rentenversicherung der nachgelagerten Besteuerung unterwerfen.
Mit der Neuregelung entfällt auch die Behandlung der Nachzahlungszinsen als Kapitaleinkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (so noch das BFH-Urteil vom 13. November 2007 VIII R 36/05, BStBl. II 2008, 292 zur vorherigen Gesetzesfassung). § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa EStG genießt als speziellere Regelung Anwendungsvorrang, denn er ist gerade auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zugeschnitten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zulassen.