05.01.2012
Finanzgericht Köln: Urteil vom 22.09.2011 – 10 K 33/11
Für das Vorliegen einer festen Niederlassung im Inland ist es nicht Voraussetzung, dass der betreffende Unternehmer auch rechtlich die alleinige Verfügungsmacht über Räumlichkeiten, Personal und Einrichtung innehat.
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat der 10. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 22.09.2011 für Recht erkannt:
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin zur Einbehaltung und Abführung von Umsatzsteuer im Rahmen des Umsatzsteuer-Abzugsverfahrens verpflichtet war. Die Klägerin gehört als verbundenes Unternehmen zur Firmengruppe S K, der am Stammkapital der Klägerin zu 90% beteiligt war. Die Klägerin bezog in den Streitjahren 1997 und 1998 umsatzsteuerpflichtige Werklieferungen der Firma „A.” (A), einer Kapitalgesellschaft polnischen Rechts. Geschäftsleitung und Sitz der A befanden sich in B, Polen. Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die A zumindest in den Jahren ab 1996/97 in D (Inland) auch über eine „feste Niederlassung” unter der Anschrift „E-Straße …, … D” bzw. „F-Straße …, … D” verfügte, mit der Folge, dass die Klägerin gemäß § 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV von der Verpflichtung zur Einbehaltung und Abführung der Umsatzsteuer für die A befreit wäre.
Generalbevollmächtigter der A war Herr G (G). Die A nahm zunächst die sog. Null-Regelung in Anspruch und erteilte bis etwa 1995 Rechnungen ohne gesonderten Ausweis von Umsatzsteuer. Die steuerlichen Angelegenheiten der A wurden durch Steuerberater C (StB) erledigt. Mitte 1994 gründete G die in der Folgezeit als sog. „inländische Repräsentanz” der A verwendete „H GmbH, E-Straße …, … D” (H-GmbH). Die Eintragung der H-GmbH in das Handelsregister erfolgte am 26. September 1994. Gesellschafter der H-GmbH waren neben G Herr K (K) und ein weiterer polnischer Staatsbürger; K war zusammen mit diesem weiteren polnischen Staatsbürger und einer dritten Person auch Gesellschafter der A. Das inländische Konto der A bei der L-Bank hatte G mit Herrn K eingerichtet. Inhaberin des Kontos war die A Engineering, G hatte nur Vollmacht über dieses Konto. G selbst war weder Gesellschafter noch Geschäftsführer der A.
Nach den Erläuterungen des Bevollmächtigten und von G in der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2011 waren G bzw. die H-GmbH zunächst von der Anschrift „F-Straße …, … D” aus, dem privateigenen Wohnhaus der Ehefrau des G, für A tätig. Ein Mietvertrag über die Räumlichkeiten, die G im Rahmen seiner Tätigkeit für die H-GmbH bzw. für die A nutzte, bestand in dieser Zeit nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht. Nach den eingereichten Unterlagen und dem Vortrag in der mündlichen Verhandlung ist die geschäftliche Aktivität für die A etwa Ende Mai bzw. Anfang Juni 1997 endgültig in die von G bzw. der H-GmbH angemieteten Geschäftsräume in der „E-Straße …, … D” verlegt worden. Dort waren nach der unbestrittenen Aussage des G zwei Firmenschilder am Haus angebracht, nämlich das der H-GmbH und ein Firmenschild der A. Den Mietvertrag mit der Vermieterin über die Räumlichkeiten der E-Straße hatten G bzw. die H-GmbH abgeschlossen. Denn die Vermieterin habe lieber G und nicht die polnische A als Mieter gewollt. Die H-GmbH war auch Inhaber des Telefonanschlusses, da die A als polnische Firma in Deutschland Schwierigkeiten hatte, einen eigenen Telefonanschluss zu erlangen. In den Rechnungen der H-GmbH an die A Engineering wurden neben der Umsatzprovision von 15 % anteilig auch die Miet- und Telefonkosten an die A weiterberechnet.
Die den erbrachten Werkleistungen zugrunde liegenden Verträge wurden nach den vorgelegten Unterlagen jedenfalls ab 1997 zwischen der Klägerin und der A, B, vertreten durch Herrn K als Geschäftsführer, dieser vertreten durch die H-GmbH, diese vertreten durch G „F-Straße …, … D” bzw. später „E-Straße …, … D”, geschlossen (etwa GA Bl. 27). Die polnischen Arbeitnehmer wurden von der A nach Deutschland entsandt. Die für die einzelnen Gewerke jeweils notwendigen Arbeitserlaubnisse wurden der A vom Landesarbeitsamt P unter der Anschrift „F-Straße …, … D” erteilt (Prüferhandakte, Beispiel-Verträge und Arbeitserlaubnisse). Die Unterbringung der Arbeitnehmer besorgte die H-GmbH, die auch den Einsatz der Arbeitnehmer auf den deutschen Einsatzstellen steuerte und abwickelte. Die inländischen Kunden der A wie auch die Klägerin leisteten ihre Zahlungen auf das Konto der A bei der L-Bank. Über dieses Konto beglich G auch die notwendigen Betriebsausgaben der A und auch die Arbeitnehmer der A wurden von G über dieses Konto entlohnt. Die Lohnsteuer-Erklärungen für die A wurden vom StB abgegeben. Zu den Einzelheiten der Vergütung des G bzw. der H-GmbH auf Provisionsbasis sowie zur Organisation des Fuhrparks zur Erledigung der Bauarbeiten nimmt das Gericht auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift Bezug. In den Streitjahren 1997 und 1998 haben G bzw. die H-GmbH nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme jedenfalls 99% ihrer Tätigkeit für die A erbracht; im Jahr 1997 hatte die H-GmbH nur noch geringere Engineering-Umsätze für andere Firmen erbracht, im Jahr 1998 waren G bzw. die H-GmbH ausschließlich für die A tätig.
Ein Ende 1995 über StB an das Bundesamt für Finanzen (BfF) gerichteter Antrag, der A – wie bereits in den Jahren zuvor – ihre Vorsteuerbeträge zu vergüten, wurde im August 1996 mit der Begründung abgelehnt, dass die Vorsteuer-Vergütungen nicht im Vergütungsverfahren der §§ 59 ff. UStDV, sondern im allgemeinen Besteuerungsverfahren erfolgen würden. Hintergrund war eine vom FA D-West angenommene mögliche Betriebstätte der A im Inland. Gleichzeitig teilte das BfF dem FA D mit Schreiben vom 22. August 1996 betreffend den Vergütungszeitraum Januar 1994 bis März 1995 unter Hinweis auf den Ablehnungsbescheid mit, dass die nicht im Inland ansässige A im allgemeinen Besteuerungsverfahren nach den §§ 16 und 18 UStG zu veranlagen sei. Das FA D kam im weiteren Verlauf des Verfahrens zu dem Schluss, dass – unabhängig vom Vorliegen einer Betriebstätte (§ 12 AO) – bereits durch die Anwesenheit von G als ständigem Vertreter (§ 13 AO) eine beschränkte Steuerpflicht der A zu bejahen sei und schätzte nach weiteren unbeantworteten Erörterungsschreiben die Körperschaftsteuer mit Bescheid vom 15. August 1996. Der nicht begründete Einspruch blieb ohne Erfolg (EE vom 15. Februar 1997). Wegen Nichtbegleichung der Steuerschuld der A wurde G mit Bescheid vom 16. Mai 1997 für die Steuerschulden der A in Haftung genommen. Der nicht begründete Einspruch blieb ohne Erfolg. Die dagegen erhobene Klage wurde am 28. September 1998 zurückgenommen.
Aufgrund der Ablehnung der Vorsteuervergütung durch das BfF ging die A davon aus, sie unterliege als im Inland ansässiger Unternehmer der Umsatzbesteuerung gemäß §§ 16 und 18 UStG. So heißt es beispielsweise in einem Geschäftsbrief der A vom 21. November 1997: … die A mit Sitz in Polen „hat im Inland eine Betriebstätte erreicht und führt demgemäß als inländischer Unternehmer umsatzsteuerpflichtige Leistungen aus” (GA Bl. 37). Die A erteilte deshalb u. a. der Klägerin – auch rückwirkend für Rechnungen ab Mitte des Jahres 1996 (Rg. v. 16.6.1997, Prüferhandakte) – geänderte Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis. Die Rechnungen der A beinhalteten im Kopf neben der polnischen Anschrift mit Telefon- und Fax-Nummer auch die jeweilige deutsche Anschrift der A (F-Straße …, … D bzw. E-Straße …, … D) einschl. deutscher Telefon- und Fax-Nummer.
Insbesondere wegen der auch rückwirkenden Inrechnungstellung von Umsatzsteuer für Rechnungen ab Mitte 1996 kam es 1997 zu erheblichen Nachzahlungen der Klägerin gegenüber der A einerseits und zu entsprechenden Vorsteuererstattungen der Klägerin gegenüber dem Beklagten andererseits. Die sich so ergebende Umsatzsteuer für 1997 erklärte die A unter der Anschrift „E-Straße …, … D” gemäß §§ 16 und 18 UStG gegenüber dem inzwischen örtlich zuständig gewordenen FA J, welches im Rahmen einer Sonderzuständigkeit für die Besteuerung von im Ausland ansässigen Werkvertragsunternehmen im Raum D zuständig geworden war. Die Umsatzsteuererklärung für 1997 war unter Mitwirkung von StB C angefertigt und von G unterschrieben worden. Die Abrechnung zur Umsatzsteuer 1997 vom 28. Juli 1998 wurde an die H-GmbH „als Empfangsbevollmächtigter” für die A adressiert (Prüferhandakte).
Im weiteren Verlauf des Jahres 1998 geriet die A wegen Nichtzahlung fälliger Steuerschulden in Vollstreckung. Ende 1998 führte das FA J bei der A eine Umsatzsteuersonderprüfung für die Monate Januar bis August 1998 durch. Lt. Prüfungsbericht vom 5. November 1998 wurde von A Inland unter der Anschrift „… D, E-Straße …” zwar eine Betriebstätte mit der Folge von Körperschaftsteuer- und Lohnsteuerpflicht, aber weder Sitz, Geschäftsleitung noch eine Zweigniederlassung unterhalten. Nachdem auch in der Folgezeit getroffene Zahlungsvereinbarungen nicht eingehalten wurden, wurde auf Antrag des FA J vom 8. Dezember 1998 durch Beschluss des AG D vom 2. Juni 1999 das Konkursverfahren über das Vermögen der „A, E-Straße …, … D mit Sitz in B” eröffnet. Parallel schätzte das FA J, welches die vorangemeldeten Umsatzsteuer-Zahllasten zur Konkurstabelle angemeldet hatte, die Besteuerungsgrundlagen der A für die Umsatzsteuer 1998. Die Umsatzsteuerrückstände der A für die Jahre 1997 und 1998 betrugen nach Auskunft des mittlerweile zuständigen FA M 155.751 EUR bzw. 107.873 EUR. Das Konkursverfahren ist zwischenzeitlich auch abgeschlossen (Aufhebungsbeschluss vom 2. Februar 2006). In der Schlussverteilung vom 27. Juli 2006 erhielt die Finanzverwaltung – FA M – nach Auskunft des Konkursverwalters vom 12. Oktober 2006 eine Quote von 38,1% auf beide Forderungen.
Im Jahr 2001 wurde bei Firmengruppe N auf Anregung des FA J insbesondere zur Feststellung der Haftung eine Betriebsprüfung für die Jahre 1997 bis 1999 durch das FA für Großbetriebsprüfung Q durchgeführt. Die Klägerin als Leistungsempfänger habe die Einbehaltung und Abführung der ihr Rechnung gestellten Umsatzsteuer unterlassen, ohne sich durch eine Bescheinigung gemäß § 51 Abs. 3 Satz 3 UStDV nachweisen zu lassen, dass es sich bei der A um ein im Inland ansässiges Unternehmen gehandelt habe. Der Prüfer kam zu dem Ergebnis, dass die A im Ausland ansässig sei. Die A habe zwar zumindest im Prüfungszeitraum auch in der E-Straße …, … D eine Betriebstätte unterhalten. Sie habe jedoch im Inland weder über einen Sitz, ihre Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung verfügt. Dies werde auch dadurch bestätigt, dass die A zunächst selbst als ausländisches Unternehmen aufgetreten sei und von der Null-Regelung Gebrauch gemacht habe. Für eine Zweigniederlassung i.S. § 13 HGB habe es an der erforderlichen Eintragung im Handelsregister gefehlt. Die steuerliche Erfassung wegen einer Betriebstätte als im Inland beschränkt Steuerpflichtiger im Rahmen der Körperschaftsteuer sei für die umsatzsteuerliche Beurteilung der Ansässigkeit des Unternehmers ohne Bedeutung, auch wenn es unbefriedigend sei, das ertragsteuerlich eine inländische Betriebstätte vorliege, die Firma umsatzsteuerlich jedoch als ausländischer Unternehmer angesehen werde; Zweigniederlassungen seien gemäß § 12 Satz 2 Nr. 2 AO zwar als Betriebstätte anzusehen, nicht jede Betriebstätte sei jedoch auch eine Zweigniederlassung (Schreiben vom 27. März bzw. 5. Juni 2002, RBSt-Akte).
Der Beklagte folgte dieser Beurteilung und vertrat die Auffassung, dass A im Ausland ansässig sei. Er erließ gegenüber der Klägerin unter dem Datum des 18. Februar 2002 einen auf § 51 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 55 UStDV in der in den Streitjahren geltenden Fassung gestützten Haftungsbescheid wegen von A geschuldeter Umsatzsteuer der Streitjahre 1997 und 1998. Mit der Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2003 wurde die Haftungsschuld für Umsatzsteuer 1997 auf 27.873 EUR (54.515 DM) herabgesetzt und für das Jahr 1998 auf 11.079 EUR (21.668 DM), weil die Beteiligten übereinstimmend zu dem Ergebnis kamen, dass Zahlungen im Vollstreckungsverfahren auf die Steuerschuld der A sich haftungsmindernd auswirkten (Bezugnahme auf das Schreiben des Beklagten vom 10. Dezember 2002, RBSt-Akte, unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 8. August 1991,BStBl II 1991, 939, mit Anlage zur Berechnung; ebenso Anlage zur EE). Über die Höhe der Haftungssumme besteht kein Streit; beide Beteiligte waren insoweit übereinstimmend der Auffassung, dass eine vollständige Sachverhaltsaufklärung nicht mehr möglich sein würde. Streitig ist deshalb nur noch die Haftung dem Grunde nach, insbesondere die Frage, ob die Klägerin im Hinblick auf eine mögliche inländische feste Niederlassung der A überhaupt zur Durchführung des Abzugsverfahrens verpflichtet war. Dazu führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Für die Frage der Ansässigkeit sei es ohne Bedeutung, ob der ausländische Unternehmer im Inland eine Betriebstätte i.S. § 12 AO unterhalte. Eine Zweigniederlassung i.S. § 51 Abs. 3 UStDV liege mangels Eintragung ins Handelsregister nicht vor; es sei nicht mal der Antrag auf eine solche Eintragung gestellt worden. Aber selbst wenn man nicht auf die fehlende Eintragung abstellen wolle, so sei unklar, ob die angegebenen Örtlichkeiten der H-GmbH, dem G oder tatsächlich der A zuzurechnen gewesen seien. Vor allem aber habe die A zunächst von der Null-Regelung Gebrauch gemacht, die nur für ausländische Unternehmer in Betracht komme. Als dann davon abweichend Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis erteilt worden seien, hätte sich die Klägerin die Bescheinigung i.S. § 51 Abs. 3 Satz 3 UStDV vorlegen lassen müssen, um der Haftung zu entgehen.
Das FG wies die Klage im 1. Rechtsgang als unbegründet ab. Da sich Sitz und Geschäftsleitung der A im Ausland befunden hätten, hänge die Ansässigkeit der A im Inland vom Vorhandensein einer inländischen Zweigniederlassung ab. Zwar könne eine Zweigniederlassung i.S. des § 51 UStDV auch ohne Eintragung in das Handelsregister vorliegen. Man werde jedoch für eine Zweigniederlassung in Anlehnung an § 13 HGB zumindest fordern müssen, dass das ernsthafte Bemühen um die gesetzlich vorgeschriebene Eintragung festgestellt werden könne. Ein derartiges Bemühen sei im Streitfall nicht feststellbar.
Der BFH hob die Entscheidung des FG mit Urteil vom 8. September 2010 XI R 15/08, BFH/NV 2011, 661 auf, weil das FG bei seiner Entscheidung, A habe keine Zweigstelle im Inland unterhalten, zu Unrecht entscheidend darauf abgestellt habe, dass die Errichtung einer Zweigstelle nicht im Handelsregister eingetragen gewesen sei und A sich auch nicht um eine Eintragung bemüht habe. Für die Frage der Ansässigkeit, die in Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG nicht definiert werde, sei wegen der Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung darauf abzustellen, ob eine „feste Niederlassung” bestanden habe, „von wo aus die Dienstleistung erbracht” oder „von wo aus die Umsätze bewirkt worden” seien. Deshalb hat der BFH die Sache zur Feststellung zurückverwiesen, ob A über eine solche „feste Niederlassung” im Inland verfügt habe, und zwar unter Berücksichtigung derjenigen Merkmale, die der V. Senat in seinen Urteilen vom 22. Mai 2003 V R 97/01 (BFHE 203, 193, BStBl II 2003, 819) und vom 10. Februar 2005 V R 56/03 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2005, 1208) aufgestellt habe.
Die Klägerin macht geltend, sie habe in den Streitjahren Geschäftsbeziehungen mit der „A … GmbH, Deutschland” (A … GmbH) unterhalten. Der BFH habe lediglich für die polnische Muttergesellschaft der A Engineering … GmbH, für die A, festgestellt, dass sich deren Geschäftsleitung in Polen befunden habe. Die Eintragung der A … GmbH sei beabsichtigt gewesen und die A … GmbH habe im Briefkopf auch bereits als GmbH firmiert, letztlich sei es aber wegen des Konkurses der A nicht mehr zur Eintragung gekommen. Jedenfalls habe es sich bei der im Aufbau befindlichen A … GmbH, die von der E-Straße aus tätig geworden sei, um eine inländische Niederlassung der A gehandelt. Die A sei durch ihre inländische Niederlassung seit 1991 bis zu ihrem Konkurs ununterbrochen als Subunternehmer für namhafte deutsche Großunternehmen auf dem inländischen Baumarkt tätig gewesen sei (GA Bl. 22, 26). Der Sitz der inländischen Niederlassung habe sich bis ca. Mitte 1997 in D, F-Straße …, befunden, und zwar im eigenen Einfamilienhaus der Ehefrau des G, und sei dann aus räumlichen Gründen innerhalb von D in die E-Straße verlegt worden (Vorlage von Rechnungen vom 5. Mai 1997 sowie vom 2. und 16. Juni 1997, vor und nach der Sitzverlegung, GA Bl. 32, 35). An beiden Firmensitzen hätten ausreichende Büroräume zur Verfügung gestanden, die eingerichtet und mit Personal ausgestattet gewesen seien. Angesichts der erheblichen über die Niederlassung der A abgewickelten Umsätze in den Streitjahren (rd. 4 Millionen DM im Jahr 1997 und rd. 3 Millionen DM im Jahr 1998), den bis zu 100 Arbeitnehmern sowie ihren gemieteten Geschäftsräumen sei augenscheinlich, dass ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb mit entsprechenden Arbeitnehmern vorgelegen haben müsse (GA Bl. 23, 62).
Der Kläger beantragt,
den Haftungsbescheid vom 18. Februar 2002 in Gestalt des Einspruchsentscheidung vom 23. Januar 2003 aufzuheben,
hilfsweise die Zulassung der Revision.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise die Zulassung der Revision.
Der Beklagte sieht die Voraussetzungen einer Haftung bereits als erfüllt an, weil sich nicht feststellen lasse, dass die A eine feste Niederlassung im Inland gehabt habe. So sei die A und ihr damaliger steuerlicher Berater, Herr C, zunächst selbst davon ausgegangen, dass die A keine Niederlassung im Inland gehabt habe. Seit der Entscheidung des BfF im Jahr 1996 hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse hinsichtlich des Vorhandenseins von Personal und Sachmitteln nicht geändert. Die Geschäfte der A seien über die H-GmbH und deren Geschäftsführer G gelaufen. Insoweit werde Bezug genommen auf einen Aktenvermerk des G vom 22. Oktober 1998, nach welchem die H-GmbH für eine Provision von 15 % des Gesamtumsatzes der A für diese u.a. Unterkünfte besorgt, die Korrespondenz geführt und neue Werkverträge verhandelt habe. G habe zudem Kontovollmacht für das Konto der A gehabt. Es sei nach wie vor nicht nachgewiesen, dass die A bzw. die geplante A … GmbH über eine personelle und sachliche Ausstattung verfügt habe, die ihr eine autonome Erbringung der geschuldeten Leistungen ermöglicht habe. G sei nur Generalbevollmächtigter der A gewesen, so dass diese im Inland nicht durch ihre gesellschaftsrechtlichen Organe gehandelt habe, sondern Leistungen der H-GmbH bzw. ihres Geschäftsführers gegen Entgelt in Anspruch genommen habe.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 22. September 2011 Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 15. Juli 2011 (GA Bl. 95). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Klägerin konnte nicht für Umsatzsteuerschulden der A in Haftung genommen werden, weil diese ihre Tätigkeit von einer festen Niederlassung im Inland aus durchgeführt hat, die für die A in der F-Straße … bzw. in der E-Straße … unterhalten wurde.
1. Gemäß § 18 Abs. 8 Nr. 1 UStG i.V.m. §§ 51, 54 UStDV, die zum 1. Januar 2002 durch die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers (§ 13b UStG) abgelöst wurden, hat der Leistungsempfänger – sofern er ein Unternehmer oder eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist (§ 51 Abs. 2 Satz 1 UStDV) – „für Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers” die Steuer von der Gegenleistung einzubehalten, anzumelden und an das für ihn zuständige FA abzuführen. Nach § 55 UStDV haftet der Leistungsempfänger für die nach § 54 UStDV anzumeldende und abzuführende Steuer.
2. Eine solche Haftung schied im Streitfall jedoch entgegen der Ansicht des Beklagten aus, weil die A als im Erhebungsgebiet ansässiger Unternehmer i.S. §§ 51 ff. UStDV anzusehen war.
a) Ein im Ausland ansässiger Unternehmer im Sinne dieser Vorschriften ist nach der Legaldefinition in § 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV ein Unternehmer, der weder im Inland noch auf der Insel Helgoland oder in einem der in § 1 Abs. 3 UStG bezeichneten Gebiete einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat.
b) Die Auslegung dieser Vorschriften – und damit des Begriffs der Ansässigkeit – ist am Unionsrecht auszurichten, da sie auf Art. 21 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in der in den Streitjahren geltenden Fassung (Richtlinie 77/388/EWG) beruhen (BFH-Urteil vom 8. September 2010 XI R 15/08, BFH/NV 2011, 661 m.w.N.). Art. 21 Nr. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG bestimmt u.a.: „Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen bewirkt bzw. erbracht, so können die Mitgliedstaaten die erforderlichen Regelungen treffen, nach denen die Steuer von einer anderen Person geschuldet wird.” Der Begriff „ansässig” wird dabei allerdings in Art. 21 der Richtlinie 77/388/EWG nicht definiert.
c) Definitionen der Ansässigkeit enthalten jedoch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG, Art. 1 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige und Art. 1 der Dreizehnten Richtlinie 86/560/EWG des Rates vom 17. November 1986 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Verfahren der Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Gebiete der Gemeinschaft ansässige Steuerpflichtige, auf die Art. 17 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG verweist. In diesen Bestimmungen wird bei den Anknüpfungspunkten für eine Ansässigkeit u.a. auch darauf abgestellt, ob der Betreffende über eine „feste Niederlassung” verfügt, „von wo aus die Dienstleistung erbracht wird” oder „von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind”. Den in § 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV verwendeten Begriff „Zweigniederlassung” enthalten diese Bestimmungen nicht. Deshalb ist aufgrund der Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung der in § 51 Abs. 3 Satz 1 UStDV verwendete Begriff der „Zweigniederlassung” entsprechend dem Begriff der „festen Niederlassung” zu verstehen (BFH-Urteil vom 8. September 2010 XI R 15/08, BFH/NV 2011, 661).
d) Nach auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer gefestigter Rechtsprechung des EuGH ist eine „feste Niederlassung” gegeben, wenn die Stelle bzw. Betriebsstätte den erforderlichen Mindestbestand an Personal- und Sachmitteln aufweist und einen hinreichenden Grad von Beständigkeit sowie eine Struktur hat, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht (vgl. z.B. Urteil vom 28. Juni 2007 Rs. C-73/06 – Planzer Luxembourg –, Slg. 2007, I-5655, BFH/NV 2007, Beilage 4, 418, Rz 54, m.w.N., sowie im Anschluss daran BFH-Urteil vom 8. September 2010 XI R 15/08, BFH/NV 2011, 661). Im Hinblick auf das Transportwesen hat der EuGH zumindest ein Büro verlangt, in dem Verträge abgefasst und die Entscheidungen der täglichen Geschäftsführung getroffen werden können (Rz 55 des Urteils Planzer Luxembourg). Nicht erforderlich ist hingegen, dass eine Eintragung im Handelsregister vorliegt oder zumindest ein entsprechendes Bemühen darum nachgewiesen wird. Der BFH (Urteile vom 22. Mai 2003 V R 97/01, BFHE 203, 193, BStBl II 2003, 819 und vom 10. Februar 2005 V R 56/03, HFR 2005, 1208) hat diesbezüglich folgende Kriterien als entscheidungserheblich angesehen:
Wurde die Geschäftsleitung ganz oder zum Teil von Deutschland aus ausgeübt? Ggf.: Welcher Art waren die von Deutschland aus wahrgenommenen Aufgaben?
Verfügte der fragliche Unternehmer in den Streitjahren über einen Telefonanschluss bzw. war er unter seiner Firma im inländischen Telefonbuch eingetragen?
Hatte der fragliche Unternehmer unter seiner Firma Büroräume angemietet?
Hatte er Arbeitsverträge abgeschlossen?
Wo und wann waren etwaige Arbeitnehmer für ihn im Inland tätig? Welche Arbeiten haben sie erledigt?
Wo wurden die Rechnungen für die erbrachten Umsätze erstellt?
Waren die Betriebsfahrzeuge im Inland zugelassen?
Wo befand sich der Standort der Fahrzeuge, wenn sie nicht für Transportleistungen eingesetzt wurden?
Wurden für den fraglichen Unternehmer Umsatzsteuererklärungen im Inland abgege ben?
Haben die zuständigen inländischen Finanzbehörden ihm gegenüber Umsatzsteuerbe scheide erlassen?
3. Danach waren die in der „F-Straße …” bzw. in der „E-Straße …” unterhaltenen Räumlichkeiten als feste Niederlassung der I anzusehen.
a) Nach dem zwischen den Beteiligten unstreitigen Ergebnis der Beweisaufnahme hatte die A zwar keine eigenen Räumlichkeiten, weil das Nutzungsrecht dem G entweder aufgrund des Eigentums seiner Ehefrau zustand (Räumlichkeiten in der „F-Straße …”) oder wegen des von ihm abgeschlossenen Mietverhältnisses (Räumlichkeiten in der „E-Straße …”). Rechtliche Verfügungsmacht hatte die A lediglich über das von G und K für sie bei der L-Bank eingerichtete Konto und Teile des eingesetzten Fuhrparks. Allerdings hat G aus den o.a. Räumlichkeiten heraus als Generalbevollmächtigter der A für diese eine Dienstleistungstätigkeit ausgeführt, die später mit 15 % der von A erzielten Umsätze honoriert worden ist. Er hat die von ihm für diese Tätigkeit verwendete H-GmbH als sog. „inländische Repräsentanz” der A gegründet und damit bekundet, aus diesen Räumlichkeiten heraus für die A tätig werden zu wollen. Dass dieser Vortrag nachvollziehbar und nicht einfach nur vorgeschoben ist, ergibt sich für den erkennenden Senat daraus, dass Mitgesellschafter der H-GmbH der K gewesen ist, der auch Gesellschafter und Geschäftsführer der A war.
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die gesamte Geschäftstätigkeit der A im Inland von den o.a. Räumlichkeiten heraus gesteuert und koordiniert wurde, wenn auch unter Einsatz des G bzw. des Geschäftsbetriebs und des Personals der H-GmbH. Von hier aus wurden die zwischen A und der Klägerin bzw. anderen deutschen Großunternehmen bestehenden Vertragsverhältnisse angebahnt, abgeschlossen und ausgeführt. G bzw. die H-GmbH, die jedenfalls in den Streitjahren nahezu ausschließlich für die A tätig waren, besorgten für die A die Unterbringung der Arbeitnehmer und steuerten für die A auch deren Einsatz auf den deutschen Einsatzstellen. Die inländischen Kunden der A wie auch die Klägerin leisteten ihre Zahlungen auf das Konto der A bei der L-Bank. Über dieses Konto beglich G auch die notwendigen Betriebsausgaben der A und auch die Arbeitnehmer der A wurden von G über dieses Konto entlohnt. Die gesamte Abrechnungs- und Lohnabrechnungstätigkeit betreffend die Arbeitnehmer wurde von den Räumlichkeiten in der „F-Straße …” bzw. in der „E-Straße …” aus gesteuert, wie sich aus den vorgelegten Abrechnungspapieren ergibt, die im Außenverhältnis auch die Telefon- bzw. Telefax-Nr. als solche der A ausweisen. Für eine „feste Niederlassung” der A in den Streitjahren im Inland spricht ferner, dass für sie bei den zuständigen Finanzämtern sowohl Lohnsteuer-Erklärungen als auch Umsatzsteuer-Erklärungen abgegeben worden sind und darüber hinaus die Abrechnungen zur Umsatzsteuer an die H-GmbH „als Empfangsbevollmächtigter” für die A adressiert worden sind.
b) Entgegen der Auffassung des Beklagten ist für eine „feste Niederlassung” im Inland nicht Voraussetzung, dass der betreffende Unternehmer auch rechtlich die alleinige Verfügungsmacht über Räumlichkeiten, Personal und Einrichtung innehat. So stellt der EuGH für das Vorhandensein einer festen Niederlassung auf die tatsächlichen Gegebenheiten ab, wenn er für die fragliche Stelle bzw. Betriebsstätte fordert, dass diese einen hinreichenden Grad von Beständigkeit sowie eine Struktur aufweisen müsse, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermögliche. Eine rechtliche Verfügungsmacht ist dort nicht gefordert. Vor diesem Hintergrund versteht der erkennende Senat den Auftrag des BFH in seinem zurückverweisenden Urteil zur Feststellung, ob A im Inland über eine feste Niederlassung „verfügt habe” auch eher im technischen als im Rechtssinne.
c) Aber selbst wenn man den Begriff „verfügen” im Sinne einer rechtlichen Verfügungsbefugnis verstehen wollte, läge eine „feste Niederlassung” im Inland vor, weil G seine tatsächliche Verfügungsmacht nicht nur für die H-GmbH als deren Geschäftsführer, sondern offensichtlich in erster Linie auch – in der Art eines (Besitz-)Mittlungsverhältnisses – für die A ausgeübt und darüber hinaus die H-GmbH in den Dienst der A gestellt hat. Dafür spricht zunächst das an den Geschäftsräumen in der E-Straße angebrachte Firmenschild der A. Hinzu kommt die Angabe der Telefonnummer auf Geschäfts- und Abrechnungspapieren, die im Innenverhältnis zwar der H-GmbH zuzurechnen war, im Außenverhältnis als solche der A behandelt wurde. Darüber hinaus zu berücksichtigen ist die Weiterberechnung von Miete und Telefonkosten, so dass zusätzlich von einem faktischen Untermietverhältnis durch A auszugehen ist.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 151 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5. Die Revision zuzulassen, weil noch nicht abschließend geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen ein ausländisches Unternehmen über eine feste Niederlassung im Inland „verfügt”.