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  • 15.12.2011

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 12.04.2011 – 2 K 370/11

    - Für die Beurteilung der Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten ist nicht auf die Zwangsläufigkeit der Zahlungsverpflichtung selbst abzustellen, sondern darauf, ob das Ereignis, durch das der Rechtsstreit letztlich veranlasst worden ist, für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war, er mithin dem Prozess aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung oder einer tatsächlichen Zwangslage nach den Gegebenheiten des Einzelfalls nicht ausweichen konnte.


    - Zwangsläufigkeit liegt vor, wenn der Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existentiell wichtigen Bereich berührt und der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können.


    - Prozesskosten für rechtliche Unklarheiten in Bezug auf eine zu Lasten eines im Eigentum des Klägers stehenden 12 qm großen Grundstücks eingetragene Grunddienstbarkeit berühren nicht die Existenzgrundlage bzw. die lebensnotwendigen Bedürfnisse und sind daher nicht zwangsläufig.


    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.381,36 € als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG), die nach Abzug der zumutbaren Belastung

    (= 6% vom Gesamtbetrag der Einkünfte) zu einem abziehbaren Betrag in Höhe von 525,-- € führen würden. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

    Der Kläger erzielte im Streitjahr 2004 als Maschinenbau-Techniker Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. In seiner Einkommensteuererklärung 2004 beantragte er u. a. Anwaltskosten in Höhe von 2.381,36 € für einen Rechtsstreit als außergewöhnliche Belastungen. Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) hat in dem Einkommensteuerbescheid 2004 vom 08.02.2005 diese Aufwendungen nicht berücksichtigt. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Auf die Einspruchsentscheidung vom 03.11.2005 wird Bezug genommen.

    Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Berücksichtigung der Aufwendungen für den Rechtsstreit als außergewöhnliche Belastungen. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er habe als Eigentümer seines im Grundbuch eingetragenen Grundbesitzes beim Amtsgericht F. die Löschung einer gegenstandslosen Eintragung bzw. hilfsweise die Eintragung eines Widerspruchs in das Grundbuch beantragt. Gegenstand der Grundbuchangelegenheit und der Zivilstreitigkeit sei eine für seinen Grundbesitz in der Ortslage von B. eingetragene Belastung bzw. Grunddienstbarkeit. Die Anträge seien zunächst durch Beschlüsse des Amtsgerichts F. bzw. im Rahmen eines

    Beschwerdeverfahrens durch das Landgericht M. abgelehnt worden. Das Oberlandesgericht habe in den Beschlüssen des Amtsgerichts F. und des Landgerichts M. eine Verletzung des Rechts festgestellt, die beanstandeten Beschlüsse aufgehoben und die Sache zur erneuten Überprüfung und Entscheidung an das Landgericht M. zurückverwiesen. Zwischenzeitlich habe eine dritte Person ein Zivilverfahren initiiert, das gegenwärtig ebenfalls beim Landgericht M. im Berufungsverfahren verhandelt werde und das im unmittelbaren Zusammenhang mit der geschilderten Angelegenheit stehe. Auch in diesem Fall müsse er sich infolge gesetzlicher Vorschriften durch einen Rechtsanwalt vor dem Landgericht vertreten lassen, die dabei entstehenden Kosten seien gleichwohl als außergewöhnliche Belastungen aufgeführt. Ohne Führung dieses Zivilverfahrens bestünde die Gefahr sowohl in materieller als auch finanzieller Form die Existenzgrundlage zu verlieren und künftig möglicherweise lebensnotwendige Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Zur Wahrung der persönlichen Interessen sei er gezwungen gewesen, die Rechtshilfe eines Anwalts zu nehmen, zumal gemäß der zivilen Prozessordnung vor Land- und Oberlandesgerichten Anwaltspflicht herrsche. Zusammenfassend sei festzustellen, dass die als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Aufwendungen zwangsläufig durch gesetzliche Bestimmungen und ohne seine eigene Schuld entstanden seien und die Aufwendungen auch die zumutbare Belastungsgrenze bei weitem überschritten.

    Ohne Weiterführung des Rechtsstreits würden wegen fehlender Rechtsschutzversicherung für seinen Grundbesitz Kosten in Höhe von über 32.000 € entstehen. Diese Summe entspreche etwa seinem Bruttoarbeitslohn im Jahr 2004

    bzw. seinem Nettoverdienst für zwei Jahre und stelle hinsichtlich der zukünftigen Lebensführung eine unzumutbare Härte dar. Die Einspruchsentscheidung vom 03.11.2005 werde der Sachargumentation des Klägers nicht gerecht.

    Wegen fehlendem Zusammenhang, könnten die darin vom FA angeführten Entscheidungen des BFH vorliegend nicht zur Anwendung kommen. Verursachendes Ereignis für die als außergewöhnliche Belastung im Sinne § 33 EStG geltend gemachten finanziellen Aufwendungen sei nicht - wie fälschlicherweise vom FA angenommen werde - ein Nachbarschafts- bzw. Rechtsstreit, sondern ein rechtswidriger Verwaltungsakt aus dem Jahre 1938 (vgl. § 7 VwVfG gemäß heutiger Rechtslage), gegen den seinerzeit nach § 65 Abs. 2 S. 2 RUO kein Rechtsmittel gegeben gewesen sei und dessen nachteilige Wirkungen der Kläger als Rechtsnachfolger heute ausschließlich nur durch das Beschreiten des Rechtsweges beseitigen könne, wofür infolge gesetzlicher Bestimmungen aber die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes vorgeschrieben sei (vgl. 80 Abs. 1 GBO). Die bezeichnete Zivilstreitigkeit sei lediglich ein Folgeereignis aus dem rechtswidrigen Verwaltungsakt. Vorliegend seien die Voraussetzungen gemäß § 33 Abs. 1 und 2 EStG gegeben, sodass dem Klageantrag stattzugeben sei.

    Der Kläger beantragt,

    unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 03.11.2005 den Einkommensteuerbescheid 2004 mit der Maßgabe zu ändern, dass Aufwendungen in Höhe von 2.381,36 € als außergewöhnliche Belastungen im Sinne § 33 EStG berücksichtigt werden.

    Das FA beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Es ist dem Vorbringen des Klägers entgegengetreten und vertritt - im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 03.11.2005 - die Auffassung, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Das FA habe

    in seinen Schreiben im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens dem Kläger ausführlich dargelegt, dass nach der geltenden Rechtsprechung Kosten eines Zivilprozesses nur dann zwangsläufig erwüchsen, wenn auch das die Zahlungsverpflichtung verursachende Ereignis für den Steuerpflichtigen zwangsläufig sei. Dies sei gegeben, wenn der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren sowie seine lebensnotwendigen

    Bedürfnisse nicht mehr im üblichen Rahmen befriedigen könne. Es sei auch dargelegt worden, dass bei einem Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang und in Kenntnis des Prozesskostenrisikos im Falle eines Unterliegens auch dann die Prozesskosten nicht zwangsläufig entstünden, wenn der Steuerpflichtige sich vor dem Prozess hinreichende Erfolgsaussichten habe ausrechnen können. Für die Beurteilung der Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten sei ähnlich wie bei Aufwendungen infolge rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen nicht nur auf die - regelmäßig vorliegende - Zwangsläufigkeit der Zahlungsverpflichtung selbst abzustellen. Dies ergebe sich aus der Erwägung, dass derjenige, der einen Prozess führe, in aller Regel die Gründe für die Rechtspflicht zur Zahlung der Prozesskosten selbst gelegt habe (Urteil des Bundesfinanzhofs -BFH- in BFHE 147, 171, Bundessteuerblatt -BStBl- II 1986, 745). Gleichfalls seien das nach der Rechtsordnung bestehende Verbot der Selbsthilfe und die daraus folgende rechtliche Notwendigkeit, zur Verfolgung von Ansprüchen gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, nicht ausreichend für die Annahme der Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten. Hinzukommen müsse vielmehr, dass auch das Ereignis, durch das der Rechtsstreit letztlich veranlasst worden sei, für den Steuerpflichtigen zwangsläufig gewesen sei, er mithin dem Prozess aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung oder einer tatsächlichen Zwangslage nach den Gegebenheiten des Einzelfalles nicht habe ausweichen können.

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH spreche eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten, und zwar unabhängig davon, ob ihm die Prozesskosten als Kläger oder als Beklagtem entstünden (vgl.

    BFH-Urteile vom 5. Juli 1963 VI 272/61 S, BFHE 77, 487, BStB1 III 1963,

    499; in BFHE 147, 171, BStB1 II 1986, 745; in BFHE 136, 370, BStBl II 1982, 749; in BFHE 179, 383, BStBl II 1996, 197, und in BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596). Zwangsläufigkeit könne ausnahmsweise dann vorliegen, wenn der Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existenziell wichtigen Bereich berühre und die Verfolgung seiner rechtlichen Interessen trotz unsicherer Erfolgsaussichten existenziell erforderlich sei. Ein solcher Ausnahmefall könne aber nur dann in Betracht gezogen werden, wenn der Steuerpflichtige Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, würde er sich nicht auf den Rechtsstreit einlassen.

    Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 23. Mai 2001, III R 33/99) wäre eine solche Ausnahme nach Auffassung des FA allenfalls in dem Verlust der elementaren Wohnbedürfnisse oder des Verlustes der Existenzgrundlage schlechthin begründet. Die Gefahr für den Kläger, im Falle eines Verzichts auf die angestrengten Verfahren die Existenzgrundlage zu verlieren, bestehe nicht, da in dem vorliegenden Fall lediglich der Bereich der privaten Lebensgestal-tung jenseits des auch steuerlich zwingend zu berücksichtigenden Existenzminimums berührt werde. Unter Würdigung der Gesamtumstände handele es sich bei den Kosten für die Inanspruchnahme eines Rechtsbeistandes in einem Zivilprozess nicht um zwangsläufig entstandene Aufwendungen, eine steuerliche Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 33 Abs. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) liege nicht vor.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze Bezug genommen.

    Der Rechtsstreit ist durch Beschluss des 12. Senats vom 16.08.2010 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden (§ 6 Abs. 1 FGO).

    Die Sache befindet sich im zweiten Rechtsgang, nachdem auf die Beschwerde des Klägers hin das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 09.09.2010 durch Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 18.01.2011 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische Finanzgericht zurückverwiesen worden ist.

    Dem Gericht haben die den Rechtsstreit betreffenden Steuerakten des FA vorgelegen.

    Gründe

    Die Klage ist nicht begründet.

    Die vom Kläger geltend gemachten Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 2.381,36 € sind mangels Zwangsläufigkeit nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 Abs. 2 EStG abzugsfähig.

    Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist für die Beurteilung der Zwangsläufigkeit von Zivilprozesskosten --für sonstige Leistungsverpflichtungen aufgrund oder infolge gerichtlicher Entscheidungen gilt nichts anderes-- nicht auf die Zwangsläufigkeit der Zahlungsverpflichtung selbst abzustellen, sondern darauf, ob das Ereignis, durch das der Rechtsstreit letztlich veranlasst worden ist, für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war, er mithin dem Prozess aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Verpflichtung oder einer tatsächlichen Zwangslage nach den Gegebenheiten des Einzelfalls nicht ausweichen konnte (vgl. BFH-Urteil vom 23. Mai 2001 III R 33/99, Sammlung der Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2001, 1391, m.w.N., bestätigt durch BFH-Beschluss vom 30. Januar 2006 III B 133/04, BFH/NV 2006, 938).

    Bei den Kosten eines Zivilprozesses spricht nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit. Ebenso betont der BFH in ständiger Rechtsprechung, dass dieser Grundsatz keine starre Regel ist. Vielmehr erfordert die Vielfalt der prozessualen Gestaltungen eine Berücksichtigung des jeweiligen Streitgegenstandes und der Ursache des Streits. So hält der BFH dann eine Ausnahme für denkbar, wenn der Rechtsstreit einen für den Steuerpflichtigen existentiell wichtigen Bereich berührt und der Steuerpflich-tige ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können (z.B. BFH-Urteil vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382, m.w.N.).

    Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall eine solche Ausnahme zu verneinen. Unstreitig lagen den geltend gemachten Prozesskosten rechtliche Unklarheiten in Bezug auf eine zu Lasten eines im Eigentum des Klägers stehenden 12 qm großen Grundstücks eingetragene Grunddienstbarkeit zugrunde, auf dem zwischenzeitlich eine öffentlich-rechtlich genehmigte Garage errichtet worden ist. Insoweit vermag das Gericht nicht zu erkennen, dass der Kläger ohne den Rechtsstreit Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine

    lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können. Die Unterstellmöglichkeit eines Fahrzeugs betrifft nicht das elementare Wohnbedürfnis des Klägers und berührt somit nicht seine Existenzgrundlage. Soweit der Kläger des Weiteren vorträgt, ohne die Rechtsstreitigkeiten wären ihm Kosten in Höhe von ca. € 32.000 entstanden, die gemessen an seinem Nettoverdienst für seine zukünftige Lebensführung, eine unzumutbare Härte bedeuten würden, vermag das Gericht darin ebenfalls keine existenzielle Bedeutung zu erkennen. Insbesondere verkennt der Kläger in diesem Zusammenhang, dass die Prozessführung lediglich ca. € 5000 Abrisskosten verhindert haben, die übrigen Herstellungskosten aber unabhängig davon entstanden sind und ganz offensichtlich für den Kläger keine existenzielle Herausforderung darstellten, da er ansonsten auf den Garagenneubau wohl verzichtet hätte.

    Nur der Vollständigkeit halber zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass insoweit die geltend gemachten Prozesskosten bezüglich der vom Kläger selber angestrebten Löschung der Grunddienstbarkeit - anders als die Prozesskosten zur Abwehr des vom Nachbarn zivilrechtlich geltend gemachten Anspruchs, schon deshalb nicht als zwangsläufig anzusehen sind, weil das Recht, unabhängig von seiner Löschung, der Errichtung der Garage unstreitig nicht im Wege stand. Soweit der Kläger schließlich sich auf die „überlange Verfahrensdauer” beruft und die Ansicht vertritt, der Steueranspruch sei insoweit verwirkt, verweist das Gericht auf die zutreffende Rechtsprechung des BFH hierzu (vgl. z.B. Urteil vom 16.10.2002, XI R 41/99, BStBl. II 2003, 179). Im Übrigen sieht das Gericht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil es der Einspruchsentscheidung vom 03.11.2005 uneingeschränkt folgt (§ 105 Abs. 5 FGO). Mit dem schriftsätzlichen Vorbringen des Klägers hat sich das FA zutreffend im Schriftsatz vom 02.01.2006 auseinandergesetzt. Auch insoweit folgt das Gericht zur Vermeidung von Wiederholungen den Ausführungen des FA.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO.

    VorschriftenEStG § 33 Abs. 2