15.12.2011
Finanzgericht Berlin-Brandenburg: Urteil vom 10.05.2011 – 5 K 5403/07
1. Auch wenn sich örtliche Finanzamts-Zuständigkeit infolge des Umzugs des Klägers ins Ausland und des damit verbundenen Wechsels von der unbeschränkten zur beschränkten Steuerpflicht geändert haben sollte, kann gemäß § 127 AO die ablehnende Entscheidung des vor dem Umzug für den Kläger örtlich zuständigen FA über einen Erlassantrag des Klägers nicht allein wegen der möglichen Verletzung der Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit aufgehoben werden, wenn auch das örtlich zuständige FA in der Sache keine andere Entscheidung hätte treffen können.
2. Der Steuerpflichtige ist nicht erlassbedürftig, wenn er nach seinen eigenen Angaben überschuldet ist, sich die Billigkeitsmaßnahme daher auf seine wirtschaftliche Existenz nicht auswirken könnte und nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für ihn verbunden wäre.
3. Der Steuerpflichtige ist nicht erlasswürdig, wenn er seine Steuerschulden über mehrere Jahre fortwährend anwachsen lassen, sich nicht ausreichend um die Abdeckung der Rückstände bemüht und zudem trotz entsprechender Aufforderung die Gewinnermittlungen für mehrere Jahre nicht eingereicht hat.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg – 5. Senat – ohne mündliche Verhandlung am 10. Mai 2011 durch den Vorsitzenden Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht …, den Richter am Finanzgericht … sowie die ehrenamtlichen Richter … und …
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Erlass rückständiger Steuern und Säumniszuschläge hat.
Der Kläger ist Rechtsanwalt und erzielt Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Ausweislich einer Forderungsaufstellung des Beklagten vom 28.6.2006 schuldete er dem Beklagten Lohnsteuern, Solidaritätszuschläge zur Lohnsteuer, Einkommensteuern, Zinsen zur Einkommensteuer, Gewerbesteuern zuzüglich Zinsen, Umsatzsteuern zuzüglich Zinsen und Verspätungszuschlag, Kirchensteuern in Höhe von 109.953,86 EUR sowie Säumniszuschläge in Höhe von 54.447,13 EUR.
Mit Schreiben vom 25.4.2007 beantragte der Klägern beim Beklagten, ihm die rückständigen Steuern und Säumniszuschläge insoweit zu erlassen, als sie einen Betrag von 20.000 EUR überstiegen. Zur Begründung führte er aus, dass das Amtsgericht … die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen abgelehnt habe. Er, der Kläger, sei bemüht, sich eine neue Existenz in S. (X.) aufzubauen. Derzeit sei ein Verfahren beim Bundesgerichtshof anhängig, in dem die Rechtsanwaltskammer B. den Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt wegen Vermögensverfalls betreibe. Er, der Kläger, habe die Möglichkeit, bei einem befreundeten Geschäftspartner ein Darlehen in Höhe von 20.000 EUR zu erhalten, wenn die Chance auf eine Rückzahlung bestehe. Weitere Verbindlichkeiten habe er nicht.
Mit Bescheid vom 27.6.2007 lehnte der Beklagte den Erlass aller Steuern und Nebenabgaben wegen fehlender sachlicher und persönlicher Billigkeit ab. Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 29.6.2007.
Im Zuge des Einspruchsverfahrens reichte der Kläger eine Darstellung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse auf den 1.8.2007 ein. Danach stehen monatlichen Einnahmen in Höhe von 1.717,55 EUR monatliche Ausgaben in Höhe von 1.634,85 EUR gegenüber. Weiter gab der Kläger an, Verbindlichkeiten gegenüber verschiedenen Banken in Höhe von 24.460.323 EUR zu haben. Seine mangelnde Leistungsfähigkeit habe er nicht selbst herbeigeführt, weil er infolge des ruinösen Wertverfalls im Wohnungsbau erhebliche Verluste habe hinnehmen müssen. Er verfüge nicht über die nötigen Mittel, um Zwangsmaßnahmen gegenüber seinem persönlichen Schuldner, Herrn F., durchzuführen. Der weiteren Aufforderung des Beklagten, Gewinnermittlungen für die Jahre 2002 bis 2005, die Umsatzsteuererklärung 2004 und eine Kopie der Steuererklärung oder des Steuerbescheides für 2006 einschließlich der Gewinnermittlung für 2006 vorzulegen, kam der Kläger nicht nach.
Mit Einspruchsentscheidung vom 31.10.2007 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Sachliche Billigkeitsgründe lägen nicht vor. Die persönlichen Verhältnisse eines Steuerschuldners könnten zum Erlass führen, wenn dieser erlassbedürftig und erlasswürdig sei. Eine hier allein in Betracht kommende persönliche Billigkeit liege vor, wenn die Steuererhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Schuldners ernstlich gefährde. Lebe ein Steuerpflichtiger – wie der Kläger – in wirtschaftlichen Verhältnissen, die eine Durchsetzung aus dem Steuerverhältnis ausschlössen, könne ein Erlass hieran nichts ändern. Bei einer Überschuldung komme deshalb grundsätzlich weder eine zinslose Stundung noch ein Erlass aus Billigkeitsgründen in Betracht. Auch der Vorteil, der bei Erlass der Schuld aus deren Erlöschen folge, rechtfertige einen Billigkeitserlass nicht. Sei der Steueranspruch wegen der geringen Einkünfte und des Pfändungsschutzes nicht durchsetzbar, mangele es an dem für einen Erlass erforderlichen Zusammenhang zwischen der Einziehung einerseits und der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen andererseits.
Abgesehen davon lägen persönliche Billigkeitsgründe jedenfalls hinsichtlich der Umsatzsteuer und der Säumniszuschläge hierzu nicht vor, da der Kläger diese Beträge von anderen Steuerträgern erhalten habe. Bei abwälzbaren Steuern scheide im Regelfall die Möglichkeit eines Erlasses aus.
Schließlich fehle es auch an der Erlasswürdigkeit, weil der Kläger trotz mehrfacher Aufforderungen die angeforderten Unterlagen und Steuererklärungen nicht vorgelegt habe. Somit habe er in grober Weise seine steuerlichen Verpflichtungen vernachlässigt und gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen.
Soweit es die Säumniszuschläge betreffe, sei deren Erhebung nach ständiger Rechtsprechung nur dann sachlich unbillig, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich sei und die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verlieren. Eine Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt des Entstehens der Säumniszuschläge habe der Kläger aber weder vorgetragen noch nachgewiesen. Er habe auch keinen Nachweis dafür erbracht, dass er zum Zeitpunkt der Fälligkeit überschuldet gewesen sei. Gerade bei Erlassfällen treffe den Pflichtigen jedoch eine erhöhte Mitwirkungspflicht bei der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts.
Der Kläger hat am 6.12.2007 Klage erhoben. Er macht geltend, dass der Beklagte seit dem 1.7.2005 örtlich nicht mehr zuständig sei. Die Ablehnung des Erlasses könne nicht damit begründet werden, dass eine Steuererklärung für 2006 nicht abgegeben worden sei, wenn hierfür eine Zuständigkeit des Beklagten nicht bestehe. Zudem fehle es an einer angemessenen Ermessensabwägung. Der Beklagte habe außer Betracht gelassen, dass ihm, dem Kläger, die jetzigen Einkünfte nur dann erhalten blieben, wenn ihm die Anwaltszulassung nicht entzogen werde. Deshalb würde ihm auch ein bedingter Erlass für den Fall der Erzielung besserer Einkünfte helfen. Der Beklagte habe seine, des Klägers, Forderung gegenüber Herrn F. mit Verfügung vom 8.2.2005 gepfändet und eingezogen. Zwar habe der Schuldner nur geringe Zahlungen geleistet, das Finanzamt habe aber keine Maßnahmen ergriffen, um weitere Zahlungen zu erlangen.
Der Kläger beantragt,
den Ablehnungsbescheid vom 27.6.2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31.10.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, dass das Finanzamt N. erst zum 1.1.2006 für den Kläger wegen dessen beschränkter Steuerpflicht zuständig geworden sei. Für Steuerforderungen, die bis zum 31.12.2005 entstanden seien, bleibe weiterhin er, der Beklagte, so lange zuständig, bis alle Steuern vollständig gezahlt seien. Zwar treffe es zu, dass das Finanzamt eine Forderung des Klägers gegen Herrn F. in Höhe von 300.000 DM gepfändet habe. Bisher seien auf die Forderung aber nur 1.312 EUR gezahlt worden. Da der Kläger grundsätzlich Inhaber der Forderung geblieben sei, könne er zwar nicht mehr Leistung an sich verlangen, müsse aber selbst die erforderlichen Schritte ergreifen, um den Schuldner zur Zahlung zu veranlassen. Dies habe er nicht getan.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Dem Gericht hat bei der Entscheidung neben der Verfahrensakte ein Band Erlassakten des Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe:
Der Klage ist unbegründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –). Darüber hinaus ist nichts dafür ersichtlich, dass der Beklagte das ihm eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt haben könnte (§ 102 S. 1 FGO).
Der Beklagte hat den Antrag des Klägers auf teilweisen Erlass seiner Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis zu Recht abgelehnt. Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, dass der Beklagte für die Entscheidung örtlich nicht mehr zuständig gewesen sei. Nach § 127 Abgabenordnung – AO – kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. So aber liegt es hier, weil die Voraussetzungen des § 227 erster Halbsatz AO nicht erfüllt sind. Danach können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs – BFH –, der sich der Senat anschließt, ist zwischen sachlichen und persönlichen Billigkeitsgründen zu unterscheiden (s. nur Urteil vom 26.05.1994 – IV R 51/93, BStBl II 1994, 833). Die Einziehung einer Steuer ist sachlich unbillig, wenn die Besteuerung im Einzelfall mit Sinn und Zweck des Gesetzes nicht vereinbar ist (BFH, Urteil vom 20.2.1991 – II R 63/88, BStBl. II 1991, 541). Dies ist dann der Fall, wenn die Steuer zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Falle derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer als unbillig erscheint. Sachliche Gründe sind danach gegeben, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass der Gesetzgeber die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – hätte er sie geregelt –, im Sinne der beabsichtigten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. auch Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 5.4.1978 – 1 BvR 117/73, BStBl. II 1978, 441). Solche Gründe liegen hier ersichtlich nicht vor und werden vom Kläger auch nicht geltend gemacht.
Als persönliche Billigkeitsgründe kommen die wirtschaftlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen in Betracht (BFH, Urteil vom 29.4.1981 – IV R 23/78, BStBl II 1981, 726). Die wirtschaftliche Existenz des Steuerpflichtigen ist insbesondere gefährdet, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann (BFH, Urteil vom 29.04.1981 – IV R 23/78, BStBl 81, 726). Billigkeitsmaßnahmen aus persönlichen Gründen setzen neben der Erlassbedürftigkeit auch die Erlasswürdigkeit des Steuerpflichtigen voraus. Nur wenn beide Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Einziehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis unbillig.
Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es schon an der Erlassbedürftigkeit. Da der Kläger nach seinen eigenen Angaben überschuldet ist, könnte sich die Billigkeitsmaßnahme auf seine wirtschaftliche Existenz nicht auswirken und wäre nicht mit einem wirtschaftlichen Vorteil für ihn verbunden (zu diesem Erfordernis BFH, Beschluss vom 24.10.1988 – X B 54/88, BFH/NV 1989, 285; vgl. auch Klein/Rüsken, AO, Kommentar, 8. Aufl. 2003, § 163 Anm. 11).
Schließlich ist der Kläger auch nicht erlasswürdig. Dies ist nur dann der Fall, wenn er seine mangelnde Leistungsfähigkeit nicht selbst herbeigeführt oder durch sein Verhalten nicht in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen hätte (BFH Urteil vom 07.05.1993 – III R 43/89, BFH NV 94, 144). Ein Verstoß gegen die Interessen der Allgemeinheit liegt vor, wenn der Steuerpflichtige – wie hier – seine Steuerschulden über mehrere Jahre anwachsen lässt, sich um eine Tilgung der Rückstände nicht bemüht und seinen Steuererklärungspflichten nicht nachkommt (Tipke/Kruse, AO/FGO, Kommentar, § 227 AO Rn. 103 m.w.N.). Der Kläger hat seine Steuerschulden fortwährend anwachsen lassen und sich nicht ausreichend um die Abdeckung der Rückstände bemüht. Darüber hinaus hat er trotz entsprechender Aufforderung die Gewinnermittlungen für die Jahre 2002 bis 2005, die Umsatzsteuererklärung 2004 nicht eingereicht und somit in eindeutiger Weise gegen die Interessen der Allgemeinheit verstoßen.
Auf die Frage, ob der Beklagte Schritte zur Beitreibung der von ihm gepfändeten Forderung des Klägers hätte unternehmen müssen, kommt es nach dem Gesagten ersichtlich nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.