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  • 15.11.2011

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 20.04.2011 – 2 K 1565/10

    1. Unterhaltsaufwendungen für andere als gemäß § 1609 BGB vorrangig unterhaltsberechtigte Personen, z.B. für die Eltern, können im Allgemeinen nur dann als zwangsläufig und folglich als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs für sich sowie ggf. für seine Ehefrau und seine Kinder verbleiben (sog. Opfergrenze).

    2. Die Berechnung der Opfergrenze nach den Grundsätzen des BMF-Schreibens v. 7.6.2010, IV C 4-S 2285/07/0006:001, 2010/0415733 ist aus gerichtlicher Sicht auch insoweit nicht zu beanstanden, als es danach nur auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen im konkreten Veranlagungszeitraum ankommt und folglich bei einem Gewerbetreibenden nur die gewerblichen Einkünfte des laufenden Jahres, die in diesem Veranlagungszeitraum geleisteten laufenden Einkommensteuervorauszahlungen sowie auch die in diesem Veranlagungszeitraum für Vorjahre geleisteten Einkommensteuernachzahlungen bei der Berechnung des verfügbaren Nettoeinkommens für die Berechnung der Opfergrenze zu berücksichtigen sind; insoweit werden Steuerpflichtige mit Gewinneinkünften nicht gegenüber anderen Einkommensarten i. S. d. Art. 3 Abs. 1 GG ungleich behandelt.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 2. Senat unter Mitwirkung von …, und … sowie den ehrenamtlichen Richtern … und … ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 20. April 2011 für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    3. Die Revision wird zugelassen.

    Tatbestand

    Streitig ist der Abzug von Einkommensteuervorauszahlungen bei der Opfergrenzberechnung.

    Der ledige Kläger wurde im Jahr 2008 vom Finanzamt zur Einkommensteuer veranlagt. Er erzielte Einkünfte aus Gewerbebetrieb. In seiner Einkommensteuererklärung für 2008 erklärte er Unterhaltszahlungen an seine Mutter, mit der er nicht in einem Haushalt lebt, von EUR 4.284 als außergewöhnliche Belastung. Ferner ist er der Vater des am 6. Mai 2008 geborenen Kindes …. Das Finanzamt berücksichtigte bei der Steuerfestsetzung im Bescheid vom … 7. Januar 2010 insoweit EUR 1.379, indem die Einkünfte von EUR 18.892 abzüglich EUR 8.587 gezahlter Steuern einschließlich aller Steuervorauszahlungen des Klägers im Jahr 2008 in Höhe von dreimal EUR 95 und EUR 457 Solidaritätszuschlag, also EUR 9.848 herangezogen wurden. Davon 14% ergaben EUR 1.379. Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Das Finanzamt wies mit Einspruchsentscheidung vom 27. August 2010 den Einspruch als unbegründet zurück.

    Der Beklagte wurde durch eine örtliche Umstrukturierung in der Finanzverwaltung für den Kläger zuständig.

    Der Kläger macht geltend, dass der Beklagte bei der Berechnung der Opfergrenze gegen das BMF-Schreiben vom 9. Februar 2006 verstoßen habe. Des Weiteren liege hier eine Verletzung von Art. 3 GG vor, da eine Ungleichbehandlung zu Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit bestehe. Ferner sei der Regelungswillen von § 33a EStG nicht getroffen. Abzuziehen seien im Jahr 2008 lediglich EUR 285 an Steuerzahlungen, sodass 32% von EUR 18.607 als Opfergrenze (EUR 5.955) anzusetzen seien. Die Steuerbelastung aus 2006 und 2007 sei vom Kläger aus Rücklagen getragen worden. Durch die Zahlung im Jahr 2008 hätten sich die tatsächlichen Verhältnisse verzerrt.

    Für die Einkünfte eines Selbständigen sei es nicht gerechtfertigt, nur die Einkünfte aus dem Veranlagungszeitraum heranzuziehen. Entsprechend der Grundsätze für die Unterhaltsberechnung gemäß § 1603 BGB sei von einem Dreijahreszeitraum auszugehen. Für den Kläger ergebe sich ein unterhaltsrechtlich relevantes Nettoeinkommen von EUR 85.137. Er habe seine Tätigkeit erst am 16. November 2006 aufgenommen, sodass das Einkommen um 25,5 Monate zu teilen sei, woraus sich ein monatliches Einkommen von EUR 3.339 ergebe. Unter Berücksichtigung des gegenüber der Mutter des Klägers geltenden Selbstbehaltes von EUR 1.400 zuzüglich ½ des diesen Betrag übersteigenden Einkommens sei der Kläger in diesem Jahr mit EUR 357 leistungsfähig. Bei nichtselbständig Tätigen werde das steuerlich relevante Einkommen regelmäßig aus einem Zwölfmonatsdurchschnitt gebildet.

    Der Kläger beantragt,

    den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 7. Januar 2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. August 2010 dahingehend zu ändern, dass die Einkommensteuer 2008 auf EUR 297 festgesetzt wird.

    Der Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Der Beklagte meint, dass es für die Opfergrenze lediglich auf die Leistungsfähigkeit im Streitjahr ankäme. Daher seien alle Einnahmen zu berücksichtigen, wovon die Lohnabzüge und Steuerzahlungen abzuziehen seien.

    Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der dem Gericht übersandten Verwaltungsakten verwiesen. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

    Entscheidungsgründe

    Die zulässige Klage ist unbegründet.

    I.

    Nach § 33a Abs. 1 Satz 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen für den Unterhalt einer ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Person Aufwendungen erwachsen (außergewöhnliche Belastung in besonderen Fällen). Die Aufwendungen müssen die allgemeinen Anforderungen an eine steuerlich zu berücksichtigende außergewöhnliche Belastung erfüllen, wozu insbesondere ihre Zwangsläufigkeit (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG) gehört.

    Unterhaltsaufwendungen für andere als gemäß § 1609 BGB vorrangig unterhaltsberechtigte Personen können im Allgemeinen nur als zwangsläufig und folglich als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem nach Abzug der Unterhaltsleistungen noch die angemessenen Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfs für sich sowie ggf. für seine Ehefrau und seine Kinder verbleiben (sog. Opfergrenze – Urteil des Bundesfinanzhofes vom 30. Juni 1989 III R 149/85, BFH/NV 1990, 225). Nach § 1603 BGB ist nicht unterhaltspflichtig, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Er kann sich mangels einer bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht nicht darauf berufen, er habe sich im Sinn des § 33 Abs. 2 EStG den Aufwendungen für den Unterhalt aus rechtlichen Gründen nicht entziehen können, und ein solcher Steuerpflichtiger kann im allgemeinen auch keine Zwangslage aufgrund einer sittlichen Verpflichtung zum Unterhalt geltend machen (Beschluss des Bundesfinanzhofes vom 27. September 1991 – III B 42/91, BFHE 165, 414, BStBl II 1992, 35). Wo im Einzelfall die steuerliche Opfergrenze liegt, hängt von der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen und damit seinem Vermögen ab, Unterhalt zu leisten. Deshalb sind neben den bei der Einkommensermittlung berücksichtigten Einkünften auch steuerfreie Einnahmen (z.B. Kindergeld, Arbeitslosen- und Kurzarbeitergeld), welche die finanzielle Leistungsfähigkeit erhöhen, und andererseits neben den Werbungskosten auch andere unabweisbare Ausgaben (z.B. Sozialabgaben, Lohn- und Lohnkirchensteuern), die die Leistungsfähigkeit vermindern, in die Berechnung einzubeziehen.

    Die Berücksichtigung der Opfergrenze bei der Einkommensteuerfestsetzung verlangt ihre genaue Bezifferung. Ausdrückliche gesetzliche Berechnungsvorschriften bestehen dafür nicht. Diese zu entwickeln hat der Gesetzgeber – ebenso wie die Konkretisierung des in § 33 Abs. 2 EStG nur allgemein definierten Begriffs der Zwangsläufigkeit überhaupt – der Rechtspraxis überlassen. Für die Finanzverwaltung sind in dem Schreiben des BMF vom 7. Juni 2010 (zuletzt BStBl I 2010, 582) die erforderlichen Verwaltungsvorschriften erlassen worden. Danach wird die Opfergrenze bei der Gewährung von Unterhalt an andere Unterhaltsberechtigte als Kinder und Ehegatten des Steuerpflichtigen bei 1 % je volle EUR 500 des Jahresnettoeinkommens, höchstens 50% festgelegt; der Prozentsatz ist ggf. um je fünf Punkte für die Ehefrau des Unterhalt leistenden Steuerpflichtigen und für jedes seiner Kinder, höchstens um insgesamt 25% zu kürzen. Diese Berechnungsweise hat die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes bisher als zutreffende Norminterpretation anerkannt (Urteil des Bundesfinanzhofes vom 11. Dezember 1997 – III R 214/97, BStBl II 1998, 292). Bei dem BMF-Schreiben handelt es sich um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die mit ihrem materiell-rechtlichen Inhalt Gegenstand und nicht Maßstab richterlicher Kontrolle ist (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Mai 1988, 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214 und Urteil des Bundesfinanzhofes vom 27. Januar 2010 – IX R 31/09, BStBl II 2011, 28). D.h. das Gericht ist an das Schreiben selbst nicht gebunden, sondern es hat die Verwaltungsauffassung auf ihre Gesetzeskonformität zu überprüfen.

    Im Streitfall ist weder ersichtlich, dass der Beklagte entgegen dem BMF-Schreiben gehandelt hat, noch dass eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen Einkommensarten vorliegt. Zwar ist im entsprechenden BMF-Schreiben nicht ausdrücklich davon die Rede, wie mit Steuervorauszahlungen auf das Folgejahr umzugehen ist. Ferner wird konkret auch nicht Stellung dazu bezogen, ob nur bestimmte Veranlagungszeiträume für Beurteilung der Opfergrenze herangezogen werden sollen. Erkennbar wird jedoch deutlich der Maßstab, nämlich die Prüfung, ob nach Abzug der geltend gemachten Unterhaltsleistung noch genügend Mittel zur Bestreitung des Lebensbedarfes des Steuerpflichtigen und seiner Kinder zur Verfügung stehen. Dabei kommt es auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen im konkreten Veranlagungszeitraum an. Im Beispiel unter Ziffer 11 des BMF-Schreibens wird deutlich, dass auch Steuervorauszahlungen sowie Erstattungen oder Nachzahlungen aus vorangegangen Steuerjahren zu berücksichtigen sind.

    Eine Ungleichbehandlung – etwa zu Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit – kann nicht erkannt werden. Derartige Einkommen unterliegen der Lohnsteuer, d.h. diese werden im Abzugsverfahren direkt vom Arbeitgeber um die Lohnsteuer gekürzt an den Arbeitnehmer ausgezahlt. Die Vorauszahlung von Einkommensteuer betrifft – ebenso wie die Lohnsteuer – das laufende Steuerjahr, damit werden diese identisch behandelt. Ferner ist es zivilrechtlich zwar so, wie der Kläger ausführt, dass bei Selbständigen das Einkommen regelmäßig im Durchschnitt der letzten drei Jahre herangezogen wird, jedoch wird bei schwankenden Einkommen generell im Wege der Schätzung vorgegangen (Palandt, BGB-Kommentar, § 1603 Rn. 12). Insbesondere können auch Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit schwanken. Des Weiteren wird auch zivilrechtlich zwischen dem steuerlich und dem unterhaltsrechtlich relevanten Einkommen unterschieden. So wird auch für die Unterhaltsberechnung zwar bei Einkünften aus Gewinneinkünften ein Dreijahreszeitraum angenommen, jedoch dann die jährliche … Steuerbelastung abgezogen, um der jeweiligen Steuerprogression Rechnung zu tragen (Urteil des Bundesgerichtshofes vom 16. Januar 1985 – IVb ZR 59/83, NJW 1985, 909). D.h. auch zivilrechtlich findet eine Verrechnung der Steuern über mehrere Jahre mit den jeweiligen Einkommen nicht statt.

    Im Übrigen kann die Vorgehensweise des Beklagten entsprechend dem o.g. BMF-Schreiben im Streitjahr zu einer relativ geringen Opfergrenze führen, jedoch in den Folgejahren läge diese entsprechend höher, da dann aus den Vorjahren keine Steuernachzahlungen erforderlich sind.

    Die vom Beklagten vorgenommene Berechnung begegnet daher keinen Bedenken.

    II.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, da die Sache eine Entscheidung des Bundesfinanzhofes zur Rechtsfortbildung erfordert.

    VorschriftenEStG 2007 § 33a Abs. 1 S. 1, EStG 2007 § 33 Abs. 2 S. 1, GG Art. 3 Abs. 1, BGB § 1603, BGB § 1609