20.10.2011
Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern: Urteil vom 07.07.2010 – 2 K 141/09
Geht das Kind in der zweimonatigen Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungen einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach, besteht aufgrund fehlender Unterhaltspflicht der Eltern kein Anspruch auf Kindergeld gem. § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG (entgegen Verfügung des Bundeszentralamtes für Steuern v. 4.7.2008, St II 2-S-2282-138/2008, BStBl I 2008, 716).
URTEIL
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
hat … als Berichterstatter des 2. Senats des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern gemäß § 79a Abs. 3 und 4 der Finanzgerichtsordnung – FGO – im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
für Recht erkannt:
Der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2008 in Gestalt seiner Einspruchsentscheidung vom 24. März 2009 wird aufgehoben, soweit die Beklagte mit ihm die Festsetzung des Kindergeldes für den am 29. Juli 1987 geborenen Sohn (T.) des Klägers für die Zeit vom 01. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2008 und ab dem 01. September 2008 aufgehoben und die Erstattung des für den Zeitraum vom 01. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2008 gezahlten Kindergeldes in Höhe von 924,00 EUR gefordert hat.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert beträgt 1.540,00 EUR.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung und Rückforderung von Kindergeld für das Jahr 2008.
Der Kläger bezog bis einschließlich August 2008 Kindergeld für seinen am 29. August 1987 geborenen Sohn T. T. absolvierte in der Zeit vom 01. September 2005 eine Ausbildung zum Fertigungsmechaniker bei der … Werft. Sein Ausbildungsverhältnis endete mit bestandener Prüfung am 30. Juni 2008. In unmittelbarem Anschluss an seine Berufsausbildung wurde T. ab dem 01. Juli 2008 von seinem Ausbildungsbetrieb in ein Arbeitsverhältnis mit Vollzeitbeschäftigung übernommen.
T. erhielt in der Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2008 eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 5.405,55 EUR brutto, darin enthalten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 1.081,11 EUR. Außerdem bezog T. aus seiner Vollzeitbeschäftigung bei der … Werft in den Monaten Juli und August 2008 einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 5.764,34 EUR, darin enthalten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 1.160,08 EUR.
Ab dem 01. September 2008 befand sich T. wieder in einer Berufsausbildung (Vollzeitunterricht) bei der Beruflichen Schule der Hansestadt Wismar und des Landkreises Nordwestmecklenburg. In dieser Zeit erzielte Tobias nach seiner von ihm schon im Verwaltungsverfahren abgegebenen Erklärung (Bl. 18, 37 d. KA.) kein Einkommen.
Nachdem am 03. September 2008 der Antrag des Klägers auf Weiterzahlung des Kindergeldes für ein volljähriges Kind bei der Beklagten eingegangen und der Kläger am 06. Oktober 2008 Nachweise über die von seinem Sohn in der Zeit vom 01. Januar bis zum 31. August 2008 erzielten Einkünfte nachgereicht hatte, hob die Beklagte mit Bescheid vom 10. Oktober 2008 die Festsetzung des Kindergeldes für T. ab dem Januar 2008 nach § 70 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes – EStG – auf und forderte vom Kläger, das im Zeitraum von Januar bis August 2008 gezahlte Kindergeld in Höhe von 1.232,00 EUR gemäß § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung – AO – zu erstatten. Zur Begründung ihrer Entscheidung führte sie aus, dass das Einkommen des Kindes voraussichtlich für das Kalenderjahr 2008 den maßgeblichen Grenzbetrag überschreiten werde.
Den hiergegen mit Schriftsatz vom 06. November 2008 form- und fristgerecht eingelegten Einspruch wies die Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 24. März 2009 als unbegründet zurück. In dieser führte sie aus, dass T.'s Einkünfte im Kalenderjahr 2008 den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (7.680,00 EUR) überschritten hätten. T. habe im gesamten Kalenderjahr die Voraussetzungen der § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG erfüllt, so dass seine gesamten Einkünfte im Kalenderjahr abzüglich der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und des Arbeitnehmerpauschbetrages von 920,00 EUR zu berücksichtigen seien.
Hiergegen wendet der Kläger sich mit seiner am 27. April 2009 form- und fristgerecht erhobenen Klage, mit der er unter Hinweis auf näher bezeichnete Entscheidungen des Bundesfinanzhofes (BFH) einwendet, dass die beiden Monate der Vollzeitbeschäftigung nicht zu berücksichtigen seien und für die übrigen Monate Kindergeld zu gewähren sei. Lediglich für die Monate Juli und August 2008 habe die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes aufheben und dass für diese beiden Monate gezahlte Kindergeld zurückfordern dürfen.
Der Kläger beantragt sinngemäß
den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2008 in Gestalt seiner Einspruchsentscheidung vom 24. März 2009 aufzuheben, soweit die Beklagte mit ihm die Festsetzung des Kindergeldes für seinen am 29. Juli 1987 geborenen Sohn T. für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2008 und ab dem 01. September 2008 aufgehoben und von ihm die Erstattung des für den Zeitraum vom 01. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2008 gezahlten Kindergeldes in Höhe von 924,00 EUR gefordert hat.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der von ihr schon im Vorverfahren vertretenen Ansicht fest, dass im vorliegenden Streitfall die gesamten Einkünfte des Sohnes des Klägers im Kalenderjahr 2008 zu berücksichtigen seien. T. habe sich in den Monaten Januar bis Juni und September bis Dezember 2008 in einer Ausbildung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG befunden und sei in den Monaten Juli und August 2008 nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) (Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten) berücksichtigungsfähig gewesen. Im Übrigen sieht sie sich aufgrund einer innerdienslichen Weisung durch das Bundeszentralamt für Steuern – BZSt – vom 04. Juli 2008 an einer Abhilfe gehindert.
Dem Gericht lag ein Band Kindergeldakten der Beklagten vor.
Entscheidungsgründe
Der Berichterstatter hat gemäß §§ 79a Abs. 3 und 4, 90 Abs. 2 FGO anstelle des Senats ohne mündliche Verhandlung über die Klage entschieden, weil die Beteiligten sich mit einer solchen Entscheidung einverstanden erklärt haben.
Das Gericht versteht den Antrag des Klägers nunmehr im vorstehend genannten Sinne. Der Kläger hat mit der Klageschrift mitgeteilt, dass sich die Klage gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und die Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen richte. Er hat auf den Hinweis des Gerichts vom 13. April 2010 klargestellt, dass er für die Monate Juli und August 2008 kein Kindergeld begehrt.
I.) Die zulässige Klage ist begründet.
Soweit die Beklagte mit dem angefochtenden Bescheid die Festsetzung des Kindergeldes für den am 24. März 2009 geborenen Sohn des Klägers auch für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni 2008 und ab dem 01. September 2008 aufgehoben und von dem Kläger die Erstattung des für die Zeit vom 01. Januar 2008 bis einschließlich 30. Juni 2008 ausgezahlten Kindergeldes in Höhe von 924,00 EUR gefordert hat, ist dieser Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
1.) Die Festsetzung des Kindergeldes war gemäß § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG lediglich für die Monate Juli und August 2008 aufzuheben und nur insoweit das bereits ausgezahlte Kindergeld (2 × 154,00 EUR = 308,00 EUR) nach § 37 Abs. 2 AO zu erstatten. Soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, ist die Festsetzung des Kindergeldes nach dieser Vorschrift mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern.
a.) Zwischen den Beteiligten steht nicht in Streit, dass T. in der Zeit bis zum 30. Juni 2008 und ab dem 01. September 2008 für einen Beruf ausgebildet und somit in diesen zehn Monaten des Jahres 2008 die Voraussetzungen erfüllt hat, um nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG als Kind im Sinne der kindergeldrechtlichen Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes berücksichtigt werden zu können. Insoweit haben sich die Verhältnisse, die für den Anspruch des Klägers auf Kindergeld erheblich waren, im Kalenderjahr 2008 nicht geändert.
b.) Geändert haben sich die Verhältnisse, die für den Anspruch des Klägers auf Kindergeld erheblich waren, aber für die Monate Juli und August 2008. In diesen beiden Monaten wurde T. nicht für einen Beruf ausgebildet und war – entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht – auch nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) EStG zu berücksichtigen.
Hiernach wird ein Kind bis zur Vollendung seines 25. Lebensjahres unter anderem dann berücksichtigt, wenn es sich in einer Übergangszeit von höchstens vier Monaten befindet, die zwischen zwei Ausbildungsabschnitten liegt.
Diese Voraussetzung ist ihrem Wortlaut nach zwar erfüllt. Denn ausweislich der schon im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung und der dort vorgelegten Schulbescheinigungen (Bl. 19, 20, 36 d. KA.) endete T.'s Berufsausbildung bei der Werft am 30. Juni 2008. Nur zwei Monate später begann T. am 01. September 2008 seine weitere Ausbildung bei der Beruflichen Schule des Hansestadt Wismar und des Landkreises Nordwetsmecklenburg.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) und c) EStG aber nicht erfüllt, wenn das Kind in der Übergangszeit oder während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachgeht (vgl. BFH-Urteile vom 23. Februar 2006, III R 46/05, BStBl II 2008, 704; vom 14. Mai 2002, VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551 und vom 19. Oktober 2001, VI R 39/00, BStBl II, 2002, 481). Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Regelung in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) und c) EStG. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a), b) und c) EStG erfasst solche Zeiträume, während derer die Eltern typischerweise mit Unterhaltsaufwendungen für das Kind belastet sind (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2001, VI R 39/00, BStBl II, 2002, 481). Geht das Kind in der Übergangszeit oder während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz einer Vollzeitbeschäftigung nach, kann indes typisierend angenommen werden, dass eine Unterhaltspflicht der Eltern in dieser Zeit nicht besteht (vgl. BFH-Urteile vom 23. Februar 2006, III R 46/05, BStBl II 2008, 704 und vom 14. Mai 2002, VIII R 83/98, BFH/NV 2002, 1551).
An dieser Rechtsprechung hat sich entgegen der Auffassung der Verwaltung (vgl. die Verfügung des Bundeszentralamtes für Steuern vom 04. Juli 2008, St II 2-S-2282-138/2008, BStBl. I 2008, 716) auch durch das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 16. November 2006 (III R 15/06, BStBl II 2008, 56) nichts geändert (vgl. BFH-Urteile vom 21. Januar 2010, III R 62/08, BFH/NV 2010, 871 und III R 68/08, BFH/NV 2010, 872).
Ausgehend vom Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung war T. in den Monaten Juli und August 2008 nicht nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b) EStG zu berücksichtigen. Denn T. ging in diesen beiden Monaten einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach und verdiente allein in diesen beiden Monaten 5.464,34 EUR brutto. Das steht zwischen den Beteiligten außer Streit und ergibt sich auch aus der schon im Verwaltungsverfahren vorgelegten Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung und dem schon seinerzeit vorgelegten Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung (Bl. 20, 24 d. KA.).
2.) Die Beklagte war indes nicht berechtigt, darüber hinaus auch die Festsetzung des Kindergeldes für die Zeit vom 01. Januar bis zum 30. Juni und für die Zeit vom 01. September bis 31. Dezember 2008 nach § 70 Abs. 4 EStG aufzuheben.
Hiernach ist die Kindergeldfestsetzung zwar aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über oder unterschreiten. T.'s Einkünfte haben jedoch den maßgeblichen Grenzbetrag nicht überschritten.
Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird ein Kind nach dessen Satz 1 Nr. 1 und 2 nur dann berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680,00 EUR im Kalenderjahr hat. Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen nach Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 an keinem Tag vorliegen, ermäßigt sich dieser Betrag nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG um ein Zwölftel. Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außer Ansatz, § 32 Abs. 4 Satz 8 EStG.
Aus den oben ausgeführten Gründen hat T. die Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG nur in den Monaten Januar bis Juni und September bis Dezember 2008 erfüllt, nicht indes in der Zeit vom 01. Juli bis zum 31. August 2008. Infolgedessen ist der Jahresgrenzbetrag von 7.680,00 EUR für diese beiden Monate um 1/6 auf 6.400,00 EUR zu ermäßigen. Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 8 EStG bleiben aber auch die von T. in diesen beiden Monaten bezogenen Einkünfte und Bezüge außer Ansatz. Seine verbleibenden Einkünfte, namentlich die von ihm bis zum 30. Juni 2008 bezogene Ausbildungsvergütung in Höhe von 5.405,55 EUR brutto, überschreitet den anteiligen Jahresgrenzbetrag (6.400,00 EUR) auch ohne die noch vorzunehmenden Abzüge (Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung, Werbungskosten oder ggf. zeitanteilig der Werbungskostenpauschbetrag) nicht.
II.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nach § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen. Die Sache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Die Beklagte hat nach Lage der Akten mit Bescheid vom 11. Dezember 2008 für die Zeit ab Januar 2009 Kindergeld wieder festsetzt (vgl. Bl. 45, 46 d. KA). Zwischen den Beteiligten stand nach dem klarstellenden Schriftsatz des Klägers vom 12. Mai 2010 mithin nur in Streit, ob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für die Monate Januar bis Juni und September bis Dezember 2008 (10 Monate × 154,00 EUR) aufheben durfte oder nicht.