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  • 19.08.2011

    Finanzgericht Münster: Urteil vom 01.06.2011 – 11 K 3869/10 Kg

    Ein Zeitraum von fünf bis sechs Monaten zwischen Ende der Schulausbildung und Beginn des Grundwehrdienstes kann nicht als Übergangszeit i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b EStG angesehen werden.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Rechtsstreit

    hat der 11. Senat in der Besetzung: Vorsitzender Richter am Finanzgericht … Richter am Finanzgericht … Richterin am Finanzgericht … ehrenamtlicher Richter … ehrenamtlicher Richter … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 01.06.2011 für Recht erkannt:

    Tatbestand:

    Streitig ist, ob der Zeitraum von fünf bis sechs Monaten zwischen Ende der Schulausbildung und Beginn des Grundwehrdienstes als Übergangszeit im Sinne des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b Einkommensteuergesetz zu werten ist.

    Der Sohn des Klägers, T geb. am 04.02.1990, besuchte bis zum 01.07. das Werner-von-Siemens-Gymnasium in G. Er verließ das Gymnasium in der 12. Klasse. Mit Schreiben vom 31.07.2009 (Blatt 39 der Verwaltungsvorgänge) willigte T mit einer Einziehung zum 01.10.2009 zum Grundwehrdienst ein. Tatsächlich wurde er dann laut Mitteilung des Kreiswehrersatzamtes M vom 01.10.2009 zum 01.01.2010 einberufen (vgl. Blatt 38 der Verwaltungsvorgänge). In der Zwischenzeit übte er eine Tätigkeit als Helfer in einem Gartenbaubetrieb der Firma W + G Galabau aus (vgl. Blatt 23 der Verwaltungsvorgänge).

    Die Beklagte zahlte dem Kläger während des gesamten Jahres bis Dezember 2009 Kindergeld in Höhe von 164 EUR monatlich. Ihr war der Umstand, dass T die Schulausbildung abgebrochen hatte, nicht bekannt gewesen.

    Mit Schreiben vom 01.01.2010 teilte der Kläger der Beklagten mit, dass sein Sohn T vom 01.01. bis 30.09.2010 den Grundwehrdienst ableiste. Die Beklagte forderte daraufhin beim Kläger einen Nachweis über den Abbruch der Schulausbildung und eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen für 2009 an. Mit Schreiben vom 01.02.2010 teilte der Kläger mit, dass T vorübergehend nicht wehrdienstfähig sei und bat um Weiterzahlung des Kindergeldes ab Februar 2010. Mit Telefax vom 23.03.2010 beschwerte sich der Kläger bei der Beklagten über deren Untätigkeit. Die Beklagte ermittelte daraufhin, dass T die Schule nur bis zum 01.07.2009 besucht hatte und sich am 12.02.2010 bei der Berufsberatung G um einen Ausbildungsplatz als Gärtner im Garten- und Landschaftsbau bemüht hat. Mit Schreiben vom 24.03.2010 forderte die Beklagte beim Kläger u. a. eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen 2009 und einen Nachweis über eigene Bemühungen von T um einen Ausbildungsplatz für den Zeitraum von August 2009 bis Dezember 2009 an. Der Kläger reichte daraufhin eine Erklärung zu den Einkünften und Bezügen von T für 2009 sowie eine Absage der Firma P vom 28.04.2009 für die Bewerbung um einen Ausbildungsplatz ein.

    Mit Schreiben vom 01.04.2010 wies die Beklagte darauf hin, dass der Kläger möglicherweise für den Zeitraum von August 2009 bis Dezember 2009 Kindergeld in Höhe von 820,00 EUR (= 5 Monate a 164 EUR) zu Unrecht erhalten habe und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger wies mit Schreiben vom 09.04.2010 darauf hin, dass sich T am 31.07.2009 beim Kreiswehrersatzamt in M zwecks sofortiger Einziehung zum Grundwehrdienst gemeldet habe. Am 01.10.2009 habe T die Einberufung zum Grundwehrdienst erhalten. Als Bestätigung legte er eine Kopie eines Schreibens des Kreiswehrersatzamtes M vom 01.10.2009 bei, wonach T zum 01.01.2010 zum Grundwehrdienst einberufen wurde. Ferner legte er die Einwilligungserklärung von T vom 31.07.2009 in Kopie bei.

    Mit Bescheid vom 15.04.2010 hob die Beklagte die Festsetzung des Kindergeldes für T ab August 2009 auf und forderte für den Zeitraum von August 2009 bis Dezember 2009 einen überzahlten Betrag in Höhe von 820,00 EUR zurück. Sie verwies darauf, dass der Sohn für die Zeit nicht als Kind zu berücksichtigen sei.

    Hiergegen hat der Kläger Einspruch eingelegt und im Einspruchsverfahren einen Bevollmächtigten beauftragt. Eine Begründung wurde nicht abgegeben. Die Beklagte hat mit Einspruchsentscheidung vom 16.09.2010 den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass ein Berechtigungstatbestand für die Leistung von Kindergeld nicht nachgewiesen worden sei.

    Der Kläger hat hiergegen am 19.10.2010 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass T sich umgehend nach Beendigung seiner Schulausbildung um die Einziehung zum Grundwehrdienst bemüht habe. Darauf, dass die Einberufung erst zum 01.01.2010 erfolgt sei, habe er keinen Einfluss gehabt. Der Zeitraum zwischen Schulbeendigung und Einberufung sei als Übergangszeitraum für die Zahlung von Kindergeld zu berücksichtigen. Darüber hinaus habe der Sohn des Klägers in der Zeit zwischen Schulausbildung und Einberufung nach aller Lebenserfahrung keinerlei Möglichkeit, eine Ausbildungsstelle aufzunehmen, da der potenzielle Ausbilder vor dem Hintergrund einer möglichen Einberufung keinen Ausbildungsplatz zur Verfügung stellen werde. Hiernach habe der Sohn des Klägers alles getan, um den Zeitraum zwischen Beendigung der Schulzeit und Aufnahme des Wehrdienstes möglichst kurz zu halten.

    Der Kläger beantragt,

    den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 15.04.2010 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 16.09.2010 aufzuheben.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Zur Begründung führt sie aus, dass eine Berücksichtigung als ausbildungssuchendes Kind gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG nicht in Betracht komme, da für den Zeitraum von August 2009 bis Dezember 2009 keine Nachweise für Eigenbemühungen des Kindes um einen Ausbildungsplatz vorlägen. Auch eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG sei nicht möglich, da T in diesem Zeitraum nicht als arbeitssuchend bei der Berufsberatung der Agentur für Arbeit gemeldet gewesen sei. Schließlich sei auch eine Berücksichtigung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG nicht möglich, da die dort genannte Übergangszeit von vier Monaten überschritten worden sei. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Klageerwiderung der Beklagten vom 07.02.2011 verwiesen, die sich in der Gerichtsakte befindet.

    Der Senat hat am 1. Juni 2011 in der Sache mündlich verhandelt; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

    Entscheidungsgründe:

    Die Klage ist unbegründet.

    Der Aufhebungsbescheid vom 15.04.2010 und die Einspruchsentscheidung vom 16.09.2010 sind rechtmäßig und verletzten den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

    Der Sohn T war für den Streitzeitraum nicht als Kind im kindergeldrechtlichen Sinn zu berücksichtigen.

    Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wurde im Streitjahr 2009 bei der Festsetzung von Kindergeld berücksichtigt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG), sich in einer Übergangszeit zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes befand (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG), oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG). Ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, wurde gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG außerdem dann berücksichtigt, wenn es nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stand und bei einer Agentur für Arbeit im Inland als arbeitssuchend gemeldet war. T erfüllte im streitigen Zeitraum keinen dieser Berücksichtigungstatbestände.

    T hatte zwar das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet. Er stand jedoch in diesem Zeitraum nicht der Arbeitsvermittlung in Inland zu Verfügung und kann deshalb nicht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG für das Kindergeld berücksichtigt werden.

    Unstreitig absolvierte T in der Zeit von August 2009 bis Dezember 2009 auch keine Ausbildung, so dass eine Berücksichtigung für das Kindergeld auch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG nicht in Betracht kommt.

    Da es nach dem Vortrag des Klägers auch wenig Sinn machte, sich für den Zeitraum von August 2009 bis Dezember 2009 auf eine Ausbildungsstelle zu bewerben, und der Kl. auch selbst darauf hingewiesen hatte, dass T sich nicht beworben hat, scheidet auch ein Kindergeldanspruch nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 c EStG ebenfalls aus.

    Der Zeitraum von August 2009 bis Dezember 2009 ist auch nicht als Übergangszeit im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG zu werten. Danach ist der Übergangszeitraum ausdrücklich auf höchstens vier Monate beschränkt. Der Senat sieht auch keinen Ansatzpunkt für eine Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG, die zu einer Verlängerung des Bezugszeitraums des Kindergelds führt. Äußerste Grenze der Auslegung einer Rechtsnorm ist der natürliche Wortsinn der Rechtsvorschrift. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG enthält mit der Formulierung „Übergangszeit von höchstens vier Monaten” ein deskriptives, kein normatives Tatbestandsmerkmal. Jede Gesetzesauslegung, die auch eine Übergangszeit von mehr als vier Kalendermonaten genügen lassen würde, wäre nicht mehr durch den Gesetzeswortlaut gedeckt; das Gericht würde in verfassungswidriger Weise seine Bindung an das Gesetz und Recht (Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz) missachten und unter Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung seine Wertungen anstelle des insoweit allein dazu berufenen unmittelbar demokratisch legitimierten Gesetzgebers setzen (siehe Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 14.09.2010, Az.: 4 K 300/08 EFG 2011, 345 bis 347).

    Gegen diese Beschränkung der Begünstigung bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken, selbst wenn das Kind nicht mit einem Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten rechnen musste.

    Dass der Gesetzgeber einen Spielraum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen hat, ist anerkannt (vgl. z. B. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 1966, I BvR 320/57, 70/63, BVerfGE 21, 12, 27 und Bundesverfassungsgerichtsbeschluss vom 10. April 1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 mit weiteren Nachweisen). Er darf atypische Fälle unberücksichtigt lassen, wenn eine Einbeziehung nur unter Schwierigkeiten zu bewältigen wäre und hiervon nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betroffen wäre (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 28. April 1999, I BvL 22, 34/95, BVerfGE 100, 59, 90 mit weiteren Nachweisen).

    Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 9/842, Seite 54) ergibt sich, dass der Gesetzgeber in typisierender Betrachtungsweise davon ausging, dass ein Kind, welches Übergangs- und Wartezeiten von mehr als vier Monaten zu überbrücken hat, sich darauf einstellen kann und muss, während dieser Zeit einer Erwerbstätigkeit nachzugeben. Gegen diese Beschränkung im Wege der gesetzgeberischen Typisierung bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gilt selbst dann, wenn das Kind nicht mit einem Überschreiten der Übergangszeit von vier Monaten rechnen musste (vgl. BFH-Urteile vom 15. Juli 2003, VIII R 78/99, BStBl. II 2003, 841 mit weiteren Nachweisen; vom 16. März 2004, VIII R 86/02, BFHNV 2004, 1242 und vom 28. August 2004, VIII R 101/03, BFH/NV 2005; BFH-Beschluss vom 2. April 2004, VIII B 175/03 Nachweis in Juris; Finanzgericht Köln, Urteil vom 22. Januar 2004, 10 K 1859/03, EFG 2004, 815; Finanzgericht Köln, Urteil vom 9. November 2002, 10 K 3432/03, EFG 2004, 271; Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 29. Juli 2005, I 162/05 Nachweis in Juris; Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2005, 5 K 156/03 Nachweis in Juris; Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 3. Januar 2006, III 119/05, Nachweis in Juris vgl. Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 14.09.2010, IV K 300/08, EFG 2011, 345 bis 347, Revision anhängig (BFH III R 68/10)).

    Der Umstand, dass der Sohn keinen Einfluss auf die Dauer der Übergangszeit hatte, ist nach dem Gesetzeswortlaut unbeachtlich. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG stellt nicht auf die Verantwortung des Kindes für die Dauer der Übergangszeit ab (siehe Urteil des Finanzgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 14.09.2010 a. a. O. mit weiteren Nachweisen).

    Denn der Tatbestand des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG stellt nicht auf ein Verschulden ab. Entscheidend für den Anspruch auf Kindergeld ist nur, ob die Übergangszeit vor Ableistung des gesetzlichen Wehr- oder Zivildienstes mehr als vier Monate betragen hat.

    Sollte in dieser Zeit keine Betätigungsmöglichkeit gefunden werden können, war es einem Kind unbenommen, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. In einem solchen Fall ist die Berücksichtigung als Kind gesetzlich vorgesehen, § 32 Abs. 4 S 1 Nr. 1 EStG.

    Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen. Zur Frage der Übergangszeit des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 b EStG sind eine Vielzahl von Verfahren vor dem BFH anhängig (III R 61/07, III R 25/09, III R 5/07, III R 41/07 und III R 68/10).

    VorschriftenEStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 2b, EStG § 32 Abs 4