Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 14.07.2011

    Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 24.02.2011 – 16 K 2050/09 Kg

    - Bezieht ein Asylbewerber aufgrund der Nichtanzeige einer Unterbrechung seiner Erwerbstätigkeit unberechtigt Kindergeld, das mit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz verrechnet wird, ist die Familienkasse ungeachtet der daraus resultierenden „Ersparnis” des Sozialleistungsträgers nicht zum Erlass des Rückforderungsanspruchs aus sachlichen Billigkeitsgründen verpflichtet.


    - Eine solche Verpflichtung kommt nur in Betracht, wenn der Kindergeldberechtigte seine Mitwirkungspflichten erfüllt hat, die Familienkasse hingegen nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan hat, um die ungerechtfertigte Kindergeldgewährung zu vermeiden.


    - Ein Fehlverhalten des das Kindergeld anrechnenden Sozialleistungsträgers kann der Familienkasse nicht entgegengehalten werden.


    Tatbestand

    Der Kläger stammt aus dem Kosovo (ehemaliges Jugoslawien) und gehört der albanischen Volksgruppe an. Der Kläger war zunächst im Besitz einer Duldung (Aussetzung der Abschiebung) und ist seit Oktober 2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 erste Alternative des Aufenthaltsgesetzes – AufenthG. Er erhielt seit September 2001 antragsgemäß Kindergeld für seine Kinder, die Zwillinge „A” und „B” (geboren im Juli 1997). Nachdem die zuständige Familienkasse erfahren hatte, dass der Kläger von Mai bis Dezember 2006 nicht erwerbstätig gewesen war, sondern nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – AsylBLG bezogen hatte, forderte sie das für diesen Zeitraum gezahlte Kindergeld in Höhe von 2.464 Euro vom Kläger zurück. Zur Begründung verwies die Familienkasse darauf, bei Bezug des Kindergelds nach überstaatlichen Rechtsvorschriften [gemeint war das weitergeltende deutschjugoslawische Abkommen für Arbeitnehmer über Soziale Sicherheit] sei ein Kindergeldanspruch nur gegeben, wenn der Betroffene eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausübe, Krankengeld, Arbeitslosengeld I oder Elterngeld beziehe. Da der Kläger im Streitzeitraum diese Voraussetzungen nicht erfüllt habe, sei die Kindergeldfestsetzung rückwirkend aufzuheben und das zu Unrecht gewährte Kindergeld zurückzufordern (Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 11.10.2007). Der hiergegen erhobene Einspruch des Klägers (Einspruchsentscheidung vom 18.03.2008) blieb ohne Erfolg; die anschließend beim Finanzgericht Münster erhobene Klage (Aktenzeichen) wurde mit Urteil vom 17.09.2008 rechtskräftig abgewiesen.

    Mit Schreiben vom 21.05.2008 beantragte der Kläger, fachkundig vertreten, den Rückforderungsanspruch aus Billigkeitsgründen zu erlassen. Er verwies auf das Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH vom 15.03.2007 - III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298 und führte weiter aus, hätte man im Mai 2006 sogleich festgestellt, dass ihm kein Kindergeld mehr zustehe, hätte er ungekürzte Leistungen nach dem AsylBLG erhalten, ohne später mit einer Rückforderung belastet zu sein. Durch die unglückliche Konstellation, dass die Leistungen nach dem AsylBLG gekürzt worden seien, sei nunmehr für ihn (den Kläger) eine Finanzierungslücke entstanden, die bei anfänglicher korrekter Prüfung durch die Behörden nicht entstanden wäre. Dies rechtfertige einen Erlass aus Billigkeitsgründen.

    Die für (Billigkeits-)Maßnahmen im Zusammenhang mit der Erhebung von Kindergeld zuständige Beklagte erbat nähere Angaben zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers. Dieser erklärte, dass er aus einer Tätigkeit in einem Schnellrestaurant monatliche Einkünfte von 982,12 Euro erhalte, angesichts einer monatlichen Mietzahlung von 572 Euro (zzgl. 77 Euro Strom) und bei einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber Ehefrau und 2 Töchtern, die sämtlich keine Einkünfte erzielten.

    Daraufhin lehnte die Beklagte einen Forderungserlass aus Billigkeitsgründen ab (Bescheid vom 12.09.2008). Zur Linderung der wirtschaftlichen Notsituation bot sie eine Stundung gegen monatliche Raten von 30 Euro an und wies auf Aufrechnungsmöglichkeiten nach § 75 EStG hin. Ein Billigkeitserlass der Forderung aus persönlichen Gründen sei allerdings nicht geboten.

    Hiergegen erhob der Kläger Einspruch. Er trug vor, er sei weder jetzt noch auf absehbare Zeit in der Lage, die Rückforderung zu erfüllen. Ihm diese zinspflichtig zu stunden, führe nicht weiter. In die missliche Lage sei er überhaupt nur geraten, weil die Familienkasse ihm Kindergeld gezahlt habe, ohne dass er einen Anspruch darauf gehabt habe. Diesen Fehler müsse die Familienkasse nunmehr korrigieren. Wäre damals kein Kindergeld gewährt worden, hätte der Kläger in gleicher Höhe zu Recht andere Sozialleistungen erhalten. Es sei ungerecht und deshalb unbillig, nunmehr auf der Rückforderung des Kindergelds zu bestehen. Die für Einsprüche in Erhebungssachen der Beklagten zwischenzeitlich weisungsgemäß tätige Rechtsbehelfsstelle der Familienkasse wies den Einspruch als unbegründet zurück (Einspruchsentscheidung vom 05.02.2009).

    Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben, die zuständigkeitshalber vom FG Münster an das FG Düsseldorf verwiesen worden ist (Beschluss vom 25.05.2009). Im Verlauf des Klageverfahrens hat die Familienkasse die Einspruchsentscheidung aufgehoben, weil erhebliche Zweifel daran bestanden, dass sie lediglich auf Grundlage einer internen Weisung wirksam in Einspruchsverfahren der Beklagten für diese tätig werden konnte. Die Beklagte hat sodann eine eigene Einspruchsentscheidung (vom 18.02.2011) erlassen und den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führt die Beklagte aus, da der Erlass einer rechtmäßigen Forderung eine Begünstigung des Betroffenen zu Lasten der Allgemeinheit darstelle, bedürfte die Prüfung der Erlassvoraussetzungen einer kritischen Betrachtung. Die Unbilligkeit der Forderungseinziehung könne entweder in der Sache selbst bestehen (sachliche Unbilligkeit) oder in der Person des Schuldners begründet sein (persönliche Unbilligkeit).

    Sachliche Unbilligkeit liege vor, wenn die Einziehung der Forderung dem Zweck der anspruchsbegründenden Regelung widersprechen würde, mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder mit verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen unvereinbar wäre. Insbesondere käme ein Forderungserlass in Betracht, wenn die Einziehung den Geboten der Gleichheit und des Vertrauensschutzes, den Grundsätzen von Treu und Glauben, dem Erfordernis der Zumutbarkeit oder dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegendem Zweck widersprechen würde. Nachteile, die in der Norm selbst begründet seien, rechtfertigten demgegenüber grundsätzlich keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen. Im Streitfall scheide ein Erlass der Kindergeld-Rückforderung aus sachlichen Billigkeitsgründen aus. Wenn der nachträgliche Wegfall der Kindergeldfestsetzung nicht zu dem Wiederaufleben des weitergehenden Anspruchs auf Asylbewerberleistungen führe, beeinträchtige dies die Rechtmäßigkeit der Rückforderung nicht. Hinzu komme, dass es nicht zur unberechtigten Kindergeldgewährung und späteren Rückforderung gekommen wäre, wenn der Kläger der Familienkasse den Verlust seines Arbeitsplatzes zeitnah angezeigt hätte. Hierzu sei er gemäß § 68 Abs. 1 EStG verpflichtet gewesen. Die unberechtigte Weiterzahlung des Kindergelds sei also nicht durch die Familienkasse „verschuldet” gewesen, sondern durch den Kläger selbst, der seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei.

    Persönliche Unbilligkeit sei gegeben, wenn ohne einen Erlass die Forderungseinziehung die wirtschaftliche Existenz des Schuldners vernichten oder zumindest ernsthaft gefährden würde. Könne der wirtschaftliche Lage des Schuldners auf andere Weise

    z.B. durch eine Stundung angemessen Rechnung getragen werden, sei ein Erlass der Forderung nicht geboten; es fehle an der Erlassbedürftigkeit. Im Streitfall sei dem Kläger eine Stundung zumutbar. Hinzu komme, dass der Kläger – wie dargelegt – durch die Verletzung seiner Mitwirkungspflicht die Entstehung des Rückforderungsanspruchs selbst mitverursacht habe, was auch unter dem Aspekt der Erlasswürdigkeit zu beachten sei.

    Hiergegen richtet sich die fortgeführte Klage. Der Kläger hält einen Billigkeitserlass des Rückforderungsbetrags für geboten. Er weist darauf hin, dass die Stadt mit Schreiben vom 04.03.2008 die rückwirkende Gewährung entsprechend erhöhter Asylbewerberleistungen im Hinblick auf die Kindergeld-Rückforderung abgelehnt hat, mit der Begründung, es lägen keine Anhaltspunkte vor, dass die Kindergeldgewährung unrechtmäßig sein könnte, außerdem sei keine Rechtsgrundlage für eine Erstattungspflicht der Stadt ersichtlich. Wie habe der Kläger, der sich mit der deutschen Rechtsordnung nicht auskenne, erkennen sollen, dass die ihm gewährten Leistungen falsch berechnet worden seien und ihm Kindergeld nicht zugestanden habe.

    Der Kläger beantragt,

    die Beklagte unter Aufhebung ihres Ablehnungsbescheids vom 12.09.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.02.2011 zu verpflichten, die Kindergeldrückforderung in Höhe von 2.464 Euro aus Billigkeitsgründen zu erlassen;

    hilfsweise: die Revision zuzulassen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen;

    hilfsweise: die Revision zuzulassen.

    Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten, den Aktenauszug aus der zwischenzeitlich beigezogenen Gerichtsakte des FG Münster und aus der für den Kläger geführten Leistungsakte der Stadt (Sozial- und Jugendamt), die im Verfahren vor dem SG Münster beigezogen ist, sowie auf die vom Gericht beigezogenen Kindergeldakten der Familienkasse.

    Gründe

    Die Klage ist unbegründet.

    Die Beklagte als zuständige Behörde hat einen Erlass der Kindergeldrückforderung aus Billigkeitsgründen mit dem angefochtenen Bescheid vom 12.09.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.02.2011 rechtsfehlerfrei abgelehnt.

    1. Gemäß § 227 Abs. 1 der Abgabenordnung – AO – können die Finanzbehörden (hierzu gehören auch die Familienkassen) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet werden. Die Entscheidung über einen Erlassantrag ist eine Ermessensentscheidung, die von den Gerichten nur in den von § 102 FGO gezogenen Grenzen überprüft werden kann (Beschluss des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19.10.1971 – GmS OGB 3/70, BStBl 1972 II, 603). Nach dieser Vorschrift ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheids und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (BFH-Urteil vom 29.08.1991 - V R 78/86, BFHE 165, 178 = BStBl 1991 II, 906). Im Streitfall ist die Entscheidung der Beklagten, den beantragten Erlass abzulehnen, nicht zu beanstanden.

    2. Die Beklagte hat die in der Einspruchsentscheidung die Rechtsgrundsätze eines Erlasses aus sachlichen Billigkeitsgründen zutreffend dargestellt und sie hat das Vorliegen der Voraussetzungen für eine solche Billigkeitsmaßnahme im Streitfall aus nachvollziehbaren Erwägungen ermessensfehlerfrei verneint. Die Erwägung der Familienkasse, auf die Rückforderung unberechtigt gezahlten Kindergeldes nicht zu verzichten, weil der Kläger als Rückzahlungsverpflichteter gegenüber einer anderen Stelle (Stadt als Sozialleistungsträger) einen entsprechend höheren Leistungsanspruch gehabt hätte, ist nicht zu beanstanden. Die Familienkasse braucht sich grundsätzlich nicht die „Ersparnis” des Sozialleistungsträgers vorhalten zu lassen; sie hat vielmehr den durch die rechtsgrundlose Überzahlung des Kindergeldes eingetretenen eigenen Vermögensnachteil geltend zu machen.

    a) Dem steht das BFH-Urteil vom 15.03.2007 - III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298 (m. Anm. Grube in HFR 2007, 996 und in juris-PR SteuerR 27/2007, Anm. 4) nicht entgegen. Der BFH hat in einem sogenannten obiter dictum (nicht tragende Urteilsgründe) einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen für ernstlich erwägenswert gehalten, wenn dem Kindergeldberechtigten die Konsequenzen aus der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses offenbar nicht bewusst waren und wenn zudem die Weitergewährung des Kindergelds (und damit die spätere Rückforderung) auch auf fehlende Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden (Arbeitsamt, Familienkasse und Sozialamt) zurückzuführen gewesen ist (ebenso BFH-Urteile vom 19.11.2008 - III R 108/06, BFH/NV 2009, 357 und vom 30.07.2009 - III R 22/07, BFH/NV 2009, 1983).

    b) Die Verpflichtung zu einer entsprechenden Billigkeitsmaßnahme dürfte allerdings voraussetzen, dass der Kindergeldberechtigte seinerseits in zumutbarer Weise mitgewirkt hat und dass die Behörde hingegen nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare getan hat, um die ungerechtfertigte Kindergeldgewährung zu vermeiden. Dies mag der Fall sein, wenn die Familienkasse einen gebotenen Hinweis an den Kindergeldberechtigten vergessen, eine sich aufdrängende Rückfrage bei anderen Behörden unterlassen und damit die unberechtigte Kindergeldgewährung an einen unberatenen Berechtigten gefördert hat.

    Eine solche Sachlage hat die Beklagte im Streitfall ausgeschlossen. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte zutreffend festgestellt, dass der Kläger von der Familienkasse auf die Voraussetzungen seines Kindergeldanspruchs, insbesondere die Abhängigkeit von einer Erwerbstätigkeit, besonders hingewiesen worden ist. Im Kindergeldbescheid vom 15.11.2001 heißt es hierzu:

    „Nach der Rechtsprechung (...) haben Staatsangehörige aus Jugoslawien, Bosnien-Herzogowina, Mazedonien (...), deren Aufenthalt in Deutschland auf einer ausländerrechtlichen Duldung oder Aufenthaltsbefugnis beruht, einen Anspruch auf Kindergeld, wenn sie in Deutschland eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausüben bzw. Krankengeld oder Arbeitslosengeld beziehen.

    Hinweis:

    Änderungen in Ihren Verhältnissen müssen Sie dem Arbeitsamt – Familienkasse unverzüglich mitteilen.

    Insbesondere ist von Ihnen anzuzeigen, wenn Sie nicht mehr als Arbeitnehmer versicherungspflichtig beschäftigt sind bzw. keine Lohnersatzleistungen (Arbeitslosengeld, Krankengeld, Erziehungsgeld) mehr beziehen, weil Ihr Anspruch auf Kindergeld hiervon abhängig ist.”

    Die Familienkasse hat außerdem den Kindergeldanspruch des Klägers in regelmäßigen Abständen überprüft; bei diesen Kindergeldanträgen (im September 2003 und im Dezember 2006) hat der Kläger – wie beim erstmaligen Kindergeldantrag im September 2001 – jeweils Bescheinigungen seines Arbeitgebers vorgelegt.

    Nach alledem sind keine Versäumnisse der Familienkasse erkennbar. Die Familienkasse hat den Kläger nicht dazu bewegt, Kindergeld zu beantragen. Sie hat vielmehr wozu sie verpflichtet war den eingegangenen Kindergeldantrag bearbeitet und dem Kläger das beantragte Kindergeld gewährt. Dabei hat die Familienkasse den Kläger ausdrücklich auf seine Mitwirkungspflichten hingewiesen, nämlich dass er Änderungen in seinen Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen habe.

    c) Das Verhalten des Sozialleistungsträgers (Stadt) führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Stadt hat anlässlich der Anmeldung eines Erstattungsanspruchs im November 2002 von der Familienkasse den Kindergeldbescheid des Klägers vom 15.11.2001 zur Kenntnis erhalten (mit Anschreiben vom 08.11.2002) und wusste demzufolge, dass sein Kindergeldanspruch von einer Erwerbstätigkeit bzw. dem Bezug von Arbeitslosengeld abhängig war. Die Stadt, die regelmäßig zeitnah die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers überprüft hat, wusste auch, dass der Kläger im Mai 2005 seine Arbeitsstelle aufgegeben hatte, weil der Sohn „B” wegen einer bösartigen Tumorerkrankung längere Zeit teilstationär im Krankenhaus behandelt wurde und im Zusammenhang mit der erforderlichen chemotherapeutischen Behandlung des Sohnes die tägliche Anwesenheit eines Elternteils unbedingt erforderlich war; im April 2006 ist der Arbeitslosengeld I-Bezug des Klägers ausgelaufen. Die Stadt hat in der Folgezeit das Kindergeld des Klägers weiter mindernd auf die gewährten Sozialleistungen nach dem AsylBLG angerechnet, obwohl sie leicht hätte erkennen können, dass der Kläger diese Leistungen nunmehr zu Unrecht erhielt. Die Stadt hat es gleichwohl unterlassen, die Familienkasse über die geänderten Verhältnisse des Klägers zu informieren.

    Dieses Verhalten löst keine Verpflichtung der Beklagten zu einem Billigkeitserlass der Kindergeldrückforderung aus, und zwar bereits deshalb, weil dieser Sachverhalt im Erlassverfahren weder vorgetragen noch der Beklagten bekannt war und deshalb nicht in dem Bescheid bzw. der Einspruchsentscheidung berücksichtigt werden konnte. Darüber hinaus steht dem Kläger zunächst der Weg offen, die Stadt, die Sozialleistungen erspart hat, in Anspruch zu nehmen, möglicherweise im Hinblick auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch; vor dem rechtskräftigen Abschluss dieses (noch laufenden) sozialgerichtlichen Verfahrens erscheint eine Billigkeitsmaßnahme der Kindergeldbehörde, die letztlich auf das Fehlverhalten der Sozialbehörde gestützt wird, nicht geboten.

    Abgesehen davon würde die generelle Verpflichtung zum Erlass des Kindergeld-Rückforderungsanspruchs bei einem alternativen Anspruch auf höhere Sozialleistungen einen Anreiz für vom Gesetzgeber nicht gewollte Verhaltensweisen bieten. Betroffene Kindergeldberechtigte kämen ihren Mitwirkungspflichten gegenüber der Familienkasse nicht nach, weil das Vermeiden dieses Aufwands für sie folgenlos wäre; Sozialbehörden könnten „sehenden Auges” letztlich ungerechtfertigte Kindergeldzahlungen auf ihre Leistungsverpflichtungen anrechnen und davon dauerhaft profitieren; die nicht informierten Familienkassen hätten im Ergebnis eine Umverteilung hin zu den Sozialbehörden zu finanzieren. Ein solches Ergebnis dürfte kaum aus Billigkeitsgründen geboten sein.

    3. Die Familienkasse hat außerdem einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen zum derzeitigen Zeitpunkt (der Einspruchsentscheidung) ermessensfehlerfrei versagt. Ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen setzt voraus, dass ohne die begehrte Billigkeitsmaßnahme der notwendige Lebensunterhalt des Steuerpflichtigen vorübergehend oder andauernd nicht mehr bestritten und diese Gefährdung auch nur durch einen Erlass ausgeräumt werden kann. Kann die in der sofortigen Einziehung liegende Härte durch eine Bewilligung von Raten oder sonstige Erleichterungen beseitigt werden, handelt die Behörde grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie entsprechende Erleichterungen anbietet bzw. gewährt und einen (Teil-)Erlass ablehnt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.08.1988 - V B 71/88, BFH/NV 1990, 137, 139 am Ende; vom 12.07.1989 - X B 111/88, BFH/NV 1990, 213, und vom 12.02.1991 - VII B 170/90, BFH/NV 1992, 42).

    Dass im Streitfall dieses Ziel (Verhinderung der Existenzvernichtung bzw. ernsthaften Existenzgefährdung) derzeit durch die Pfändungs- und Schuldnerschutzvorschriften sowie durch die Gewährung einer Stundung nicht erreicht würde, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

    Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine andere Beurteilung geboten sein kann, wenn der Kläger nach beendetem sozialgerichtlichem Verfahren von dem Sozialleistungsträger (Stadt)) keine Nachzahlung erlangen könnte und wenn gerade der Rückforderungsanspruch der Familienkasse (ggf. auch im Hinblick auf angefallene Stundungszinsen oder Säumniszuschläge) selbst unter Berücksichtigung der Ansprüche des Klägers auf laufendes Kindergeld und Kinderzuschlag verhindern würde, dass die Familie künftig aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte. In diesem Fall stünde es dem Kläger frei, einen erneuten Erlassantrag zu stellen.

    4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

    Die Revision war gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Der Bundesfinanzhof hat über die in dem Urteil vom 15.03.2007 (- III R 54/05, BFH/NV 2007, 1298) angedeuteten Grenzen des Ermessens der Familienkasse, einen Billigkeitserlass abzulehnen, noch nicht entschieden.

    VorschriftenAO § 227 Abs. 1, FGO § 102, EStG § 62