28.06.2011
Finanzgericht Nürnberg: Urteil vom 10.03.2010 – 5 K 323/2007
§ 3c Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG ist im Rahmen verfassungskonformer Auslegung bei Aufgabe- und Veräußerungsverlusten nicht anwendbar, wenn der steuerpflichtige keinerlei durch seine Beteiligung vermittelten Einnahmen erzielt hat (symbolischer, real nicht geflossener Kaufpreis).
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der Feststellung der Höhe des verbleibenden Verlustvortrags für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Veräußerungsverlust des Klägers aus dem Verkauf von Aktien der A-b-C Holding AG, D (kurz: AG), in voller Höhe oder gemäß § 3c Abs. 2 EStG nur zur Hälfte zu berücksichtigen ist.
Die Kläger sind verheiratet und wurden in den Jahren 2002 und 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Kläger war mit einem Kommanditanteil von 18,89 % (Stand 06.04.2001) Kommanditist der C- Gesellschaft X GmbH & Co. KG, D (kurz: C- KG). Die anderen Anteile wurden von Familienangehörigen des Klägers gehalten.
Die KG wurde aufgrund Vertrags vom 06.04.2001 in die AG umgewandelt. Als steuerlicher Übertragungsstichtag war der 31.12.2000 bestimmt.
Bei der Umwandlung handelte es sich um eine formwechselnde Umwandlung gemäß §§ 190 ff. UmwG. Der Kläger erhielt für seinen Kommanditanteil 566.700 Aktien zu je 1 € (566.700 € bzw. 1.108.368,86 DM) und war damit wiederum mit 18,89 % am Grundkapital von 3 Mio. € beteiligt. Die Aktien waren unstreitig Privatvermögen des Klägers. Das Betriebsvermögen der AG enthielt ausweislich des Berichts über die Gründungsprüfung erhebliche stille Reserven .
Gleichfalls am 06.04.2001 erfolgte bei der AG eine Kapitalerhöhung um 3.000.003 €, wobei das Grundkapital von der E GmbH, F , (kurz: GmbH) gegen Sacheinlage übernommen wurde. Die GmbH war im Ergebnis mit 50 % plus drei Aktien an der AG beteiligt. Als Sacheinlage hatte die GmbH ihren Kommanditanteil an der A - C Gesellschaft GmbH & Co. KG, G , in die AG eingebracht.
Am 11.02.2002 verkaufte der Kläger die Aktien der AG zum Kaufpreis von insgesamt 1 € an die A - S GmbH, F , einen fremden Dritten.
In den Jahren 2001 und 2002 wurden bei der AG keine Ausschüttungen vorgenommen.
Der Veräußerungsverlust des Klägers betrug 2002 unstreitig insgesamt 1.198.833 € (2.344.713,55 DM), darunter Anschaffungskosten für den Kommanditanteil des Klägers in Höhe von insgesamt 1.196.208 € (2.339.579,47 DM; s. Prüfungsbericht nach einer abgekürzten Außenprüfung beim Kläger) und Beratungskosten in Höhe von 2.625,08 €. Im Jahr 2003 entstanden dem Kläger unstreitig weitere Aufwendungen für Beratungsleistungen im Zusammenhang mit dem Verkauf der Aktien in Höhe von 2.331,60 €. Streitig ist lediglich, ob diese Verluste gemäß § 3c Abs. 2 EStG nur zur Hälfte als Verluste aus Gewerbebetrieb steuermindernd zu berücksichtigen sind.
In der Einkommensteuererklärung für 2002 erklärten die Kläger einen steuerpflichtigen Veräußerungsverlust aus Gewerbebetrieb in Höhe von 1.186.090 €. Hierin war der Betrag von 24.923,84 DM (12.743,36 €) noch nicht berücksichtigt, da sich dieser erst bei einer Betriebsprüfung bei der C- KG für die Jahre 1998 bis 2000 herausstellte (Betriebsprüfungsbericht vom 27.08.2003).
Mit Bescheid vom 13.06.2003 veranlagte der Beklagte die Kläger für 2002 erklärungsgemäß, jedoch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und setzte die Einkommensteuer für 2002 auf 0 € fest. Gleichfalls mit Bescheid vom 13.06.2003 über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2002 setzte der Beklagte den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 EStG für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb des Klägers in Höhe von 1.007.277 € fest. Außerdem setzte er den verbleibenden Verlustvortrag für die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung sowie der Kläger aus privaten Veräußerungsgeschäften fest.
Vom 05.11.2003 bis 28.11.2003 führte das Finanzamt T beim Kläger im Auftrag des Beklagten eine abgekürzte Außenprüfung durch. Streitig blieb hiernach allein, ob der Veräußerungsverlust in Höhe von 1.198.833 € in voller Höhe oder gemäß § 3c Abs. 2 EStG nur zur Hälfte bei der Einkommensbesteuerung des Klägers für 2002 zu berücksichtigen ist (Betriebsprüfungsbericht vom 08.04.2004).
Der Beklagte folgte der Auffassung des Prüfers und erließ am 01.06.2004 einen Einkommensteuerbescheid für 2002, in dem die Einkommensteuer weiterhin mit 0 € festgesetzt und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben war. In den Besteuerungsgrundlagen berücksichtigte der Beklagte den Veräußerungsverlust nur zur Hälfte, d. h. in Höhe von 599.417 €. Mit einem weiteren Bescheid vom 01.06.2004 stellte der Beklagte den verbleibenden Verlust des Klägers aus Gewerbebetrieb zum 31.12.2002 in Höhe von 420.974 € fest. Die Änderung des Feststellungsbescheides stützte der Beklagte auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.
Gegen diese Bescheide legten die Kläger am 24.06.2004 Einspruch ein.
Am 04.11.2004 gaben die Kläger ihre Einkommensteuererklärung für 2003 ab.
Mit Bescheid vom 29.12.2004 setzte der Beklagte die Einkommensteuer der Kläger für 2003 auf 0 € fest. Mit Verlustfeststellungsbescheid vom 29.12.2004 stellte der Beklagte den verbleibenden Verlust aus Gewerbebetrieb zum 31.12.2003 in Höhe von 317.674 € fest. Hierbei berücksichtigte er den von ihm im Bescheid vom 01.06.2004 zum 31.12.2002 festgestellten verbleibenden Verlust in Höhe von 420.974 € sowie die Rechtsanwaltskosten für die Beratung im Zusammenhang mit dem Verkauf der Beteiligung an der AG in Höhe von 2.331,60 € zur Hälfte, d. h. in Höhe von 1.166 €.
Gegen diese Bescheide legten die Kläger am 07.01.2005 Einspruch ein.
Während des Einspruchsverfahrens erging ein Feststellungsbescheid für eine andere Beteiligung des Klägers, der zu einer Erhöhung der anzusetzenden Verluste um 20.007 € führte. Insoweit half der Beklagte den Einsprüchen mit Einspruchsentscheidung vom 01.02.2007 ab; hinsichtlich der nur hälftigen Berücksichtigung des Veräußerungserlöses wurden die Einsprüche als unbegründet zurückgewiesen.
Am 02.03.2007 haben die Kläger Klage erhoben.
Sie sind der Auffassung, dass die Veräußerungsverluste in Höhe von 1.198.833 € im Jahr 2002 bzw. 2.331,60 € im Jahr 2003 in voller Höhe bei der Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31.12.2002 und zum 31.12.2003 zu berücksichtigen seien. Die Kläger tragen vor, der Beklagte kürze die Verluste aus Gewerbebetrieb gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG zu Unrecht gemäß § 3 c Abs. 2 Satz 1 EStG 2001.
Der BFH habe entschieden (Entscheidungen vom 14.07.2009 IX R 8/09, BFH/NV 2010, 399, und vom 25.06.2009 IX R 42/08, BFHE 225, 445, BFH/NV 2009, 1696), der Abzug von Erwerbsaufwand (z.B. Betriebsvermögensminderungen, Anschaffungskosten oder Veräußerungskosten) sei bei § 17 Abs. 1 und Abs. 4 EStG jedenfalls dann nicht nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG begrenzt, wenn der Steuerpflichtige keinerlei durch seine Beteiligung vermittelte Einnahmen erzielt habe. Im Streitfall hätten in den Jahren 2001 und 2002 keine Ausschüttungen bei der AG stattgefunden. Der „Kaufpreis” in Höhe von 1 € sei wirtschaftlich mit 0 € gleichzusetzen.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung der Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31.12.2002 vom 01.06.2004 und zum 31.12.2003 vom 29.12.2004, beide in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.02.2007, den verbleibenden Verlustvortrag für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb zum 31.12.2002 auf 1.040.397 € und zum 31.12.2003 auf 937.097 € festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte vertritt die Auffassung, dass § 3c EStG im Streitfall einschränkungslos Anwendung finde. Die Grundsätze des BFH-Urteils vom 25. Juni 2009 seien nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzuwenden (BMF – Nichtanwendungserlass vom 15.02.2010 IV C 6-S 2244/09/10002, 2009/0722841, BStBl. I 2010, 220). Der Kläger habe zudem 1 € als Kaufpreis erlöst.
Im Übrigen wird auf die Akten und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Die Anschaffungskosten des Klägers sind bei der Berechnung des Verlusts nach § 17 Abs 1 EStG in voller Höhe zu berücksichtigen. § 3c Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG ist bei verfassungskonformer Auslegung bei Aufgabe- und Veräußerungsverlusten nicht anwendbar, wenn der Steuerpflichtige keinerlei durch seine Beteiligung vermittelte Einnahmen erzielt hat, die nur zur Hälfte zu versteuern waren. Der Senat folgt den vom BFH in den Urteilen vom 14.07.2009 IX R 8/09 (BFH/NV 2010, 399) und vom 25.06.2009 IX R 42/08 (BFHE 225, 445, BFH/NV 2009, 1696) aufgestellten Grundsätzen.
Gemäß § 3 Nr. 40 Buchst c) EStG ist die Hälfte des gemeinen Werts i. S. von § 17 Abs. 2, Abs. 4 EStG steuerfrei. Die hiermit in wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Aufwendungen sind nur zur Hälfte abzuziehen; denn nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG dürfen Betriebsvermögensminderungen, Betriebsausgaben, Veräußerungskosten oder Werbungskosten, die mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, unabhängig davon, in welchem Veranlagungszeitraum die Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen anfallen, bei der Ermittlung der Einkünfte nur zur Hälfte abgezogen werden. Entsprechendes gilt, wenn bei der Ermittlung der Einkünfte der Wert des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen oder die Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder der an deren Stelle tretende Wert mindernd zu berücksichtigen sind. Bei steuerfreien Einnahmen soll kein doppelter steuerlicher Vorteil durch den zusätzlichen Abzug von unmittelbar mit diesen zusammenhängenden Aufwendungen erzielt werden (BFH-Urteile vom 14.07.2009, IX R 8/09, BFH/NV 2010, 399; 06.07.2005 XI R 61/04, BStBl II 2006, 163).
Fallen keine Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen an, kommt eine hälftige Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 40 EStG nicht in Betracht. Folgerichtig tritt die nach § 3c Abs. 2 Satz 1 EStG maßgebende Bedingung dafür, entsprechende Aufwendungen nur zur Hälfte zu berücksichtigen, nicht ein (BFH-Urteile vom 14.07.2009, IX R 8/09, BFH/NV 2010, 399; 25.06.2009 IX R 42/08, BFHE 225, 445, BFH/NV 2009, 1696). Gemäß § 3c Abs. 1 Satz 1 2. HS EStG dürfen nur die Anschaffungs- oder Herstellungskosten, welche in Zusammenhang mit den dem § 3 Nr. 40 EStG zugrunde liegenden Betriebsvermögensmehrungen oder Einnahmen in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, zur Hälfte steuermindernd berücksichtigt werden.
Im Streitfall wurde lediglich ein Veräußerungspreis in Höhe von 1 € vereinbart, der nach Auffassung des Senats im Rahmen von § 3c EStG einem Veräußerungspreis von 0 € gleichzusetzen ist. Der Verkaufspreis in Höhe von 1 € wurde nach Überzeugung des Senats nicht deshalb vereinbart, weil die Aktien nach Einschätzung der Vertragsparteien exakt 1 € wert waren - wirtschaftlich waren die Aktien vielmehr wertlos -, sondern weil ein symbolischer Betrag für Zwecke der Buchführung und technischen Abwicklung des Kaufvertrages benötigt wurde. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den Anschaffungskosten des Klägers und etwaigen nach dem Halbeinkünfteverfahren zu erfassenden Einnahmen bestand bei einem lediglich aus buchungstechnischen Gründen vereinbarten symbolischen Kaufpreis von 1 € nicht. Sonstige Einnahmen, wie z. B. Ausschüttungen der AG, hat der Kläger unstreitig nie erzielt. Die Anschaffungskosten sind folglich in vollem Umfang als Verluste aus Gewerbebetrieb anzuerkennen.
Im Übrigen wäre ein Betrag in Höhe von 1 € nach dem Halbeinkünfteverfahren theoretisch als 0,50 € zu erfassen. In ständiger Übung setzt die Finanzverwaltung jedoch Beträge unter 1 € mit 0 € an. Hieran muss sie sich auch im Streitfall festhalten lassen. In dem vom Beklagten vorgelegten Aufsatz von Korn, DStR 2009, 2509, 2512, wird dies zwar nur für symbolische Veräußerungspreise von unter 1 € erwogen. Unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens wäre die Grenze jedoch bei 1,99 € zu ziehen. D. h. der streitgegenständliche Betrag von 1 € wäre jedenfalls nicht als Anschaffungskosten zu erfassen.
Die Rechtsprechung zur sog. „Fallbeilwirkung” bei Überschreitung einer Freigrenze um nur 1 € (vgl. etwa BFH 22.07.2009 n. v. unter Hinweis auf BFH 21.07.2000 VI R 153/99, BStBl. II 2000, 566) findet im vorliegenden Fall keine Anwendung, da das Gesetz keinen konkreten Betrag nennt, sondern lediglich von im Zusammenhang mit nach den Halbeinkünfteverfahren ermäßigt zu besteuernden Aufwendungen spricht. Diese Formulierung ist der Auslegung zugänglich und ermöglicht es dem Senat, einen ausschließlich der technischen Abwicklung bzw. Buchhaltungszwecken dienenden Betrag von 1 € unberücksichtigt zu lassen.
Das Finanzgericht setzt die Verluste antragsgemäß fest (§§ 96, 100 Abs. 2 Satz 1 FGO). Der zum 31.12.2002 festzustellende gewerbliche Verlust, den der Beklagte in der Einspruchsentscheidung in Höhe von 440.981 € festgestellt hatte, ist um die bisher vom Beklagten nicht berücksichtigten hälftigen Verluste in Höhe von 599.416 € (= 1/2 von 1.198.833 €) auf 1.040.397 € zu erhöhen. Der Verlust zum 31.12.2003 ist antragsgemäß gleichfalls um 599.416 € von 337.681 € auf 937.097 € zu erhöhen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO).
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, da er unterlegen ist (§ 135 Abs. 1 FGO).
Die Revision war nicht zuzulassen. Der Senat folgt den vom BFH in den Urteilen vom 14.07.2009 IX R 8/09 (BFH/NV 2010, 399) und vom 25.06.2009 IX R 42/08 (BFHE 225, 445, BFH/NV 2009, 1696) aufgestellten Grundsätzen.