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  • 28.06.2011

    Finanzgericht Sachsen: Urteil vom 30.04.2008 – 5 K 1017/05 (Kg)

    1. Die Berechnung, ob ein volljähriges behindertes Kind aufgrund seiner Behinderung außerstande ist, sich mit seinen eigenen Einkünften und Bezügen selbst zu unterhalten, ist nach dem Monatsprinzip vorzunehmen.

    2. Nicht monatlich, sondern jährlich anfallende Einnahmen sind abweichend davon dem Monat des Zuflusses und den folgenden elf Monaten anteilig zuzurechnen. Entsprechend sind auch einmalige Einnahmen (hier eine Nachzahlung von Erwerbsunfähigkeitsrente) zu behandeln.


    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In dem Finanzrechtsstreit

    hat der 5. Senat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht … der Richterin am Finanzgericht … der Richterin am Finanzgericht … des ehrenamtlichen Richters … des ehrenamtlichen Richters … auf Grund mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 30. April 2008

    für Recht erkannt:

    1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

    Gründe

    I.

    Streitig ist, ob dem Kläger für seine Tochter S. im Jahr 2003 Kindergeld zustand.

    Die Familienkasse hatte dem Kläger das Kindergeld zunächst gewährt, weil S., die am 05. August 1983 geboren ist, im August 2001 eine Lehre als Fotografin begonnen hatte. Die Ausbildung sollte bis Ende Juli 2004 dauern. Am 30. September 2002 wurde der Ausbildungsvertrag jedoch einvernehmlich aufgehoben. In der Zeit vom 01. Januar bis zum 21. April 2003 bezog S. Arbeitslosengeld in Höhe von insgesamt 285,27 EUR. Die Nürnberger Versicherung erkannte S. unter dem 11. Februar 2003 einen Anspruch auf Auszahlung einer Berufsunfähigkeitsrente sowie für den Zeitraum vom 01. Mai 2002 bis zum 01. März 2003 eine Nachzahlung in Höhe von 6.530,80 EUR zu.

    Der Kläger unterrichtete die Familienkasse am 13. Juli 2004 in einer persönlichen Vorsprache darüber, dass S. die Lehre aus gesundheitlichen Gründen habe abbrechen müssen und sich arbeitsplatz- bzw. ausbildungsplatzsuchend gemeldet habe. Gleichzeitig habe sie einen Behindertenausweis beantragt. Im November 2004 reichte der Kläger einen Bescheid des Amtes für Familie und Soziales vom 22. Juli 2004 nach, in dem das Amt bei S. eine Beeinträchtigung der Gehirnfunktion mit teilweisem Gesichtsfeldausfall beidseitig und einen daraus resultierenden Grad der Behinderung von 30 % feststellte. Gleichzeitig teilte das Amt mit, S. erfülle nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Steuervergünstigung nach § 33b des Einkommensteuergesetzes (EStG).

    Die Familienkasse gelangte zu dem Ergebnis, dass S. Einkünfte und Bezüge nach Abzug der Kostenpauschale von 180,– EUR und des Pauschbetrags für Renten von 102,– EUR im Streitjahr 2003 über dem maßgeblichen Grenzbetrag von 7.188,– EUR lagen, hob die Kindergeldfestsetzung für 2003 mit Bescheid vom 14. Februar 2005 auf und forderte den ausgezahlten Betrag von insgesamt 1.848,– EUR zurück. Das gegen diesen Bescheid geführte Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg.

    Der Kläger hat fristgemäß Klage erhoben. S. sei schwer erkrankt. Bei ihr sei ein Hirntumor diagnostiziert worden, der mit einer massiven Einschränkung des Sehfeldes verbunden und von verschiedenartigem Kopfschmerz und Schwindel begleitet sei. Aufgrund dieser gesundheitlichen Beeinträchtigung, die bereits im Streitjahr vorgelegen habe, sei es zur Auszahlung der Berufsunfähigkeitsrente gekommen. Die Rentennachzahlung von 6.530,80 EUR sei jedoch nicht bei S. Einkünften und Bezügen anzusetzen, da diese Summe zur Einrichtung einer neuen Wohnung verwendet worden sei. Denn S. habe mit ihrer Ausbildung auch die damalige Wohnung aufgeben müssen. Sie habe für eine Übergangszeit bei ihren Eltern gewohnt und sei sodann in die Nähe der Arbeitsstätte ihrer Mutter gezogen. Damit sei gewährleistet, dass S. nahezu täglich besucht werden könne und ihr die notwendige Unterstützung zuteil werde. Darüber hinaus seien „Ausgaben von monatlich durchschnittlich 75,– EUR für weitere Unterstützungshandlungen” angefallen. Fahrtkosten, die im Zusammenhang mit der Erkrankung gestanden hätten, seien bislang ebenfalls unberücksichtigt geblieben. Diese beliefen sich „auf schätzungsweise mehr als 700,23 EUR”. Zur vorläufigen Konkretisierung sei darauf hinzuweisen, dass S. bei verschiedenen Ämtern, Ärzten und Kliniken zwischen Z. und D. vorstellig geworden sei. Hierbei sei sie auf Hilfe Dritter angewiesen gewesen, da sie aufgrund des auf 40 % verminderten Sehfeldes nicht in der Lage gewesen sei, allein zu fahren. S. in 2003 geleisteten Beiträge für ihre freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenkasse von insgesamt 867,39 EUR seien abzuziehen. Ferner seien S. Einkünfte und Bezüge um den behinderungsbedingten Mehrbedarf zu mindern, der sich nach § 33b EStG auf 310,– EUR belaufe. Schließlich sei die Rückforderung der Beklagten auch deshalb unberechtigt, weil sie bereits im Frühjahr 2003 unter Vorlage der Bestätigung über die Rentenzahlung an S. unterrichtet worden sei, das Kindergeld jedoch weitergezahlt habe.

    Der Kläger beantragt,

    den Aufhebungsbescheid vom 14. Februar 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03. Mai 2005 aufzuheben.

    Die Beklagte beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie ist während des Klageverfahrens für den Streitfall zuständig geworden und trägt vor, auch der Nachzahlungsbetrag von 6.530,80 EUR sei im Streitjahr zugeflossen und daher bei der Ermittlung von S. Einkünften und Bezügen zu berücksichtigen. Auf die Art der Verwendung komme es nicht an. Wie sich aus einem Schreiben des Bundesamtes für Finanzen ergebe, könnten die Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung nicht in Abzug gebracht werden. S. sei im Streitjahr auch nicht als behindertes, sondern als arbeitssuchendes Kind zu berücksichtigen. Sie sei für das gesamte Jahr arbeitssuchend gemeldet gewesen. Daher sei davon auszugehen, dass ihre Behinderung einer Erwerbstätigkeit nicht entgegen gestanden habe.

    Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung sowie die zum Streitfall übergebene Verwaltungsakte verwiesen.

    II.

    Die Klage hat keinen Erfolg.

    Der Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 14. Februar 2005 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

    Es kann dahingestellt bleiben, ob S. im Streitjahr als behindertes oder als arbeitsloses Kind zu

    Berücksichtigen war. Auch im ersten Fall war die Aufhebung des Kindergeldes wegen S. hoher Einkünfte und Bezüge gerechtfertigt.

    Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein behindertes Kind, wenn es wegen seiner Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Kann es aufgrund seiner Einkünfte und Bezüge selbst für seinen Unterhalt sorgen, kommt der Behinderung keine Bedeutung zu. Denn wenn die finanziellen Mittel des Kindes ausreichen, um seinen notwendigen Lebensbedarf abzudecken, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher Aufwand für das Kind entsteht, der ihre steuerliche Leistungsfähigkeit mindert (Urteil des BFH vom 24. August 2004, VIII R 59/01, BFH/NV 2004, 1715 m. w. N).

    Das Kind ist imstande, für seinen Unterhalt selbst zu sorgen, wenn seine Einkünfte und Bezüge höher sind als der allgemeine Lebensbedarf (Grundbedarf) und der individuelle behinderungsbedingte Mehrbedarf. Der Grundbedarf ist in Anlehnung an den jeweils maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu bemessen, im Streitfall 7.188 EUR. Weist der Kindergeldberechtigte die individuellen behinderungsbedingten Mehraufwendungen nicht nach, ist der maßgebliche Behindertenpauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) anzusetzen (zum Ganzen: Beschluss des BFH vom 15. Februar 2007, III B 145/06, BFH/NV 2007, 1112 m. w. N.; ständ. Rspr.).

    Im Streitjahr konnte S. mit ihren Einkünften und Bezügen selbst für ihren Unterhalt sorgen, da auch die Rentennachzahlung als Zufluss zu berücksichtigen war.

    Zwar ist die in diesem Zusammenhang anzustellende Berechnung nach dem Monatsprinzip vorzunehmen. Außerdem ist bei der Prüfung der Frage, ob ein volljähriges behindertes Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, dessen Vermögen nicht zu berücksichtigen. Daraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass bei unregelmäßig anfallenden Einnahmen der am Ende des Monats des Zuflusses nach Abzug des Gesamtbedarfs einschließlich des behinderungsbedingten Mehrbedarfs noch nicht verbrauchte Betrag zu Beginn des Folgemonats in Vermögen umgewandelt wird und damit bei der Prüfung der Fähigkeit zum Selbstunterhalt nicht mehr berücksichtigt werden darf. Denn ein Einnahmeüberhang aus dem Vormonat steht auch im Folgemonat noch zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung. Zudem geht auch das Bundesverwaltungsgericht bei der Einkommensermittlung nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) davon aus, dass Mittel, die ein Hilfesuchender in der Bedarfszeit erhält, als Einkommen zufließen, wobei abweichend vom tatsächlichen Zufluss rechtlich ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt werden kann (sog. normativer Zufluss). Danach sind einmalige Einnahmen von dem Monat an zu berücksichtigen, in dem sie anfallen. Soweit im Einzelfall keine andere Regelung angezeigt ist, sind sie auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen. Auch das BSG ist in seinem Urteil vom 9. August 2001 B 11 AL 15/01 R (BSGE 88, 258) vom sog. normativen Zuflussprinzip ausgegangen und hat für während des Bezugs von Arbeitslosenhilfe jährlich wiederkehrend gezahlte Zinsen entschieden, dass diese als Einkünfte anteilig bis zur nächsten Zinsausschüttung auf die Arbeitslosenhilfe anzurechnen sind. Überträgt man die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Gedanken auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG, sind nicht monatlich, sondern jährlich anfallende Einnahmen nicht ausschließlich dem Monat des Zuflusses zuzuordnen, sondern auf den Zuflussmonat und die nachfolgenden elf Monate aufzuteilen (zum Ganzen: Urteil des BFH vom 24. August 2004, VIII R 83/02, BStBl II 2007, 248 m. w. N.).

    Gemäß diesen Grundsätzen ist im Streitjahr auch der überwiegende Teil des Nachzahlungsbetrages aus der privaten Versicherung – nämlich 10/12 und damit 5.442,33 EUR – bei der Ermittlung von Susis Einkünften und Bezügen zu berücksichtigten. Auf die Frage, wofür S. die zugeflossenen Mittel, insbesondere den Nachzahlungsbetrag, verwendete, kommt es nicht an.

    Es kann dahingestellt bleiben, ob alle vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen zu berücksichtigen sind. Denn selbst bei Anrechnung aller – auch der unsubstantiiert und unbelegt gebliebenen – Kosten sowie unter Anerkennung des (dem Grunde nach sowie hinsichtlich seines zusätzlichen Ansatzes zweifelhaften) Pauschbetrages gemäß § 33b Abs. 3 EStG kommt S. Behinderung im Streitjahr keine Bedeutung zu. Sie konnte ihren Grundbedarf von 7.188,– EUR und ihren (behaupteten) behinderungsbedingten Mehrbedarf von insgesamt 1.910,– EUR (310,– EUR nach § 33b Abs. 3 EStG, Fahrtkosten von 700,23 EUR sowie 12 × 75,– EUR) aus ihren Finanzmitteln von 11.149,01 EUR (5.442,33 EUR, 10 × 657,08 EUR sowie 285,27 EUR abzüglich 180,– EUR, 102,– EUR und 867,39 EUR) decken, ohne auf Unterhaltsleistungen ihrer Eltern angewiesen zu sein. Die Voraussetzungen für eine Kindergeldgewährung lagen im Streitjahr mithin nicht vor.

    Der Rückforderung des ausgezahlten Kindergeldes steht auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die Weiterzahlung des Kindergeldes allein nicht ausreicht, um bei dem Kindergeldempfänger das Vertrauen zu erwecken, dass zu Unrecht gezahltes Kindergeld nicht zurückgefordert werde. Vielmehr müssen auf Seiten der Behörte besondere Umstände vorliegen, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (Beschluss des BFH vom 21. Februar 2008, III B 103/07 m. w. N.). Bei einem Massenverfahren wie im Kindergeldrecht ist dabei ein besonders eindeutiges Verhalten der Familienkasse zu fordern, dem zu entnehmen ist, dass sie auch nach Prüfung des Falles unter Berücksichtigung veränderter Umstände von einem Fortbestehen des Kindergeldanspruchs ausgeht und ein anderer Eindruck bei dem Kindergeldempfänger nicht entstehen kann (Urteil des BFH vom 14. Oktober 2003, VIII R 56/01, BStBl. II 2004, 242). Die Familienkasse hat jedoch durch nichts erkennen lassen, sie werde gegebenenfalls von einer Rückforderung unberechtigt geleisteter Kindergeldzahlungen absehen.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung.

    VorschriftenEStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3, EStG § 32 Abs. 4 S. 2, EStG § 11 Abs. 1